Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → WIRTSCHAFT

ENERGIE/161: Wettbewerb im Energiesektor durch Regulierung der Energienetze (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
10. Jahrgang · Ausgabe 2 · November 2014

Wettbewerb im Energiesektor durch Regulierung der Energienetze
Europäische Erfolgsgeschichte und bleibende Herausforderung

Von Jörg Gundel und Raphael Pompl



Netzregulierung im Energiesektor: Eine Notwendigkeit

Energienetze sind sogenannte "natürliche Monopole". Ihre Vervielfachung ist zwar rechtlich zulässig und möglich, doch die Errichtung solcher Parallelstrukturen ist volkswirtschaftlich und ökologisch nicht sinnvoll. Anders als in den Bereichen Post und Telekommunikation, in denen in der Vergangenheit gesetzliche Monopole bestanden, waren die Energienetze nie durch solche gesetzliche Ausschließlichkeitsrechte abgesichert.

Der Netzbetreiber ist im Falle eines natürlichen Monopols in einer komfortablen Situation. Denn Nutzer wie Erzeuger sind auf seine Infrastruktur angewiesen - letztere allerdings nur, soweit unabhängige Erzeuger überhaupt existieren. Dieser Vorbehalt erscheint heute hypothetisch, nachdem bekanntermaßen eine Vielzahl von Anbietern auf den Strom- und Gasmärkten auch für HaushaltsEndkunden existieren. Noch vor 20 Jahren war dieser Vorbehalt in Deutschland ebenso wie in anderen EU-Mitgliedstaaten aber höchst real, weil eine freie Wahl des Versorgers ausgeschlossen war. Tatsächlich besteht die effektivste Form der Nutzung eines natürlichen Monopols im Netzsektor darin, dieses Netz nur für die Erbringung eigener Leistungen zu nutzen und Dritten den Netzzugang zu verweigern. Das natürliche Monopol dehnt sich dadurch auf den Erzeugungsbereich aus, obwohl die Erzeugung für sich betrachtet wettbewerblich stattfinden könnte.

An dieser Stelle setzt der Regulierungsgedanke an: Der Netzbetreiber als Inhaber des natürlichen Monopols wird verpflichtet, anderen Erzeugern Netzzugang in diskriminierungsfreier Weise und zu angemessenen Bedingungen zu gewähren:

• Die Vorgabe der Gleichbehandlung soll dabei ausschließen, dass die eigene Erzeugungssparte des Netzbetreibers beim Zugang bevorzugt wird.

• Die Forderung angemessener Entgelte soll der Entstehung von Monopolrenten vorbeugen - wobei diese Entgeltkontrolle eine schwierige Gratwanderung bedeutet. Denn auf der anderen Seite muss auch ein rentabler Netzbetrieb gewährleistet werden, der notwendige Maßnahmen der Netzpflege und des Netzausbaus ermöglicht.

Die damit skizzierte Aufgabenstellung macht deutlich, dass der Wettbewerb in Netzsektoren nicht ohne zusätzliche Bürokratie zu haben ist. Gerade Deutschland hat zunächst versucht, die europäisch vorgegebene Öffnung der Energienetze ohne zusätzliche Behördenstrukturen zu verwirklichen. Das Experiment war aber von kurzer Dauer (1998-2005). Denn im Jahr 2005 wurde die Aufsicht über die Netzbetreiber schließlich doch - wiederum europäischen Vorgaben folgend - der Bundesnetzagentur übertragen, die ursprünglich nur für Post und Telekommunikation zuständig gewesen war.


