Goethe-Universität Frankfurt am Main - 18.06.2019
Philosoph des vernunftgeprägten Diskurses
Die Goethe-Universität gratuliert ihrem Emeritus Prof. Jürgen Habermas zum 90. Geburtstag
FRANKFURT. Am 18. Juni 2019 feiert Jürgen Habermas seinen 90. Geburtstag. Mitglieder der Goethe-Universität gratulieren dem weltweit bedeutenden Philosophen, der viele Jahre an der Universität Frankfurt gelehrt und geforscht und mehrere Generationen von Wissenschaftlern geprägt hat, herzlich zu seinem runden Geburtstag und wünschen ihm noch viele produktive Jahre. Die Glückwünsche aus der Goethe-Universität und von Wissenschaftsministerin Angela Dorn finden sich auch in zahlreichen Statements in dieser Pressemitteilung.
Habermas zählt zu den weltweit am häufigsten rezipierten Philosophen und Soziologen der Gegenwart, sein Leben und Wirken ist aufs Engste verknüpft mit der Goethe-Universität. 1929 geboren in Düsseldorf, studierte Jürgen Habermas von 1949 bis 1954 in Göttingen, Zürich und Bonn Philosophie, Geschichte, Psychologie, deutsche Literatur und Ökonomie. Früh geprägt wurde er durch eine Begegnung mit Karl-Otto Apel, der ebenfalls später in Frankfurt lehren sollte. 1953 erregte Habermas erstmals Aufsehen, als er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Heidegger wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus kritisierte.
1956 wurde Habermas Forschungsstipendiat am Institut für Sozialforschung bei Theodor W. Adorno, wechselte aber für seine Habilitation nach Marburg. Nach einer ersten außerordentlichen Professur in Heidelberg kehrte Habermas 1964 nach Frankfurt zurück, da er auf Horkheimers Lehrstuhl für Philosophie berufen worden war. Aus seiner Antrittsvorlesung "Erkenntnis und Interesse" entstand später eine seiner einflussreichsten Arbeiten.
Während der Studentenproteste um 1968 spielte Habermas eine herausragende Rolle: Mit seinen Forderungen nach Reformen im Bildungswesen wurde er zum geistigen Anreger der revoltierenden Generation. Schon Ende der 1960er Jahre ging er jedoch auf Distanz zu den radikalen Linken um Rudi Dutschke und kritisierte deren leichtfertigen Umgang mit Gewalt. Von 1971 bis 1981 war Habermas mit Carl Friedrich von Weizsäcker Leiter des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. 1981 erschien sein Hauptwerk, "Theorie des kommunikativen Handelns". Von 1983 bis 1994 lehrte er wieder als Philosophieprofessor an der Goethe-Universität. Auch nach seiner Emeritierung blieb er stets publizistisch präsent und bezog zu vielen relevanten Themen Stellung. Verbunden blieb er auch der Goethe-Universität, wo er auch jetzt einen Tag nach seinem 90. Geburtstag einen öffentlichen Vortrag halten wird.
"Während die Gesellschaft polarisiert ist wie nie und sich viele ins
Private zurückziehen, ist Jürgen Habermas aktueller denn je: Wir brauchen
den vernunftgeprägten Diskurs, wie Habermas ihn in seiner Theorie des
kommunikativen Handelns formuliert hat, um Antworten zu finden auf die
aktuellen Fragen nach Gerechtigkeit und Zusammenhalt. Als
Universitätspräsidentin freue ich mich, dass der große Philosoph diese
Fragen auch immer wieder mit unserer Frankfurter Universitäts-Community
debattiert."
Prof. Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität
"Jürgen Habermas hat seine Beiträge zum gesellschaftlichen Diskurs einmal
als 'Versuch der uneingeladenen argumentativen Beihilfe zum fortlaufenden
Prozess der öffentlichen Meinungsbildung' bezeichnet. Damit hat er seine
Rolle als Intellektueller im besten Sinne mit der ihm eigenen Prägnanz und
einer Spur Humor optimal charakterisiert. Als Philosoph, aber auch als
streitbarer Demokrat und überzeugter Europäer hat Jürgen Habermas auch die
Geschichte der Goethe-Universität seit den 50er Jahren mitgeprägt. Wir
können uns glücklich schätzen, ihn zu haben, und ich wünsche ihm viele
weitere gesunde und hellwache Jahre."
Angela Dorn, Hessische Staatsministerin für Wissenschaft und
Kunst
"Jürgen Habermas stellt nicht nur eine schillernde Persönlichkeit der
Goethe-Universität dar, sondern prägte mit seinem Denken und Wirken in der
Tradition der Kritischen Theorie die Diskussionen um die Gestaltung
demokratischer Teilhabe und um die Verwirklichung von aufklärerischen
Werten zu gesellschaftlichen und staatlichen Normen und ihre
Widersprüchlichkeit. So gestaltete er das Verständnis und die Praxis von
Demokratie in und außerhalb der Universität."
Kyra Beninga, Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses
(AStA) der Goethe-Universität
"Ich freue mich sehr, dass Jürgen Habermas, dem ich seit meiner
Studienzeit verbunden bin, seinen 90. Geburtstag bei guter Gesundheit und
mit anhaltender Produktivität feiern kann. Besonders glücklich bin ich
darüber, dass wir dieses Ereignis zusammen in Frankfurt würdigen können
und er uns das Geschenk eines Vortrags und eingehender Diskussionen mit
seinen SchülerInnen und KollegInnen macht. Sein Werk ist und bleibt für
viele unsere Forschungen an der Goethe-Universität, insbesondere im Rahmen
des Exzellenzclusters Normative Ordnungen, maßgebend."
