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NEUZEIT/188: Italien 1848 - Niederlage am Gianicolo (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 27. Juni 2009

Niederlage am Gianicolo
Die Römische Republik geht im Juli 1849 nach nur fünf Monaten unter

Von Gerhard Feldbauer


Nach Niederlagen im Frühjahr und Sommer 1848 erhielt die Revolution in Italien an der Jahreswende mit dem Sturz der seit 754/756 andauernden Papstherrschaft und der Ausrufung der Römischen Republik am 9. Februar noch einmal eine Chance. Seitdem wurde unter den Mauern von Rom erbittert gekämpft. Unter dem Kommando von Giuseppe Garibaldi schlugen die Truppen der Republik in beispielloser Tapferkeit die überlegen angreifende französische Interventionsarmee des Papstes zurück. In der Nacht zum 3. Juni fiel die Vorentscheidung: Der französische Befehlshaber General Charles Oudinot brach den vom Triumvirat der Republik leichtfertig geschlossenen Waffenstillstand und eroberte in einem überraschenden Angriff den die Stadt beherrschenden Gianicolo-Hügel.

Die Kämpfe bildeten den Höhepunkt und Abschluß der bürgerlichen italienischen Revolution 1848/49, die ihrerseits ein herausragendes Zeichen der revolutionären Erhebungen dieser Zeit in Europa war. Im Januar 1848 hatte die Revolution ganz Italien erfaßt, das - Piemont, einige Stadtstaaten und Fürstentümer ausgenommen - die Habsburger, die Bourbonen und der Papst beherrschten. Die kleinbürgerlichen revolutionären Demokraten unter Giuseppe Mazzini und Giuseppe Garibaldi kämpften um die nationale Unabhängigkeit, den einheitlichen bürgerlichen Nationalstaat in Gestalt der Republik und um die politische Macht. Es ging darum, den bis dahin entwickelten Produktivkräften ihre kapitalistische Entfaltung zu verschaffen. Die liberale Bourgeoisie verfolgte im wesentlichen dieselben Ziele, wich jedoch der Forderung nach der Republik aus und suchte einen Kompromiß mit der Monarchie Piemonts und der Habsburger Fremdherrschaft.


Republik ausgerufen

Den Auftakt gab in Rom am 15. November 1848 ein Attentat auf den Innenminister des Papstes, Pellegrini Rossi, der im Stile eines Tyrannenmordes umgebracht wurde. »Ein junger Römer hat zum Dolch des Marcus Brutus gegriffen«, sagte Garibaldi. Die Römer forderten eine provisorische Regierung und die Einberufung einer Nationalversammlung. Als Papst Pius IX. (1846-1878) ablehnte, verjagten die Volksmassen seine Truppen. In der Nacht zum 24. November floh das geistliche Oberhaupt mit seinen Kardinälen unter die Fittiche des Bourbonensprößlings Ferdinand II., König von Sizilien und Neapel, in die Festung Gaeta. Am 12. Dezember traf der Revolutionsgeneral Garibaldi mit seinem Freikorps in Rom ein und übernahm das Kommando über 20000 Mann der Revolutionstruppen.

In der am 21. Januar 1849 gewählten verfassungsgebenden Versammlung hatte neben den revolutionären Demokraten die Handels- und Industriebourgeoisie starken Einfluß. Die Versammlung hob die weltliche Herrschaft des Papstes auf, nationalisierte den Kirchenbesitz und übergab ihn gegen rückzahlbare Staatsanleihen an landlose und landarme Bauern in Erbpacht, beseitigte die kirchliche Gerichtsbarkeit, erklärte die Unabhängigkeit der Schule von der Kurie und dekretierte die progressive Besteuerung. Am 9. Februar 1849 rief Mazzini die Republik im Kirchenstaat aus und bildete zusammen mit Carlo Armellini und dem Freimaurer Aurelio Saffi ein Führungstriumvirat. Dieses verstärkte die Nationalgarde durch revolutionäre Demokraten und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiter und des kleinen und mittleren Bürgertums.


Triumvirat unentschlossen

Gegen Rom ging die Reaktion von allen Seiten vor. Frankreichs Premier, Louis Cavaignac, der den Juni-Aufstand 1848 in Paris blutig niedergeschlagen hatte, schickte Kriegsschiffe mit Soldaten nach Citavecchia bei Rom. Spanien setzte Truppen an der Küste vor Rom ab. Die Österreicher fielen in die Romagna ein, die Neapolitaner griffen vom Süden aus an. Das Triumvirat erklärte den Ausnahmezustand. Garibaldi wollte die Volksmassen mobilisieren, sich vor Rom dem Feind stellen und die Franzosen bei Citavecchia angreifen. Ein Kontingent sollte in die Romagna marschieren, dort zum Aufstand aufrufen und den Gegner im Rücken angreifen. Unter dem Druck der Liberalen beschränkte sich Mazzini jedoch auf die Verteidigung. So konnte Oudinot am 28. April angreifen. Garibaldi warf ihn jedoch in seine Ausgangsstellungen zurück. Als er den fliehenden Franzosen nachsetzen wollte, wurde er zurückgehalten. Das Triumvirat setzte auf einen Kompromiß und schloß einen Waffenstillstand.

