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MEMORIAL/027: Italien Dezember 1946 - die Mussolinipartei wird in Rom wiedergegründet (Gerhard Feldbauer)


Dezember 1946 in Italien:

Die Mussolinipartei wird in Rom als Movimento Sociale Italiano wiedergegründet.

von Gerhard Feldbauer, 24. Dezember 2011


Wie konnte das geschehen ?

Wie konnte es dem italienischen Faschismus nach Kriegsende 1945 gelingen, sich weitgehend intakt über seinen politischen und militärischen Zusammenbruch hinwegzuretten und den neuen Bedingungen anzupassen? Sucht man nach den Ursachen dieser Kontinuität, stößt man auf die Fortdauer seines Gebrauchtwerdens. Hauptverantwortlich für diese Entwicklung waren die USA, die sich zur Verhinderung einer antifaschistisch-demokratischen Umwälzung von Anfang an auch auf die faschistischen und andere mit ihnen gemeinsam handelnden reaktionären Kräfte stützten. Die Publizisten Roberto Faenza und Marco Fini schrieben in ihrem Buch "Die Amerikaner in Italien": "Während es das State Department und die amerikanischen Gewerkschaften waren, die direkt den 'demokratischen' Parteien von den Christdemokraten bis zu den Sozialdemokraten halfen (also sie finanzierten), wurden hauptsächlich die Militär- und Geheimdienste beauftragt, die Rechten zu unterstützen (also sie zu bewaffnen und zu besolden) (...)". Die Autoren heben hervor, dass seitens der Geheimdienste James Angleton, Chef des Office of Strategic Services, des Vorläufers der CIA, in Rom, die Fäden der Verbindungen persönlich in der Hand hielt.(1) Giuseppe Gaddi, Mitglied der IKP-Leitung, schrieb, dass die gewährte Unterstützung sich direkt auch auf die bereits im August 1945 an die Öffentlichkeit getretene Sammlungsbewegung der Mussolini-Faschisten Uomo Qualunque erstreckte. Die westlichen Alliierten, "die sich anschickten, den Kalten Krieg gegen die UdSSR zu entfesseln, lehnten den Beitrag derjenigen, die sich mit gutem Recht als die Vorkämpfer im Kampf gegen den Kommunismus bezeichnen konnten, in keiner Weise ab."(2) Bezeichnend war, dass die USA während der Pariser Friedensverhandlungen, die zum Abschluss der Verträge vom 10. Februar 1947 führten, für Italien die von der UdSSR geforderte Klausel ablehnten, jemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen, während sie diese für die im sowjetischen Einflussreich liegenden Staaten Finnland, Rumänien, Ungarn und Bulgarien akzeptierten.(3)


USA verhinderten Entfaschisierung

Ein schwer wiegender Aspekt für die Kontinuität des Faschismus nach seiner Niederlage 1945 war, dass die USA im Bündnis mit den Kräften der inneren Reaktion eine Säuberung des Staatsapparates und des politischen Lebens von Faschisten verhinderten. Vor allem dadurch war es den Kräften des faschistischen Regimes - soweit sie nicht zur DC oder zu anderen bürgerlichen Parteien übergingen - möglich, sich unmittelbar nach Kriegsende neu zu sammeln, sich politisch und organisatorisch wieder zu formieren, sich als Bewegung weit gehend intakt über die Niederlage hinwegzuretten und sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Der Schwerpunkt des Vorgehens der äußeren und inneren Reaktion lag auf der Verhinderung von Reformen im Staatsapparat, so in der Verwaltung, der Justiz, dem Bildungswesen und in den bewaffneten Kräften sowie im wirtschaftlichen Bereich, die einen entscheidenden Bestandteil einer Entfaschisierung hätten bilden müssen. So blieb der staatliche Verwaltungsapparat größtenteils in den Händen entweder direkt faschistischer oder profaschistischer Kräfte. Bereits nach der Besetzung Süditaliens im Sommer 1943 hatten die westlichen Alliierten in den Städten und Gemeinden lediglich die faschistischen Präfekten und Bürgermeister ihres Amtes enthoben, den übrigen örtlichen und zentralen Staatsapparat jedoch voll aufrecht erhalten. In Norditalien wurden mit dem Amtsantritt der Regierung De Gasperi die Verwaltungen des CLN, die bis dahin Organe der Regierung waren, größtenteils durch die alte faschistische Administration ersetzt und der gesamte exekutive Machtapparat mit vorwiegend alten Beamten aus der Zeit des Faschismus restauriert.(4)

Im militärischem Bereich ordnete die Militärregierung die Auflösung der Partisanenarmee an. Die Furcht vor dem antifaschistischen Geist ging so weit, dass sie selbst die unter ihrem Kommando während des Krieges in Süditalien aufgestellten regulären italienischen Truppenteile demobilisierte. Für den Aufbau der bewaffneten Kräfte der Italienischen Republik (Armee, Polizei, Geheimdienste) wurden aus diesen Einheiten nur die hohen Offiziere aus der Zeit des Faschismus verwendet sowie solche, die sich dem Restaurationskurs der reaktionären Kräfte unterordneten. Darüber hinaus wurden auch Militärs der Salò-Republik (5) in Dienst behalten.


