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NEUZEIT/191: Korea - Im Kalten Krieg (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 8. September 2009

Im kalten Krieg
Vor 64 Jahren landeten US-Truppen an der Westküste Koreas an.
Tiefgreifende Konflikte durch Spaltung des Landes

Von Rainer Werning


Am heutigen 8. September jährt sich zum 64. Mal der Tag, an dem 1945 US-amerikanische Truppenverbände in Incheon an der koreanischen Westküste anlandeten. In der Folgezeit wurde dem Land die bis heute andauernde Spaltung mit einer Vielzahl daraus resultierender Konflikte und anhaltendem kalten Krieg aufgezwungen. Auch die zurückliegenden Wochen waren politisch höchst turbulent und belasteten das gesellschaftliche Leben auf der koreanischen Halbinsel schwer. Beide Staaten - die Republik Korea südlich und die Demokratische Volksrepublik Korea nördlich des 38. Breitengrads - setzten sich wie so oft in der Geschichte einem Wechselbad aus wüsten Drohgebärden und wohldosierten Freundschaftsgesten aus.

Augenhöhe

Seit Februar 2008 amtiert mit Lee Myung-Bak in Seoul ein Hardliner, der seinem Spitznamen »Bulldozer« vollauf gerecht wird und eine scharfe Gangart gegenüber dem nordkoreanischen Regime des »Geliebten Führers« Kim Jong-Il einschlägt. Im Gegenzug setzt dieses alles daran, den Herrschenden in Seoul Paroli zu bieten und einen von den USA seit Jahren propagierten Regimewechsel unter allen Umständen zu vermeiden. Dies schließt gemäß starrer Staatslogik auch und gerade den Besitz von Mittel- und Langstreckenraketen sowie den Aufbau eines eigenen Nuklearprogramms ein. Noch am vergangenen Freitag (4. September) meldete die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA, das Land intensiviere sein Programm zur Urananreicherung. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Washingtons neuer Sondergesandter für Nordkorea und früherer Botschafter in Seoul (bis 2000), der knapp 70jährige Karrierediplomat Stephen W. Bosworth, zu einer Reise in die Volksrepublik China, Südkorea und Japan aufbrach, um dort das weitere Vorgehen im Umgang mit Pjöngjang abzustimmen und zur Deeskalation der Spannungen in Nordostasien beizutragen.

Die nordkoreanische Führung hatte mit dem Amtsantritt von Barack Obama die Hoffnung verknüpft, wenn schon nicht international als Freund geachtet, dann wenigstens von Washington als geächteter Feind auf gleicher Augenhöhe behandelt zu werden. Statt dessen setzte die neue US-Außenministerin Hillary Clinton im Umgang mit Pjöngjang weiterhin auf Konfrontation. Doch mit der Ernennung von Bosworth zum neuen Nordkorea-Sonderemissär übernahm ein Mann diese delikate Aufgabe, der gegenüber US-amerikanischen Medien wiederholt die Ansicht vertrat, im Falle Nordkoreas empfehle sich »kollektives Durchatmen, um danach in Ruhe vorzugehen«. Schließlich war es Expräsident William Clinton, der Anfang August zu einem Überraschungsbesuch nach Pjöngjang reiste und dort mit Kim Jong-Il zusammentraf.

Clintons Besuch bedeutete aus Sicht Pjöngjangs die langersehnte Aufwertung und unterstrich sein Kalkül, durch direkte bilaterale Verhandlungen mit den USA Probleme schneller und unkomplizierter zu lösen als langwierige Verhandlungen im Rahmen von Sechsergesprächen im Gastgeberland China zu führen, an denen außerdem Südkorea, Japan und Rußland teilnahmen. Unmittelbares Ergebnis der Stippvisite: Kim Jong-Il höchstpersönlich begnadigte die beiden US-amerikanischen Journalistinnen Laura Ling und Euna Lee, die sodann gemeinsam mit Clinton in die USA zurückflogen. Ling und Lee waren seit Mitte März in Nordkorea inhaftiert, wo das oberste Gericht sie im Juni zu jeweils zwölf Jahren Arbeitslager wegen »schwerer Verbrechen gegen die koreanische Nation« und »illegalen Grenzübertritts« verurteilt hatte.

