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MEMORIAL/083: Dag Hammarskjöld - Tod in Ndola (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Juni/Juli 2013

Südliches Afrika: Geschichte
Tod in Ndola

Von Henning Melber



Dag Hammarskjöld starb vor 52 Jahren bei einem Versuch, den bürgerkriegsähnlichen Konflikt im Kongo zu beenden. Bis heute dauern die Bemühungen an, die genauen Ursachen der damaligen Vorgänge um den zweiten UN-Generalsekretär zu erforschen. Am 9. September wird eine unabhängige private Kommission von Juristen die Ergebnisse ihrer neuen Untersuchung vorlegen.


In der Nacht vom 17. zum 18. September 1961 verfing sich kurz vor dem Flughafen der nordrhodesischen Minenstadt Ndola (im Kupfergürtel des heutigen Sambia gelegen) die im Anflug befindliche DC6-Maschine mit dem Namen "Albertina" in den Baumwipfeln und zerschellte. In den Trümmern des Wracks starb der zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen, Dag Hammarskjöld. Mit ihm fanden 15 Mitglieder seiner Entourage und der Besatzung den Tod. Ein Leibwächter unter ihnen überlebte zwei Tage, bevor er - nach späteren fachmedizinischen Urteilen wegen unzureichender Behandlung - abgeschirmt in einem nahe liegenden Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. Er konnte keine zusammenhängenden Aussagen mehr zum Vorgang des Absturzes machen. Fast alle der Opfer waren in den Flammen nahezu bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Dag Hammarskjöld wurde beim Aufprall aus der Maschine geschleudert und äußerlich fast unversehrt gefunden. Wie die an der Unfallstelle aufgenommenen Fotos zeigen, steckte in seinem Hemdkragen eine Spielkarte.

Rhodesische und schwedische Untersuchungskommissionen kamen zu dem Ergebnis, dass ein Fehler der erfahrenen Piloten bei der Berechnung der Anflughöhe zu dem Unglück führte. Eine Kommission der Vereinten Nationen schloss andere Ursachen des Absturzes (wie Materialfehler oder Fremdeinwirkung) hingegen nicht aus. Ihr Bericht wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen durch eine Resolution verabschiedet, die ausdrücklich mit der Maßgabe endet, dass im Falle neuer Erkenntnisse die Ermittlungen jederzeit wieder aufgenommen werden können. Seither halten sich hartnäckige Spekulationen und Mutmaßungen, der Absturz sei kein Unfall gewesen, es habe vielmehr eine Einwirkung Anderer gegeben.

Neue Nahrung erhielt dieser Verdacht durch eine umfassende Studie, die anlässlich des 50. Jahrestages der Ereignisse im September 2011 erschien. Darin trägt die Autorin zahlreiche - auch bis dahin unbekannte - Ungereimtheiten und Indizien zusammen. Diese werfen weitere Fragen auf, ohne eine verbindliche Antwort geben zu können.(1) Die Bilanzierung war jedoch relevant genug, so dass Anfang 2012 eine Privatinitiative gegründet wurde. Diese konnte vier international renommierte Juristen aus Schweden, Südafrika, Großbritannien und den Niederlanden dafür gewinnen, sich erneut mit dem Fall zu beschäftigen. Die seit Mitte 2012 aufgenommene, aus privaten Spenden finanzierte unabhängige Untersuchung dauert an. Am 9. September will die Kommission im Friedenspalast in Den Haag ihren Bericht präsentieren.


Warum Hammarskjöld?

Die anhaltenden Spekulationen um die Ursache des Absturzes drängen die Frage nach den Interessen am Tod des Generalsekretärs auf. Darauf gibt es gleich mehrere mögliche Antworten. Hammarskjöld war auf dem Weg nach Ndola, um sich dort mit Moise Tshombé, dem Anführer der Sezessionsbewegung Katangas, zu treffen. Diese ressourcenreichste Provinz des ehemaligen Belgisch-Kongo hatte sich mit belgischer Hilfe der Zentralregierung unter Patrice Lumumba widersetzt, die am 24. Juni 1960 die erste unabhängige Regierung stellte. Katanga erklärte sich als autonom und blieb fortan die Hochburg westlicher Präsenz.