Rainer Forst, Professor für Politische Theorie und Philosophie,
Co- Sprecher des Forschungsverbunds Normative Ordnungen
"Jürgen Habermas vereinigt auf nahezu einmalige Weise die miteinander
kommunizierenden Rollen des weltweit anerkannten Wissenschaftlers und des
öffentlichen Intellektuellen. Sowohl durch sein wissenschaftliches Werk
als auch in seiner eigenen Person hat er dargetan, dass Vernunft und
Öffentlichkeit sich wechselseitig voraussetzen und nicht ausschließen, wie
vor allem hierzulande immer wieder behauptet. Mit dieser grundlegenden
Einsicht prägt er das Selbstverständnis des demokratischen
Verfassungsstaates nicht nur in Deutschland, sondern auch für ein
vereintes Europa."
Klaus Günther, Professor für Rechtstheorie, Strafrecht und
Strafprozessrecht, Co-Sprecher des Forschungsverbunds Normative Ordnungen
"Wie bei vielen anderen meiner Generation, die der Kritischen Theorie
verbunden sind, spielte die Lektüre der Schriften von Jürgen Habermas,
insbesondere der Theorie des kommunikativen Handelns, bereits im Studium
eine entscheidende Rolle. Die nachhaltige Wirkung der Habermas'schen
Schriften beruht gerade auch auf ihrer Fähigkeit, auf die Lektüre anderer
Autorinnen und Ansätze auszustrahlen. Jürgen Habermas' bleibende Bedeutung
für das Institut für Sozialforschung fußt nicht zuletzt auf seinen
Arbeiten zur Logik der Sozialwissenschaften, die eine
kritisch-rekonstruktive Methodologie begründet haben. Der Positivismusstreit
der 1960er Jahre, zu dessen Protagonisten Habermas gehörte, scheint
gegenwärtig in der deutschen Soziologie in neuem Gewande wiederzukehren,
was dem jungen Habermas eine neue Aktualität verleiht."
Ferdinand Sutterlüty, Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt
Familien- und Jugendsoziologie, kommissarischer Direktor des Instituts für
Sozialforschung
"Es ist ganz unbestritten: Jürgen Habermas ist einer der bedeutendsten,
wirkungsmächtigsten und diskursprägendsten Philosophen seiner Generation,
dies gilt für den deutschen, den europäischen, ja den globalen Kontext.
Dass ich selbst heute an der Frankfurter Universität eine Professur
bekleide, die auch mit seinem Namen verbunden ist, ist für mich eine
große, immer wieder fast schwindelerregende Ehre. Es bedeutet für mich
zugleich eine Verpflichtung auf einen Anspruch, der für ihn immer
selbstverständlich war: dass es im Denken um etwas, ja, um alles geht,
nämlich um unser Verhältnis zu uns zu selbst, zur Welt und zur
Gesellschaft."
Martin Saar, Professor für Sozialphilosophie
"Wie von keinem Zweiten kann man von Jürgen Habermas lernen, was es heißt,
leidenschaftlich, anspruchsvoll und zugleich politisch verantwortungsvoll
zu philosophieren. Sein intellektueller Stil ist geprägt von einer offenen
und kommunikativen Weise zu denken. Lange bevor die Forschungspolitik
durch äußere Anreize großflächige Kooperationen in den Geistes- und
Sozialwissenschaften initiierte, hat Habermas von innen heraus, aus
internen vernünftigen Gründen, die Interdisziplinarität der Philosophie
als etwas Selbstverständliches etabliert."
Thomas M. Schmidt, Professor für Religionsphilosophie
"Die Bedeutung von Jürgen Habermas für die Politikwissenschaft ist kaum zu
überschätzen. Jürgen Habermas ist nicht nur ein brillanter Analytiker des
Status-quo, er hat auch den Mut und die Fähigkeit, neue Denkhorizonte zu
eröffnen und innovative Theorien zu entwickeln, die wegweisend für die
gesamte Politikwissenschaft waren und sind. Während meines Studiums hat
mir Habermas mit seiner Habilitationsschrift zum Strukturwandel der
Öffentlichkeit die Augen geöffnet - politische Systeme, so habe ich
gelernt, sind in ständigen Anpassungsprozessen an gesellschaftliche
Veränderungen. In seinen späteren Schriften legte Habermas den Grundstein
für die heute florierende Forschung zu neuen Demokratiemodellen und ist
damit indirekt Gründungsvater der Forschungsstelle 'Demokratische
Innovationen' an der Goethe Universität."
Brigitte Geißel, Professorin für Politikwissenschaft und politische
Soziologie, Leiterin der Forschungsstelle Demokratische Innovationen
Weitere Informationen:
https://www.normativeorders.net
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Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der
europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 mit privaten Mitteln
überwiegend jüdischer Stifter gegründet, hat sie seitdem Pionierleistungen
erbracht auf den Feldern der Sozial-, Gesellschafts- und
Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Quantenphysik, Hirnforschung und
Arbeitsrecht. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren
historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein hohes Maß an
Selbstverantwortung. Heute ist sie eine der drei größten deutschen
Universitäten. Zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt und der
Universität Mainz ist die Goethe-Universität Partner der
länderübergreifenden strategischen Universitätsallianz Rhein-Main.
www.goethe-universitaet.de
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution131
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Goethe-Universität Frankfurt am Main, 18.06.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2019
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