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MEMORIAL/192: Der Dreißigjährige Krieg warf Deutschland um zweihundert Jahre zurück (Gerhard Feldbauer)


Der Dreißigjährige Krieg - eine machtpolitische Auseinandersetzung zwischen dem Habsburger Block Österreich-Spanien und Frankreich mit wechselnden Verbündeten

Er warf Deutschland um zweihundert Jahre zurück
Gravierende Folgen des Scheiterns der deutschen Kaiserherrschaft

von Gerhard Feldbauer, 23. Oktober 2018


Graphik: By Sir Iain, This W3C-unspecified vector image was created with Inkscape. [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges (1618)
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Als der 30jährige Krieg begann, hatte die Niederlage der demokratischen Kräfte im Bauernkrieg die nationale Zersplitterung und Rückständigkeit Deutschlands vergrößert. Viele Landesfürsten waren zum Protestantismus übergetreten, hatten den Kirchenbesitz eingezogen und so ihre Macht gestärkt. Im Ergebnis der wachsenden Feudalreaktion war die Leibeigenschaft ausgeweitet worden, was die Entwicklung zur industriellen Produktion hemmte. [1] Die Versuche des Kaisers, die politische Einheit des Reiches wiederherzustellen, scheiterten am Partikularismus der Territorialfürsten. Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 erkannte der Kaiser ihre Selbständigkeit an. Sie konnten die Konfession ihrer Untertanen bestimmen, was die nationale Zerrissenheit weiter vertiefte und den wirtschaftlichen Fortschritt des Bürgertums aufhielt. Der Aufbau der militärischen Kräfte auf der kleinstaatlichen Basis, wie in Bayern und Sachsen, trieb die Fürsten in die Arme ausländischer Mächte. Im Kampf gegen Habsburg bedienten sich Frankreich, die Niederlande, England, Dänemark und Schweden der 1608 gebildeten Protestantischen Union, während sich die ein Jahr später gegründete Katholische Liga Österreich, Spanien und dem Vatikan anschloss. Mit der Beseitigung der Errungenschaften der Reformation schwächte der 1617 zum böhmischen König erhobene Habsburger Katholik Ferdinand (1619 zum Kaiser gewählt) seine eigenen Positionen, die Zentralgewalt zu stärken.


Abbildung: By G. Keller (Unknown source) [Public domain], via Wikimedia

Krönung von Ferdinand II. zum König von Böhmen im Jahr 1617
Abbildung: By G. Keller (Unknown source) [Public domain], via Wikimedia

Der religiöse Rahmen der Auseinandersetzungen (Katholiken gegen Protestanten) war nicht der entscheidende, wie das Bündnis des katholischen Frankreich mit dem protestantischen Schweden gegen das katholische Oberhaupt des Reiches zeigte. Ein zentrales Thema wurde der Kampf zwischen der kaiserlichen Zentralgewalt und den partikularistischen Bestrebungen der Fürsten, in deren Ergebnis die ohnehin labile Zentralgewalt weiter geschwächt wurde.

Auf der Tagesordnung der Geschichte stand, in Deutschland den Prozess der Formierung der Nation voranzubringen und als entscheidende Grundlage dazu die politische Einheit des Reiches wiederherzustellen. Nur so konnte den Produktivkräften der Weg geebnet werden, um die Ablösung der Feudalordnung durch eine kapitalistische Produktionsweise einzuleiten. Die allgemeinen Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft (der Historische Materialismus) waren noch nicht bekannt. Sie wurden erst 200 Jahre später durch Karl Marx und Friedrich Engels entdeckt und in ihrem "Manifest der Kommunistischen Partei" [2] entwickelt. Sie sahen im Proletariat die revolutionäre Kraft, dazu berufen, die kapitalistische Ordnung zu beseitigen und eine sozialistische zu errichten. Unter der Feudalordnung existierte eine solche revolutionäre Kraft noch nicht. Ohne Widerspruch gegen oder gar Enthüllung der volksfeindlichen Machenschaften und antinationalen Positionen der Kräfte, die beispielsweise in Deutschland gemeinsame Sache mit den ins Land einfallenden feindlichen Mächten machten, konnten sich dann die jeden Fortschritt hemmenden Parteien durchsetzen. Letzten Endes siegten dann die Mächte, die sich auf eine Zentralgewalt stützen konnten. Eine große Rolle spielten starke Persönlichkeiten (wie Richelieu [3] oder Wallenstein [4]).


