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NEUZEIT/144: Vietnam - Vor 40 Jahren begann die Tet-Offensive (Gerhard Feldbauer)


Sieg im Zeichen des Affen

Mit dem Tetfest begann vor 40 Jahren die vietnamesische Großoffensive gegen die US-Aggressoren

Von Gerhard Feldbauer, Februar 2008


Mit dem traditionellen Tetfest am 30. Januar begann 1968 das 4.605. Mondjahr, das nach der Folge des Tierkreises im Zeichen des Affen stand, Sinnbild für eine Wendung zum Guten. - Nordvietnam wurde seit dem 5. August 1964 erbarmungslos von der US-Luftwaffe bombardiert, um seine Unterstützung für den seit über zehn Jahren gegen die Okkupation des Südens geführten Befreiungskampf zu brechen. Das Scheitern der Pläne Washingtons wurde am Ende dieses vietnamesischen Mondjahrfestes besonders offensichtlich.

Denn in der Nacht zum 1. Februar eröffnete die Befreiungsarmee ihre vom Ben-Hai-Fluß an der Demarkationslinie zu Nordvietnam bis zum Süden hinter Saigon reichende, bis dahin größte Offensive. Unter den Angriffszielen befanden sich 43 Kreis- und Provinzhauptstädte, Hunderte kleinere von amerikanischen oder südvietnamesischen Truppen besetzte Ortschaften sowie 20 US-Stützpunkte und Luftwaffenbasen, darunter die größten wie Bien Hoa, Da Nang, und Pleiku.

Die USA hatten zu dieser Zeit 53.7000 Mann Bodentruppen in Südvietnam stehen. Die Saigoner Marionettenarmee zählte rund 700.000 Soldaten. Hinzu kamen drei Infanteriedivisionen mit insgesamt 50.000 Mann aus Südkorea und zirka 20.000 Soldaten aus Staaten der Southeast Asia Treaty Organization (SEATO), einer Art asiatischer NATO, ebenfalls unter US-Führung.

Westliche Presseberichterstatter räumten ein, daß Kampfhandlungen dieses Ausmaßes nur mit Unterstützung der Bevölkerung möglich waren und es in vielen Städten zu regelrechten Erhebungen kam, darunter in Hue und Saigon. In Hue fanden über vier Wochen lang erbitterte Straßenkämpfe statt, wehte die Fahne der FNL, der Nationalen Befreiungsfront, auf der Zitadelle der alten Kaiserstadt, ehe es der 1. amerikanischen Luftlandedivision und Marines gelang, die Stadt wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Befreiungskämpfer zogen sich schließlich zurück, um weitere Verluste zu vermeiden. Denn dort, wo sie sich festgesetzt hatten, bombardierte die US-Air Force ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung die Stadt. Auf den angegriffenen Luftwaffenstützpunkten zerstörte die FNL über 100 Flugzeuge und machte die meisten Startbahnen unbrauchbar.

In Saigon griffen die FNL-Truppen das Hauptquartier von US-General William Westmoreland, den Generalstab der Marionettenarmee, den Präsidentenpalast und die Polizeizentrale an. Ein Stoßtrupp von 19 Kämpfern drang in den schwerbewachten Sitz des US-Statthalters, das "Weiße Haus von Saigon", wie die amerikanische Botschaft genannt wurde, ein und schlug sechs Stunden die Angriffe Hunderter Marines und Special Forces zurück. Den meisten Kämpfern gelang es, unterstützt von Einheiten vor der Botschaft, sich zurückzuziehen. Bei einem Angriff auf den Saigoner Flugplatz Tan Son Nhut wurden 20 Flugzeuge zerstört. Die Straßenkämpfe in Saigon dauerten noch monatelang an. In den Städten, aus denen sich die FNL nach den Kämpfen zurückzog, blieben gefestigte oder neue Stützpunkte des Widerstandes zurück. War der Kampf bis dahin vor allem auf dem Land geführt worden, so trug ihn die Tet-Offensive in die Städte, aus denen er nicht mehr verdrängt werden konnte.

Eine Schlacht ohnegleichen fand um den schwer befestigten US-Stützpunkt Khe Sanh statt. Er lag auf der Hochebene im nördlichen Teil Südvietnams an der Straße neun etwa 50 Kilometer südlich des Ben Hai und 30 Kilometer von der laotischen Grenze entfernt. Seine Besatzung zählte 6.000 amerikanische Soldaten und Offiziere, von denen ein großer Teil während einer 170 Tage dauernden Belagerung getötet wurde. Nachdem Khe Sanh nur noch aus der Luft versorgt werden konnte, evakuierte das US-Oberkommando seine restliche Besatzung.

Die Planung der Tet-Offensive schloß von Anfang an ein, daß die eingenommenen Städte, Stützpunkte und Stellungen des Gegners nach einer gewissen Zeit wieder aufgegeben werden mußten. Das als Niederlage der FNL zu bezeichnen, wie es die US-Militärs damals taten, ging an der Realität vorbei. Es handelte sich im Gegenteil um die schwerste militärische Niederlage, welche die Amerikaner bis dahin erlitten. Davon zeugte auch, daß die Befreiungsarmee im Verlauf der Offensive Saigoner Truppen in einer Stärke von rund 200.000 Mann getötet oder außer Gefecht setzte, 1.300 Panzer und Schützenpanzerwagen sowie 90 Kriegsschiffe und Kampfboote auf Flüssen zerstörte oder schwer beschädigte. In 14 Stützpunkten kapitulierten die südvietnamesischen Besatzungen. Tausende Soldaten liefen zu den Befreiungskämpfern über, ebenso viele desertierten. Bei den Amerikanern verlor die 173. Luftlandebrigade zwei Drittel ihrer Soldaten. Eine Luftkavallerie- und zwei Infanteriedivisionen erlitten schwere Verluste.

