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GUTE-NACHT/2413: Miranda mit den beiden Enden (SB)


Am Abend gibt es Pfannkuchen mit Apfelmus und Zimt und Zucker. Miranda mag Pfannkuchen, besonders wenn sie so schön dick und trotzdem locker sind. Das bekommt Mama hin, wenn sie das Eiweiß zu Eischnee schlägt, bevor es in den Teig kommt. Drei dicke Pfannkuchen hat Miranda verdrückt. Allerdings hat sie davon einen Halben in ihre Schürzentasche geschmuggelt, damit Arim auch etwas abbekommt.

Während Arim auf der Fensterbank seinen halben Pfannkuchen verspeist, fragt Miranda, ob er die Geschichte von dem dicken fetten Pfannekuchen schon kennt. Dann aber, noch bevor Miranda die Frage zu Ende gestellt hat, kann sie sich selber die Antwort geben. Wie sollte Arim diese Geschichte kennen? Er ist doch schließlich nicht von dieser Welt. Jedenfalls nicht von oberhalb dieser Erde.

Während Arim seine Backen vollstopft, erzählt Miranda die Geschichte.


*


Es war einmal eine Bauersfrau, die buk auf ihrem Herd einen dicken fetten Pfannekuchen. Als er gerade schön knusprig war, wollte sie ihn ihren Kindern aufteilen. Doch der dicke fette Pfannekuchen sah gar nicht ein, sich von diesen Kindern auffuttern zu lassen, sprang von der Pfanne und lief kandipper, kandapper auf den Hof hinaus.

Dort draußen in seiner Hundehütte lauerte der Hofhund. Er hatte schon den Geruch des Backens vernommen und gehofft, daß er auch diesmal wieder sein Schärflein von dem Gebackenen abbekommen sollte. Als er nun den dicken fetten Pfannekuchen aus der Küche gerollt kommen sah und die Bäuerin mit der Bratpfanne gleich hinterdrein, da wußte er, daß irgendetwas oder irgendwer ihn um seinen Anteil betrügen wollte und versuchte mit einem Habs den vorbeieiernden Pfannekuchen ganz zu erwischen. Doch die Kette der Hundehütte hielt den Hofhund zurück. Der Pfannekuchen drehte sich nach dem Hund um und machte ihm eine lange Nase. "Ich bin der Bauersfrau und ihren drei Bälger entkommen, meinst du, da lasse ich mich von dir zerbeißen?" Schnell lief der dicke fette Pfannekuchen kandipper, kandapper geradewegs in den Wald hinein.

Dort auf einem hohen Baum saß ein Rabe. Er sah den dicken fetten Pfannekuchen schon heranrollen und das Wasser lief ihm im Schnabel zusammen. Als der Pfannkuchen fast unter seinem Baum anlangte, rief der Rabe ihm zu: "Dicker fetter Pfannekuchen, bleib stehen! Ich will mich an dir laben!" Der dicke fette Pfannekuchen war so in Fahrt, daß er schon gleich unter dem Baum hindurchgerollt war und der Rabe nur noch von weitem wahrnahm: "Ich bin der Bauersfrau aus der Pfanne gesprungen und dem Hund an der Kette entkommen, da werde ich mich doch nicht von dir Flatterwesen in der Luft zerreißen lassen." Mit diesen Worten rollte der dicke fette Pfannekuchen kandipper, kandapper tiefer in den Wald hinein.


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Miranda unterbricht die Geschichte und fragt Arim, ob er ein gutes oder ein böses Ende hören möchte. Arim ist für beide Enden. "Gut, dann beide", sagt Miranda und erzählt weiter.


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Der dicke fette Pfannekuchen trifft auf zwei Kinder im Wald, die sich verirrt haben. Die beiden haben Hunger, denn sie irren hier schon länger umher. Als sie den dicken fetten Pfannekuchen entdecken, möchten sie ihn natürlich aufessen. Aber sie wollen dem armen Pfannkuchen doch kein Leid antun. So fragen sie ihn, ob er ihnen nicht vielleicht nur ein bißchen von seinem Rand abgeben könnte. Der Pfannkuchen merkt, wie hungrig und traurig die beiden Kinder sind. Deshalb teilt er sich in der Mitte durch und springt mit je einer Hälfte in die Hände der Kinder. Die haben ihn schnell aufgegessen.


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"War das jetzt das gute oder das böse Ende?" fragt Arim verwirrt. "Du kannst es dir aussuchen, nachdem ich weitererzählt habe", sagt Miranda und legt noch einmal los.


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Nachdem der dicke fette Pfannekuchen den Raben und auch noch dem Fuchs entkommt, gelangt er zu einem Fluß, den er überqueren will. Hier im Fluß badet gerade ein Wildschwein. Der dicke fette Pfannekuchen fragt das Wildschwein, wie er denn über den Fluß kommen kann. Das Wildschwein nicht dumm, bietet sich als Fähre an, um den Pfannekuchen ans andere Ufer zu bringen. "Spring nur auf meine Schnauze, dann bleibst du schön trocken." Der dicke fette Pfannekuchen springt also auf die Schnauze des Wildschweins, das nun tiefer in den Fluß hineinstapft, doch nicht auf der anderen Seite des Flußes anlangt. Denn gerade als Schwein und Pfannkuchen weit genug vom Ufer entfernt sind, öffnet das Schwein sein Maul und läßt den Pfannekuchen hineinfallen. Da ist der dicke fette Pfannekuchen kandipper, kandapper schnell aufgefuttert.


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Arim kann sich nicht entscheiden, welches das gute und welches das böse Ende der Geschichte sein soll. Denn aus der Sicht des Pfannekuchens gehen beide Enden gleich aus. Immer wird er aufgefressen.

28. August 2007

Gute Nacht