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Der Prager Fenstersturz auf einem zeitgenössischen Flugblatt, einem Holzschnitt zu der Legende, daß dank Gottes die von den Statthaltern ausgehende Gefahr abgewendet worden sei...
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Der Böhmisch-Pfälzische Krieg (1618-23) [5]

Die Auseinandersetzungen setzten mit dem böhmischen Aufstand, der nationalen Erhebung der Tschechen gegen die habsburgische Herrschaft, ein. Er begann mit der Defenestration, dem Prager Fenstersturz [6], am 23. Mai 1618. Vertreter der protestantischen Stände warfen drei königliche Statthalter mit Jaroslaw Borsita Graf von Martinitz an der Spitze durch ein Fenster der Prager Burg in einen 17 Meter tief liegenden Graben. Alle drei überlebten den Fenstersturz.

Die böhmischen Stände wählten danach den Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zum böhmischen König. Sie wollten damit die Unterstützung der Protestantischen Union gewinnen, deren Führer er war. Dagegen rief Ferdinand II. die Katholische Liga zu Hilfe. Der Böhmisch-Pfälzische Krieg ging bis 1623. Die adligen Führer der tschechischen nationalen Bewegung lehnten eine Mobilisierung der Volksmassen ab. Da die Protestantische Union ihnen nicht zu Hilfe kam, wurden sie am 8. November 1620 in der Schlacht am Weißen Berg (Bilá hora) vor Prag von Tilly, dem Befehlshaber der Liga-Truppen [7], geschlagen. Friedrich V. floh nach den Niederlanden.


Abbildung: [Public domain], via Wikimedia Commons

Die Schlacht am Weißen Berg von 1620, dargestellt in einem Gemälde von Pieter Snayers
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In Böhmen, das wieder an Österreich fiel, wurde ein Terrorregime der Gegenreformation errichtet. Es begann der Streit über die Beute. Der bayerische Herzog verlangte als Führer der Liga einen Teil der pfälzischen Besitzungen und die Ernennung zum Kurfürstenherzog. Gegen den Protest der protestantischen Fürsten gab der Kaiser nach. Seine gewachsene Macht und sein Handeln im Einvernehmen mit Spanien rief Frankreich, England und die Niederlande auf den Plan. Sie gewannen den dänischen König Christian IV. als Vasallen, der, von ihnen finanziert, an Elbe und Weser ein starkes Heer als Sammel- und Stützpunkt der deutschen protestantischen Fürsten aufstellte.

Mit der Eroberung der protestantischen Kurpfalz durch die katholische Liga (1621/22) greift der Krieg auf Deutschland über. Es setzt eine machtpolitische Auseinandersetzung zwischen dem Habsburger Block Österreich-Spanien und Frankreich mit wechselnden Verbündeten ein, welche die Dimension eines europäischen Krieges annimmt.


Der Niedersächsisch-Dänische Krieg (1625-29)

Mit dem Vorrücken der Truppen der Liga in Nordwestdeutschland und dem Eingreifen Dänemarks beginnt der Niedersächsisch-Dänische Krieg. Deutschland wird von jetzt ab Hauptkriegsschauplatz. Dänemark will eine beherrschende Stellung in Nordeuropa erringen und greift zuerst an. Die Armee Christian IV. rückt vor, wird aber in mehreren Schlachten von Tilly und Wallenstein geschlagen. 1629 muss der Däne im Frieden von Lübeck zusagen, sich nicht mehr in deutsche Angelegenheiten einzumischen. Diese Etappe des Krieges endet mit dem vollständigen Sieg des Kaisers, der seit 1625 über ein von Wallenstein rekrutiertes Heer von 40.000 Mann verfügt. Mit der Verabschiedung des Restitutionsedikts am 6. März 1629 festigt er zwar seine Macht, bringt aber damit auch die protestantischen Fürsten noch mehr gegen sich auf. [8] Denn die gewachsene Macht des Kaisers bringt die Fürsten wieder zusammen. Auf dem Kurfürstentag in Regensburg (1630) zwingen sie Ferdinand II., Wallenstein zu entlassen und sein Heer zu verringern.