Europäisches Recht: Treiber für den nationalen Regulierungsrahmen

Wie damit bereits angedeutet, geht die heutige Wettbewerbs- und Regulierungsstruktur im deutschen Energiesektor zentral auf europäische Vorgaben und Impulse zurück: Tatsächlich bestanden in allen Mitgliedstaaten zunächst Versorgungsmonopole. Dabei lagen Netzbetrieb, Erzeugung und Versorgung in einer Hand. Nur die rechtliche Ausgestaltung und Absicherung variierte. Sie reichte vom gesetzlichen Monopol (Frankreich, Italien) bis zu einer kartellrechtlich abgesicherten Vertragskonstruktion auf Basis des natürlichen Netzmonopols (System der "geschlossenen Versorgungsgebiete" in Deutschland).

Europarechtlich ist dieser Zustand erstaunlich lange unbehelligt geblieben, obwohl auf der Hand liegt, dass ein Nebeneinander nationaler Monopolversorger in deutlichem Kontrast zur Idee eines europäischen Binnenmarktes steht. Diese Diskrepanz ist dann aber bei den Arbeiten zur Vollendung des EU-Binnenmarktes zu Beginn der 1990er Jahre doch thematisiert worden. Allerdings konnten die bestehenden Strukturen noch längere Zeit mit dem Argument der Versorgungssicherheit verteidigt werden, bis dann in den Jahren 1996 (Strom) und 1998 (Gas) die erste Generation der Energie- Binnenmarktrichtlinien eine zunächst beschränkte Marktöffnung - und damit zugleich eine Öffnung der Netze - vorgaben.

In deutsches Recht umgesetzt wurden die Vorgaben durch die Novellierung des noch aus dem Jahr 1935 stammenden - und danach weitgehend unverändert gebliebenen - Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) im Jahr 1998. Diese Umsetzung ging über die Vorgaben der EU-Richtlinien hinaus, indem eine vollständige Liberalisierung bis hin zur Herstellung von Wahlfreiheit für die Haushaltskunden vorgesehen wurde. In den meisten anderen EU-Mitgliedstaaten hingegen blieben die Haushaltskunden zunächst an ihren bisherigen Monopolversorger gebunden. Auf der anderen Seite war die Durchsetzung der Marktöffnung in Deutschland - wie schon erwähnt - sehr schwach ausgestaltet. Als einziger Mitgliedstaat hatte Deutschland auf eine Regulierungsbehörde verzichtet und stattdessen das Modell des sogenannten "verhandelten Netzzugangs" gewählt. Diesem Modell zufolge sollten Netzbetreiber und Erzeuger die Zugangsbedingungen untereinander aushandeln.

Aus europäischer Sicht war diese beschränkte Öffnung allerdings nur eine Zwischenstation. Das im Sommer 2003 verabschiedete "Beschleunigungspaket" aus zwei EU-Richtlinien und einer Verordnung hat die Spielregeln nochmals neu geordnet. Vorgesehen war nun:

• Die vollständige Marktöffnung in allen Mitgliedstaaten bis spätestens 2007.

• Die verbindliche Einrichtung von Regulierungsbehörden zur Überwachung der Netzbetreiber, was bei der Umsetzung in Deutschland durch das Energiewirtschaftsgesetz 2005 zur bereits erwähnten Zuständigkeit der Bundesnetzagentur geführt hat.

"Der Energiesektor ist wesentlich stärker als die meisten anderen Industriesektoren durch Weichenstellungen der nationalen Energiepolitik geprägt."

Ausgebaut wurden darüber hinaus die zuvor nur in Ansätzen bestehenden Entflechtungsvorgaben für Unternehmen, die zugleich in der Erzeugung und im Netzbetrieb aktiv sind ("vertikal integrierte Energieversorger"). Diese Kombination, die sich als strukturelles Erbe aus der Zeit der Versorgungsmonopole ergab, birgt tatsächlich besondere Gefahren für den Wettbewerb. Denn der Netzbetreiber muss dabei stets in Versuchung geraten, seine eigene Erzeugungssparte beim Netzzugang zu bevorzugen. Zugleich enthielt dieses Paket erstmals Regelungen zum grenzüberschreitenden Energiehandel und zur Nutzung bzw. zum Ausbau der dafür notwendigen Infrastruktur. Dazu zählten insbesondere die sogenannten Grenzkuppelstellen, die die nationalen Netze verbinden und aufgrund der ursprünglich rein nationalen Ausrichtung dieser Netze als Engpässe wirken. Die ersten EU-Richtlinien hatten die Tatsache, dass ein funktionierender Energiebinnenmarkt nicht rechtlich dekretiert werden kann, sondern auch auf einen physischen Unterbau angewiesen ist, noch weitgehend ignoriert.

