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MEMORIAL/224: Im November 1945 stürzten die USA und Italiens Reaktionäre die antifaschistische Regierung Parri (Gerhard Feldbauer)


Im November 1945 stürzten die USA mit den reaktionären Kräften Italiens die antifaschistische Regierung Ferruccio Parris

Es ging darum, eine antifaschistische, antiimperialistisch geprägte Umwälzung zu verhindern

von Gerhard Feldbauer, 21. November 2020



Foto: Public domain, via Wikimedia Commons

21. April 1945 - Italienische Partisanen in Bologna
Foto: Public domain, via Wikimedia Commons

Nach der Niederlage des Faschismus Ende April/Anfang Mai 1945 standen Kommunisten, Sozialisten u. a. Linke vor der Entscheidung über die gesellschaftliche Perspektive. Es ging um eine demokratische, antifaschistische und antiimperialistische Umwälzung, die die politischen und sozialökonomischen Grundlagen des Faschismus beseitigen sollte. Dazu existierten günstige Voraussetzungen.

Mit dem am 25. April 1945 beginnenden bewaffneten Aufstand befreiten die Partisanenarmee und regionale Einheiten noch vor dem Eintreffen der alliierten Truppen Mailand, Turin, Genua, Bologna, Padua, Venedig und insgesamt etwa 200 Städte Norditaliens. Örtliche Befreiungskomitees übernahmen die Macht und leiteten antifaschistisch-demokratische Umgestaltungen ein. In den von den Unternehmensleitungen verlassenen Fabriken bildeten Kommunisten und Sozialisten Fabrikräte, die die Leitung der Produktion übernahmen. Im Süden besetzten Landarbeiter und Halbpächter das Land der zu den Faschisten gehörenden Latifundistas. Die IKP hatte in der Einheitsregierung ihr Vorgehen mit einem Dekret legalisiert.

Die Partisanenarmee griff zwischen Piemont und Venetien die Stellungen von noch 19 Divisionen der Hitlerwehrmacht an. In Genua ergaben sich 9.000 Mann. Am 27. April kapitulierte das X. Panzerkorps, am 30. April nahmen Garibaldiner am Monte Grappa 33.000 deutsche Soldaten gefangen. Insgesamt ergaben sich bis zum 4. Mai allein im Veneto 140.000 Soldaten der Wehrmacht den Partisanen.


Foto: Ste81 in der Wikipedia auf Italienisch, Public domain, via Wikimedia Commons

Kriegsschauplatz im Frühjahr 1945 - der Monte Grappa in den Dolomiten
Foto: Ste81 in der Wikipedia auf Italienisch, Public domain, via Wikimedia Commons

Mailand wurde am 27. April eingenommen, fünf Tage vor dem Eintreffen der Alliierten. Das Befreiungskomitee für Norditalien (CLNAI) übernahm die Macht, erklärte den Ausnahmezustand, bildete Kriegsgerichte und erließ Justiz-Dekrete. In einem Ultimatum forderte es alle italienischen Faschisten auf, bedingungslos zu kapitulieren. Basis dafür war, dass das CLNAI vom Alliierten Kommando als Organ der Regierung mit "allen entsprechenden Vollmachten" anerkannt worden war.

Mussolini und weitere führende Faschisten, die sich geweigert hatten zu kapitulieren und unter dem Schutz einer SS-Einheit zur Schweizer Grenze flüchteten, wurden vom Tribunal des CLNAI zum Tode verurteilt. Am 28. April vollstreckte auf Weisung der Zentralen Befreiungskomitees (CLN) ein Exekutionskommando unter dem Befehlshaber der Garibaldibrigaden, Oberst Walter Audisio (Kampfname Valerio), die gegen den "Duce" und führende Faschisten verhängten Todesurteile. [1]

Es bestand eine klassische revolutionäre Situation: Der italienische Imperialismus war militärisch geschlagen, seine ökonomischen und politischen Positionen ernsthaft erschüttert. Er verfügte über keine ihm hörige Regierung mehr. Die großbourgeoisen Vertreter in der antifaschistischen Einheitsregierung befanden sich in der Minderheit und mussten lavieren.

Die IKP agierte als aus dem antifaschistischen Widerstand hervorgegangene, mit über 1,5 Millionen Mitgliedern politisch einflussreiche Kraft. Die von ihr dominierten Operationen der Partisanen hatten ihre militärische Stärke demonstriert. Von über einer halben Million Partisanen, die unter Waffen standen, waren etwa drei Viertel Kommunisten oder Sympathisanten. Die IKP stellte 155.000 der 256.000 Kämpfer der Partisanenarmee, und die örtlichen Partisanen (GAP) rekrutierten sich überwiegend aus Kommunisten. Alle Partisanenformationen bestanden zu 85 bis 90 Prozent aus Arbeitern und Bauern.