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Wallenstein - kaiserlicher Kriegsrat und Kämmerer, Allerhöchster Obrist und General von Prag in einem Kupferstich von 1625/28
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Wallenstein - objektiv progressivste Gestalt

Wallenstein war, wie schon Friedrich Schiller in seinem großartigen gleichnamigen Drama herausarbeitete [9], objektiv die progressivste Gestalt der Ereignisse. "Wallenstein verfolgte, schrieb Franz Mehring, "in Deutschland dasselbe Ziel, das Richelieu [10] in Frankreich gleichzeitig verfolgte: Die Herstellung einer rein weltlichen Monarchie, die sich frei von allen konfessionellen Gegensätzen über die hadernden Fürsten erheben, die Klassengegensätze im Inneren mildern und die gesamte Kraft der Nation nach Außen kehren sollte. (...) Er hatte ein sehr klares Ziel, das, wie das französische Beispiel zeigte, nicht nur erreichbar war, sondern auch im Sinne des historischen Fortschritts lag." [11] Der Drahtzieher seiner Ermordung 1634 war der kaiserliche Hof. Ferdinand II. fürchtete die zunehmende Machtfülle des erfolgreichen Heerführers, dessen pro-bonapartistische Haltung nicht ausschloss, dass er angesichts der Schwäche des Kaisers selbst danach hätte streben können, Herrscher Deutschlands zu werden.

Zum Scheitern Wallensteins trug der Widerstand der Fürsten, katholischer wie protestantischer, aber auch der Städte (der Hansestädte Hamburg, Bremen, Lübeck und weiterer) bei. Sie weigerten sich, ihre Schiffe für die Herrschaft über die Ostsee zur Verfügung zu stellen. Mehring erwähnt, dass sich Wallenstein mit weitreichenden Plänen trug, Konstantinopel zu erobern und die Türken aus Europa zu vertreiben, während ihm Stralsund, als er von ihm die Aufnahme einer kaiserlichen Besatzung verlangte, widerstand. [12]


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Kardinal Richelieu bei der Belagerung von La Rochelle, Ausschnitt aus einem Gemälde von Henri-Paul Motte von 1881
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Der Schwedische Krieg (1630-35)

In Frankreich dagegen war Richelieu erfolgreich. Nach vierzehnmonatiger Belagerung eroberte er La Rochelle, den Hauptsitz der französischen Protestanten (Hugenotten). Danach machte er Front gegen Habsburg, um Frankreich die Vorherrschaft in Europa zu sichern. Richelieu, der, wie Wallenstein auch, Katholik und sogar Kardinal der katholischen Kirche war, vermied konfessionelle Bindungen. Er hetzte nicht nur die katholischen Fürsten in Deutschland gegen den Kaiser auf, sondern auch den protestantischen König von Schweden zum Einfall in Deutschland. Als Gustav Adolf nach langem Zögern schließlich 1630 mit seinem Heer an der pommerschen Küste landete, wollte er auch eine kaiserliche Herrschaft über die Ostsee verhindern. Entgegen den Erwartungen schlossen sich sowohl die protestantischen Fürsten als auch die Städte, ausgenommen Mageburg, dem Schweden zunächst nicht an.

Der Vormarsch Gustav Adolfs wurde dagegen durch die katholischen Fürsten befördert, die sich dem Erstarken der Reichsgewalt durch Wallenstein widersetzten und seine Absetzung sowie die Auflösung eines Teils seiner Armee forderten. Der Kaiser gab nach. 1630 entließ er Wallenstein und einen Teil seiner Soldaten. Der Rest der Truppen wurde Tilly unterstellt, was die Position der katholischen Fürsten stärkte. Tilly nahm Magdeburg ein, das der schwedische Oberst Falkenstein, der bei der Erstürmung der Stadt fiel, angezündet und völlig zerstört hatte. Um die Allianz zu festigen, schloss Frankreich am 23. Januar 1631 in Bärwalde einen Subsidienvertrag mit Schweden, in dem es sich verpflichtete, jährlich 400.000 Taler als Beihilfe für den Unterhalt einer schwedischen Armee von 36.000 Mann zu zahlen.