Paris nutzte ihn zur Verstärkung seiner Truppen auf 60000 Mann. Garibaldi gelang es am 3. Juni nicht, den strategisch entscheidenden Gianicolo zurückzuerobern, da er keine Verstärkungen erhielt. Im Triumvirat wollte man den französischen General zum Rückzug bewegen. Es gelang Garibaldi, die Franzosen vor den Stadtmauern zum Stehen zu bringen.

Oudinot schloß Rom völlig ein. Am 13. Juni forderte er die Kapitulation. Noch lehnte die Nationalversammlung ab. Sie erhoffte einen Sieg der Demokraten in Paris, die aber am selben Tag geschlagen wurden. Bis zum 30. Juni verteidigte Garibaldi die Republik. Am 1. Juli rückten die Franzosen nach schwerem Artilleriebeschuß vor. Erbitterte Gefechte tobten um die Villa Spada, das Hauptquartier Garibaldis. Am 2. Juli beschloß die Nationalversammlung. die Verteidigung einzustellen. Einen Tag später besetzte Oudinot die Stadt und verhängte das Kriegsrecht. Mazzini und die führenden Republikaner wurden aus Rom ausgewiesen. Garibaldi durchbrach den Belagerungsring und erreichte nach schweren Kämpfen Ende Juli die Bergrepublik San Marino, wo er Zuflucht fand.

Die nationalen Befreiungskämpfe gingen nach der Niederlage weiter. Obwohl die Führung nunmehr an die liberale Bourgeoisie überging, nahmen die kleinbürgerlichen Demokraten, besonders ihr radikaler Flügel unter Garibaldi, darauf weiter großen Einfluß und trieben den Prozeß immer wieder voran, so durch Garibaldis Landung auf Sizilien und die anschließende Befreiung ganz Süditaliens. 1861 bzw. 1870 wurde die Fremdherrschaft der Habsburger, der Bourbonen und des Papstes beseitigt und der nationale Einheitsstaat als konstitutionelle Monarchie hergestellt. Die Bourgeoisie übernahm die politische Macht. So gesehen waren die Niederlagen 1848/49 temporär, und die bürgerliche Revolution errang einen Dreiviertelsieg.


Ein Leben für den Befreiungskampf: Giuseppe Garibaldi (1807-1882)

Nach dem Scheitern einer Erhebung 1834 in Genua, an der er als Offizier der königlich-piemontesischen Kriegsmarine teilnahm, gelang es Giuseppe Garibaldi, nach Marseille zu fliehen. Zum Tode verurteilt, emigrierte er 1835 nach Südamerika, wo er an der Spitze von Freischärlern für die Unabhängigkeit der Republik Rio do Sul, später Santa Caterina und Uruguay kämpfte.

Nach Ausbruch der Revolution kehrte er nach Italien zurück, wurde zusammen mit Giuseppe Mazzini Führer der revolutionären Demokraten und General der Befreiungskriege. Er prägte entscheidend die revolutionären Erhebungen, wurde der unumstrittene Volks- und Nationalheld dieser Epoche, eine herausragende Persönlichkeit, wie sie kaum eine andere Revolution des 19. Jahrhunderts hervorbrachte. Zeitgenossen schilderten ihn als eine faszinierende Gestalt, mit den Zügen eines Messias, von unbeugsamem Stolz und voller Leidenschaft für die revolutionäre Sache, als einen Mann, der durch Beispiel und Überzeugung begeistern konnte, der verehrt wurde von Männern und angebetet von Frauen, die Locken seines Haares wie Reliquien aufbewahrten. »Man kann nicht Marxist sein, ohne höchste Achtung vor den großen bürgerlichen Revolutionären zu empfinden«, schrieb Lenin über Garibaldi (LW 21, S. 215).

Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 kämpfte Garibaldi nach Sedan auf seiten der Französischen Republik und befehligte ein internationales Korps an der Cote d'Or. Der preußische General Edwin von Manteuffel bescheinigte ihm »ein bemerkenswertes Operationstempo« sowie »wohlerwogene Dispositionen im Feuerhagel« und »bei Angriffen entfaltete Energie und Intensität«. Als einziger Befehlshaber auf der französischen Seite errang Garibaldi einen Sieg, als er bei Dijon die Preußen zurückschlug.

Es war der Abschluß der militärischen Karriere dieses talentierten Heerführers aus dem Volk, dem auch die Pariser Kommune das Kommando über ihre Truppen anbot. Garibaldi lehnte zwar ab, bekundete aber der Kommune offen seine Sympathie. 1864 begrüßte er die Marxsche Inauguraladresse als »Sonne der Zukunft«, 1867 nahm er in Genf am internationalen Friedenskongreß teil und wurde ins Präsidium gewählt. Er unterstützte auch die Bemühungen der I. Internationale um Abrüstung.


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Quelle:
junge Welt vom 27.06.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2009