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MEMORIAL/189: John Sydney McCain - ein "Held", der im Vietnamkrieg auch Frauen und Kinder bombardierte (Gerhard Feldbauer)


So lernte ich John Sydney McCain kennen

Der "Held" bombardierte auch Frauen und Kinder

von Gerhard Feldbauer, 29. August 2018


Von dem jetzt verstorbenen John Sydney McCain erfuhr ich erstmals im Oktober 1967 während meiner Arbeit als Auslandskorrespondent für die Nachrichtenagentur ADN der DDR in Hanoi. Wir (meine Frau Irene, Fotoreporterin, und ich) berichteten über die barbarischen Luftangriffe, die die USA seit August 1964 gegen die Demokratische Republik Vietnam (Nordvietnam) führten, um deren Unterstützung für den Befreiungskampf im Süden gegen das dort von Washington mit einer halben Million Besatzungstruppen errichtete Saigoner Marionettenregime zu verhindern. Die Luftgangster stießen auf die mit Hilfe der UdSSR mit modernsten Flak- und Luftabwehrraketen aufgebaute Luftverteidigung Nordvietnams. Ende des Monats berichteten Rundfunk, die Nachrichtenagentur Vietnam News Agency (VNA) und die Zeitungen mit Fotos und Personalangaben über die in den vorangegangenen Tagen nach Abschuss ihrer Maschinen gefangen genommenen 15 US-Piloten. Unter ihnen befand sich der Marineflieger Major John Sydney McCain vom Flugzeugträger "Oriskany", der am 26. Oktober mit seiner F4 "Phantom" über Hanoi vom Himmel geholt worden war.

Er war ein prominenter Offizier. Sein Großvater befehligte im Zweiten Weltkrieg die US-Flugzeugträger im Pazifik und der Vater war Commander der US-Flotte in Europa. Der 31jährige McCain hatte bis zu seinem Abschuss 23 Angriffe gegen Nordvietnam geflogen, hatte teilgenommen an einem barbarischen völkerrechtswidrigen und nicht erklärten Luftkrieg. Er folgte dem Befehl seines Chefs des Strategic Air Command, General Curtis LeMay, der befohlen hatte, Vietnam "in die Steinzeit zurückzubomben". In meinem Tagebuch habe ich am 14. Oktober über einen furchtbaren Angriff auf das Zentrum von Hanoi notiert: "In der Hue-Strasse kamen 76 Menschen ums Leben, 151 wurden verletzt. Wir sahen ein völlig verwüstetes Wohngebiet, blutbefleckte Kleider, aus den Trümmern ragte ein Kinderwagen hervor, daneben zerfetzte Schulbücher." Von diesen Kriegsverbrechen McCains ist in den Nachrufen über ihn nichts zu finden.

Entgegen der Behauptungen Washingtons, es habe kaum Verluste gegeben, gab McCain zu, wie Nhan Dan, die Zeitung der Partei der Werktätigen Vietnams (heute KPV), schrieb, das Feuer der Luftabwehr sei, besonders über Hanoi, "sehr dicht und sehr präzise", die Air Force verliere zehn und mehr Prozent ihrer Maschinen. Bei seinem letzten Einsatz habe er noch registriert, dass von 25 Maschinen, seine mitgerechnet, drei abgeschossen wurden. Es klang wie eine Entschuldigung, warum er nicht davon gekommen war.

Im August hatte Hanoi gemeldet, dass bis dahin 2.194 US-Flugzeuge abgeschossen wurden. Der britische Konsul sagte mir einmal, das seien, verglichen mit den Abschüssen der Royal Air Force in der Luftschlacht über England gegen Görings Flieger, Ergebnisse, die sich sehen lassen könnten. McCain gab keine militärischen Geheimnisse preis, bestätigte nur, was andere Piloten vor ihm schon gesagt hatten. Der Spitzenflieger Oberst Robin Olds hatte auf einer Pressekonferenz in Washington gewarnt, die nordvietnamesische Luftabwehr nicht zu unterschätzen. Sie habe sich "enorm verstärkt, sowohl durch Flakfeuer als auch Migs und Boden-Luft-Raketen". Zu letzteren sagte er ausdrücklich: "Es sind furchterregende Raketen". Oberst Robinson Risner, ein Flieger-Ass aus dem Koreakrieg, der bereits am 16. September 1965 abstürzte, gab an, dass die Nordvietnamesen bei einem Angriff seines Geschwaders von 18 Thunderchiefs fünf abgeschossen hatten.

Marineflieger McCain landete mit seinem Fallschirm im Wasser des Truc-Bach-Sees von Hanoi, brach sich Armee und Beine und wäre ertrunken, wenn ein Hanoier ihn nicht aus dem Wasser gezogen hätte. Sein Lebensretter war Mai Van On, der als Leutnant der Volksarmee am Befreiungskrieg gegen die Franzosen teilgenommen hatte. Am Ufer half er McCain ein zweites Mal, denn nach einem eben erlebten schweren Bombenangriff auf die Hauptstadt war zu befürchten, dass wütende Hanoier gegenüber dem Amerikaner handgreiflich würden. Van On hielt sie zurück, eine Krankenschwester half ihm und leistete erste Hilfe. Kurze Zeit später kamen Soldaten und nahmen McCain in Gewahrsam.

Im Übrigen gab es, unter anderem auf Flugblättern, strenge Anweisungen über den Umgang mit abgeschossenen Piloten. Sie begannen damit, dass auf einen mit dem Fallschirm niedergehenden Flieger nicht geschossen werden durfte. "Der Pilot ist zu entwaffnen. Ist er verletzt, so ist ihm erste Hilfe zu gewähren. Der Gefangene ist in einem festen Haus unter zu bringen, bis ihn Angehörige der Volksarmee übernehmen." Es gab auch Hinweise in Englisch, so die Aufforderung "Hands up" (Hände hoch), "Stop" oder "Surrender" (Ergib dich).

Im Rahmen der seit 1968 in Paris geführten Gepräche über die Beendigung des USA-Krieges begann Hanoi mit der Freilassung der gefangenen US-Piloten. 1973 wurde McCain entlassen. 1985 und auch später besuchte er Hanoi, ohne nach seinem Lebensretter zu fragen. Erst 1996, er war inzwischen Senator von Arizona, traf er sich mit Van On und überreichte ihm eine "Erinnerungsmedaille" des US-Kongresses. Im Jahr 2000 und 2008 bewarb sich McCain für die Republikaner um die Präsidentschaft. Die humane Rettungstat eines vietnamesischen Offiziers passte nicht ins Konzept seiner rechts ausgerichteten Wahlkampfreden. Im Gegenteil behauptete er, die Nordvietnamesen hätten ihn misshandelt.

Aus der Niederlage der USA im Krieg gegen Vietnam, die auch seine eigene war, hat er, wie das offizielle Washington, nichts gelernt. Der "Mann von Ehre" blieb ein Vertreter des Kalten Krieges, jederzeit bereit, diesen, wie in Vietnam, in einen heißen umzuwandeln.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2018

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