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NEUZEIT/134: Brandenburg-Preußen und Sachsen (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 7-9/2007

Die ungleichen Nachbarn
Das Verhältnis von Brandenburg-Preußen und Sachsen im 17. und 18. Jahrhundert

Von Frank Göse, Historisches Institut


Dem einen oder anderen historisch interessierten Zeitgenossen ist vielleicht der in der Mitte der 1980er Jahre produzierte und seitdem schon oft wiederholte Mehrteiler "Sachsens Glanz und Preußens Gloria", der auf der Romantriologie von Jozef Ignacy Kraszewski beruhte, noch in Erinnerung. Die in diesem Titel unterstellte Andersheit verweist griffig auf einige im populären Geschichtsbild durchaus bis heute gültige Beurteilungen der beiden Staatswesen: Hier der sich unter gewaltigen Anspannungen, mit enormen sozialen Kosten gewissermaßen "groß gehungerte", militärisch ausgerichtete Machtstaat Preußen. Dort das seine bedeutenden Ressourcen in eine zwar glänzende Hofkultur und in den Erwerb der polnischen Krone einbringende, letztlich aber dafür mit dem Preis des politischen Abstiegs bezahlende Reichsterritorium Sachsen.


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Wenn man hingegen Geschichte nicht als deterministisch angelegten Prozess begreift, ergeben sich Nachfragen zu diesem auf den ersten Blick durchaus plausibel erscheinenden Bild. Zunächst schien die Ausgangslage zu Beginn der Frühen Neuzeit eindeutig zu sein: Der Rückstand Brandenburgs, das nur über ein gering entwickeltes Städtenetz und eine schwach ausgebaute Verwaltungsstruktur verfügte, war im 16. Jahrhundert gegenüber seinem südlichen Nachbarn mehr als offensichtlich. Kursachsen hingegen konnte auf bedeutende Ressourcen, wie eine weit gefächerte und reiche Gewerbestruktur und den dem Landesherren eine reiche Ausbeute bescherenden Silbererzbergbau zurückgreifen.

Doch der Dreißigjährige Krieg traf beide Territorien recht unvorbereitet und stellte langfristig betrachtet eine entscheidende Zäsur in der brandenburgischen wie sächsischen Geschichte dar. Denn die Maßnahmen, die der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm nach Ende des Krieges eingeleitet hatte, erwiesen sich nicht nur als ambitioniertes Programm zur Krisenbewältigung, sondern sie stellten zugleich auch eine Art "Modernisierungsprogramm" dar, das die Defizite in der Staats- und Gesellschaftsentwicklung überwinden helfen sollte. Vor allem zog der Kurfürst in politischer Hinsicht die Lehren aus der ohnmächtigen Rolle Brandenburgs während des Dreißigjährigen Krieges. Sein nunmehr in Folge von mehreren Erbschaften im Westen (niederrheinische Lande) wie im Osten (Preußen) beträchtlich angewachsenes Staatswesen sollte nicht noch einmal "das theatrum sein, worauf die anderen Mächte ihre Tragödien aufführen". Dies bedeutete zunächst, eine bewaffnete Macht zu schaffen, die künftig eine entsprechende Drohkulisse darstellen konnte, und zugleich galt es im Inneren, die Einflussmöglichkeiten der in der Mark bislang recht starken Stände zurückzudrängen. Währenddessen genügte es Kursachsen, das ja schon lange zuvor zu den bedeutendsten Territorien im Reich gezählt hatte, den Status quo ante wiederherzustellen. Bis in die 1740er Jahre gelang es Brandenburg-Preußen, den Wettkampf zumindest auf machtpolitischer Ebene für sich zu entscheiden, während Kursachsen, unter anderem durch die Überdehnung seiner Ressourcen in Folge der zwischen 1697 und 1763 währenden Personalunion mit Polen, auf der Strecke blieb.

Indes erscheint die Annahme verfehlt, dieser "Aufstieg" Brandenburg-Preußens sei durch seine Nachbarn von Anfang an als ein solcher wahrgenommen worden. Gerade in Dresden benötigte man eine vergleichsweise lange Zeit, ehe in den außenpolitischen Lageanalysen das gewachsene Potential des nördlichen Nachbarn thematisiert wurde. Vorhaltungen vom heutigen Standpunkt aus, man hätte das doch merken müssen, übersehen die damalige gesamtpolitische Lage, die ja aus Dresdener Perspektive eben nicht nur das Zurechtkommen mit dem nördlichen Nachbarn eingeschlossen hatte. Und in vielen Fragen der Reichs- und europäischen Politik des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts verfolgte man ähnliche Ziele.

Zugleich kündet eine Vielzahl von gegenseitigen Rezeptionsprozessen von dem recht ausgeglichenen Verhältnis der beiden Länder. Erfahrungswissen wurde sowohl auf offiziellen wie inoffiziellen Wegen im Verwaltungsbereich oder im Militärwesen ausgetauscht. Die Quellen deuten darauf hin, dass man sich sowohl in Dresden wie in Berlin/Potsdam sehr interessiert etwa an den Veränderungen im Zeremonialwesen oder an Reformvorhaben in der Zentral- als auch der Lokalverwaltung des Nachbarterritoriums zeigte. Viele Offiziere aus der kursächsischen Armee dienten zeitweilig oder dauerhaft im preußischen Heer, und zwei brandenburgisch-preußische Obristen wurden in den 1680er Jahren mit der Aufstellung und Umstrukturierung sächsischer Regimenter beauftragt. Und die Einwanderung in das demographisch stark ausgedünnte Brandenburg erfolgte eben nicht nur durch die Hugenotten, sondern ebenso kamen viele Menschen aus benachbarten Reichsterritorien ins Land, viele auch aus Sachsen. "Sachsens Glanz" und "Preußens Gloria" strahlten eben über die Grenzen aus und zogen die Menschen beider Territorien in ihren Bann.


Dr. Frank Göse ist Privatdozent im Arbeitsgebiet Frühe Neuzeit und derzeit auch Vorsitzender der Brandenburgischen Historischen Kommission e. V.


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 7-9/2007, Seite 20-21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2007