In der antifaschistischen Einheitsregierung hatte die IKP für die Nachkriegsordnung den Grundsatz vertreten, dass mit "der Arbeiterklasse als Hauptkraft" für "immer die Macht der imperialistischen Kräfte, die für den räuberischen Krieg und den Ruin der Nation verantwortlich sind", gebrochen werden muss und die zu errichtende Demokratie "den rechten Kräften nicht noch einmal erlauben darf, sich in ihr wieder breit zu machen." [2] Obwohl damit keine sozialistischen Forderungen gestellt wurden und IKP-Generalsekretär Palmiro Togliatti einen parlamentarischen Weg vertrat, lehnten Faschisten, Monarchisten, DC- und andere bürgerliche Rechte, gestützt auf die von den USA geleitete Alliierte-Militärregierung, schon Forderungen wie die des kommunistischen Finanzministers Mauro Scoccimarro nach einer Währungsreform, einer progressive Besteuerung der Vermögen und einer außerordentlichen für Kriegsgewinne der Rüstungsunternehmen ab. Die DC, nunmehr führende Partei der Großbourgeoisie, und die Liberalen verlangten bereits im Mai 1945 von der Besatzungsmacht, um das Vorgehen der IKP und ISP zu stoppen, die Entwaffnung der Partisanen. Mit der Auflösung aller ihrer Verbände im Mai/Juni kamen die USA diesen Forderungen nach und ordneten ebenso die Amtsenthebung der örtlichen Befreiungskomitees als Regierungsorgane an.


Foto: George Grantham Bain, Public domain, via Wikimedia Commons

Der liberale Politiker Ivanoe Bonomi - im Juni 1945 auf Betreiben der Linken als Präsident zurückgetreten
Foto: George Grantham Bain, Public domain, via Wikimedia Commons

Im Juni 1945 setzten die Linken den Rücktritt des Liberalen Premiers Ivanoe Bonomi und die Berufung Ferruccio Parris vom PdA durch. Die USA reagierten mit der Auflösung des "Hohen Kommissariats zur Verfolgung der Regimeverbrecher" und einer sogenannten Amnestie der "nationalen Versöhnung". Damit fanden die Säuberungen im öffentlichen Dienst ein Ende. Von etwa 20.000 bis 30.000 von ordentlichen Gerichten durchgeführten oder eingeleiteten Verfahren wurden die meisten eingestellt, über 11.000 bereits ergangene Urteile aufgehoben oder Begnadigungen gewährt. Im August wurde die Konstituierung der Sammlungsbewegung Uomo Qualunque (Jedermann) der Mussolini-Faschisten zugelassen.

Besonders beunruhigte die USA und die innere Reaktion, dass Luigi Longo gegen sie die IKP-Basis mobilisierte, die starke Positionen in den Betrieben von Mailand, in Turin (Sitz der FIAT-Zentrale) und der Hafenstadt Genua hatte. Auf dem Provinzkomitee in Rom forderte Longo im Oktober, gegen "alle faschistischen Überbleibsel" vorzugehen, gegen "die Magnaten der Industrie, der Finanz und des Großgrundbesitzes". Er erklärte: Wir müssen "gegen die Reaktion marschieren, die sich um die Monarchie gesammelt hat." [3]


Foto: Camera dei Deputati, Public domain, via Wikimedia Commons

Luigi Longo
Foto: Camera dei Deputati, Public domain, via Wikimedia Commons

In Washington fädelte man danach den Sturz Parris ein. Anfang November forderte der Präsident der Bank von Amerika, der Italo-Amerikaner Amadeo Giannini, an der Spitze von Industrie- und Finanzkreisen in Rom von den italienischen Partnern für eine "Finanzhilfe" dessen Sturz. Am 21. November folgten die Liberalen und drei Tage später die DC der Weisung aus Washington und provozierten mit dem Rücktritt ihrer Minister eine Regierungskrise. Parri musste zurücktreten. Christdemokraten und Liberale setzten am 6. Dezember die Berufung Alcide de Gasperis von der DC durch. [4] IKP und ISP verblieben in der Regierung mit dem Ziel, den rechten Vormarsch aufhalten und antifaschistische Grundsätze der Resistenza zu verteidigen. [5]


Foto: Senato della Repubblica, Public domain, via Wikimedia Commons

Ferruccio Parri
Foto: Senato della Repubblica, Public domain, via Wikimedia Commons


Personalie

Parri, Ferruccio: 1890-1981. Mitbegründer und Führer der Aktionspartei (PdA), Teilnehmer der Resistenza, Vorsitzender des Nationalen Befreiungskomitees von Oberitalien (CLNAI) und zusammen mit Luigi Longo und Sandro Pertini (ISP) Organisator der Partisanenarmee. Ministerpräsident der antifaschistischen Einheitsregierung von Juni bis November 1945. Er war ein mit Kommunisten und Sozialisten eng verbundener kleinbürgerlicher radikaler Demokrat. 1963 wurde er zum Senator auf Lebenszeit ernannt.


Anmerkungen:

[1] Walter Audisio: In Nome del Popolo italiano, Mailand 1975. In der Situation des Ausnahmezustandes wurde auch Mussolinis Geliebte, Clara Petacci, die sich bei der SS-Einheit befand, erschossen. Gegen sie lag kein Todesurteil vor. Die italienische Justiz wollte später Audisio deswegen vor Gericht stellen. Da er Abgeordneter war und das Parlament seine Immunität nicht aufhob, kam ein Prozess nicht zustande.

[2] Per la Libertà e L'Indipendenza d'Italia, Rom 1945, S. 193.

[3] Longo: Per la Democrazia e la Costituente. Rapporto al Congresso della Federazione provinciale comunista di Roma, Gramsci-Institut Rom.

[4] I Giorni della Storia d'Italia. Cronaca quotidiana da 1815, Novara 1997, S. 516 f.

[5] Wie Togliatti auf dem V. Parteitag (29.12.1945 bis 6. Januar 1946) betonte. Storia del PCI. Attraverso i Congressi. Roma 1977, S. 15 bis 73.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2020

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