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Gustav II. Adolf in der Schlacht bei Breitenfeld, Gemälde eines unbekannter Künstlers aus dem 17. Jahrhundert
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Die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen wechselten nun auf die Seite Gustav Adolfs, dem es so gelang, Tillys Heer am 17. September 1631 in der Schlacht bei Breitenfeld vernichtend zu schlagen. Norddeutschland fiel in schwedische Hand und Gustav Adolf drang nach Süddeutschland bis Bayern vor und verwüstete ganze Landstriche. Papst Urban VIII. feierte Gustav Adolf, der ja der herrschenden Meinung der Kurie nach als Protestant ein Ketzer war, dennoch als seinen von "Gott gesandten Erretter". [13] Der Kaiser setzte angesichts dieser Bedrohung Wallenstein wieder als Generalissimus ein, der ein neues Heer aufstellte und den Schweden aus Süddeutschland nach Sachsen zurücktrieb, wo er am 16. November 1632 in der Schlacht bei Lützen den Tod fand. Aber auch Wallenstein fiel nun den kaiserlichen Mördern zum Opfer, einzig Frankreich ging gestärkt aus den kriegerischen Auseinandersetzungen hervor. Es machte die Hoffnung, mit dem Frieden von Prag am 30. Mai 1635 zwischen dem Kaiser und Sachsen, den fast alle Reichsstände billigten, den Krieg zu beenden, zunichte.

Die Bauern, denen alle Lasten dieser Kriege erbarmungslos aufgebürdet wurden, leisteten oft Widerstand. Im Winter 1633/34 brach in Südbayern zwischen Isar und Inn der größte Bauernaufstand während des Dreißigjährigen Krieges aus. Die Bauern wandten sich gegen die Kontributionen, Truppen-Einquartierungen und Frondienste. Ihre Forderungen gingen soweit, ihnen die Feudalgüter zu übereignen. Sie setzten mehrfach die Obrigkeit in den Dörfern ab und riefen auf, sie überall zu stürzen. Den bewaffneten Haufen schlossen sich über 10.000 Bauern an. Sie überfielen selbst Kolonnen der Soldaten. Kurfürst Maximilian machte zunächst einige Zugeständnisse, ließ aber dann die Erhebung bei Ebersburg, das die Bauern angegriffen hatten, blutig niederschlagen. Damit ging der auf Bayern beschränkte Aufstand zu Ende.


Der Französisch-Schwedische Krieg (1635-48)

Dieser Krieg begann nach der Erneuerung des französisch-schwedischen Bündnisses, dem sich die Niederlande, Mantua, Savoyen und Venedig anschlossen. Zur Durchsetzung seiner Hegemonie setzte Frankreich auf die Föderalisierung Deutschlands und die finanzielle Abhängigkeit möglichst vieler deutscher Fürsten. "Unter solchen Gesichtspunkten zog sich der Krieg in dem erschöpften Deutschland ohne entscheidende Schlachten, aber in blutigen, an Raub und Plünderungen reichen Feldzügen hin, wobei Frankreich-Schweden langsam das Übergewicht gewannen und die Partei des Kaisers Brandenburg und Bayern einbüßte." [14]


Abbildung: Gerard ter Borch [Public domain], via Wikimedia Commons

Im Rathaus von Münster beschwören spanische und niederländische Gesandte am 15. Mai 1648 feierlich den Frieden
Abbildung: Gerard ter Borch [Public domain], via Wikimedia Commons