Die erfolgreiche Tet-Offensive stellte für das Pentagon auch eine öffentliche Blamage dar. Es hatte immer wieder verkündet, die FNL sei militärisch erledigt. Heeresgeneralstabschef Harold Johnson hatte gegenüber der Nachrichtenagentur United Press International am 22. August 1967 von "Fortschritten bei der Ausschaltung des Vietcong" (einem Schimpfwort für die Befreiungsarmee) gesprochen. Auch die Niederlage während der Tet-Offensive hielt das US-Oberkommando in Saigon nicht davon ab, nachdem die Kämpfe im Mai - von Khe Sanh abgesehen - zum Erliegen gekommen waren, erneut Zweckoptimismus zu verbreiten und "einen vollkommenen Sieg" zu verkünden. Die Lage sei wieder "völlig unter Kontrolle", dem "Vietcong" eine "schwere Niederlage" beigebracht worden.

Davon blieb nichts, aber auch gar nichts übrig, als die FNL im Mai/Juni zu einer zweiten Offensive antrat. Sie griff gleichzeitig erneut über 120 Stützpunkte des Gegners an. Einen Schwerpunkt bildete das Mekong-Delta, wo in 16 Provinzen gekämpft wurde. Auch in Saigon kam es wieder zu schweren Gefechten. Westlich von Hue erlitten die Amerikaner und ihre Saigoner Söldner im A-Shau-Tal große Verluste. Insgesamt wurden 30.000 Mann außer Gefecht gesetzt, etwa 1.000 Flugzeuge abgeschossen oder am Boden zerstört, der Gegner verlor 2.200 Militärfahrzeuge, über 100 Treibstofflager oder Munitionsdepots wurden gesprengt.

Diese zweite Offensive verdeutlichte ein weiteres Mal, daß die Amerikaner die strategische Initiative verloren hatten. Zwar fanden um viele befreite Dörfer in der Ebene weiterhin Kämpfe statt, aber die FNL bestimmte von nun an die Orte größerer militärischer Auseinandersetzungen. Gleichzeitig kombinierte sie die militärische Auseinandersetzung mit ihrem politischen Auftreten und ihren diplomatischen Aktivitäten auf internationaler Ebene. Ausdruck ihres herausragenden politischen Erfolgs war, daß sie von den USA in Paris ab November 1968 als gleichberechtigter Partner zu den Friedensverhandlungen zwischen Demokratischer Republik Vietnam und USA/Saigoner Regierung akzeptiert werden mußte.

Es dauerte noch über sieben Jahre, bis die USA endgültig aus Südvietnam vertrieben werden konnten. Die USA scheiterten am Widerstandswillen des Volkes, an seinem unbändigen Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang. Angesichts der neuen Aggressionskriege, welche die USA in Irak und Afghanistan vom Zaune gebrochen haben, ist das Lehre und Warnung zugleich.


Waffenstarrende US-Festung Da Nang

Einer der Stützpunkte, den die Befreiungsarmee während der "Affenoffensive" angriff, war Da Nang. Der Spiegel beschrieb ihn in seiner Nr. 28/1965 wie folgt: "Auf der Seeseite schützen ständig in der Da-Nang-Bucht kreuzende Einheiten der 7. US-Flotte die Betonrollbahnen, Hangars und Unterkünfte, in denen 9.000 US-Soldaten über 100 Kampfflugzeuge warten und bewachen. Ein 'Hawk'-Raketen-Bataillon schirmt den Stützpunkt gegen Luftangriffe ab. Durch die mit dichtem Dschungel bewachsenen Hügel, die Da Nang im Westen und Osten umsäumen, wurde eine 16 Kilometer tief gestaffelte Verteidigungslinie gezogen. Zwei Stacheldrahtwälle mit Bunkern, Gräben und Minensperren schützen die Rollbahnen und ihr Vorfeld. Das Gelände davor ist mit festen Posten, Spezialradargeräten, die jede Bewegung im Busch registrieren, sowie mit Granatwerfer- und MG-Stellungen gespickt. Ledernackenpatrouillen schwärmen täglich bis zu 40 Kilometer aus, um jede Vietcong-Ansammlung rechtzeitig aufzuspüren." Der General der US-Marines Lewis Walt erklärte Journalisten nach der Fertigstellung der Anlage, Da Nang sei "eine uneinnehmbare Festung", der Verteidigungsring "von den Vietcong nicht zu durchbrechen". Die Befreiungskämpfer hatten den General schon im Juli 1965 eines Besseren belehrt. Im Morgengrauen durchbrach ein Kommando unter dem Feuerschutz von Granatwerfern den so gepriesenen Verteidigungsring, arbeitete sich durch die Stacheldrahtverhaue bis an die Rollbahnen heran, zerstörte mit Handgranaten drei Kampfflugzeuge und beschädigte drei weitere schwer.


Hinweis der Redaktion Schattenblick:
Vom Autor, der dieses Ereignis zusammen mit seiner Frau und Kollegin während ihrer Arbeit in Nordvietnam erlebt hat, ist 2005 im Pahl-Rugenstein Verlag das Buch "Sieg in Saigon - Erinnerungen an Vietnam" erschienen, das im Schattenblick rezensiert wurde:

BUCH -> SACHBUCH
REZENSION/343: Irene und Gerhard Feldbauer - Sieg in Saigon (Politik) (SB)


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Quelle:
Gerhard Feldbauer, Februar 2008
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in "junge Welt" vom 2. Februar 2008


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2008