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GUTE-NACHT/2612: Felix auf Stadtrundfahrt in Lübeck (SB)


Wenn der Tiger eine Reise macht

Endlich ging die Fahrt aus dem Keller des Parkhauses heraus, und ich konnte die Stadt besichtigen. Vater Gustav wollte jetzt als nächstes zum Hafen fahren. Dann aber entschloß er sich, mit mir eine Stadtrundfahrt zu genießen. Wir fuhren durch den Teil der Stadt, in dem noch viele altertümliche Häuser standen. Ich stellte mir vor, wie es wäre in so einem Haus mit Giebeln und Erkern am Fenster zu liegen und die Straße zu beobachten. Das würde mir Spaß machen.

Während wir so fuhren, erklärte mir Vater Gustav die Bauten, an denen wir vorbei fuhren. Da gab es das Holstentor, den Dom, die Marienkirche und das Museum, welches früher einmal ein Kloster gewesen war. Natürlich gibt es in Lübeck auch ein Rathaus, in dem die Ratsherren sitzen und sich die Köpfe darüber heiß reden, ob nun diese oder jene Entscheidung getroffen werden soll. In so einem Rathaus bekommt man Informationen über die jeweilige Stadt, in der man gerade ist. Doch die brauchten wir nicht. Vater Gustav kannte sich auch ohne sehr gut aus.

Nun kamen wir an dem Krankenhaus vorbei. "Es heißt Heilig-Geist-Hospital", erklärte mir Vater Gustav. Ich hätte ihn gern gefragt, ob es dort spukt. Doch mir war klar, selbst wenn Vater Gustav mich manchmal wie ein echtes Tier behandelt, begänne ich plötzlich zu sprechen, würde er schnell glauben, bei ihm spuke es oder er sei verrückt. Deshalb spreche ich lieber nur mit Luisa, meinem Frauchen. Sie versteht mich. Leider war sie jetzt nicht hier und ich vermißte sie.

Die Fahrt ging weiter. Nun kamen wir am Salzspeicher vorbei und meine Gedanken kehrten von Luisa hierher in die Stadt Lübeck zurück. Endlich schlug Vater Gustav doch noch den Weg zum Hafen ein. "Lübeck ist der bedeutendste Hafen an der Ostsee, zumindest für unser Land, der BRD", sagte Vater Gustav. "Was BRD wohl bedeutet?" fragte ich mich. Luisa hätte es mir sicher erklärt. Aber sie war nicht hier, also versuchte ich das Rätsel der drei Buchstaben selbst zu lösen. Es handelte sich dabei sicher um ein Land. Ein L gab es aber in der Abkürzung BRD nicht. Doch Land ist auch so etwas wie ein Raum. Konnte R nicht für Raum stehen, und B bedeutete vielleicht bunt oder bilderbuchartig. Bunter Raum klang doch recht gut. Zu dem Buchstabe D fiel mir gar nichts ein. Deshalb überlegte ich nicht weiter und sah wieder aus dem Fenster. Wir waren wirklich am Hafen angelangt. Die vielen Schiffe bezeugten dies, große und kleine. Vater Gustav sagte: "Sieht das hier nicht toll aus? Ich fahre gern zu diesem Hafen. Tja, wäre selbst gern mal Seemann geworden. Aber daraus wurde ja nichts..."

Vater Gustav parkte das Auto. Diesmal nicht in so einem Autokeller, sondern direkt nahe am Wasser. Von hier aus konnte ich einige der Schiffe beobachten. Das machte ich ausgiebig, während Vater Gustav noch irgendwas zu erledigen hatte. Was es aber genau war, erfuhr ich nicht. Vielleicht holte er sich am Stand nur ein Fischbrötchen, schaute auf die Trave - so heißt der Fluß in Lübeck - und wünschte sich, daß sein Traum vom Seemann vielleicht doch noch nicht ausgeträumt wäre. Mein Traum von einer Fahrt auf einem dieser großen Schiffe begann jetzt, während ich auf Vater Gustav wartete. Und dieser Traum dauerte lange. Deshalb sage ich euch jetzt schon einmal: Schlaft schön!"


Erstveröffentlichung am 12. Oktober 2001

23. April 2008

Gute Nacht