Auffällig auch die wechselseitige Flip-Flop-Diplomatie Seouls und Pjöngjangs. Südkorea ließ sich erneut auf großangelegte gemeinsame Militärmanöver mit US-Truppen ein und seine Regierung bewilligte Anfang Juli für den Zeitraum von 2010 bis 2014 ein gigantisches Aufrüstungsprogramm in Höhe von 178 Billionen Won (knapp 100 Milliarden Euro), um sich »gegen eine nukleare Bedrohung« aus Nordkorea zu wappnen. Ende August zündete Südkorea seine Rakete »Naro-1«, um künftig Satelliten in eine Erdumlaufbahn von bis zu 300 Kilometern zu befördern, während Wissenschaftsminister Ahn Byong-Man gleichzeitig ankündigte, bis 2025 eine Sonde zum Mond zu schicken.

Spionagevorwurf

Selbst den gemeinsam mit Pjöngjang im Süden der Volksrepublik errichteten Gaeseong-Industriekomplex (GIC) stellte Südkoreas Präsident Lee kurzerhand in Frage, als nordkoreanische Behörden einen Techniker des mächtigen südkoreanischen Hyundai-Konzerns wegen des Vorwurfs der Spionage festnahmen. Hyundai war unter anderem maßgeblich am Aufbau des GIC beteiligt. Pjöngjang fuhr stets umgehend Retourkutschen. Es drohte dem Süden mit »furchtbarer Vergeltung«, sollte dieser an seiner »feindseligen Politik« gegenüber dem Norden festhalten. Zeitweilig verhängte Pjöngjang eine Blockade des GIC, um sodann eine Erhöhung der jährlichen Pachtgebühren und Steuern von bislang umgerechnet 16 auf 500 Millionen Dollar zu verlangen. Was den »Geliebten Führer« Kim Jong-Il nicht daran hinderte, am 16. August die Hyundai-Chefin Hyun Jeong-Eun zu einem freundschaftlichen Gespräch zu empfangen. Drei Tage zuvor war der seit Ende März inhaftierte Hyundai-Mitarbeiter freigelassen worden.


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junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 9. September 2009

Im kalten Krieg
Zur Geschichte des Korea-Konfliktes

Von Rainer Werning


Versöhnliche Töne erklangen unisono in Seoul und Pjöngjang, als mit Südkoreas Expräsidenten Roh Moo-Hyun und Kim Dae-Jung zwei exponierte Verfechter der »Sonnenscheinpolitik« im Mai beziehungsweise im August unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu Grabe getragen wurden. Roh, der von 2003 bis 2008 amtierte, beging Selbstmord, während sein Vorgänger Kim (1998-2003) 83jährig an Herzversagen starb. Für seine Aussöhnungspolitik mit dem Norden hatte letzterer im Jahre 2000 den Friedensnobelpreis erhalten. Während ihrer zehnjährigen Regierungszeit hatten Kim und Roh als erste südkoreanische Politiker ernsthaft Wege eingeschlagen, um das innerkoreanische Verhältnis zu normalisieren und sich zu diesem Zweck auch persönlich mit ihren Amtskollegen in Pjöngjang getroffen. Es ging auf beiden Seiten darum, eine Nachkriegspolitik zu überwinden, deren Eckpunkte militärische Intervention, Teilung, Krieg, unsägliches Leid und tiefe Entfremdung bildeten - alles, was die Koreaner nach brutaler 36jähriger japanischer Kolonialherrschaft (1910-45) unter allen Umständen vermeiden wollten.

Am 15. August 1945 endete mit der Kapitulation Japans der Zweite Weltkrieg in Ost- und Südostasien sowie im Pazifik. Vor allem in Korea herrschte ausgelassene Freude; endlich schien ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung in greifbare Nähe gerückt zu sein. Die vormals im Untergrund agierende antijapanische Opposition aus Nationalisten, Konservativen und Kommunisten bildete landesweit Volkskomitees als Träger eines demokratischen Neubeginns. Am 6. September 1945 tagte die Repräsentativversammlung dieser Komitees in der Hauptstadt Seoul. Wichtigstes Konferenzergebnis: die Gründung einer gesamtnationalen Regierung der Volksrepublik Korea. Auf den Konferenzen von Kairo (1943), Jalta und Potsdam (1945) hatten sich indes die USA und die Sowjetunion nach einem Sieg gegen Japan auf eine Treuhandschaft für Korea verständigt. Dabei diente der 38. Breitengrad auf Vorschlag Washingtons als eine Art künstliche Trennlinie: Nördlich davon sollte die sowjetische und südlich davon die US-amerikanische Armee die Japaner entwaffnen und das Sagen haben. Doch nur die Sowjetunion, die am 8. August, eine Woche vor Kriegsende, Japan den Krieg erklärt hatte, war zu der Zeit mit Truppen präsent. Im selben Monat beauftragte die sowjetische Besatzungsmacht ein koreanisches Exekutivkomitee damit, die Verwaltung aus den Händen der Japaner zu übernehmen.

