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GUTE-NACHT/2571: Kuchenbacken im Häuschen am Hang (SB)


Kuchenbacken im Häuschen am Hang

In der Schale aus Glas auf dem Tisch der Küche im Häuschen am Hang liegen zehn verschrumpelte Äpfel. "Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, ...", zählt Mandy. "Ist das ein Andenken?" fragt sie. Gestern hatte ihr Hedda einen kleinen silbernen Wappenanhänger aus der Stadt geschenkt und gesagt: "Hier hast du ein Andenken." - "Ein Andenken? Ist das etwas, um daran zu denken und es nicht zu vergessen?" hatte Mandy gefragt. "Ja, so ähnlich", war Heddas Antwort ausgefallen, die gerade dabei war, die Karten für die Straßenbahn zu kaufen.

Jetzt erinnert sich Mandy wieder an gestern und fragt: "Ist das auch ein Andenken?" - "Was meinst du?", fragt Hedda. "Na, die Äpfel, sie sehen schon so alt aus und du hebst sie immer noch auf." Hedda hebt einen Apfel hoch und sagt: "Die sind doch noch ganz prima!" Dann entdeckt sie eine dunkelbraune Stelle an der Unterseite des Apfels und sagt: "Na, dieser nicht gerade. Es wird wirklich Zeit, die Äpfel zu verarbeiten. Was hälst du von Apfelkuchen?" Mandy hat nichts dagegen. Sie will mithelfen.

Ob alle Zutaten vorhanden sind, prüft Hedda nach. "Was brauchen wir zum Kuchenbacken?" fragt sie Mandy. Das Mädchen scheint etwas vor sich hin zu summen: "Zucker und Salz, Butter und Schmalz, Eier und Mehl, Safran macht den Kuchen gel..." Bei diesem Wort zuckt sie mit den Schultern, denn sie weiß nicht, was gel bedeuten soll. "Gelb!", sagt Hedda und singt das Lied zu Ende, "schieb, schieb in den Ofen rein!"

Hedda stellt eine Packung Eier, eine Tüte Mehl und die Zuckerdose auf den Tisch. Außerdem kommen eine Flasche Milch, ein Stück Hefe, der Salzstreuer, die Flasche mit dem Speiseöl und eine Tüte Vanillinzucker dazu. Die große Schüssel holt Hedda hervor und dann kann es losgehen.

Mandy bekommt die Tüte Mehl in die Hand gedrückt und soll sie öffnen. Die ganzen 1000 Gramm Weizenmehl werden in die Schüssel geschüttet. Nun kommt ein dreiviertel Liter Milch dazu. "Zucker ist eine Frage des Geschmacks oder des Prinzips", sagt Hedda und streut ohne Abzumessen etwas Zucker über die ganze Fläche. Mandy gibt eine Prise Salz dazu, was ungefähr so viel ist, als würde sie sich ein bißchen Salz auf ihr Margarinebrot streuen. Nun fehlen noch die Tüte Vanillinzucker, zwei Eier, ein Schuß Öl und vor allem die Hefe.

Der Würfel aus Hefe wird in eine Tasse mit etwas lauwarmen Wasser gegeben und Mandy rührt so lange, bis sich die Hefe aufgelöst hat. Diese Hefeflüssigkeit wird nun ebenfalls in die Schüssel gegossen und alles wird gut verrührt. Hedda legt ein Tuch über den Teig und stellt die Schüssel an einen warmen Ort. "Jetzt soll der Teig ein bißchen gehen!" erklärt Hedda. "Aber nicht weglaufen!" ruft Mandy in die Richtung der Schüssel und hebt den Zeigefinger dabei. Dann schaut sie Hedda an und sagt: "Das sagt Mama immer." Hedda entgegnet: "Aha, du kennst dich also schon aus mit Hefeteig!" - "Ja, der schmeckt gut. Davon darf ich immer etwas essen, auch wenn er noch nicht gebacken ist."

Es wird Zeit, die Äpfel zu schälen und in Scheiben zu schneiden. Hedda erinnert sich an den Kuchen, den ihre Mutter früher meist sonntags gebacken hatte. "Apfelkuchen, sehr fein" hieß er. Dabei wurde jeder Apfel zuerst gewaschen und geschält, dann in Viertel geschnitten und das Kerngehäuse entfernt. Die runde Seite wurde nun mit einigen Schnitten eingeritzt, so daß der Apfel eine Ähnlichkeit mit einem Fächer bekam. Auf diese Weise bereitet Hedda die Äpfel vor. Mandy schaut genau zu. Hedda reicht Mandy eine abgeschnittene Apfelschale, die beim Schälen in einem ganzen Stück geblieben und nicht abgerissen ist. "Das bringt Glück!", erklärt Hedda und meint, "außerdem kannst du aus der Schale einen leckeren Apfelschalentee kochen!"