Der aus westlicher Sicht als unbequem geltende, der Kumpanei mit der Sowjetunion verdächtigte Lumumba wurde am 14. September 1960 unter Mithilfe der westlichen Geheimdienste Opfer eines Putsches, Ende 1960 verschleppt und Anfang 1961 grausam gefoltert und ermordet. Die Sowjetunion bezichtigte Hammarskjöld der Mithilfe und forderte dessen Rücktritt. Aber auch die westlichen Großmächte sahen durch die fortgesetzten Versuche Hammarskjölds, die Sezession Katangas zu beenden, zunehmend ihre Interessen gefährdet. Zudem verfolgten die weißen Minderheitsregime im Südlichen Afrika, an die der Kongo grenzte, die Welle der Dekolonisierung mit großem Unbehagen. Für sie galt Hammarskjöld, der die afrikanischen Bestrebungen nach Unabhängigkeit unterstützte, als Bedrohung und Gefahr ihrer Vorherrschaft.

Ende August und Anfang September 1961 wurden zwei eindeutig das Mandat der UNO-Mission und das strikte Gebot der Nichteinmischung überschreitende Versuche zur Beendigung der Sezession von den leitenden UNO-Vertretern vor Ort inszeniert. Diese wollten unter Einsatz der UNO-Truppen mit Gewalt die weitere Präsenz belgischer Soldaten und internationaler Söldner in Katanga eindämmen und die Kontrolle übernehmen. Doch die militärischen Operationen unter den Code-Namen Rumpunch und Morthor scheiterten kläglich. Dabei ist bis heute strittig, ob zumindest die zweite Intervention von Hammarskjöld gebilligt wurde. Jedenfalls wusste er davon. Auch die westlichen Großmächte wussten, dass der Generalsekretär unterrichtet war, und reagierten empört. Immerhin waren ihre unmittelbaren Interessen durch belgische, französische, britische und US-amerikanische Minenkonzerne vor Ort dadurch ebenso gefährdet wie die geostrategische Kontrolle über das Territorium zu einer Zeit, als mit dem Bau der Berliner Mauer der Kalte Krieg eskalierte.

Zum Zeitpunkt seines spontan unternommenen Versuchs, durch eine Begegnung mit Tshombé auf vermeintlich neutralem Boden in Ndola Schlimmeres zu verhindern, hatte Hammarskjöld auch alle westlichen Großmächte gegen sich aufgebracht. Der vermeintlich neutrale Boden der nordrhodesischen Minenstadt war ein Tummelfeld nicht nur von Agenten und Söldnern dieser Mächte, sondern auch ein Bollwerk der rassistischen Minderheitsregime, die Hammarskjöld ob seiner Politik verachteten. Vielerorts wurde unter den Weißen im Südlichen Afrika die Nachricht von seinem Tod gefeiert. Der vermeintliche westliche Handlanger Hammarskjöld war so eher ein Mittler, der sich nicht als Werkzeug imperialistischer Interessen eignete. So besehen gab es jede Menge potenzieller Auftraggeber und Vollstrecker, um ihn aus dem Weg zu räumen.


Hammarskjölds Vermächtnis

Als zweiter Generalsekretär der Weltorganisation hinterließ Hammarskjöld nachhaltige Spuren. Er war ein Meister der Diplomatie. Unter ihm wurden anlässlich der Suez-Krise 1956/57 die ersten UNO-Friedenstruppen und -einsätze konzipiert. Er schuf das Amt des Sonderbeauftragten. Nicht zuletzt vermochte er - letztlich unter Preisgabe seines Lebens - zu verhindern, dass der Ost-West-Konflikt den Schauplatz Kongo zum Ausgang eines internationalen bewaffneten Konfliktes unter Beteiligung der Großmächte machte. Zahlreiche Würdigungen seines Engagements auch noch 60 Jahre nach seiner Vereidigung im Amt Anfang April 1953 dokumentieren dies.

