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NEUZEIT/158: Italien - Anschlag auf Palmiro Togliatti am 14. Juli 1948 (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 12. Juli 2008

Mord und Massenmord

Mit dem Anschlag auf Palmiro Togliatti sollte die italienische KP
zum bewaffneten Aufstand provoziert werden - um sie zu vernichten

Von Gerhard Feldbauer


Es war 11.35 Uhr, als Palmiro Togliatti am 14. Juli 1948 während einer Sitzungspause der Abgeordnetenkammer, den Palazzo Montecitorio durch einen Seitenausgang verließ, um mit seiner Lebensgefährtin Nilde Jotti in der gegenüberliegenden Bar »Da Giolitti« in der Via Uffici del Vicario einen Kaffee zu nehmen. Nur wenige Meter vor ihm zog ein Faschist namens Antonio Pallante einen Revolver und feuerte vier Schüsse auf ihn ab. Während der KP-Generalsekretär, von drei Kugeln im Nacken und in der Brust getroffen, ohne einen Laut von sich zu geben auf die Knie sank, traf ihn der vierte Schuß in die Herzgegend. Der Täter ergab sich widerstandslos den Sicherheitsbeamten.


Kalter Krieg beginnt

Der Mordanschlag fand in einer Periode erbitterter Klassenauseinandersetzungen auf nationaler und internationaler Ebene statt. Mit der Verkündung der Truman-Doktrin und des Marshallplans hatte der Kalte Krieg begonnen. Die Gründung der NATO, für die Italien als Südflanke strategische Bedeutung erhielt, stand bevor. Aktiv unterstützt von den USA, die ihre Besatzungstruppen in dem Mittelmeerland belassen hatten, betrieben die reaktionären und Rechtskräfte Italiens die Restauration der Herrschaft des Großkapitals, dem entscheidenden Träger der 20jährigen faschistischen Diktatur. Die Publizisten Roberto Faenza und Marco Fini beschreiben in ihrem Buch »Die Amerikaner in Italien« (it., 1976) die von Washington betriebene Arbeitsteilung: »Während das State Department und die amerikanischen Gewerkschaften den 'demokratischen' Parteien von den Christdemokraten bis zu den Sozialdemokraten halfen (also sie finanzierten), wurden die Militär- und Geheimdienste beauftragt, die Rechten zu unterstützen (also sie zu bewaffnen und zu besolden)«. Unter den Rechten waren vor allem die Mussolini-Faschisten zu verstehen, die sich bereits im Sommer 1945 als Uòmo Qualunque (Vorläufer des im Dezember 1946 gegründeten Movimento Sociale Italiano) wieder als Partei organisieren konnten und danach zu den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung zugelassen wurden, in der sie dann mit den Monarchisten die viertstärkste Fraktion bildeten. Bezeichnend war, daß die USA während der Pariser Friedensverhandlungen, die zum Abschluß der Verträge vom 10. Februar 1947 führten, für Italien die von der UdSSR geforderte Klausel ablehnten, niemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen.

In der Sozialistischen Partei setzte die CIA die Abspaltung der rechten Strömung unter Giuseppe Saragat und ihre Organisation als Sozialdemokratie in Gang. Das ermöglichte Ministerpräsident Alcide De Gasperi Sozialisten und Kommunisten im Mai 1947 aus seinem Kabinett auszuschließen, so die aus der Resistenza hervorgegangene antifaschistische Einheitsregierung zu stürzen und mit Saragats Partei eine neue Exekutive zu bilden (junge Welt v. 12.4.2008).

Danach fanden in einer antikommunistischen Kreuzzugsatmosphäre im April 1948 die ersten Parlamentswahlen statt. Die Democrazia Cristiana, nunmehr führende Partei der Großbourgeoisie, die 1946 in der Verfassungsgebenden Versammlung auf 35,2 Prozent gekommen war, erzielte mit 48,5 Prozent einen triumphalen Wahlsieg. Es war jedoch nicht gelungen, Kommunisten und Sozialisten eine Niederlage beizubringen. Die beiden Arbeiterparteien, die durch ein im antifaschistischen Widerstand 1934 geschlossenes Aktionseinheitsabkommen, das auf die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft orientierte, verbunden waren, traten gemeinsam auf einer Volksfrontliste an und erreichten 31 Prozent der Wählerstimmen. Sie blieben entschiedene Gegner der kapitalistischen Restauration und eines italienischen NATO-Beitritts.