Den (vorläufigen) Endpunkt des europäischen Liberalisierungsprozesses bildete schließlich das im Sommer 2009 ergangene dritte EU-Binnenmarktpaket, dessen Vorgaben im Zuge der EnWG-Novelle 2011 in deutsches Recht überführt wurden. Hierbei wurden die Entflechtungsvorgaben für vertikal integrierte Energieversorger nochmals verschärft. Zugleich wurde eine intensive Kooperation der europäischen Netzbetreiber und auch der Regulierungsbehörden vorgegeben. Diesem Zweck dient auch die mit diesem Paket gegründete EUAgentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) mit Sitz in Ljubljana.


Fortbestehende Herausforderungen

Wie im Titel des Beitrags angesprochen, kann diese Entwicklung als europäische Erfolgsgeschichte gelesen werden. In mehreren Etappen, aber insgesamt doch in recht kurzer Zeit ist es gelungen, einen traditionell vom Wettbewerb abgeschirmten Industriezweig in wettbewerbliche Strukturen zu überführen. Anders als zunächst befürchtet, hat die Versorgungssicherheit dabei nicht gelitten. Ungetrübt ist dieses Bild allerdings wiederum nicht: Die früheren Monopolisten sind (naturgemäß) nicht verschwunden, sondern nehmen als marktstarke Unternehmen am Wettbewerb teil. Daher stellt sich - wie in anderen früheren Monopolsektoren auch - eine wirkliche Anbietervielfalt nur schleppend ein. Die Effizienzgewinne durch die Überwachung der Netzbetreiber (die auf diese Weise keine Monopolrenditen erzielen können) sind zwar erheblich. Doch kommen sie kaum als Preissenkungen beim Endverbraucher an, weil sie durch steigende Kosten der Energieträger und vor allem durch eine steigende Abgabenbelastung (über-)kompensiert werden.

Eine bleibende Herausforderung ist zudem die Schaffung und Erhaltung einer zuverlässigen und leistungsstarken Energieinfrastruktur. Dazu gehört insbesondere der Ausbau der grenzüberschreitenden Transportnetze. Konsequent wurde das Ziel der Interkonnektion, also der Verknüpfung der nationalen Energienetze, durch den Vertrag von Lissabon neben den anderen Zielen der europäischen Energiepolitik in der neuen Energie-Kompetenz der EU verankert (Art. 194 Abs. 1 lit. d) AEUV). Ferner wurde im Jahr 2013 die "Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur", die sogenannte TEN-E-Verordnung, erlassen. Diese soll als neuer Rechtsrahmen für den grenzüberschreitenden Netzausbau dazu beitragen, den Energiebinnenmarkt zu vertiefen.

Die größte Gefährdung für den erreichten Stand des Energiebinnenmarktes und für eine wettbewerbliche Struktur dieses Sektors geht allerdings von der Tatsache aus, dass die politischen Weichenstellungen für die Wahl der Energieträger (der sogenannte "Energiemix") weiter jedenfalls faktisch in der Hand der Mitgliedstaaten liegen und die Grundpositionen dieser Staaten sich derzeit eher voneinander entfernen, als dass sie konvergieren.

