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AGRAR/1699: Maria Noichl - "Europäische Agrarpolitik muss steuern" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 419 - März 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Europäische Agrarpolitik muss steuern
EU-Parlamentarierin Maria Noichl, SPD, fordert mehr Mut, EU-Agrargelder in bäuerliche, gesellschaftlich gewünschte Richtungen zu lenken

Das Interview führte Claudia Schievelbein


Unabhängige Bauernstimme: Sie werfen der europäischen Agrarpolitik vor, ihre selbstgesteckten Ziele in Sachen Umweltschutz oder Stärkung bäuerlichen Einkommens zu verfehlen, und fordern eine Bindung zukünftiger Zahlungen an gesellschaftliche Leistungen. Auch die Kommission sendet vorsichtige Signale in diese Richtung, was fehlt noch?

Maria Noichl: Was jetzt fehlt, sind Motor und Standfestigkeit. Agrarkommissar Hogan hat die Zusammenhänge erkannt und jetzt ist die Frage: Wie mutig wird er sein? Sein Vorgänger als Agrarkommissar, Dacian Ciclos, war damals mutig und anschließend ist ihm alles auseinandergenommen worden. Wenn jetzt kritisiert wird, dass die EU-Kommission die Agrarpolitik renationalisieren will, dann ist wichtig zu sehen, dass es auch bislang weder gleiche Prämien noch gleiche Programme in den Mitgliedstaaten gibt. Die EU-Agrarpolitik gleicht einer Kirchenorgel und jedes Land zieht andere Register. Ich teile die Angst vor Zersplitterung nicht.

Auf dem Agrarkongress von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks im Januar haben Sie berichtet, wie ausgeprägt in Europa immer noch in den eigenen Interessensnischen agiert wird, dass es nach wie vor eine starke Agrarlobby für unqualifizierte Flächenprämien gibt und Mitgliedsländer, die "erstmal Geld verdienen wollen, bevor sie sich mit Klimaschutz befassen können". Wie lässt sich ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel in Brüssel durchsetzen?

Auch diese Länder wollen ja Klimaschutz, aber der Wunsch nach einem höheren Wohlstandsniveau überwiegt noch in vielen osteuropäischen Mitgliedstaaten. Genau da liegt doch die Herausforderung, beides zu verknüpfen und den Bauern zu signalisieren: "Tust du etwas für den Klimaschutz, verdienst du auch mehr, weil du mehr Geld aus Brüssel bekommst." Schließlich geht es bei den Agrarsubventionen um die Verteilung von Steuergeldern, das kommt von "steuern". Ich verstehe sie nicht als Sozialleistungen. Das Klammern an die Direktzahlungen ist ja ein wenig wie ein Reflex, oft mit der Begründung, sie machten die Hälfte des Einkommens der landwirtschaftlichen Betriebe aus. Es ist klar, dass Veränderungen nur Schritt für Schritt erfolgen können, aber es muss doch auch um Wertschätzung für die Art und Weise gehen, wie jemand wirtschaftet.

Als erstes wird die Kommission allerdings den Mehrjährigen Finanzrahmen planen, weniger Geld ist ein entscheidendes Kriterium bei der GAP, was ist zu beachten?

Das kann man auch positiv sehen, denn wenn ich weniger Geld zur Verfügung habe, muss ich das noch zielgerichteter einsetzen als in fetten Jahren, wenn viel Geld zu verteilen ist. Und bislang haben Direktzahlungen und Greening ja nicht dazu geführt, dass weniger Betriebe aufgeben. Zum Teil sind sie auch nur eine scheinbare Einkommensstützung, weil ein Großteil direkt von den Bewirtschaftern an die Grundeigentümer durchgereicht wird.

Die AbL schlägt ein Punktesystem vor, das vielfältige bäuerliche Betriebe, die Leistungen in Ressourcen- und Tierschutz erbringen, besserstellt. Was halten Sie davon?

