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MEMORIAL/010: 17. März 1861 - Garibaldi und die Unterschiede (Gerhard Feldbauer)


Garibaldi und die Unterschiede

Von Gerhard Feldbauer, März 2011


Am 17. März 1861 proklamierte das italienische Parlament den nationalen Einheitsstaat als Monarchie. Noch war jedoch Italien nicht vollständig befreit. In Venetien dauerte die Fremdherrschaft der Habsburger an und der Papst, einst größter Feudalherrscher des Landes, hatte noch Rom okkupiert. Venetien kam im Ergebnis des Sieges Preußens gegen Österreich 1866 an Italien, das sich auf die Seite Bismarcks geschlagen hatte. Nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870 bei Sedan zog Paris seine päpstlichen Schutztruppen aus Rom ab. Als der Papst Verhandlungen über die "Römische Frage" ablehnte, rückten italienische Truppen in die Stadt ein. Am 9. Oktober 1870 wurde Rom in das Königreich eingegliedert, die weltliche Herrschaft des Papstes beseitigt und die Nationale Einheit vollendet. Zu dieser Zeit wurde auch in Deutschland der Nationalstaat hergestellt.

Der jetzige Jahrestag in Italien wird für bestimmte Politiker und Medien wieder einmal Anlass sein, Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Italien herauszustellen. Den Anfang machte auf italienischer Seite kein Geringerer als Staatspräsident Giorgio Napolitano. In einem Interview für die "Welt am Sonntag" (20. Februar) fühlte sich der Ex-Kommunist, dann Ex-Linksdemokrat, heute liberaler Zentrumsmann bemüßigt, Gemeinsamkeiten des Fortschritts herauszustellen. Es sind Geschichtsklitterungen, die von der Realität widerlegt werden.

Gemeinsam waren der zeitliche Ablauf und die Herstellung des für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse schon lange erforderlichen Einheitsstaates. In Deutschland war er das Werk des Vertreters der Junkerkaste Bismarck und wurde nach dem Feldzug gegen Frankreich, der als Eroberungskrieg endete, im besetzten Feindesland proklamiert. In Italien entstand er dagegen im Ergebnis einer nationalen Bewegung, lange Zeit revolutionär-demokratischen Charakters, und gegen die Fremdherrschaft geführter Befreiungskriege. Während sich die deutsche Bourgeoisie der preußischen Hegemonie unterordnete und die politische Macht mit den Junkern teilte, war in Italien die Bourgeoisie des Nordens die politisch führende Kraft. Ihr Führer, Ministerpräsident Graf Benso di Cavour, und nicht der Hof von Piemont, führten den "Kompromiss von oben" herbei, der ihr Arrangement mit den Latifundistas des Südens (die Garantierung ihres Besitzes) einschloss. Die Großbourgeoisie handelte jedoch unter dem Druck des radikalen Flügels der kleinbürgerlichen Demokraten, der noch bis Anfang der 1860er Jahre die Bewegung vor allem durch den Einfluss Giuseppe Garibaldis dominierte. Im Mai 1860 war der Revolutionsgeneral mit seinen Rothemden den aufständischen Bauern auf Sizilien zu Hilfe geeilt, hatte die Insel und ganz Süditalien von der Bourbonenherrschaft befreit und war auf Rom marschiert.

Zwar entstand auch in Italien statt der Republik eine Monarchie, jedoch weitgehend ohne die Merkmale des Halbabsolutismus und Militarismus mit ihren in Deutschland verhängnisvollen Auswirkungen. Die Spuren, die das Handeln der revolutionären Demokraten in Italien hinterließ, wirkten sich bis ins 20. Jahrhundert aus, beeinflussten den Kampf gegen Mussolini, dessen Sturz die Kräfte des Volkes bewirkten.

Nach der Ausrufung der Republik in Paris kämpfte Garibaldi an ihrer Seite. Er befehligte ein internationales Korps an der Cote d'Or. Als einziger Befehlshaber auf der französischen Seite errang er einen Sieg, als er bei Dijon die Preußen zurückschlug. Es war der Abschluss der militärischen Karriere dieses talentierten Heerführers aus dem Volk, dem auch die Pariser Kommune das Kommando über ihre Truppen anbot. Garibaldi lehnte zwar ab, bekundete ihr aber offen seine Sympathie. Während sein Heldenmut in unzähligen Schlachten weltweit bekannt wurde, weiß man weniger, dass er die von Karl Marx 1864 verfasste Inauguraladresse als "Sonne der Zukunft" begrüßte, 1867 in Genf im Präsidium des internationalen Friedenskongress saß und auch die Bemühungen der I. Internationale um Abrüstung unterstützte.

Als er am 2. Juni 1882 verstarb, bereiteten ihm Königshaus und Regierung ein Staatsbegräbnis mit politischen und militärischen Ehren. Die herrschenden Kreise hatten einen geschickten Schachzug getan und den unumstrittenen Volks- und Nationalhelden für sich vereinnahmt. Die Ehrung verdeutlichte aber auch nochmals gravierende Unterschiede zur nationalen Einheitsbewegung. Während Italiens Preußen einem Garibaldi Respekt bezeugten, rechneten die deutschen mit ihren Revolutionären blutig ab. Der preußische General von der Groeben ließ nach der Kapitulation der Festung Rastatt, der letzten Bastion der deutschen Revolution, im Juli 1849 den Festungskommandanten, Oberst Gustav Tiedemann, und 27 seiner Offiziere sofort standrechtlich erschießen. Hunderte starben in den Kasematten der Festung, Unzählige wurden heimlich ermordet. Tausende fielen im ganzen Land dem Terror der Konterrevolution zum Opfer. Zehntausende wurden gerichtlich verfolgt, insgesamt 700.000 Teilnehmer der Revolution in die Emigration getrieben.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2011