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MEMORIAL/005: Zum 190. Geburtstag von Engels - Seine Freunde nannten ihn General (Gerhard Feldbauer)


Seine Freunde nannten ihn General


Zum 190. Geburtstag von Friedrich Engels

Von Gerhard Feldbauer


Friedrich Engels wurde am 28. November 1820 geboren. Zu seinem 190. Geburtstag möchte ich etwas über eine Seite seiner Tätigkeit schreiben, über die nicht so viel bekannt ist: über sein Wirken als proletarischer Militär.

"Zum Militär war er übrigens wie geschaffen: Helles Auge; rascher Überblick, rasches wägen auch der kleinsten Umstände, rascher Entschluss und unerschütterliche Kaltblütigkeit." So schätzte Wilhelm Liebknecht Friedrich Engels ein, der als Stabschef und Adjutant im Freikorps des Obersten August Willich, dem besten Truppenteil der Badisch-Pfälzischen Revolutionsarmee, diese Eigenschaften glänzend bewies. [1]

In mehreren Gefechten und in der Schlacht bei Rastatt stand Engels immer in vorderster Linie und führte dabei auch das Kommando über Formationen. In ihren "Memoiren einer Frau aus dem Badisch-Pfälzischen Feldzug" (1853) [2] schrieb die Revolutionsteilnehmerin Franziska Anneke, Engels habe in einem Gefecht bei Rinntal als Kommandeur eines Seitendetachements mehrere Stunden zeitweise im dichtesten Feuer gestanden. "Sein Eifer und sein Mut wurden von seinen Kampfgenossen ungemein lobend hervorgehoben." [3]


Letzte Chance der Revolution

Im Frühjahr 1849 hatte die deutsche Revolution eine letzte Erfolgschance. Während Aufstände in Dresden, Breslau und im Rheinland Niederlagen erlitten, war die im Mai in Baden und der Pfalz ausgebrochene Erhebung zunächst erfolgreich. Fast die gesamte badische Armee und die pfälzischen Soldaten schlossen sich den Aufständischen an. Zum ersten Mal entstand eine Revolutionsarmee. Da die Volksmassen noch eindeutig auf die Seite der Revolution neigten, bestand die Möglichkeit, den Erfolg über die Landesgrenzen zu tragen. Obwohl sich im Juni die günstigen internationalen Bedingungen durch die Niederlage der demokratischen Partei in Paris, den Stillstand der Revolution in Ungarn und die italienischen Rückschläge in Rom und Piemont verschlechterten, war die folgende Niederlage in Baden keineswegs unausweichlich. Um die Revolution voranzutreiben, hätte es vor allem der militärischen Offensive bedurft.

Die Feudalreaktion mit Preußens Wilhelm IV. an der Spitze wies die von der Frankfurter Nationalversammlung am 28. März 1849 beschlossene Reichsverfassung trotz ihres Kompromisscharakters - statt demokratischer Republik Proklamation einer konstitutionellen Monarchie - zurück. Der radikaldemokratische Flügel mit Volks- und Arbeitervereinen an der Spitze forderte daraufhin, die Reichsverfassung mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Marx und Engels trafen mit den demokratischen Abgeordneten der Nationalversammlung zusammen und appellierten, dass es für das Parlament nur einen Weg zur Verteidigung der Revolution und der eigenen Existenz geben konnte: die Revolutionsarmee nach Frankfurt zu rufen und an die Spitze des bewaffneten Aufstandes zu treten. Sie fanden kein Gehör.