Als der Teig gegangen ist, rührt Hedda ihn noch einmal kräftig durch. Eigentlich knetet sie Hefeteig immer so lange und gibt noch ausreichend Mehl hinzu, bis der Teig nicht mehr an den Händen klebt. Aber diesmal will sie etwas ausprobieren. "Andere Teige sind oft auch flüssig. Das müßte doch gelacht sein, wenn ich den Hefeteig nicht auch etwas feuchter auf das Blech bringen kann", sagt Hedda und benutzt dazu den Rührlöffel.

Auf dem gefetteten Backblech verteilt sie eine Schicht Teig. "Da bleibt aber viel Teig über", freut sich Mandy. Doch Hedda hebt mahnend den Zeigefinger: "Bloß nicht zu viel davon naschen, sonst bläht sich dein Bauch so auf wie gleich der Kuchen im Ofen."

Mandy darf die Apfelfächer auf dem Kuchen verteilen. Dicht an dicht legt sie die Viertel. Jetzt bleibt noch ein Drittel des Bleches ohne Belag. "Das wird Streuselkuchen", schlägt Hedda vor. Aus einem Gemisch von Margarine, Zucker und Mehl wird eine krümelige Masse direkt mit den Fingern geknetet. Diese Krümel werden auf dem Rest des Kuchens ohne Belag verteilt. Einige Krümel läßt Hedda auch noch zwischen die Apfelviertel fallen. Jetzt kann der Kuchen endlich in den Backofen. Der wurde bereits vorgeheizt. "Bei 200 Grad Celsius braucht der Kuchen jetzt ungefähr eine halbe Stunde." Mandy beobachtet durch die Glasscheibe, wie der Teig in die Höhe geht. "Das sieht aus wie wenn Mama meine Luftmatraze aufpustet."

Nach der halben Stunde ist die Garprobe an der Reihe. Hedda nimmt einen Schaschlikspieß und sticht damit in den Kuchenteig. "Läßt du jetzt die ganze Luft wieder raus?", fragt Mandy. Hedda weiß nicht, ob sie es ernst meint oder ihre Tante nur verulken will. Der Kuchen ist gar. Vorsichtig und mit Topflappen zieht Hedda das Blech mit dem Fächerkuchen aus dem Ofen. Sie stellt das Blech auf Untersetzern ab.

"Jetzt, soll er erst ein bißchen abkühlen. Was hältst du von süßer Sahne?", fragt Hedda. Mandy mag süße Sahne. Deshalb geht es auf zum Bäcker an der Ecke. Dort holen die beiden zwei Becher und schlagen sie zuhause selber auf. "Kommt in die süße Sahne kein süßer Zucker?", möchte Mandy wissen. Hedda nimmt etwas Vanillinzucker und streut diesen ein. Dann fragt sie: "Kennst du die Geschichte von den beiden Zuckerdieben?" Mandy verneint. Und während die Sahne zuerst keine Anstalten macht, fest zu werden, sich es dann aber anders überlegt, erzählt Hedda von den Dieben.

"Es waren einmal zwei Brüder, die wollten besonders gern reich werden. Sie zogen von zuhause los und wollten gemeinsam ihr Ziel erreichen. Während sie so dahergingen, stritten sie sich aber schon um den Schatz, den sie noch gar nicht besaßen. Deshalb trennten sich ihre Wege. Der eine kam zu einem Konditormeister und bekam eine Anstellung. Hier wurden die leckersten Kuchen gebacken. Zum Schluß wurden sie alle mit Sahne verziert. Der neue Geselle sollte dafür sorgen, daß die Sahne immer schön steif geschlagen wurde. Er sah die Zuckerkörnchen und hielt sie für kleine wertvolle Kristalle, denn sie glitzerten so schön. "Wer davon eine ganze Tasche voll besitzt, der muß wohl sehr reich sein", sagte der Zuckerdieb zu sich selbst und steckte sämtliche Zuckerkörner in seine eigene Tasche. Eigentlich hätte der Meister sehr erzürnt über diesen Diebstahl sein müssen. Da sich aber die Torten mit der ungesüßten Schlagsahne viel besser hielten, als die gesüßten Torten, bekam der Zuckerdieb sogar noch einen Orden - den Süß-nicht-die-süße-Sahne-Orden."

Am Ende der Geschichte wird auch die von Hedda geschlagene süße Sahne steif, als hätte die Sahne ebenfalls der Geschichte gelauscht und diese hätte sie in ihren Bann geschlagen.

Inzwischen ist auch der Kuchen abgekühlt. Hedda schüttet sich ein Glas Milch ein und reicht Mandy ein Glas Kakao. Dann sitzen beide an dem Küchentisch in der gemütlich grün gestrichenen Küche und essen jede Menge Fächerkuchen.


*


Am Abend als Mandy und Hedda im Bett liegen, fällt Mandy die Geschichte der beiden Diebe wieder ein. "Was ist aus dem zweiten Bruder geworden?" fragt sie. Aber Hedda ist ganz schön geschafft von diesem Tag und sie brummt nur: "Das erzähle ich dir ein anderes Mal." - "Gute Nacht, Mandy!" - "Gute Nacht, Tante Hedda!"

5. März 2008

Gute Nacht