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MEMORIAL/251: Italiens Staatspräsident Mattarella würdigt Enrico Mattei und verschweigt Hintergründe zu dessen Ermordung (Gerhard Feldbauer)


Italiens Staatspräsident Mattarella würdigt ENI-Präsident Enrico Mattei
und verschweigt, dass er von der CIA-Truppe Gladio umgebracht wurde

von Gerhard Feldbauer, 28. Oktober 2022


Italiens Staatspräsident Mattarella hat am Donnerstag, dem 60. Jahrestag des Todes des Präsidenten des Energie-Konzerns ENI, Enrico Mattei, dessen Verdienste als Kommandeur einer katholischen Partisanenbrigade beim Sieg über den Faschismus 1945 und beim Aufbau der Wirtschaft gewürdigt. Dabei verschwieg er, dass Mattei ein Gegner der US-Einmischung war und versucht hatte, der durch die Marshallplanlieferungen einsetzenden wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit Italiens von den USA eine Barriere entgegenzusetzen. Im März 1949 hatte er in der Abgeordnetenkammer deshalb auch gegen die Aufnahme in die NATO gestimmt, was ihn bereits ins Visier der CIA rückte, die ihn überwachen ließ. Als Regierungsbeauftragter leitete er das Erdölunternehmen Agip, das er 1953 in die staatliche Energiegesellschaft ENI umwandelte, deren Präsident er wurde.

Um Italien aus der einseitigen Abhängigkeit von der Erdölversorgung durch die USA zu lösen, schloss er Verträge mit der Sowjetunion, die vorsahen, 30 % des Landesbedarfs zu sichern. Weitere Lieferungen deckte er durch Abkommen mit arabischen Staaten ab. Bei all dem war Mattei alles andere als ein verkappter Kommunist, wie man in Washington nicht müde wurde zu propagieren, sondern ein kapitalistischer Reformer, der bei Gleichgesinnten in bürgerlichen Kreisen ein offenes Ohr fand. So brachte eine Anzahl Großindustrieller, darunter FIAT-Chef Agnelli, dem Kurs des ENI-Chefs bezüglich der wirtschaftlichen Unabhängigkeit Interesse entgegen und unterstützte ihn, wenn auch nicht offen. Die Linie der Unabhängigkeit Italiens vom Erdöl der USA berührte aber - von den Profiten, die der Standard Oil damit entgingen, einmal abgesehen - die Versorgung der in Italien dislozierten NATO-Verbände und der im Mittelmeer operierenden 6. US-Flotte, für welche die ENI zuständig war. Wie aus später bekannt gewordenen Akten hervorging, wurde Mattei von der CIA als einer "der gefährlichsten Feinde" der USA und seine Energiepolitik als "eine Bedrohung der amerikanischen wirtschaftlichen und politischen Positionen in Italien und im Nahen Osten" eingeschätzt, verbunden mit der dringenden Empfehlung, "entsprechende Maßnahmen" zu ergreifen.

Dann kam noch hinzu, dass Mattei nach der Wahlniederlage der Democrazia Cristiana (DC) 1953, die von über 48 % 1948 auf 40,1 % absackte, forderte, die Kommunisten (mit 22,6 %) in die Lösung der politischen Krise einzubeziehen. 1955 wandte er sich in einem Gespräch mit der US-Botschafterin Clare Boothe Luce dagegen, den Einfluss der Kommunisten durch repressive Polizeimethoden zurückzudrängen und plädierte dafür, "die Lösung der kommunistischen Frage in Italien über kraftvolle soziale und ökonomische Reformen herbeizuführen". Als er sich dann weigerte, den von ihm aufgebauten und geleiteten staatlichen Energie-Konzerns ENI unter die Herrschaft der in der Standard Oil zusammengeschlossenen US-amerikanischen Erdölgesellschaften, den sogenannten sieben Schwestern, unterzuordnen, griff der Geheimdienst ein.

Im Januar 1962 scheiterte ein erstes Attentat auf den widerspenstigen ENI-Präsidenten. Der nächste Anschlag am 27. Oktober 1962 gelang. Mit seinem Privatflugzeug stürzt Mattei bei Pavia ab. Die New York Times schrieb bereits am nächsten Tag von Umständen, "durch die der Tod eines einzelnen eine Bedeutung für die ganze Welt bekommen kann". Für Washington brachten diese "Umstände" mit einem Schlag die Lösung aller Probleme, die Mattei bereitet hatte. Unter dem nun wachsenden Einfluss der proatlantischen Kreise wurde in Rom postwendend ein ENI-Nachfolger ernannt, der ganz nach dem Geschmack der Standard Oil war: Eugenio Cefis, ein Finanzier der Faschisten. Im März 1963 unterzeichnete Cefis ein langfristiges Abkommen, das die italienische Ölversorgung ganz unter die Kontrolle der Standard Oil stellte.

Offensichtlich, um Enthüllungen über die Drahtzieher des Mordes an Mattei zu verhindern, war 1970 der Journalist der Zeitung L'Ora von Palermo, Mauro De Mauro ermordet worden. Er hatte für den Film "Der Fall Mattei", den der Regisseur Franco Rossi auf Sizilien drehte, recherchiert. Von dort war Mattei zu seinem Flug in den Tod gestartet, und De Mauro war, wie man in der römischen La Repubblica vermutete, auf Beweise gestoßen, dass der ENI-Präsident einem Attentat zum Opfer gefallen war. Während seiner Recherchen verschwand De Mauro und wurde später erdrosselt aufgefunden.

Die Vermutungen bestätigten sich, als 1990 die CIA-Geheimtruppe Gladio aufgedeckt wurde. Demnach habe ein Offizier der Leibwache Matteis, der den Motor des Flugzeuges vor dem Start manipuliert hatte, zu ihren Mitgliedern gehört. Die Ermittlungsakte zum Fall Mattei verschwand kurz nach dem Absturz aus dem Geheimdienstbüro von Pavia. Einer der Drahtzieher des Anschlags soll John McCone, langjähriger Chef der CIA-Station in Rom, der mit einer Million Dollar Aktienbesitzer und Teilhaber an der Standard Oil war, gewesen sein.[*] Als er später Präsident des ITT-Konzerns wurde, den in Chile die Regierung der Unidad Popular enteignete, gehörte er zu jenen, die den Putsch inszenierten, der zur Ermordung Präsident Allendes und zur Errichtung der faschistischen Pinochet-Diktatur führte.


[*] Anmerkung der SB-Redaktion:
Nach heutiger Quellenlage ist die Frage, wer für die Ermordung Matteis verantwortlich ist, nicht mit letztgültiger Sicherheit geklärt.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 1. November 2022

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