Liberale Bourgeoisie konterrevolutionär

Nachdem am 19. Mai die letzte Ausgabe der "Neuen Rheinischen Zeitung" erschienen war, brachen Marx und Engels nach Südwestdeutschland auf, um die Forderungen des radikaldemokratischen Flügels der Bewegung zu Vertreten. Durch Hessen, wo Preußen bereits ein Armeekorps zur Niederschlagung des Aufstandes zusammenzog, reisten sie weiter und führten in Mannheim, Karlsruhe und Ludwigshafen mit demselben Ziel Gespräche mit den Vertretern der kleinbürgerlichen Demokraten. Auch hier ergebnislos, denn diese befanden sich bereits im Schlepptau der liberalen Bourgeoisie, die zur Konterrevolution überlief. "Zum Dank wurde das "Frankfurter 'Rumpfparlament' auseinandergejagt, das Mobiliar des Sitzungssaales befehlsgemäß zerschlagen und die Abgeordneten mit Lanzen und Säbeln durch die Strassen gehetzt", schrieb Franziska Anneke.


Stabschef im Freikorps Willich

Während Marx nach Paris reiste, um dort die Situation zu analysieren, begab sich Engels zur Revolutionsarmee. Er lehnte einen Posten in der provisorischen Regierung ebenso wie im Oberkommando der Revolutionsarmee ab und nahm den Vorschlag Willichs an, Adjutant in seinem Korps zu werden. Die militärischen Kenntnisse, die Engels sich vorausschauend als Einjährig-Freiwilliger in der preußischen Garnison in Berlin angeeignet hatte, kamen nun der revolutionären Sache zugute. Er hatte sich für die Artillerie entschieden, die als technische Waffengattung einen bürgerlichen Zuschnitt besaß und von den Offizieren vielseitige mathematische und naturwissenschaftliche Kenntnisse verlangte. Sein militärisches Wissen hatte Engels bereits während seiner Teilnahme am Aufstand in Elberfeld nutzbringend angewandt und zum Beispiel dafür gesorgt, dass beim Bau von Barrikaden berücksichtigt wurde, dass diese bei einem Angriff des Gegners einem Artilleriebeschuss ausgesetzt würden. Auf seinen Vorschlag hin, setzte die Militärkommission den ehemaligen preußischen Artillerieoffizier Otto von Mirbach, der sich der Revolution angeschlossen hatte, zum Oberkommandanten der Stadt ein, dessen Adjutant er dann wurde.

Als Adjutant im Korps von Willich übernahm Engels gleichzeitig die Aufgaben des Stabschefs. Dazu gehörte die Korrespondenz mit dem Oberkommando und der provisorischen Regierung, die Planung der Gefechtspositionen sowie die Beschaffung des Nachschubs an Munition, Waffen und Nahrungsmitteln. Daneben kümmerte Engels sich sofort um die Gefechtsausbildung. In Karlsruhe führte er eine Sturmübung durch, mit der auch den konterrevolutionären Ambitionen der schwankenden Kleinbürger ein Dämpfer versetzt wurde. Zusammen mit Engels kämpften in der Revolutionsarmee weitere Mitglieder des Bundes der Kommunisten, unter ihnen Wilhelm Liebknecht, der Chef der badischen Volkswehr, Johann Philipp Becker, Joseph Moll, der als Kanonier der Besanconer Arbeiterkompanie in der Schlacht an der Murg fiel, Fritz Anneke sowie die Setzer und Arbeiter der verbotenen "Neuen Rheinischen Zeitung". "Die entschiedensten Kommunisten waren die couragiertesten Soldaten", vermerkte Engels.

Nachdem die konterrevolutionäre Bourgeoisie eine Offensive der Revolutionstruppen verhindert hatte, stellten diese sich in mutigen Gefechten der in Baden einfallenden 60.000 Mann starken preußischen Interventionsarmee entgegen. Nach erfolgreichen Kämpfen traten die Hauptkräfte am Neckar entlang nach Süden den Rückzug an, den Becker mit seiner Volkswehrdivision deckte. Willichs Korps bildete die Nachhut der gesamten Revolutionsarmee bis Rastatt und zur Murg. Als militärischer Führer bewies Engels hier auch die Fähigkeit, in schwierigen Situationen nicht die Übersicht zu verlieren, von Panik ergriffene Soldaten aufzuhalten, zu ordnen und wieder ins Gefecht zu führen.


