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GUTE-NACHT/2657: Sieben auf einen Streich (SB)


Sieben auf einen Streich

Fast jeder kennt das tapfere Schneiderlein und hat von seinen Heldentaten schon gehört, besonders von der ersten, die ihn berühmt gemacht hat. Denn sieben Fliegen auf einen Streich zu töten, wer kann das schon behaupten, einen solchen Kampf gewonnen zu haben.

Warum aber ließen sich die Fliegen so einfach dahinraffen? Lag es wirklich an dem Duft des Pflaumenmuses, das der Schneider auf sein Brot gestrichen hat?

Nun das Brot lag auf einem Teller auf dem Fensterbrett. Hier kamen nicht nur Hausfliegen angeflogen. Auch andere Zweiflügler ließen sich blicken, und von denen gibt es ja jede Menge.

Vielleicht hat sich also die Geschichte folgendermaßen zugetragen.


*


Es war einmal ein Schneiderlein, der nach getaner Arbeit ein Pflaumenmusbrot essen wollte. Dieses Brot hatte er schon geschmiert und es lag auf einem Teller, der auf dem Fensterbrett stand, und wartete verspeißt zu werden.

Der Geruch des leckeren Pflaumenmuses lockte die Stubenfliege, die dem Schneider bei seiner Arbeit sein nacktes Bein kraulte, hinüber zum Fensterbrett. Dort setzte sie sich mitten auf das leckere Mus.

Aus einiger Entfernung sah die Gemeine Essigfliege, die ebenfalls zu den Hausfliegen zählt, ihre größere Nebenbuhlerin und wollte erst einmal abwarten, bis diese fortgeflogen sei, um sich dann selbst an dem köstlich duftenden Mus zu laben.

Vor dem Fenster flogen auch allerlei Artgenossen vorbei, die die Stubenfliege grüßten und fragten, was sie denn gerade anstelle. Leider verriet sie, daß sie sich an köstlichem Pflaumenmus labe. Das wollte die Graue Fleischfliege auch einmal kosten. Schließlich war sie gerade unten auf dem Markt gewesen und hatte dort auf einem nackten Schenkel eines geschlachteten Hühnchens ihre Larven abgelegt. Außerdem hatte sie sich gleich noch den Magen voll geschlagen. Ein süßer Nachtisch war nun genau das Richtige für die Graue Fleischfliege.

Wo die Graue Fleischfliege frißt, ist die Blaue Schmeißfliege nicht weit. Auch sie hatte auf dem Markt einen geeigneten Platz gesucht, um ihre Eier an Fleisch zu schmeißen. Dabei war sie gar nicht wählerisch. Denn sie legt ihre Eier auf rohem Fleisch genauso ab wie auf einem Kadaver.

Inzwischen waren die Fliegen also schon zu dritt auf dem Brot zugange.

Auf dem Markt herrschte hektisches Treiben. Hier wurden neben Nahrungsmitteln und Geschirr auch lebende Tiere verkauft. Ein Bauer verkaufte seine Kuh, damit sie einem anderen Milch liefere. Eine Frau zerrte ein Schwein über den Platz und weiter hinten standen Pferde. Wer denkt, daß die Pferdelausfliege von dort her kam, hat sich getäuscht. Zwar stattet sie Pferden auch dann und wann einen Besuch ab, aber nur wenn keine Rinder in der Nähe sind, an denen sie sich laben kann. Gern saugt sie ihnen Blut aus dem Leib. Die dunkelbraune Farbe des Pflaumenmus schien die Pferdelausfliege doch stark an geronnenes Blut zu erinnern. Auch sie hockte sich auf dem Brot des Schneiders nieder und kostete.

Drei weitere Fliegen gesellten sich zu den ersten vier. Es waren die Hirschlausfliege, die Gelbe Dungfliege und die Marcusfliege.

Das war der Gemeinen Essigfliege, die auch Taufliege genannt wird weil sie so klein ist, doch zu viel. Die anderen sollten das leckere Mus nicht alleine auffuttern, wo sie doch für das Entsorgen von fauligem Obst genau die Richtige war. So entschloß sich die kleine Taufliege ebenfalls hinüber zu segeln. Gerade setzte sie zur Landung an, da wurde sie von der grauen Fleischfliege so grimmig angestarrt, daß sie sich lieber wieder auf einen in einer Schüssel liegenden verschrumpelten Apfel zurückzog.

Aus dieser Entfernung wartete sie nun ab, wann es günstig sein würde, auch selbst noch zuzuschlagen. Doch dieses Zuschlagen in eben des Schneiderleins Sinne übernahm dieser bereits selber. Er sah die sieben unterschiedlichen Fliegen auf seinem Brot sitzen und konnte dies überhaupt nicht ertragen. Er arbeitete schließlich hart für sein tägliches Brot und nun kamen diese schrecklichen Monster daher und sagten ihm den Kampf an.

Die sieben Fliegen bemerkten den Schneider nicht, der nach seiner Elle griff. Sie stritten sich, wer denn die bessere Lebenswahl getroffen habe, die Stubenfliege, die hauptsächlich bei den Menschen lebt und von ihnen gar als Streichelfliege benutzt wird oder die Hirschlausfliege, die die Menschen eher angreift als sie zu kitzeln. Die Pferdelausfliege, die besonders den Rindern das Leben schwer macht oder die Graue Fleischfliege und die Blaue Schmeißfliege, die sich beide das Leben einfach machen, indem sie wie die Graue ihre Larven lebend gebährt und dann auf Fleisch oder Aas absetzt und sich nicht weiter um ihre Kinder kümmert oder die Blaue, die ihre Eier an eben dasselbe anschmeißt und auch einfach davon fliegt. Bleiben noch die Marcusfliege und die Gelbe Dungfliege. Während die Dungfliegen kleine Jäger sind, die nach weichhäutigen Insekten jagen, ist die Marcusfliege keine wirkliche Fliege, sondern eine fliegenähnliche Haarmücke, aber das versucht sie zu vertuschen. Schließlich gehört sie ja auch zu den Zweiflüglern, warum also nicht zu den Fliegen, wenn sie schon diesen Namen trägt.

Gerade will die Gemeine Stubenfliege ihren Platz in der Mitte auf dem Brot verteidigen, da klatscht die Elle des Schneiders auf die sieben Fliegen nieder.

Die kleine Taufliege bekommt einen Schock. Aber schließlich ist sie froh, nicht bei der Versammlung der Fliegen dabei gewesen zu sein. Während der Schneider stolz seine Heldentat "Sieben auf einen Streich" auf eine Schärpe stickt, fliegt die kleine Essigfliege vorsichtig an den Tatort heran. Sind wirklich alle sieben Fliegen der Elle zum Opfer gefallen oder haben sie sich nur in das weiche Mus eingedrückt und sind noch zu retten? Haben es vielleicht einige Fliegen geschafft, doch noch vor dem Aufschlagen zu verschwinden und der Schneider hält die Hautfetzen des Muses für zerdrückte Fliegen?

Hier lassen wir die Gemeine Essigfliege bei ihren Erkundungen allein. So kann sie auch endlich in Ruhe einmal selber von dem köstlichen Mus naschen.

13. Juni 2008

Gute Nacht