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MEMORIAL/092: Vor 85 Jahren schlossen Mussolini und der Vatikan die Lateranverträge (Gerhard Feldbauer)


Vor 85 Jahren schlossen Mussolini und der Vatikan die Lateranverträge

Der "Duce" dankte dafür, dass der Klerus mit dem Kapital in der Matteootti-Krise seinen Sturz verhindert hatte

von Gerhard Feldbauer, Februar 2014



Vor 85 Jahren, am 11. Februar 1929 wurden zwischen der Mussolini-Regierung und der Kurie die zwischen Italien und dem Vatikan geschlossenen Lateranabkommen unterzeichnet. Der seit dem Machtantritt des "Duce" im Oktober 1922 existierende Pakt zwischen Katholizismus und Faschismus wurde nun auch offiziell auf eine staatliche Basis gestellt.


Vatikan konnte seine weltliche Herrschaft wieder errichten

Das dreiteilige Vertragswerk umfasste den zwischen beiden Seiten geschlossenen Staatsvertrag, das Konkordat und ein Finanzabkommen. Die Verträge beseitigten oder schränkten wesentliche Ergebnisse des Risorgimento, der nationalen Befreiungsbewegung von 1789 bis 1870, ein. Der Staatsvertrag anerkannte die Souveränität des Heiligen Stuhls auf internationaler Ebene mit dem Vatikan als wiedererrichteten Staat und dem Papst als seinem Oberhaupt. Das ermöglichte diesem seine 1870 beseitigte weltliche Herrschaft wieder zu errichten. Die Kurie anerkannte Rom als Hauptstadt des Königreiches Italien. Rom und der Vatikan nahmen diplomatische Beziehungen auf.

Im Konkordat wurde dem Heiligen Stuhl die freie und ungehinderte Ausübung der geistlichen Gewalt zugestanden, die Trennung von Kirche und Staat in wesentlichen Punkten aufgehoben, der Katholizismus als "einzige Religion des Staates" festgeschrieben, woraus die Kirche weitreichende Privilegien ableiten konnte. Kirchlich geschlossene Ehen erhielten alle bürgerlichen Rechte zuerkannt. Ehescheidungen bedurften von da an der Zustimmung der katholischen Kirchenbehörden. Mit dem Artikel, dass die Bischöfe dem Staat ihre Treue bekunden, wurde der unter Leo XIII. (Papst 1878 bis 1903) konzipierte Pakt zwischen Katholizismus und dem Staat, diesmal dem faschistischen, neu aufgelegt.

In einem Finanzabkommen verpflichtete sich der italienische Staat, dem Pontifex als Entschädigung für die 1870/71 säkularisierten päpstlichen Besitztümer 1.750 Milliarden Lire zu zahlen. Außerdem wurden dem Vatikan außerhalb der Vatikanstadt einige Kirchen und Paläste, darunter die Sommerresidenz des Papstes Castel Gandolfo überlassen bzw. als Besitz bestätigt.


Mussolini-Diktatur von Gott gewollte Ordnung

Während die Lateranverträge das faschistische Regime innen- und außenpolitisch aufwerteten, schwächten sie die antifaschistische Bewegung und schadeten der italienischen Demokratie noch über die Zeit der faschistischen Diktatur hinaus. In den Augen der katholischen Bevölkerung Italiens, aber auch der Christenheit in der ganzen Welt, wirkte das Konkordat als päpstlicher Segen für das faschistische Regime und erhob es zur von Gott gewollten Ordnung. In einer Rede an der katholischen Universität hob Pius XI. die persönlichen Verdienste des "Duce" am Zustandekommen der Verträge ausdrücklich hervorhob und nannte ihn "einen Mann, mit dem uns die Vorsehung zusammenführte". Das einzige Zugeständnis der Kurie war, dass sie die "Römische Frage" (Der Protest Papst Pius IX. gegen die Säkularisierung seines weite Teile Italiens erfassenden feudalen Besitzes und die Beseitigung seiner weltlichen Herrschaft sowie die Erklärung er sei "Gefangener im Vatikan") als für "endgültig und unwiderruflich geschlichtet und beigelegt" erklärte.


Ein Konrad Adenauer lobhudelte den "Duce"

Sein Scherflein zur Aufwertung des faschistischen Regimes trug auch ein gewisser Konrad Adenauer bei. Der damalige Kölner Oberbürgermeister und erste Nachkriegskanzler der Bundesrepublik Deutschland hofierte den "Duce" in einem Glückwunschtelegramm, in dem es hieß: "Der Name Mussolini wird in goldenen Buchstaben in die Geschichte der katholischen Kirche eingetragen".