Generalstreik

Führende Kraft dieses Widerstandes war die über zwei Millionen Mitglieder zählende IKP. Um sie auszuschalten und einen Keil in die Aktionseinheit zu treiben, inszenierte man in Washington den Mordanschlag auf Togliatti. Er sollte die IKP und ihre Anhänger zum bewaffneten Aufstand provozieren, um sie per Blutbad liquidieren zu können. Fast schien die Rechnung aufzugehen. Zwar gab es keinen Aufstandsplan, von dem in die bürgerliche Presse lancierte Berichte schrieben, die außerdem eine »Invasion von Titos Volksarmee« erfanden, wohl aber die Bereitschaft Hunderttausender, auf die Provokation mit bewaffnetem Widerstand zu antworten. Während vor der Klinik, in welcher der lebensgefährlich verletzte KP-Chef operiert wurde, 200000 Menschen schweigend vorbeizogen und im alten Stadtteil Trastevere Frauen vor Heiligbildern für Togliattis Genesung beteten, formierte sich in der Innenstadt eine riesige Menschenmenge zu einer Kundgebung, auf der das Mitglied der IKP-Leitung Eduardo D'Onofori sprach. Als der Rundfunk die Nachricht verbreitete, Togliatti liege im Sterben, riefen Sprechchöre dem Redner zu: »Gib uns das Startzeichen!« Gleichzeitig begann, ohne daß es dazu seitens der Partei einen Aufruf gab, ein Generalstreik, wie ihn das Land bis dahin nicht gesehen hatte.

Nicht nur Mitglieder und Sympathisanten der IKP, sondern auch Sozialisten und viele andere Kräfte der Resistenza, darunter die linke Basis der Christdemokraten, drängten zum Aufstand. Angehörige der auf Druck der USA 1946 aufgelösten Partisanenarmee, die bei Kriegsende über 250000 reguläre Kämpfer gezählt hatte, holten ihre Waffen aus Verstecken und traten den gegen die Streikenden und Demonstranten vorgehenden Armee- und Polizeieinheiten entgegen. In Genua stoppten sie Panzerwagen und nahmen ihre Besatzungen gefangen. In Hunderten Städten und Gemeinden übernahmen Streikleitungen die Macht. Bei FIAT in Turin besetzten die Arbeiter die Fabrik und nahmen den Direktor Vittorio Valletta, unter der Mussolini-Diktatur ein verhaßter Wirtschaftsführer, sowie über ein Dutzend Mitglieder der Konzernleitung fest. Bei den bewaffneten Zusammenstößen gab es 20 Tote und über 600 Verletzte. Die IKP-Leitung rief am zweiten Tag dazu auf, den Generalstreik zu beenden. Es gelang der Parteiführung, ihre Basis vom Aufstand abzuhalten, vor dem der schwerverletzte Togliatti, bevor er operiert wurde, eindringlich gewarnt hatte.

Eine bewaffnete Erhebung hätte in einen blutigen Bürgerkrieg übergehen und mit einem Eingreifen der US-Truppen zu einer reaktionären Wende führen können. Eine physische Abrechnung mit der IKP wäre die Folge gewesen. Die faschistische Entwicklung hätte einen unausweichlich stärkeren Auftrieb erhalten. Die Entwicklung in Griechenland vermittelte aufschlußreiche Lehren. Dort hatten Großbritannien und die USA zur Niederschlagung der antifaschistischen Befreiungsbewegung und der Partisanen der ELAS einen bis 1949 dauernden Bürgerkrieg angezettelt, der zu einer reaktionären Wende führte.

Von Ausnahmen abgesehen, konnte die IKP-Führung ihrer Basis die umstrittene Entscheidung verständlich machen: Als der genesene Togliatti sie auf dem Pressefest der L'Unità am 27. September 1948 erläuterte, stimmten ihm die mehr als 500000 Teilnehmer zu.


Quellentext

Dem Attentat folgte eine Welle massiver Repression

Ministerpräsident Alcide De Gasperi kündigte unmittelbar nach Beginn des Generalstreiks den »Einsatz sämtlicher staatlicher Machtmittel« an. Polizei und Armee gingen rücksichtslos vor. 92169 Personen wurden verhaftet, darunter 73780 Kommunisten, in erster Linie Arbeiter. Von den über 70000 davon später vor Gericht Gestellten waren ebenfalls die meisten Kommunisten. 19306 der Angeklagten, darunter 15429 Kommunisten wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Bei FIAT und in weiteren Unternehmen versuchten die Konzernleitungen, an den Protestaktionen beteiligte Arbeiter zu entlassen, was jedoch nach der Ankündigung neuer Streiks eingestellt wurde.

Wenn es auch nicht gelang, eine reaktionäre Wende herbeizuführen, setzte nach dem Mordanschlag eine massive Repression ein. Opfer waren weiter vor allem Mitglieder der IKP und ihre Anhänger. Bis Mitte 1950 gab es bei Auseinandersetzungen mit Großagrariern, Faschisten und Zusammenstößen mit der Polizei 62 Tote, darunter 48 Kommunisten. 3126 Personen, wurden verletzt, davon 2 367 Kommunisten. Palmiro Togliatti charakterisierte das als einen »Übergang von dem auf einer demokratischen Verfassung begründeten Regime zu einem Regime der Willkür und der Repressalien gegen die Staatsbürger«.

Aus: Massimo Caprara: L'Attentato a Togliatti, Venezia 1978;
Palmiro Togliatti, Die IKP. Kurzer geschichtlicher Abriß, Berlin (DDR) 1952


Von unserem Autor erschien im Juli 2008 "Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute".
Papyrossa Verlag, Köln. Etwa 360 Seiten, brosch., Euro 19,90, ISBN 978-3-89438-386-2


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Quelle:
junge Welt vom 12.07.2008
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2008