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MEMORIAL/155: Italien - Vor 60 Jahren kündigte die PSI das Aktionseinheitsabkommen mit der PCI (Gerhard Feldbauer)


Vor 60 Jahren kündigte die PSI das Aktionseinheitsabkommen mit der PCI

Es war ein erster Schritt auf dem Weg in Niederlagen

von Gerhard Feldbauer, 3. Oktober 2016


Wenn die Linken in Italien, aber nicht nur dort, aus ihrer Niederlage herauskommen wollen, ist nachdenken angebracht über die Ursachen, die dazu führten. Ein erster Schritt war am 4. Oktober 1956 die Aufkündigung des Aktionseinheitsabkommen mit der PCI durch die Führung der Sozialistischen Partei (PSI). Die Erkenntnis, dass die Spaltung der Arbeiterbewegung eine entscheidende Ursache dafür war, dass der Machtantritt des Faschismus unter Mussolini im Oktober 1922 nicht verhindert werden konnte, führte dazu, dass Pietro Nenni (PSI) und Luigi Longo (PCI) 1934 die Vereinbarung unterzeichneten. 1937 in Spanien und nach dem Sturz Mussolinis im September 1943 vertieft, legte es fest, unter Führung der Arbeiterklasse eine Demokratische Republik zu errichten, in der die ökonomischen Grundlagen der Reaktion und des Faschismus durch "Nationalisierung des Monopolkapitals in der Industrie und im Bankwesen" und "die Vernichtung jeder Art von Feudalismus auf dem Lande" beseitigt werden sollten. Das einheitliche Handeln der beiden Arbeiterparteien bildete die Grundlage, dass sich breite bürgerliche Kreise bis hin zu großbourgeoisen Kräften und selbst Monarchisten der von der PCI mit der PSI geschaffenen und von ihnen dominierten antifaschistischen Einheitsfront und ihrer 1944 gebildeten Regierung anschlossen, bzw. anschließen mussten. Im Frühjahr 1945 leistete dieses Bündnis einen bedeutsamen Beitrag zum Sieg über das 1943 errichtete Besatzungsregime Hitlerdeutschlands und seiner italienischen Vasallen, der 1946 zum Sturz der Monarchie und der Errichtung einer Republik mit der Verankerung antifaschistisch-demokratischer Grundsätze führte.

Im April 1945 schlug PCI-Generalsekretär Palmiro Togliatti Nenni die Vereinigung beider Parteien zu einer "Einheitspartei der Arbeiterklasse" vor, um den gegen den "Aufbau eines demokratischen und fortschrittlichen Italiens" sich formierenden reaktionären und konservativen Kräften "den festen und untrennbaren Block der Arbeiterklasse" entgegenzustellen. Die Vereinigung verhinderte der rechte PSI-Flügels, der sich unter Giuseppe Saragat im Januar 1947 von der Partei abspaltete und die Sozialdemokratische Partei (Partito Socialista Democratico Italiano - PSDI) bildete. Im Oktober 1946 wurde dann das Aktionseinheitsabkommen mit einem Bekenntnis zum Aufbau eines "antimonopolistischen Italiens" und des einheitlichen Handelns auf Regierungs-, Parlaments- und kommunaler Ebene sowie der Stärkung der Einheit der Gewerkschaften und der Massenorganisationen erneuert.

Die PSDI betrieb, der Linie der Sozialistischen Internationale (SI) folgend, eine scharfe antikommunistische Politik, unterstützte den proamerikanischen Kurs der Regierung des Christdemokraten (DC) Alcide De Gasperi, in dessen Regierung sie im Juni 1947 eintrat und damit die Vertreibung der Kommunisten und Sozialisten aus der Regierung ermöglichte. Im April 1949 stimmte sie für den Beitritt zur NATO. Als die PSI der Forderung der SI, die Aktionseinheit mit der IKP zu beenden, nicht nachkam, wurde sie im Mai 1947 aus der Regierungskoalition ausgeschlossen.

Zu den ersten Parlamentswahlen am 18. April 1948 bildeten PCI und PSI eine Volksfront (Fronte Democratico Popolare) und erreichten 31 Prozent. Die PSDI kam auf 7,1 Prozent. Die DC erzielte mit 48,5 Prozent einen triumphalen Wahlsieg, den sie nie wiederholen konnte. Die Monarchisten kamen auf 2,8, die im Dezember 1946 mit Förderung der USA als Nachfolger der Mussolinipartei wieder gegründete faschistische MSI erreichte zwei Prozent.