Prinzipiell halte ich es für ein gutes System, Kriterien wie beispielsweise die Schlaggröße zu bewerten, die ja im Hinblick auf die Biodiversität erwiesenermaßen entscheidend ist. Das Modell der AbL bietet gute Ansätze und ist gut zu kontrollieren, das ist ein wichtiger Punkt. Würde zukünftig tatsächlich mehr Verantwortlichkeit in die Mitgliedsländer verlagert, könnte man in Deutschland ja schon mal damit beginnen, so ein Punktesystem umzusetzen.

Auch in der SPD gibt es unterschiedliche Stimmen zu Kappung und Degression der Direktzahlungen, wie ist Ihre Position?

Ich bin nicht einer Meinung mit Till Backhaus, dem SPD-Agrarminister von Mecklenburg-Vorpommern, dass jeder Hektar gleich viel zählt. Man kann das gut finden oder nicht, aber es ist nun mal so, dass je größer die Betriebe sind, desto weniger Arbeitskräfte gibt es pro Hektar und je größer die Schläge, desto geringer ist die Biodiversität. In der EU gilt es immer, kleine und mittelständische Unternehmen zu fördern, da krieg ich auch ein Problem, wenn ich es in der Landwirtschaft anders mache. Deswegen sage ich klar: Wir brauchen eine Kappung. Der Aufschlag auf die ersten Hektare ist zwar prinzipiell richtig, aber zu gering. Das ist doch nur Kleingeld, um den Kleinen ein bisschen was zu geben, aber den Großen nichts wegzunehmen.

Auf dem BMUB-Agrarkongress haben Sie auch gesagt, dass Subventionen aus Europa kein Marktversagen auffangen können, aber wie können und sollten aus Ihrer Sicht Märkte politisch so beeinflusst werden, dass Bauern und Bäuerinnen nicht zu Verlierern werden?

Der Hauptfehler ist zu glauben, für den heimischen Markt und gleichzeitig für den Weltmarkt so billig wie möglich produzieren zu müssen. Und eine Abkehr von der Exportorientierung ist mit dem aktuellen Agrarkommissar auch nicht möglich. Wir können aber nicht zum einen das Güllelager und der Misthaufen der Welt sein und zum anderen das Futter für all die europäischen Tiere auf Flächen außerhalb Europas, beispielsweise in Brasilien, wachsen lassen, wo Nahrungsmittel für die dortige Bevölkerung angebaut werden müssten. Es ist auch ein Kulturverlust, dass bei uns nur noch Filets und Koteletts vermarktet werden können, aber eine handwerkliche Verarbeitung des ganzen Tieres ohne lange Tiertransporte kaum noch stattfindet.

In Deutschland gibt es gesellschaftliche Forderungen nach Veränderungen in der Tierhaltung, die auch zumindest in vagen Formulierungen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben, allerdings fehlt der Prüfauftrag für eine verpflichtende Haltungskennzeichnung, wie ihn die Jamaika-Sondierer an die EU stellen wollten. Welche Rolle spielt die Debatte in Europa und wie schätzen Sie die Frage der verpflichtenden Haltungskennzeichnung ein?

Deutschland ist in der Debatte schon Vorreiter, aber vielleicht auch in den negativen Entwicklungen in der Tierhaltung, die die Debatte erst haben nötig werden lassen. Wir müssen Anreize für Veränderungen in der Tierhaltung schaffen, und ja, eine Haltungskennzeichnung halte ich für unbedingt notwendig.

Glyphosat ist Symbol für vieles: u. a. ein intransparentes Zulassungsverfahren, ein industrielles Ackerbaumodell, ein parteipolitischer Dissens. Wie wollen Sie verhindern, dass es in fünf Jahren erneut zugelassen wird?

Ich halte den Prüfauftrag der EFSA für nicht richtig, der lediglich die Gefahr des Reinstoffes für Mensch und Tier erforscht. Damit wird eine Diskussion um Cocktailwirkungen, den Verlust der Artenvielfalt, den Grundwassereintrag und die Konzernabhängigkeiten auf der Ebene des Zulassungsverfahrens gar nicht erst geführt. Wir wollen diese Diskussion nun im Glyphosat-Sonderausschuss im EU-Parlament führen. Es geht eben vor allem auch darum, künftig ein anderes, transparenteres und verlässlicheres Zulassungsverfahren zu etablieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 419 - März 2018, S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2018

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