Die zunehmende Erschöpfung führte zu Verhandlungen, um die kriegerischen Auseinandersetzungen zu beenden, bei denen es den Siegern vor allem darum ging, ihre Eroberungen und Herrschaftsansprüche zu sichern. Ab 1643 führten die kriegführenden Parteien - das Reich, Frankreich und Schweden - in Münster und Osnabrück erste Friedensverhandlungen, in denen über territoriale Forderungen, Konfessions- und Restitutionsansprüche und andere Fragen gestritten wurde. 1645 schloss Sachsen mit Schweden den Waffenstillstand von Kötschenbroda und schied aus dem Krieg aus. Über den Frieden mit Spanien am 30. Januar 1648 kam es dann nach Vorverhandlungen in Osnabrück, am 24. Oktober 1648 in Münster (Westfalen) zum Westfälischen Frieden des Kaisers mit Frankreich und Schweden. Alle Reichsstände schlossen sich dem Vertrag an.

Deutschland war Hauptkriegsschauplatz und erlitt in einer bis dahin nicht gekannten Weise furchtbarste Verwüstungen und Verluste an Menschenleben. Seine materiellen Produktivkräfte wurden in großem Ausmaß vernichtet, die Leibeigenschaft vertieft. Der mordenden und brandschatzenden Soldateska sowie Hunger, Kälte und Seuchen fielen in Ost-, Mittel- und Südwestdeutschland, wo die meisten Kriegshandlungen stattfanden, 60 bis 70 Prozent der Einwohner zum Opfer. Bezogen auf ganz Deutschland raffte der Krieg die Hälfte der 16 bis 18 Millionen der Bevölkerung dahin. [15] Gravierende Folgen hatte das Scheitern der deutschen Kaiserherrschaft.


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Bevölkerungsrückgang im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation nach dem Dreißigjährigen Krieg
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Ein Vertrag "der Erniedrigung" Deutschlands

370 Jahre nach dem Westfälischen Frieden heißt es auf dem Webauftritt der Stadt Münster, dass es sich bei dem Vertrag um einen Frieden gehandelt habe, "der Prinzipien des modernen Völkerrechts prägte". Lassen wir eine Interpretation dieser seltsamen Auffassung von "modernem Völkerrechts" dahingestellt und den Vertrag für sich sprechen. Sein Inhalt verdeutlicht, es war kein Vertrag des Friedens, sondern, wie Friedrich Engels einschätzte, "der Erniedrigung" Deutschlands. Er stellte den Augsburger Religionsfrieden von 1555 wieder her, dehnte ihn auf die Kalvinisten aus und schrieb damit die freie Kirchenwahl fest. Dem deutschen Kaiser wurden wesentliche Souveränitätsrechte entzogen und auf den Reichstag [16] übertragen.

Frankreich raffte "die reichsten Striche des westlichen Deutschland an sich" (Mehring). Ihm wurde der Besitz von Metz, Toul und Verdun anerkannt, Habsburg musste ihm u. a. Ober- und Unterelsass mit zehn Städten (ausgenommen Strassburg) überlassen. Schweden raubte Vorpommern mit Stettin, die Inseln Rügen, Usedom und Wollin, die Stadt Wismar. Die Stifte Verden und Bremen bekam es als Reichslehen. Brandenburg wurde Hinterpommern, die Bistümer Cammin, Halberstadt, Minden und die Anwartschaft auf das Fürstentum Magdeburg zugesprochen. Mecklenburg wurden die Bistümer Schwerin und Ratzeburg zugeschlagen. Sachsen wurde der Besitz der Lausitz bestätigt. Bayern erhielt die Kurfürstenwürde und die Oberpfalz. Den Niederlanden und der Schweiz wurde ihre endgültige Unabhängigkeit bestätigt. Die Hauptsieger des 30jährigen Krieges - Frankreich und Schweden - wurden als Garanten des Westfälischen Friedens eingesetzt. Sie erhielten ein Mitspracherecht in den Angelegenheiten des Besiegten. In Deutschland wurde gleichzeitig mit dem wachsenden Absolutismus die Kleinstaaterei vertieft. [17]