Da es nicht gelungen war, die PCI als entscheidende Kraft des Widerstandes gegen die kapitalistische Restauration auszuschalten, inszenierten die USA am 14. Juli 1948 ein Attentat auf Togliatti, bei dem dieser lebensgefährlich verletzt wurde. Der Anschlag sollte die PCI zum bewaffneten Aufstand provozieren, um sie per Blutbad auszuschalten. Tatsächlich antworteten Hunderttausende frühere Partisanen, nicht nur Kommunisten, sondern Sozialisten und selbst DC-Linke, mit bewaffnetem Widerstand. Spontan brach ein Generalstreik aus. In Hunderten von Städten und Gemeinden übernahmen Streikleitungen die Macht. Die PCI-Leitung rief am zweiten Tag dazu auf, den Generalstreik zu beenden. Es gelang ihr, ihre Basis vom Aufstand abzuhalten, vor dem der schwer verletzte Togliatti, bevor er operiert wurde, eindringlich gewarnt hatte. Eine bewaffnete Erhebung hätte nur zu einem blutigen Bürgerkrieg und mit einem Eingreifen der USA-Truppen zu einer reaktionären Wende geführt. Eine physische Abrechnung mit der IKP wäre die Folge gewesen. Bei den bewaffneten Zusammenstößen gab es 20 Tote und über 600 Verletzte. 92.000 Personen, in erster Linie Arbeiter, wurden festgenommen, über 70.000 von ihnen später vor Gericht gestellt und die meisten verurteilt.

Im März 1950 trat Italien der NATO bei. Auf Initiative Nennis wurde gegen den NATO-Rat ein Weltfriedensrat gegründet, der im März 1950 in Stockholm den weltweit bekannt gewordenen Appell zur Ächtung der Atombombe verabschiedete, den 500 Millionen Menschen unterschrieben, davon 17 Millionen in Italien.

Bei den Wahlen 1953 sackte die DC im Ergebnis ihres proatlantischen Kurses auf 40,1 Prozent ab. De Gasperi trat als Ministerpräsident zurück. Von da ab fand die DC keine regierungsfähige Mehrheit mehr und suchte die PSI wieder in die Regierung aufzunehmen. Mit dem Eingehen darauf schlugen sich die führenden Vertreter der PSI in einem noch mehrere Jahre dauernden Prozess - wie es schon 1914/18 in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern geschehen war - jetzt auf die Seite des Kapitals, wurden zu seinem Retter aus Krisen und verhinderten eine revolutionäre Entwicklung der Arbeiterbewegung.

Während der Führer des linken DC-Flügels, Aldo Moro, mit der Aufnahme der PSI in die Regierung, der sogenannten apertura à sinistra (Öffnung nach Links), der Vorherrschaft der USA in Italien entgegentreten wollte, war Ziel der rechten DC-Kreise, die PSI auf ihre pro-atlantische Linie festzulegen. Neben der Absage an den antikapitalistischen Kurs verlangten sie, das Aktionseinheitsabkommen mit der PCI zu beenden. Die Kündigung im Oktober 1956 wird als eine Reaktion auf das militärische Eingreifen der UdSSR in Ungarn im Oktober 1956 zurückgeführt. Das verfälscht schlicht die historischen Fakten. Bereits auf dem XXXI. Parteitag im März 1955 hatte Nenni den Vorschlägen der DC zum "Wechsel des Bündnisses", wie der Regierungseintritt umschrieben wurde, zugestimmt. Auf Grund des linken Widerstandes stimmte erst der XXXIII. Parteitag im Januar 1959 dem zu.

Da auch die DC-Rechten zunächst einen Regierungseintritt der Sozialisten ablehnten, kam es erst nach einer neuen DC-Niederlage bei den Wahlen im April 1963 im Dezember zum Eintritt der PSI in die Regierung. Kern der vereinbarten Reformen war, die gesamte Energieversorgung zu verstaatlichen. Dafür verzichtete die ISP auf ihre Forderung nach einem gesellschaftlichen Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln und billigte die NATO-Mitgliedschaft. Bei der Vertrauensabstimmung verweigerten 25 der 87 Abgeordneten und 12 der 36 Senatoren der PSI dem ersten Centro-Sinistra (Mitte Links) genannten Kabinett ihre Zustimmung. Die linken Sozialisten verließen danach mit Lelio Basso und Emilio Lusso an der Spitze die ISP und gründeten im Januar 1964 die Italienische Sozialistische Partei der Proletarischen Einheit (PSIUP). Auf ihrem ersten Kongress im Dezember 1964 zählte sie mehr als 150.000 Mitglieder.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Oktober 2016

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