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GUTE-NACHT/2575: Die alte Geige im Häuschen am Hang (SB)


Die alte Geige im Häuschen am Hang

Hedda besucht Mandy in ihrem Zimmer, um ihr eine gute Nacht zu wünschen. "Das haben wir ja gut hinbekommen", beginnt Hedda. Seit heute morgen ist Mandy hier im Häuschen angemeldet, geht nach den Sommerferien in die erste Klasse und darf bis dahin als Gasthörer mit Hedda in die Uni, denn ein freier Kindergartenplatz in der Nähe zwischen dem Häuschen und der Uni war keiner mehr zu haben. Es war zwar ein Stückchen Arbeit, die Ausnahmegenehmigung für den Gasthörerschein zu erhalten, aber es hatte doch geklappt. Mandy ist richtig stolz und freut sich riesig auf übermorgen, denn da geht es endlich los.

"Was machst du noch?", möchte Mandy wissen, die nicht gerne allein in ihrem neuen Zimmer bleiben möchte. Irgendwie ist es ihr doch unheimlich. Mama hatte ihr Zimmer stets direkt neben ihrem eigenen und die Türen standen immer offen.

"Ich werde noch an meinem Entwurf zum Weben arbeiten, bevor ich zu Bett gehe. Kann ich noch etwas für dich tun?", fragt Hedda. Zuerst möchte Mandy noch etwas zu trinken. Sie erhält ein Glas Milch. Danach hat Mandy plötzlich Hunger und putzt sich anschließend ein zweites Mal die Zähne. Aber auch dann fallen Mandy noch immer Ausreden ein. "Kann es sein, daß du keine Meinung hast, hier unten allein zu bleiben!" - Mandy fühlt sich ertappt. Aber sie ist froh, daß Hedda es gemerkt hat. Jetzt darf sie mit in die Stube, in die obere Etage.

Da rutscht Hedda etwas heraus, daß sie im nächsten Moment schon wieder bereut. "Ja, ich würde auch nicht so gerne unten allein bleiben, man weiß ja nie, ob sich nicht der Geist von Anna-Maria hier im Haus herumtreibt." - "Wer ist denn Anna-Maria?", möchte Mandy wissen. Zuerst will Hedda gar nichts sagen. Aber Mandy versteht sehr gut, Erwachsene zu löchern. "Nun, ich habe davon angefangen und es ist jetzt leider heraus. Anna-Maria hat vor uns hier im Häuschen gelebt. Dann ist sie gestorben und keiner wollte hier einziehen, bis ich von dem Häuschen gehört habe. Ich habe den Besitzer gefragt, ob ich das Häuschen mieten kann und er hat gesagt, daß ich mir das aber selber herrichten müsse. Nur einen neuen Badeofen würde er installieren lassen. Es lagen noch jede Menge Sachen von Anna-Maria hier überall verstreut auf dem Boden. Schau mal, eine Geige war auch dabei. 'Gibt es jemanden, der sich die Sachen abholt?', habe ich gefragt. Aber mein Vermieter meinte nur, ich könne alles wegwerfen oder behalten, wie ich wollte. Die Geige habe ich selbstverständlich nicht weggeworfen. Sie ist schon sehr alt. Das kannst du in ihrem Geigenbauch lesen."

Mandy schaut sich neugierig die Geige an. "Aber sie kann nicht mehr spielen", stellt Mandy fest. "So ohne Saiten kann sie das wirklich nicht, aber ich habe schon einmal im Musikgeschäft nachgefragt. Die Geige kann wieder hergerichtet werden." Mandy streicht über den Geigenkörper. Ein Bogen ist auch dabei. Diesen nimmt Mandy und vollführt Bewegungen, als ob sie spielt. "Darf ich noch ein bißchen malen?", fragt Mandy. Hedda hat nichts dagegen. Während sie auf einem großen braunen Bogen mit Kreidestiften einen Entwurf für einen Teppich malt, zeichnet Mandy mit einem Kohlestift die Geige ab. Hedda gefällt die fertige Zeichnung sehr gut und sie hängt sie über das Bett, so daß Mandy vor dem Einschlafen direkt darauf schauen kann. Wenn die Geige nicht so empfindlich wäre, hätte Mandy sie zum Einschlafen am liebsten in den Arm genommen. "Schließlich hat die Geige doch auch einen Körper und möchte vielleicht warm gehalten werden", scherzt Mandy.

Der Entwurf für das Webbild ist noch nicht fertig. Aber Hedda legt sich jetzt auch ins Bett. Lange betrachten die beiden noch die Geige an der Wand. "Was die über hundert Jahre alte Geige wohl alles erzählen könnte?" überlegen die beiden.

Bevor ihnen dann die Augen zufallen, wünschen sie sich noch: "Gute Nacht, Hedda!" - "Gute Nacht, Mandy!"

11. März 2008

Gute Nacht