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Das Heilige Römische Reich deutscher Nation nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648)
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"Eine ähnliche Zerstörung hat ein großes Kulturvolk niemals zu erdulden gehabt. Um 200 Jahre wurde Deutschland in seiner Entwicklung zurückgeworfen. 200 Jahre hat es gebraucht, bis es wieder auf die ökonomische Höhe gelangte, die es bei Beginn des Dreißigjährigen Krieges behauptete", urteilte Franz Mehring. "Die letzte Autorität von Kaiser und Reich war unwiederbringlich dahin. Die ökonomischen Ursachen der deutschen Reformation wirkten fort und fort. Die 'Libertät' der Stände, das heißt, die Souveränität der Landesobrigkeiten, siegte auf der ganzen Linie, selbst das Recht, Bündnisse mit dem Ausland zu schließen, wurde ihnen durch den Westfälischen Frieden verbürgt." [18]

Mehrfach hat sich Friedrich Engels mit den schwerwiegenden Folgen (darunter Nachwirkung in Österreich bis 1866), die das Aufhalten der Formierung eines deutschen Nationalstaates als Grundlage der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung mit sich brachte, befasst. So hielt er in der Einleitung zur englischen Ausgabe der "Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" 1892 fest, dass es im Dreißigjährigen Krieg der in "einen Krakeel zwischen den Einzelfürsten und der kaiserlichen Zentralgewalt " entartete Kampf war, der zur Folge hatte, "dass Deutschland für 200 Jahre aus der Reihe der politisch tätigen Nationen Europas gestrichen wurde". [19]


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Friedrich Engels (Fotographie von 1891) - "Deutschland für 200 Jahre gestrichen..."
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Ausführlich war Engels 1873/74 nach der deutschen Reichseinigung von oben unter der Vorherrschaft Preußens und mit dem Ausschluss Österreichs in einem Kleindeutschland auf die Probleme in "Varia über Deutschland" eingegangen. Schonungslos rechnete er mit dem Vaterlandsverrat der Fürsten ab und schrieb: "Die französische Benutzung der Gelegenheiten und Bündnis mit und Bezahlung der protestantischen Fürsten und deutschen Mietstruppen kulminiert im Dreißigjährigen Krieg." Daraus folgte, dass "Deutschland mehr und mehr zersplittert und das Zentrum geschwächt" wurde, während "Spanien, Frankreich, England Ende des 15. Jahrhunderts in konstituierte Nationalstaaten zusammengewachsen" waren.

Er verwies darauf, dass mit dem Westfälischen Frieden Deutschland der Welthandelsweg entzogen, es "in einen isolierten Winkel gedrängt, dadurch die Macht der Bürger gebrochen" wurde, es "industriell zur Passivität und zum Rückschlag verurteilt", den "Einflüssen der politischen Konjunkturen mehr ausgesetzt (war), als industriell aktive und fortschrittliche Länder". Engels rekapitulierte "Verluste an Frankreich; Festsetzung von Schweden und Dänemark in Deutschland; Einmischungsrecht der Garantiemächte; totaler Zusammenbruch der Zentralmacht; das Recht auf Empörung gegen den Kaiser, Bürgerkrieg und Landesverrat der deutschen Fürsten von Europa garantiert". Und er resümierte: "Welcher Zustand der Erniedrigung." [20]


Abbildung: By Anonymus (Scan Gudrun Meyer) [Public domain], via Wikimedia Commons

Zeitgenössisches Flugblatt, das den Friedensschluß zu Münster und damit das Ende des Dreißigjährigen Krieges bekannt gibt
Abbildung: By Anonymus (Scan Gudrun Meyer) [Public domain], via Wikimedia Commons


Anmerkungen:

[1] Siehe Friedrich Engels: Der deutsche Bauernkrieg, Werke, Bd. 7, Dietzverlag Berlin/DDR 1960, S. 327-413.

[2] Marx-Engels Werke (MEW), Bd. 4, Dietz Verlag Berlin/DDR 1959, S. 459-493.

[3] Richelieu (1585-1642), Armand Jean du Plessis, Herzog. 1607 zum Bischof geweiht, Mitglied der Generalstände. Protegiert von der Königin-Mutter Maria von Medici. 1622 zum Kardinal ernannt. 1624 Minister.