Erst am 8. September 1945 landete die 7. US-Infanteriedivision in Incheon an der Westküste Koreas. Die Besatzungstruppen unter Führung von John R. Hodge nahmen von der gerade gebildeten Regierung der Volksrepublik Korea keine Notiz. Tags zuvor hatte General Douglas, Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Pazifik, die »Proklamation Nr. 1« verkündet, in der es hieß: »Alle Regierungsgewalt über das koreanische Territorium südlich des 38. Breitengrads und dessen Bevölkerung wird einstweilen unter meinem Befehl ausgeübt.« Jeder Widerstand gegen die Besatzungsmacht werde strengstens geahndet und für alle Zwecke der militärischen Kontrolle sei Englisch die offizielle Sprache. Als neuer Gouverneur und Chef der U.S. Army Military Government in Korea (USAMGIK) nahm Generalmajor Archibald V. Arnold Quartier im zentralen Regierungsgebäude, das vorher als Gouverneurssitz der japanischen Kolonialadministration gedient hatte. Nun wehte dort das Sternenbanner, erster Präsident Südkoreas wurde Rhee Syngman, der langjährig im US-amerikanischen Exil gelebt hatte. Um ihre Macht zu festigen, setzte die USAMGIK auf die Unterstützung einstiger projapanischer Kollaborateure. »Als wir hier die Polizei übernahmen«, erklärte der damalige US-amerikanische Chef der (süd-)koreanischen Polizeidivision, Oberst William Maglin, »waren unter den 20 000 Mann 12 000 Japaner. Was wir taten, war folgendes: Wir schickten die Japs nach Hause, stockten die Zahl der Koreaner auf und bauten einen Apparat auf, in den sämtliche jungen Männer integriert wurden, die der Polizei vorher geholfen hatten. (...) Viele Leute sind geborene Polizisten. Wenn sie unter den Japanern einen guten Job verrichteten, warum sollten sie dann nicht auch für uns einen guten Job tun?« Am 31. August 1946 schrieb die konservative Zeitung Choson Ilbo in einem offenen Brief an Hodge, das koreanische Volk leide jetzt mehr als unter der japanischen Besatzung.

Anders verlief die Entwicklung im nördlichen Landesteil. Dort ließ die sowjetische Kommandantur die Volkskomitees agieren, protegierte die antijapanische Partisanentruppe um Kim Il-Sung (übrigens eine unter mehreren) und überließ ihr weitgehend die Eigeninitiative. Im Frühjahr 1946 setzte der Norden ein bedeutsames sozialpolitisches Signal: Eine Bodenreform verhalf über 700 000 besitzlosen Bauernfamilien zu Land.

Je unterschiedlicher die Entwicklungen südlich und nördlich des 38. Breitengrads im Sog der eskalierenden West-Ost-Blockkonfrontation verliefen, umso tiefer wurde die Kluft zwischen beiden Landesteilen. Der Gründung zweier koreanischer Staaten im Jahre 1948 folgte zwei Jahre später der Koreakrieg, dessen Ende nur von Vertretern Nordkoreas, der VR China und einem US-General im Auftrag der UNO besiegelt wurde. Rhee Syngman wollte den Krieg fortsetzen und verweigerte die Unterschrift unter das am 27. Juli 1953 im Grenzort Panmunjom ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen. Ein endgültiger Friedensvertrag steht bis heute aus. Darauf hinzuwirken und gegenseitige Feindbilder abzubauen, war ein erklärtes Ziel der »Sonnenscheinpolitik«.


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Quelle:
junge Welt vom 08. und 09.09.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2009