Mit den Lateranverträgen bedankte sich Mussolini dafür, dass der Vatikan und Papst Pius XI. persönlich ihn zusammen mit den führenden Kapitalkreisen in der Matteotti-Krise 1924/25 vor seinem Sturz gerettet hatte. Was war geschehen: Am 10. Juni 1924 wurde der Führer der italienischen Einheitssozialisten, Giacomo Matteotti, auf persönlichen Befehl Mussolinis in Rom überfallen, verschleppt und brutal ermordet. Seine Leiche wurde in der Umgebung der Hauptstadt verscharrt, wo Spaziergänger sie erst am 16. August fanden. Matteotti hatte im Parlament und in der Öffentlichkeit die manipulierten betrügerischen Scheinwahlen entlarvt, mit denen der "Duce" sich und seiner Partei auf einer sogenannten Einheitsliste eine Mehrheit von 375 Abgeordneten der rund 600 Sitze im Parlament, darunter 275 Mitglieder der faschistischen Partei (PNF) verschafft hatte. Für die PNF waren führende Industrielle wie der Präsident der Confindustria (Industriellenverband), Alfano Benni, und Gino Olivetti vom gleichnamigen Elektrokonzern angetreten. Die auf selbstständigen Listen angetretenen Parteien hatten trotz blutigen Terrors und Verfolgung noch 161 Mandate erreicht, von denen 24 bzw. 22 auf die Einheitssozialisten und Sozialisten und 19 auf die Kommunisten entfielen.

Eine bis dahin nicht gekannte Protestbewegung stürzte das Regime in eine existenzielle Krise. Fast die gesamte Opposition verließ das Parlament, tagte auf dem Aventin, einem der sieben Hügel Roms, und nannte sich nach ihm. Die IKP forderte den Rücktritt der "Regierung der Mörder" und rief zum Generalstreik auf. Er scheiterte jedoch an der Ablehnung der Sozialisten und der bürgerlichen Opposition. Nach der Rückkehr des Aventinblocks in die Abgeordnetenkammer stimmten jedoch die früheren Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti, Vittorio Emanuele Orlando und Antonio Salandra gegen Mussolini.

Aus der faschistischen Partei traten Mitläufer, Karrieristen und Funktionsträger, die einen Sturz Mussolinis befürchteten, scharenweise aus. Bis Ende 1924 verließen 182.291 Mitglieder die Partei, deren Zahl nach der offiziellen Statistik nur noch 599.988 betrug. Selbst unter führenden Faschisten wurden Stimmen laut, nachzugeben und einen Kompromiss mit den Liberalen zu suchen. Mussolini musste mehrere seiner engsten Mitarbeiter entlassen, darunter den Chef seines Pressebüros, Cesare Rossi, der an der Entführung und Ermordung Matteottis beteiligt gewesen war, und den Chef der Polizei, General Emilio De Bono. Unter dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit musste der "Duce" schließlich den von ihm selbst eingenommenen Posten des Innenministers räumen.


Vatikan lobte "feste Haltung" des "Duce"

Zur Rettung des schwer angeschlagenen Mussolini traten Confindustria und Vatikan auf den Plan. Der Industriellenverband versicherte Mussolini bereits am 24. Juni seiner "unwandelbaren Treue" und nahm scharf gegen die "intrigante Opposition" Stellung. Mussolini, der für den Vatikan unter anderem 1923 die vor dem Bankrott stehende Banco di Roma, auch unter dem Namen "Bank der Freunde des Vatikans" bekannt, mit großem finanziellen Aufwand gerettet hatte, sagte der Kurie nun Konkordatsverhandlungen zur Lösung der "römischen Frage" zu. Das Amtsblatt des Vatikans "Osservatore Romano" lobte eine Woche nach dem Mord die "feste Haltung" des "Duce" und wandte sich gegen antifaschistische Aktionen.

Dank der so gewährten Hilfe entging Mussolini 1924/25 seinem Sturz und konnte an der Jahreswende 1926/27 die parlamentarisch verschleierte Etappe des Faschismus beenden und seine offene terroristische Diktatur errichten. Die faschistische Parlamentsmehrheit erließ Ausnahmegesetze und annullierte die letzten Mandate der Opposition. Mussolini war als Regierungschef nicht mehr dem Parlament rechenschaftspflichtig, sondern nur noch dem König, was eine reine Formalität war. Regierungsdekrete bedurften keiner legislativen Zustimmung mehr. Der "Duce" ließ alle kommunistischen Abgeordneten, derer die Polizei habhaft werden konnte, verhaften; verbot alle Parteien und Organisationen außer den faschistischen. Das gleiche Schicksal erfuhren ihre Zeitungen.


Neue Terror- Welle

Die Errichtung der offenen Diktatur war von einer neuen Welle des Terrors begleitet. Das Regime kerkerte über 2.000 Kommunisten ein, darunter Gramsci, der im November unter Bruch seiner Abgeordnetenimmunität verhaftet wurde. Im Mai 1926 verurteilte ein Sondertribunal 37 führende Kommunisten zu langjährigen Kerkerstrafen. Auch viele bürgerliche Oppositionelle, die in der Matteotti-Krise gegen die Diktatur aufgetreten waren, wurden verfolgt, umgebracht, eingesperrt oder mussten emigrieren.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2014