Die Schlacht an der Murg

An der Murg stellten sich am 28. und 29. Juni 1849 unterhalb der Festung Rastatt dann noch 13.000 Mann 40.000 Preußen zur letzten erbitterten Schlacht. Gestützt auf die weitreichende Festungsartillerie konnten sie diese lange Zeit trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit für sich entscheiden. Einen Brennpunkt der Schlacht bildete Bischweier, wo das erste Armeekorps der Preußen angriff. Engels, der sich sofort in die vorderste Linie begab, schilderte einige Wochen später in seiner "Reichsverfassungskampagne" die Ereignisse: "Unsere Tirailleure wurden von einem heftigen Feuer empfangen. Es waren preußische Schützen, die ihnen gegenüberstanden, und unsere Arbeiter hatten den Spitzkugelbüchsen [4] nur Musketen gegenüberzustellen. Sie gingen aber, unterstützt von dem rechten Flügel unserer Schützen, der zu ihnen stieß, so entschlossen vor, dass die kurze Entfernung sehr bald, namentlich auf dem rechten Flügel, die schlechte Qualität der Waffe ausglich und die Preußen geworfen wurden." Trotz ihrer kolossalen Überlegenheit wagten die Preußen "keinen ernstlichen Frontalangriff, sondern schlugen uns durch feigen Verrat, indem sie das neutrale, uns verschlossene württembergische Gebiet verletzten". [5] Durch dieses von der Regierung in Stuttgart zugelassene Manöver, konnten die Preußen den rechten Flügel General Mieroslawskis zerschlagen. Während sich ein Teil der Truppen nach der Niederlage in die Festung Rastatt begab, zogen sich etwa 7000 Mann nach Süden zurück. Mit einer Nachhut des Freikorps Willich deckte Engels den Rückzug, der am 12. Juli bei Lottstetten mit dem Übertritt in die Schweiz endete.

Die Lage des von 25.000 Preußen belagerten Rastatt wurde aussichtslos. Um die Zivilbevölkerung vor dem Artillerie-Beschuss zu bewahren, kapitulierte die Festung am 23. Juli. Die Revolutionstruppen hatten gefangene preußische Soldaten und Offiziere, die nach Rastatt gebracht worden waren, human behandelt und noch vor der Kapitulation ohne Gegenleistung freigelassen. Der preußische Befehlshaber, General Graf von der Groeben, ließ dagegen sofort den Festungskommandanten Oberst Tiedemann und 27 seiner Offiziere standrechtlich erschießen. Hunderte starben in den Kasematten der Festung ohne medizinische Hilfe an Typhus, unzählige wurden heimlich ermordet. Tausende fielen im ganzen Land dem Terror der Feudalreaktion zum Opfer; unter ihnen der Bataillonskommandeur Maximilian Dortu aus Potsdam. Er hatte öffentlich den Würger der badischen Revolution, den späteren deutschen Kaiser Wilhelm I., als "Kartätschenprinz" angeprangert. Zehntausende wurde gerichtlich verfolgt, insgesamt 700 000 Teilnehmer an den Erhebungen von 1848/49 in die Emigration getrieben. Die revolutionären Kämpfer würdigend, schrieb Engels in seiner "Reichsverfassungskampagne", "das deutsche Volk wird die Füsilladen und die Kasematten von Rastatt nicht vergessen; es wird die großen Herren nicht vergessen, die diese Infamien befohlen haben, aber auch nicht die Verräter, die sie durch Feigheit verschuldeten: Die Brentanos [6] von Karlsruhe und von Frankfurt."