11.800 verurteilte führende Faschisten freigelassen

Weitgehend unangetastet wechselte der faschistische Justizapparat in den Dienst des bürgerlich-parlamentarischen Systems über. Bereits im Juni 1945 löste die Militärregierung das "Hohe Kommissariat zur Verfolgung von Regimeverbrechen" auf. Das führte unter anderem dazu, dass die meisten der aktiven Faschisten, die in der eingeleiteten - aber bald abgebrochenen - Phase der Entfaschisierung vor Gericht gestellt worden waren, freigesprochen bzw. die Urteile aufgehoben oder die Betroffenen amnestiert wurden. Das betraf den Großteil von 11.800 führenden Faschisten, die von "mit ihrer Ideologie eng verbundenen Richtern, vor allem Berufungsrichtern, freigelassen wurden. Darunter befand sich fast der gesamte Stab der Salò-Republik".(6) Heftig umstritten war unter der Basis der Arbeiterparteien und den Partisanen die 1947 beschlossene Amnestie der "nationalen Befriedung", die unter Togliatti als Justizminister zustande kam. Der Erlass sah vor, die Faschisten, die "wichtige öffentliche, politische oder militärische Führungsfunktionen" innegehabt hatten, von der Amnestie auszuschließen. Nach den Prozessakten jener Jahre, schrieb der kommunistische Jurist und Verfolgte des Faschismus, Alberto Malagugino, "hat jedoch kein Faschist je wichtige politische oder öffentliche Funktionen innegehabt, selbst die Minister der sozialen Republik nicht".(7) Zu den Freigelassenen gehörte beispielsweise der Chef der berüchtigten Decima Maas, der zur Partisanenbekämpfung eingesetzten 10. italienischen Torpedoboot-Flottille, Fürst Valerio Borghese, der wegen wenigstens 800-fachen Mordes verurteilt worden war. Bei Kriegsende war Borghese, wie zahlreiche weitere Salò-Verbrecher auch, vor der Erschießung durch ein Partisanenkommando von amerikanischen Offizieren gerettet worden.(8) Zu beträchtlichen Teilen übernahm die Italienische Republik auch die faschistische Gesetzgebung.(9)


Antifaschisten und Partisanen vor Gericht gezerrt

Während der weit gehend intakt gebliebene faschistische Justizapparat die eigenen Gesinnungsgenossen von ihren Verbrechen freisprach oder außerordentliche Milde walten ließ, zerrte er bereits unmittelbar nach Kriegsende unzählige Antifaschisten und Partisanen vor Gericht und verurteilte sie wegen "Übergriffen" zu langjährigen Haftstrafen. Selbst den Oberst der Partisanenarmee, Walter Audisio, der das Exekutionskommando befehligt hatte, welches an Mussolini und seiner Begleitung das vom Befreiungskomitee verhängte Urteil vollstreckte, wollte die Justiz vor Gericht stellen, weil dabei auch Clara Petacci, die Geliebte des Duce, auf die sich das Todesurteil nicht erstreckte, ums Leben kam. Audisio entging der Verurteilung nur, weil er als Parlamentarier Immunität genoss, welche die Abgeordnetenkammer nicht aufhob.