Jenseits der mitunter völlig entgegengesetzten Zuordnungen seiner Rolle im globalen System lässt sich anhand der zahlreichen Reden und Stellungnahmen Hammarskjölds während seiner Amtszeit (1953-1961) dokumentieren, dass er sich als Ökonom über die sozialen und volkswirtschaftlichen Ungleichheiten und deren entscheidenden Einfluss auf die Emanzipationsmöglichkeiten von Gesellschaften im internationalen System bewusst war. Er hatte auch deren innergesellschaftliche Auswirkungen sowie die nachteiligen Folgen von Ungleichheit für die allgemeine Durchsetzung der Menschenrechte im Blick. Die von ihm vertretenen Gleichheitspostulate mündeten in der Überzeugung, dass es keine Rechtfertigung für Kolonialismus oder andere Formen von Fremdherrschaft sowie kulturelle Überlegenheitsgefühle gäbe. Aus heutiger Perspektive lässt sich die Einstellung und Amtsausübung Hammarskjölds durchaus mit dem Begriff antihegemonial rechtfertigen, auch wenn er stets zwischen den Großmachtinteressen vermitteln und lavieren musste, um zur Reduzierung oder Verhinderung von Konflikten beitragen zu können.(2)

So mag es keinesfalls Zufall sein, dass er der bislang einzige Generalsekretär der Vereinten Nationen gewesen ist, dessen Tod die Frage nach den Ursachen aufwirft. Eine Frage, die bislang noch immer nicht zweifelsfrei beantwortet werden konnte. Hammarskjöld hinterließ ein persönliches Tagebuch, das posthum veröffentlicht wurde. Die Eintragungen ermöglichen Einblicke in die Sinnfragen eines zutiefst spirituellen Menschen, der von Moral, Ethik und Pflichterfüllung geprägt - um nicht zu sagen umgetrieben - war. Eine seiner letzten Eintragungen in Gedichtform schließt am 6. Juli 1961 mit den Zeilen:

"Weine,
wenn du kannst,
weine,
doch klage nicht.
Dich wählte der Weg -
Und du sollst danken."
(3)

Es bleibt mit Spannung abzuwarten, zu welchem Ergebnis der am 10. September in Den Haag vorgestellte Bericht von der privaten Kommission gelangt. Je nachdem, wird es dann an den Vereinten Nationen liegen, ob sie noch einmal dem Hergang und den Ursachen des Flugzeugabsturzes auf den Grund gehen wollen.(*)


Der Autor ist Senior Advisor und emeritierter Direktor der Dag Hammarskjöld-Stiftung in Uppsala/Schweden und Extraordinary Professor an der University of Pretoria und der University of the Free State in Bloemfontein.


ANMERKUNGEN:
(1) Susan Williams, Who Killed Hammarskjöld? The UN, the Cold War and White Supremacy in Africa. London 2011.
(2) Siehe dazu insb. Henning Melber, Dag Hammarskjöld, the United Nations and Africa, in: Review of African Political Economy, 39, 131, 2012, S. 151-159.
(3) Dag Hammarskjöld, Zeichen am Weg. Das spirituelle Tagebuch des UN Generalsekretärs. Überarbeitete Neuausgabe herausgegeben von Manuel Fröhlich. Stuttgart 2011, S. 202.


(*) Nachtrag der Schattenblick-Redaktion:
Laut Medienberichten empfahl besagte Kommission aufgrund ihrer am 9. September in Den Haag vorgetragenen Schlußfolgerungen aus ihrer Untersuchung nachdrücklich eine Wiederaufnahme der Aufklärungsbemühungen durch die Vereinten Nationen.

*

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2013