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GUTE-NACHT/2794: Clownslaterne (SB)


Gute Nacht Geschichten - Wilhelm Wunderlich


Wie wechselhaft das Wetter doch ist, gestern noch schönster Sonnenschein, heute wieder naß und grau. Auch in noch kürzeren Abständen zeigt sich der Wechsel heute: morgens unerwartet mild, kehrt mittags der kalte Wind zurück. Was ist das für ein Durcheinander. Allerdings wird nur von dem April behauptet, daß er macht, was er will. Dabei steht ihm der November in nichts nach. Das findet Parkwächter Wilhelm Wunderlich. "Findest du das nicht auch?" sucht Wilhelm bei dem Holunderbusch Unterstützung. Die Parkbank schließt sich wohl beiden an, die abwechselnd mal trocken, dann wieder naß ist. Die Spaziergänger werden eingeladen, bei ihr Platz zu nehmen, um sich auszuruhen und im nächsten Moment spricht alles dagegen. Wilhelm Wunderlich läßt sich auf das Spiel der Bank nicht ein. Ihn interessiert das Hin und Her nicht, hat er doch sowieso keine Zeit, Platz zu nehmen. Er fegt den Weg und beseitigt die Reste des gestrigen Abends.

"Warum nehmen die Leute eigentlich nie ihren Müll mit nach Hause oder werfen ihn wenigstens in einen der Papierkörbe", schimpft Wilhelm Wunderlich. Nach einer kaputten Laterne bückt er sich. Noch gestern abend hat sie ein Mondgesicht dargestellt. Etwas weiter entfernt findet Wilhelm eine Tüte. Komisch auch sie scheint einmal eine Laterne gewesen zu sein. Denn in die braune Einkaufstüte sind Augen, Nase und Mund hineingeschnitten. Außenherum kleben Fransen aus Papier, die wohl die Haare darstellen sollten - bunte Haare. Irgendwie hat dieses Gesicht etwas von einem Clown. Wilhelm hebt die Tüte auf und gerät ins Träumen. Dann aber ist er schnell wieder zurück. Wer wohl diese, jetzt ganz durchnäßte und teils zerrissene Tüte in eine Laterne verwandelt hat. Sicher ein Vater oder eine Mutter, die vergessen hatten, daß gestern Laternenumzug hier im Park war. Auf die Schnelle hat er oder sie noch ein Licht selbst gebastelt. Ob dem Kind diese Laterne nicht gefallen hat? Warum sollte sie sonst jetzt hier im Matsch liegen? Oder gefiel sie dem Bastler gar selber nicht und er hat sie am Ende des Umzugs eigenhändig weggeworfen, angesichts der vielen bunten und gekauften Laternen?

Wilhelm gefällt diese Clownstütenlaterne gut. Er hebt sie auf und hängt sie zum Trocknen an den Holunderbusch in den Wind. "Wenn ich mit Kehren fertig bin, hole ich dich wieder ab", verspricht er und begibt sich erneut daran, den Weg weiter von Blättern und anderem frei zu fegen.

Gerade kommt Strolch des Weges, der schwarze Kater mit dem weißen Bauch und den weißen Pfoten. Es macht ihn neugierig, was da im Wind am Holunderbusch weht. Ein Sprung und schon ist Strolch auf der Parkbank gelandet. Mit einer Tatze schlägt er nach der Tüte. Doch sie weicht ihm aus. Der Wind hat sie nach vorn geweht. Strolch versucht es noch einmal. Auch diesmal erreicht er nicht sein Ziel. Mürrisch hüpft er von der Bank herunter. Er hat etwas Besseres vor, als diesem Gesicht eins auszuwischen. Erhobenen Schwanzes stolziert der Kater in den Park davon.

Eingehüllt in einen dunklen Mantel und mit einem tief ins Gesicht gezogenen Hut stapft ein alter Mann mit seinem Stock in Richtung der Bank. Er mustert sie. Nein, heute mag er sich nicht hier niederlassen auf der feuchten Sitzfläche. Er will sowieso nur kurz etwas frische Luft schnappen. Noch ein paar Schritte weiter, dann wird er wieder umkehren und nach Hause zurückgehen, wo die warme Stube schon auf ihn wartet. Seinen Blick von der Bank abwendend, streift dieser den Holunderbusch und die dort hängende Fratze. "Was soll denn die Tüte hier im Baum?" entrüstet sich der Alte und schüttelt den Kopf. Vor lauter Verwunderung vergißt er ganz sein Vorhaben und schlägt gleich den Heimweg ein. Noch so manch einen mag die Tütenfratze an diesem Tag erschreckt oder gar belustigt haben.

Als Parkwächter Wilhelm den Holunderbusch endlich von der Fratze befreien will, ist sie jedoch nicht mehr da. Wilhelm Wunderlich wundert sich. Wo mag sie nur geblieben sein? Ist Strolch vielleicht zurückgekehrt und hat die Fratze noch einmal mit seiner Tatze bearbeitet? Hat dem alten Mann die Tüte im Holunderbusch keine Ruhe gelassen? Oder hat das schlechte Gewissen den Tütenbastler gequält und er wollte sie wieder heimholen? Vielleicht war es auch nur der Wind, das himmlische Kind, das da zu Werke gegangen ist. Wer weiß ...

... vielleicht ist die Tüte auch geradewegs ins Land der Träume geflogen.

27. November 2008

Gute Nacht