Ebenso wie die politische blieb auch die ökonomische Macht des Großkapitals, die über 20 Jahre die Basis des Faschismus gebildet hatte, unangetastet. Dank des Eingreifens der USA wurden alle Versuche der revolutionären Kräfte, die Macht dieser Basis einzuschränken, sabotiert und zu Fall gebracht. Ein typisches Beispiel dafür war die Sabotage einer antifaschistisch-demokratischen Finanzpolitik und der Währungsreform, mit denen die Konzerne zusätzlich besteuert, die Regime- und Kriegsgewinnler finanzpolitisch verfolgt, spekulative Gewinne konfisziert, damit eine inflationäre Entwicklung gestoppt und die Lasten des Wiederaufbaus primär auf die besitzenden Klassen verteilt werden sollten.(10) Die US-Militärbehörden halfen, faschistische Industrielle vor der Strafverfolgung durch das CLN in Sicherheit zu bringen. So wurde beispielsweise der faschistische Betriebsleiter des FIAT-Konzerns und damit des größten Kriegsproduzenten, Vittorio Valletta, der in der Salò-Republik aktiv an der Niederhaltung des Arbeiterwiderstandes beteiligt war, von amerikanischer Militärpolizei vor der Festnahme durch das CLN in Sicherheit gebracht.(11) Auf Anweisung der Militärregierung wurden die Fabrikräte aufgelöst, die das CLN in Norditalien in vielen Unternehmen, die von ihren Besitzern zunächst verlassen worden waren, eingesetzt hatte. Die abgesetzten Direktoren wurden vorübergehend durch konzerntreue kommissarische Leiter ersetzt, bis die Unternehmer bzw. ihre Manager selbst auf ihre Posten zurückkehrten. Der antifaschistische Publizist Vittorio Foa fasste den Prozess der Restauration des Monopolkapitals so zusammen: "So wurden mit der ersten Regierung De Gasperi die von den Befreiungskomitees gewählten Präfekten und Polizeipräsidenten ab- und die alten Karrierebeamten wieder eingesetzt, die Entfaschisierung liquidiert, die schlimmsten faschistischen Folterer begnadigt, der Verfassungsgebenden Versammlung keine Gesetzesbefugnisse zugestanden und so jedem demokratischen und Volkseinfluss der Weg versperrt."(12)


MSI - Die Wiedergründung der Mussolinipartei

In diesem Klima wagten sich die alten Mussolini-Faschisten, die sich unmittelbar nach Kriegsende aus Angst vor einer Bestrafung zunächst ruhig verhalten hatten, wieder an die Öffentlichkeit. Parallel zu der offen als ihre Sammlungsbewegung agierenden Uòmo Qualunque entstanden eine Vielzahl halblegaler und zumeist paramilitärisch aufgebauter faschistischer Organisationen. Sie nannten sich "Stoßtrupps Mussolinis", "revolutionäre Aktionsbünde der Liktoren", "antibolschewistische Front", "nationale Arbeiterpartei", sozialistische republikanische Partei", "nationale Einheitspartei" und führten ähnliche mehr oder weniger offen an den Antikommunismus und die faschistische Demagogie anknüpfende Namen.(13) Nationalistische "Einheits- und Befreiungslosungen" wiesen bereits auf den Kampf gegen den "Verzichtsfrieden", auf den Revanchismus und innenpolitisch auf einen "klassenlosen" und "überparteilichen" Zusammenschluss hin. Gemeinsamer Nenner der faschistischen Gruppen war ein extremer Antikommunismus, seit jeher das Kernstück jeder faschistischen Ideologie. Bezeichnungen wie "Stoßtrupps", "Kampfbünde", "Sturmabteilungen", "Front" oder "Geheimarmee" propagierten die Beibehaltung des faschistischen Terrors, des "Untergrundkampfes" und der "Subversion", die in der Folgezeit zu den hervorstechenden Wesensmerkmalen des italienischen Nachkriegsfaschismus gehörten.(14)

Neben der Verbreitung seiner Propaganda demonstrierte der Faschismus sofort nach Kriegsende durch Terror und spektakuläre Aktionen seine Kontinuität, um damit breite Bevölkerungsschichten einzuschüchtern, progressive bürgerliche Kräfte unter Druck zu setzen und die rechten Kreise der führenden bürgerlichen Partei, der Democrazia Cristiana, bei der Bremsung und Verhinderung eines antifaschistischen Demokratisierungsprozesses zu unterstützen. Besonderes Aufsehen erregende Aktionen waren die Entführung des Leichnams Mussolinis vom Mailänder Friedhof am 23. April 1946, dem Vorabend des 1. Jahrestages seiner Hinrichtung, und der Überfall auf den römischen Rundfunksender Monte Mario und die Ausstrahlung der faschistischen Hymne "Giovinezza".(15) Die Aktionen des Faschismus zeigten, dass dieser auch nach der Beseitigung der Mussolini-Diktatur von einflussreichen Finanzkreisen unterstützt wurde. Allein Uòmo Qualunque konnte eine gleichnamige Tageszeitung mit über 100.000 Exemplaren, eine Wochenzeitschrift "La Rivòlta ideale" sowie massenweise Broschüren und Flugblätter verbreiten.(16)


30 Faschisten zogen in die Nationalversammlung ein

Die Faschisten konnten so kurz nach Kriegsende eine wichtige Schlussfolgerung ziehen: Sie durften nicht nur Kommunisten, Sozialisten und die antifaschistische Widerstandsbewegung mit ihrem Gedankengut, sondern auch die neuen bürgerlich-demokratischen Institutionen ohne ernsthaften Widerstand seitens des Staates oder Konsequenzen der Besatzungsmacht angreifen und diffamieren. Der Faschismus demonstrierte dem Großkapital inner- und außerhalb des Landes, dass er, obwohl er seine Funktion als staatsbeherrschende Partei verloren hatte, eine ernst zu nehmende politische Kraft blieb, die in der Lage war, beträchtliche Bevölkerungsschichten und damit die Nachkriegsentwicklung zu beeinflussen. Das zeigte sich offen sichtbar an den Wahlergebnissen zur Verfassungsgebenden Versammlung. Die Jedermann-Bewegung konnte ungehindert kandidieren, erreichte mit über 1,2 Millionen Wählern 5,3 Prozent der Stimmen und zog mit 30 Vertretern in die Konstituierende Versammlung ein. Zusammen mit den Monarchisten, die auf 6,8 Prozent kamen, und anderen reaktionären Splittergruppen stellte sie in der Konstituante eine wichtige Reserve der DC und anderer bürgerlicher Parteien bei der Verteidigung der Machtpositionen des Kapitals in der Verfassung dar. Kontinuierlich erhielt der Faschismus so seinen Platz und seine Funktion unter der bürgerlich-parlamentarischen Herrschaftsform des italienischen Kapitals.


Kriegsverbrecher wurde MSI-Vorsitzender

Mit Uomo Qualunque und anderen Organisationen testeten die Mussolini-Faschisten den Zeitpunkt der Neu- bzw. Wiedergründung ihrer Partei. Der Altfaschist Pino Romualdi, ein unehelicher Sohn Mussolinis, beschrieb die Rolle von Jedermann bei der Vorbereitung so: "Uòmo Qualunque, dessen Aktionen zum größten Teil von unseren Leuten unterstützt wurden und oft auch unter ihrer direkten Teilnahme und Anleitung stattfanden, deckte einmal die Vorbereitung unserer wirklichen Partei, in welche die Kräfte von Uòmo Qualunque dann eingingen, und erprobte zum anderen, wie die Italiener auf eine hämmernde und intelligente Propaganda reagierten, die bereits damals die kleinmütigen Bestrebungen, das niedrige moralische und politische Niveau der Parteien, ihrer Führer und der anderen wichtigen Männer der kurzatmigen, alten und falschen italienischen Demokratie entlarvten."(17)

Ihren vorläufigen Abschluss fand die Etappe der Reorganisation des Faschismus mit der offiziellen Wiedergründung der faschistischen Partei am 26. Dezember 1946. Dazu versammelten sich in Rom im Büro des ehemaligen Leiters der faschistischen Parteizentrale der Hauptstadt, Arturo Michelini, führende Mussolini-Faschisten mit dem früheren Staatssekretär des "Duce", Giorgio Almirante, an der Spitze. Dieser war ein führender Rassenideologe, unter anderem Mitherausgeber der faschistischen Tageszeitung "Tevere" und des Rassenhetzblattes "Difesa della Razza", der noch kurz vor Kriegsschluss einen "Genickschusserlass gegen Partisanen" unterzeichnet hatte. Die Gründer tauften die Partei auf den Namen Movimento Sociale Italiano, was eine Beziehung zur Repùbblica Sociale Italiano und - durch die Abkürzung MSI - zum Namen Mussolinis herstellen sollte. Zum Parteisymbol wählte die Sozialbewegung einen schwarzen Sarg, über dem eine Flamme in den Farben der italienischen Trikolore loderte. Es sollte, wie die MSI offen propagierte, darstellen, dass "Mussolinis Seele aus dem Sarg emporsteigt, um seine Nachfolger zu ermutigen".(18)


Bekenntnis zur ununterbrochenen faschistischen Kontinuität

Zu den Grundlagen ihres Wirkens erklärte die Sozialbewegung das faschistische Parteiprogramm von 1919 und die unter dem Namen "Manifest von Verona" bekannt gewordene Erklärung Mussolinis anlässlich der Gründung der RSI. Mit der Festlegung im Parteistatut, "die soziale Idee in der ununterbrochenen historischen Kontinuität fortzuführen", legte die MSI ein weiteres Bekenntnis zum Mussolini-Faschismus ab. Kontinuität auch in Personalfragen: Zum Nationalsekretär wurde Giorgio Almirante und zum Parteivorsitzenden der bereits erwähnte Kriegsverbrecher Valerio Borghese gewählt. Die MSI wurde so, wie die Nummer Zwei der Bewegung, der RSI-Kämpfer Pino Rauti, später einschätzte, dank derer gegründet, "die weiter glaubten" und "unbeugsam Rache" forderten.(19) Mit der Sozialbewegung entstand eindeutig die verbotene faschistische Mussolinipartei wieder, was gegen eine Übergangsbestimmung der Verfassungsgebenden Versammlung verstieß, die lautete: "Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wieder gründet und militärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis 20 Jahren bestraft."(20) Die MSI entstand als eine "Partei traditionell faschistischen Typs, deren Grundstock (...) Kader der faschistischen Bewegung aus Hitlers und Mussolinis Zeiten, die persönlich mit den faschistischen Regimes verbunden waren", bildeten.(21)


400.000 MSI-Mitglieder

Von dieser Kontinuität ausgehend, schätzte die Féderation Internationale des Résistants ein: "In Italien ist der Neofaschismus keine neue Erscheinung. Einige Monate nach dem Ende des Krieges war er bereits da. Man kann sagen, dass die Kontinuität eigentlich kaum eine Störung aufwies." Die FIR hielt es deshalb für angebracht, von "Faschismus" und nicht von "Neofaschismus" zu sprechen.(22) Die italienischen Faschisten sahen das selbst auch so. Die MSI-Zeitschrift "La Legione" stellte 1973, ausgehend von der "verdienstvollen" Zugehörigkeit der Altfaschisten zum Mussolini-Regime und besonders zur RSI sowie dem Bekenntnis der MSI dazu, klar: "Wir sind keine Neofaschisten, sondern Faschisten".(23)

Binnen weniger Wochen strömten der MSI Zehntausende alte Mussolini-Anhänger zu und sicherten ihr eine bestimmte Massenbasis. Auf öffentlichen Versammlungen und Kundgebungen konnten die alten Mussolini-Faschisten ungehindert auftreten. Vor allem in den Arbeiterregionen Nord- und Mittelitaliens provozierten sie schwere und blutige Zusammenstöße. Im Oktober 1947 wurde MSI-Führer Almirante wegen Verherrlichung des Faschismus in der Öffentlichkeit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, jedoch sofort amnestiert. 1947 war die Partei in fast allen Regionen (24) organisiert und schuf bereits Jugendgruppen, Verbände der RSI-Kämpfer und andere faschistische Zweigorganisationen. Allein ihre Gewerkschaft CISNAL zählte rund eine Million Mitglieder. Insgesamt verfügte die MSI aufgrund ihrer Organisationsstruktur, ihrer straffen Disziplin und ihres Befehlssystems schon bald über einen gut funktionierenden und für Straßenaktionen jederzeit einsetzbaren Apparat. Bereits in den 60er Jahren zählte die Partei rund 300.000 Mitglieder und verfügte über 4.335 Sektionen (Basisorganisationen). Nach ihrem Zusammenschluss mit der Monarchistischen Partei 1972 stieg ihre Mitgliederzahl auf 400.000 an.(25)


Bürgerlicher Staat und Faschismus

Die späteren Versuche, die faschistische Gefahr zu verneinen oder zu verharmlosen, fanden vor allem deshalb Gehör, weil die Faschisierungsprozesse im parlamentarischen Rahmen vor sich gingen und von rechten bürgerlichen Kräften mitgetragen wurden, was ihnen ein demokratisches Aushängeschild verschaffte. Das hat bereits Mussolini nach dem "Marsch auf Rom" praktiziert, als er mit dem Parlament und an der Spitze einer Koalition mit bürgerlichen Parteien regierte, ehe er 1926 zur offenen Diktatur überging. Von diesen Erfahrungen ausgehend, agierten die Mussolini-Faschisten nach 1945 ebenfalls sofort als terroristische Aktionspartei und gleichzeitig im Rahmen des bürgerlichen Parlaments, um "innerhalb des politischen Systems Einfluss ausüben zu können".(26) Das funktionierte, weil die DC-Rechte sich von Anfang an zu diesem Paktieren mit den Faschisten hergab. Schon damals wurde die These von der Wahl der MSI ins Parlament als Argument ihrer "demokratischen Legitimität" geboren. Einige Beispiele, wie die MSI so salonfähig gemacht wurde: 1950 empfingen Staatspräsident Einaudi und Ministerpräsident De Gasperi eine MSI-Delegation mit ihrem Parteiführer an der Spitze. 1953 stützte sich die Regierung von Giuseppe Pella, eines zur DC gewechselten ehemaligen Mussolini-Faschisten, auf die Stimmen der MSI, um die erforderliche Mehrheit bei der Vertrauensabstimmung zu erhalten. 1957 bediente sich die Regierung Adone Zoli und danach die von Antonio Segni der Stimmen der Faschisten. 1960 versicherte sich Fernando Tambroni, ein früherer Hauptmann der Miliz der RSI, seit 1926 Mitglied der faschistischen Partei und nunmehriger Ministerpräsident der DC, der Unterstützung seiner faschistischen Kumpane. Zweimal wurden die Bewerber der DC nur dank der faschistischen Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt: 1962 Antonio Segni und 1972 Giovanni Leone. Der einflussreiche Don Luigi Sturzo, 1919 Gründer der katholischen Volkspartei, rief 1952 die DC und die anderen bürgerlichen Parteien auf, zusammen mit der MSI und den Monarchisten einen Einheitsblock gegen die "rote Machtübernahme" zu bilden.(27)


So wurden die MSI-Faschisten salonfähig gemacht

Die DC zeigte sich erkenntlich. Pella empfing 1953 eine Delegation der faschistischen CISNAL-Gewerkschaft, und Zoli genehmigte der MSI, den Leichnam Mussolinis in den Heimatort des "Duce" nach Predapio zu überführen und dort in einem Ehrenhain beizusetzen. Die Feiern der MSI gestalteten sich zu einer Verherrlichung Mussolinis und der unter seinem Regime begangenen Verbrechen. Noch heute ist Predapio ein Wallfahrtsort der Faschisten. Die Witwe des Diktators erhielt eine Rente bewilligt, während sie Antifaschisten und Verfolgten des Mussoliniregimes in unzähligen Fällen verweigert wurde. Das MSI-Blatt "Sècolo d'Italia" bekam offizielle Staatszuschüsse.

Bedeutend stärker als auf zentraler Ebene konnte die MSI in den Parlamenten der Regionen und Provinzen sowie in Städten und Gemeinden vor allem im Mezzogiorno, dem Süden des Landes, Fuß fassen. Ihre Wahlergebnisse wuchsen 1972 in vier Regionen auf 15 und mehr Prozent an. In 47 von insgesamt 100 Provinzhauptstädten war sie in den Parlamenten mit Ergebnissen zwischen zehn und 35 Prozent vertreten. In den Regionen Kampanien, Apulien, Sizilien und Sardinien regierte die DC mehrere Legislaturperioden mit den Faschisten oder erhielt deren parlamentarische Unterstützung. In fast allen Provinzstädten sowie in 1.500 Städten und Gemeinden war die MSI mit etwa 40.000 Ratsmitgliedern vertreten. In über 100 Städten und Gemeinden stellte sie die Bürgermeister, und in zahlreichen weiteren wurden die Stadtoberhäupter mit ihren Stimmen gewählt.(28)

Nachhaltig stieg der Einfluss der faschistischen Bewegung und ihrer Führungszentrale MSI nach der Vereinigung mit der Monarchistischen Partei. Seit 1953 mit Stimmenanteilen zwischen fünf und knapp sechs Prozent im Parlament vertreten, wurde sie 1972 mit 8,7 Prozent in der Abgeordnetenkammer und 9,2 Prozent im Senat viertstärkste Partei. Das waren, wie Giuseppe Gaddi schrieb, "drei Millionen Stimmen für eine offen faschistische Bewegung. Und was die gewählten Parlamentarier betrifft, so handelte es sich zum großen Teil um Personen, die der Verurteilung als Kriegsverbrecher entgangen waren, oder um Leute, die in Verbrechen der jüngeren Zeit verwickelt waren."(29) Von 1976 bis 1992 hielt die MSI dann zwischen 5,9 und 6,8 Prozent der Wählerstimmen und blieb konstant viertstärkste Parlamentspartei, ehe sie 1994 sprunghaft auf 13,4 Prozent anstieg und den dritten Platz belegte. Die Präsenz im Parlament bedeutete keineswegs, dass die MSI das parlamentarische System anerkannte. Sie nutzte es nach den Regeln, die schon Goebbels für die Hitlerfaschisten festgelegt hatte, als er sagte: "Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freikarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. (...) Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafsherde einbricht, so kommen wir".(30) Almirante erklärte nach den Wahlen 1972 diesbezüglich ebenso unmissverständlich: "Wir sind der Faschismus, der keine Gesten macht, sondern lacht, über die Dummheit seiner Feinde."(31)


MSI bildete Kern von Gladio

Durch den Zusammenschluss mit den Monarchisten stellte die MSI aber nicht nur ein Bündnis mit konservativen Parlamentariern alten Schlages her, sondern auch - was für ihren Einfluss von noch größerer Bedeutung war - mit dem ultrarechten Militärklüngel, einer unvergleichlich wichtigeren Gruppierung, die führende Positionen in der Armee, der Polizei und den Geheimdiensten innehatte. Gleichzeitig wurden damit die Verbindungen der MSI zur NATO entscheidend gestärkt. Personeller Ausdruck dessen war unter anderem, dass der ehemalige Befehlshaber der NATO-Seestreitkräfte Europa Süd, Admiral Birindelli, einer der stellvertretenden Führer der MSI wurde. Nach dem Zusammenschluss nahm die MSI den Beinamen Nationale Rechte (Destra Nazionale) an.

Die geheime Nato-Truppe stay behind, die in Italien Gladio hieß, rekrutierte ihre rund 12.000 Mitglieder vorwiegend aus den Terrorbanden der faschistischen Bewegung. In der Zeit der so genannten Spannungsstrategie, die den Weg für einen Obristenputsch nach griechischem oder später chilenischem Vorbild ebnen sollte, verübten die von der CIA geführten Gladio-Einheiten Tausende Terrorakte, die Hunderte Tote und Tausende Verletzte forderten. An den faschistischen Verschwörungen der Nachkriegszeit, die 1964, 1970, 1973 und 1978 inszeniert wurden, waren breite Kreise der bewaffneten Kräfte mit führenden Generälen und hohen Offizieren beteiligt. Zu den entscheidenden Organisatoren gehörten ebenso westliche Geheimdienste mit der CIA an der Spitze. Seit Anfang der 70er Jahre bildete die von dem Altfaschisten Licio Gelli in Zusammenarbeit mit der CIA unter dem Deckmantel einer Freimaurerloge gebildete P2 die Putschzentrale der Umsturzstrategen. In die Staatsstreichpläne waren höchste NATO-Stäbe eingeweiht. Truppenteile und Verbände des Paktes standen jeweils zum Eingreifen bereit.(32)


Weg in die Berlusconi-Regierung geebnet

Die subversiven, auf den Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung gerichteten Aktivitäten der Faschisten hinderten die rechten Kreise der DC und anderer bürgerlicher Parteien keineswegs, die Kollaboration mit diesen fortzusetzen. Sie wuchs im Gegenteil eher noch an. Lange vor der ersten Aufnahme der Faschisten 1994 und danach 2001 und 2008 in die Regierung unter dem Mediendiktator und Mitglied des Dreierdirektoriums der P2 Silvio Berlusconi wurde die italienische Öffentlichkeit so daran gewöhnt, den Faschismus als "Normalität" im politischen Leben zu sehen.


Grußbotschaft Staatspräsident Cossigas an MSI-Führer

Um der Öffentlichkeit einen Rest von antifaschistischem Konsens vorzuführen, einigten sich die bürgerlichen Parteien mit den Kommunisten und Sozialisten stillschweigend darauf, die MSI auf zentraler Ebene an keiner Regierung zu beteiligen. Man sprach von den Parteien des Arco Costituzionale, des Verfassungsbogens, von dem die MSI ausgeschlossen blieb. Das änderte nichts daran, dass beispielsweise die jeweiligen Staatspräsidenten nach Parlamentswahlen oder den häufigen Regierungskrisen und Kabinettsneubildungen auch den MSI-Führer zu Konsultationen empfingen. 1984 schockierte der sozialistische Staatspräsident Sandro Pertini, ein angesehener Führer der Resistenza, die Öffentlichkeit, indem er MSI-Chef Almirante offiziell empfing. Pertinis Haltung hatte Signalwirkung. Christdemokraten und Liberale hatten danach gegenüber den Faschisten kaum noch Hemmungen. MSI-Abordnungen wurden von nun an regelmäßig zu Parteitagen eingeladen. Sozialistenchef Bettino Craxi sprach sich als Ministerpräsident (1983-87) für eine Aufnahme der MSI in die Regierung aus. Der zweimalige Ministerpräsident Francesco Cossiga traf sich als Staatspräsident häufig offiziell mit MSI-Führer Gianfranco Fini, seit 1987 Nachfolger Almirantes, empfing Abordnungen der Partei und übermittelte 1992 zu einer faschistischen Kundgebung in Mailand eine Grußadresse, der die Teilnehmer bei der Verlesung stehend mit Führergruß und Duce-Rufen applaudierten.(33)

Der Arco Costituzionale erwies sich so - lange, bevor er im April 1994 mit der erstmaligen Aufnahme der MSI in eine italienische Nachkriegsregierung auseinanderbrach - als ein brüchiger Konsens, der dazu diente, die Gefahr des Faschismus zu verdecken. Diese Gefahr stellte seit 1945 einen außerordentlich bedrohlichen Bestandteil der politischen Struktur der italienischen Gesellschaft dar. Die faschistische Bewegung bildete unter den ökonomischen Voraussetzungen und angesichts der immer wieder ausbrechenden politischen Krisen sowie der strategischen und machtpolitischen Erwägungen des Imperialismus und seiner Politik des "roll back" des Sozialismus eine wichtige politische Reserve und ein antidemokratisches Potenzial, besonders der reaktionärsten bürgerlichen Vertreter. In Etappen der Zuspitzung der Klassenauseinandersetzung wurde sie als Druckmittel eingesetzt und auch als Macht ausübender Faktor nicht ausgeschlossen. Einmal mehr zeigt diese Tolerierung des Faschismus, wie gültig unverändert ist, was Lenin zum eingeschränkten Charakter der bürgerlichen Demokratie sagte: dass ihr die "politische Reaktion" wesenseigen sei, die Bereitschaft, eine "Wendung von der Demokratie zur politischen Reaktion" zu vollziehen.(34)


Fußnoten:

(1) Roberto Faenza/Marco Fini: Gli Americani in Italia, Mailand 1975, S. 261 ff.
(2) Guiseppe Gaddi: Neofascismo in Europa, Mailand 1974, S. 14.
(3) Friedenskonferenz in Paris, ND. 9./10. Febr. 2002.
(4) Italia 1945-1975. Fascismo, Antifascismo. Resistenza. Rinovamento. Mailand 1975; S. 335 ff.
(5) Unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht im Oktober 1943 gegründete Repubblica Sociale Italiano (RSI). Nach ihrem Sitz am Gardasee kurz Salò-Republik genannt.
(6) Daniele Barbieri: Agenda néra, Trent'anni di neofascismo in Italia, S. 8 f. und 18 f.
(7) Italia, S. 427
(8) Romano Canossa: Storia dell' Eppurazione in Italia, Mailand 1999, S. 142 ff. Der Autor führte zahlreiche Fälle der Freilassung von faschistischen Kriegsverbrechern an.
(9) Darunter fiel der Paragraf 113 des faschistischen Gesetzes über die öffentliche Ordnung aus dem Jahre 1931.
(10) Sofia G. Alf: Leitfaden Italien. Vom antifaschistischen Kampf zum Historischen Kompromiss, Berlin 1977, S. 61 ff.
(11) Macella u. Mauricio Ferrera: Cronache di Vita italiana 1944-1958, Rom 1960, S. 124 f.
(12) Zit. In Italia, S. 340.
(13) Mario Giovanni: Le nuove Camice nére, Turin 1966, S. 23 f.
(14) Gaddi, S. 14.
(15) Barbieri, S. 11.
(16) Giovanni, S. 14 ff.
(17) MSI-Zeitung "Italiano", Nr. 2/1972.
(18) MSI-Zeitschrift "La Rivòlta ideale", Rom; Dezember 1946.
(19) MSI-Parteiblatt "Sècolo d'Italia", Rom; 23. Januar 1972
(20) Zit. in Barbieri, S. 24 f.; Costituzione italiana, Turin 1975; S. 101.
(21) Der gegenwärtige Faschismus, in: Probleme des Friedens und des Sozialismus, Prag; 4/1973, S. 477.
(22) FIR: Die neofaschistische Gefahr in Italien, Wien 1971, S. 9.
(23) "La Legione", Rom; 24. März 1973
(24) Die italienische Verwaltungsgliederung umfasst Regionen (den deutschen Bundesländern vergleichbar), Provinzen, Städte und Gemeinden.
(25) Ausführlicher zur MSI-Gründung und ihrem weiteren Werdegang G. Feldbauer: Von Mussolini bis Fini. Die extreme Rechte in Italien, Berlin 1996.
(26) Luigi Vittorio, Graf Ferraris u. a. (Hg.): Italien auf dem Weg zur zweiten Republik?, Frankfurt/Main, S. 181.
(27) I Giorni della Storia d' Italia, Dal Risorgimento a Oggi. Novarra, 1991/97, S. 555.
(28) Ebenda, passim.
(29) Gaddi, S. 21.
(30) Graubuch, Berlin (DDR) 1967; S. 355.
(31) Gaddi, S. 21
(32) G. Feldbauer: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA. Köln 2000, S. 112 ff.
(33) Gofredo Locatelli/Daniele Martini: Duce adio. La Biografia di Gianfranco Fini, Mailand 1994, S. 117
(34) W. I. Lenin in: Staat und Revolution, Bd. 25, Berlin (DDR) 1960, S. 425.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2011