Anerkennung von Fachmilitärs ersten Ranges

Militärwissenschaftliche Studien bildeten fortan einen festen Bestandteil der Forschungen von Friedrich Engels. Unter Freunden wurde er in London "General" genannt. "Und wenn es bei seinen Lebzeiten noch einmal zu einer Revolution im alten romantischen Stil gekommen wäre, hätten wir in Engels unseren Carnot und Moltke gehabt - den Organisator der Armeen und Siege und den Schlachtenlenker", schrieb Wilhelm Liebknecht und fuhrt fort: "Er hat ja später auch verschiedene sehr tüchtige Militärschriften verfasst und sich - allerdings inkognito - die Anerkennung von Fachmilitärs ersten Ranges erworben, die keine Ahnung davon hatten, dass der namenlose Broschürenschreiber einen der anrüchigsten Rebellennamen trug und ein plebejischer Fabrikantensohn aus Barmen war." So wurden z. B. die Analysen, die Engels in der "Neuen Rheinischen Zeitung" über den revolutionären Krieg in Ungarn veröffentlichte und die sich als richtig erwiesen, einem hohen Militär in der ungarischen Armee zugeschrieben. Dabei stand dem Autor kein anderes Material zur Verfügung als das, was andere Zeitungen auch hatten. Unter Engels Blick wurden daraus scharfsinnige militärisch-politische Analysen. Die militärischen Leistungen Friedrich Engels wurden in der DDR mit der Verleihung seines Namens an die Militärakademie der Nationalen Volksarmee gewürdigt.

Aus Engels militärischer Tätigkeit kann keinesfalls geschlussfolgert werden, er sei etwa kriegsbegeistert gewesen. Im Badisch-Pfälzischen Krieg folgte er seiner revolutionären Pflicht. Später übte er vernichtende Kritik an den imperialen Kolonialkriegen des deutschen Kaiserreiches. In einem Brief an Karl Marx' Schwiegersohn Paul Lafargue vom 3. November 1892 warnte er, die "Ära der Barrikaden und Strassenschlachten ist für immer vorbei" und es gehe darum, "die sogenannten revolutionären Anwandlungen im Zaum zu halten, auf deren Explodieren unserer Regierenden nur warten." Er schlussfolgerte: "Also ist man verpflichtet eine neue revolutionäre Taktik zu finden." [7]


Anmerkungen

[1] Zit. in: Mohr und General. Erinnerungen an Marx und Engels. Berlin (DDR) 1964, S. 425.

[2] Neuauflage unter dem Titel "Mutterland", München 1982.

[3] Ihr Mann Fritz Anneke kommandierte als Oberst die pfälzische Artillerie. Franziska selbst war bei ihm Ordonanzoffizier und Kurierreiter. Carl Schurz war bei Fritz Anneke Adjutant. Wie mehrere Angehörige der Revolutionsarmee, so auch Willich und der zeitweilige Oberkommandierende, General Franz Sigel, kämpften Fritz Anneke und Carl Schurz im nordamerikanischen Bürgerkrieg in den Reihen der Unionstruppen. Schurz, ein persönlicher Freund von Lincoln, stieg bis zum Senator und Minister auf. Siehe Klaus Schmidt: Mathilde Franziska und Fritz Anneke. Köln 1999.

[4] Perkussionsgewehr (Vorderlader) wegen der verwendeten Spitzkugel auch Spitzkugelbüchse genannt. 1839 in die preußische Armee eingeführt.

[5] Die deutsche Reichsverfassungskampagne, MEW, Bd. 7, S. 186 ff.

[6] Lorenz Peter Brentano, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, Vorsitzender der provisorischen badischen Regierung, sabotierte alle revolutionären Aktivitäten, verhinderte den Marsch der Revolutionsarme nach Frankfurt und alle offensiven Kampfhandlungen, verbot den revolutionär-demokratischen "Klub des entschiedenen Fortschritts" und versuchte in Geheimverhandlungen mit dem badischen Großherzog einen Kompromiss zur Bildung eines konstitutionellen monarchistischen Staates auszuhandeln.

[7] MEW, Bd. 38, S. 504 f.


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Quelle:
© 2010 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2010