[4] Wallenstein (1583-1634), Albrecht Wenzel Eusebius von (eigentlich) Waldstein. Wurde durch Heirat mit Lucretia von Vickov einflußreichster Großgrundbesitzer in Ostmähren. Nach dem Tod seiner ersten Frau (1614) heiratete er 1623 Gräfin Isabella Katharina von Harrach. 1625 ernannte ihn Ferdinand II. zum Herzog von Friedland und beauftragte ihn, ein Heer aufzustellen, das er zum Teil auf eigene Kosten finanzierte.

[5] Gliederung in vier Kriege/Feldzüge nach Meyers Neues Lexikon, "Dreißigerjähriger Krieg", Bd. 2 der neunbändigen Ausgabe, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1962, S. 716 f.

[6] Es handelte sich historisch um den zweiten Prager Fenstersturz. Der erste ereignete sich während der Hussitenkriege am 30. Juli 1419. Anhänger des vier Jahre vorher auf dem Scheiterhaufen hingerichteten Jan Hus stürmten das Rathaus am Karlsplatz, befreiten gefangene Glaubensbrüder und warfen zehn Personen aus dem Fenster, brachten sie anschließend um.

[7] Tilly (1559-1632), Johann Tserclaes, Graf von. Seit 1598 in kaiserlichen Diensten, erhielt er 1610 den Befehl über die katholischen Truppen. Der berühmte Feldherr war durch seine brutale Kriegführung bekannt.

[8] Restitutionsedikt, von Ferdinand II. erlassene Verordnung, mit der ohne Einverständnis der protestantischen Reichsstände der Status quo des geistlichen Besitzstands im Reich wieder auf den Stand des Jahres 1552 gebracht werden sollte. Damit wurde die katholische Interpretation des Augsburger Religionsfriedens von 1555 durchgesetzt.

[9] Siehe seine "Geschichte des Dreißigjährigen Krieges", Bd. 2, 1956, und "Wallenstein", Bd. 4, 1958 der fünfbändigen Ausgabe im Volksverlag Weimar.

[10] Richelieu (1585-1642), Armand Jean du Plessis, Herzog. 1607 in Rom zum Bischof geweiht, Mitglied der Generalstände. Protegiert von der Königin-Mutter Maria von Medici. 1622 zum Kardinal ernannt. 1624 Erster Minister.

[11] Franz Mehring: "Der dreißigjährige Krieg" in: Zur deutschen Geschichte, Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 47, Dietz Verlag Berlin/DDR 1964.

[12] Ebd., S. 47 f.

[13] Zit. nach Mehring, ebd. S. 50.

[14] Wilhelm Treue: "Das konfessionelle Zeitalter und die Glaubenskämpfe" in: Deutsche Geschichte. Von den Germanen bis zu Napoleon. Weltbild Verlag, Bd. I, S. 316. Treue ist nach Franz Mehring zu den Historikern zu zählen, die eine realistische Abhandlung bieten und nicht den gängigen Klisches von den Religionskriegen verfallen.

[15] Kleine Enzyklopädie "Deutsche Geschichte", Leipzig 1965, S. 162 f.

[16] Der Reichstag war bis 1806 die Versammlung der Reichsstände bestehend aus: den geistlichen: Kurfürsten, Erzbischöfen und Bischöfen, Vorstehern der Reichsabteien, dem Hoch- und Deutschmeister, dem Johannitermeister, und den weltlichen: Kurfürsten, Herzöge, Fürsten, Land- und Markgrafen, einigen Grafen und Freiherren sowie den Vertretern der Reichsstädte.

[17] In Deutschland existierten im 16./17. Jahrhundert mit Grafschaften, Fürsten- und Herzogtümern, unabhängigen Städten und sonstigen kleinsten Besitztümern wie der Freiherren ungefähr 300 Kleinstaaten. Etwa 200 löste der 1803 verabschiedete Reichsdeputationsausschuss auf und beseitigte damit die schlimmsten Auswüchse der politischen Zersplitterung.

[18] Mehring, a. a. O., S. 51.

[19] MEW, Bd. 22, Dietz Verlag Berlin/DDR 1963, S. 300.

[20] MEW, Bd. 18, Dietz Verlag Berlin/DDR, 1962, S. 589-96.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2018

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