So wird die deutsche Energiewende als nationales Projekt begriffen; die hierfür eingesetzten Steuerungsmechanismen wie Einspeisevorrang und gesetzliche Einspeisevergütung gelten nur für die nationale Produktion. Auch die in anderen Mitgliedstaaten getroffene Entscheidung, die Kernenergie beizubehalten oder sogar auszubauen, trägt zum Auseinanderdriften der nationalen Rahmenbedingungen der Energieversorgung bei. Diese Unterschiede in den Rahmenbedingungen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten können durch keine Netzregulierung ausgeglichen werden.


Fazit

Die Bilanz der europäisch geprägten Reform des Rechtsrahmens der Energieversorgung fällt damit gemischt aus: Auf der einen Seite ist es gelungen, die Energieversorgungsmonopole auf ihren "natürlichen Kern" - eben das natürliche Monopol des Netzbetriebes - zurückzuführen. Auf der anderen Seite ist ein echter europäischer Binnenmarkt noch nicht entstanden, weil der Infrastrukturausbau mit der rechtlichen Entwicklung nicht Schritt gehalten hat. Vor allem aber ist der Energiesektor wesentlich stärker als die meisten anderen Industriesektoren durch Weichenstellungen der nationalen Energiepolitik geprägt. Gegenläufige Entscheidungen der Mitgliedstaaten in diesen Punkten lassen sich durch die europäische Netzregulierung nicht auffangen.

*

Forschungsstelle für deutsches und europäisches Energierecht

Weder der Lebensstandard noch die Industrieproduktion in Deutschland sind ohne eine dauerhaft gesicherte Energieversorgung zu halten. Die Energiewirtschaft bildet das Rückgrat jeder modernen Volkswirtschaft. Aber trotz seiner erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bedeutung sind das deutsche und europäische Energierecht an deutschen Universitäten noch immer unterrepräsentiert. Um diese Lücke zu schließen, wurde an der Universität Bayreuth die Forschungsstelle für deutsches und europäisches Energierecht - kurz: FER - ins Leben gerufen. Sie vereint Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Rechtsdisziplinen, die sich bei ihrer Mitwirkung in der Forschungsstelle vor allem auf das Energierecht im engeren Sinne konzentrieren, also auf das Recht der leitungsgebundenen Energieversorgung mit Elektrizität und Gas.

Die Forschungsstelle will den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis über aktuelle energierechtliche Themen aktiv vorantreiben. Darin wird sie durch die engen Kontakte ihrer Mitglieder zu Unternehmen, Verbänden, Verwaltung und Politik unterstützt. Ein bewährtes Forum für diesen Dialog sind die "Energierechtstage", die 2015 bereits zum sechsten Mal von der FER auf dem Bayreuther Campus veranstaltet werden. "Energieversorgung in Zeiten der Energiewende" wird das Thema sein.

• www.fer.uni-bayreuth.de


Autoren

Prof. Dr. Jörg Gundel ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Geschäftsführender Direktor der Forschungsstelle für deutsches und europäisches Energierecht (FER) an der Universität Bayreuth.

Raphael Pompl, Wirtschaftsjurist (Univ. Bayreuth), ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht.


Literaturhinweise

Jörg Gundel, Der Verbraucherschutz im Energiesektor zwischen Marktliberalisierung und Klimaschutzzielen, Gewerbearchiv 2012, 137 ff.;

• ders., Europäisches Energierecht, in: Danner/Theobald (Hrsg.), Energierecht-Kommentar, München (Loseblatt, 79. Erg-Liefg. 2013).


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Abb. S. 34:
Das Satellitenbild lässt erkennen, wie sich die Regionen Europas hinsichtlich ihres Stromverbrauchs unterscheiden.


Sie finden das Magazin als PDF-Datei mit Abbildungen unter:
http://www.uni-bayreuth.de/presse/spektrum/spektrum-pdf/ausgabe_02_14.pdf

*

Quelle:
spektrum - Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 2, November 2014, S. 34 - 37
Herausgeber: Universität Bayreuth
Stabsstelle Presse, Marketing und Kommunikation
95440 Bayreuth
Telefon: 0921/55-53 56, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang