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GUTE-NACHT/2805: Transportwege (SB)


Gute Nacht Geschichten - Schattenwesen


Am frühen Morgen begibt sich Edwina wie jeden Tag in der Adventszeit auf den Weg zu ihrem Stand auf dem Weihnachtsmarkt. Auch diesmal nimmt sie ihren Korb mit. Vielleicht hat sie heute ein wenig Gelegenheit, Geschenke für ihre Enkelkinder zu besorgen. An Weihnachten werden sie kommen, um mit ihr den Heiligen Abend zu verbringen. Da werden sie gemeinsam den Baum schmücken und danach in die Kirche gehen. Auch wenn Edwina ansonsten keinen Fuß in die Kirche setzt, zum Weihnachtsfest läßt sie es sich nicht nehmen, mit den Enkelkindern in die geschmückte Kirche zu gehen, in der die Weihnachtsgeschichte gespielt und erzählt wird. Die Kinder freuen sich immer schon darauf, weil sie dort richtige Tiere sehen, die nur an diesem Tag des Jahres, die Kirche betreten dürfen.

"Ach, fast hätte ich meine Decke vergessen", sagt Edwina und stellt ihren Korb im Flur noch einmal ab. Das Deckenlicht hat sie bereits ausgeschaltet, aber sie findet selbst im Dunklen ihren Weg zur Schlafzimmertür. Plötzlich nimmt sie aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung im Spiegel war. "Was war das?", fragt sie sich für einen kurzen Moment. Dann aber ist ihr die braune Decke wichtiger. Sie möchte heute nicht schon wieder im Stand sitzen und frieren.

Hinter ihrem Rücken windet sich in der Dunkelheit ein Schatten durch die Ritzen des Korbes und sucht darin ein Transportversteck. Der Schutz kommt sogleich, als Edwina ihre Decke in den Korb fallen läßt. Auch jetzt bleibt das Licht im Flur noch ausgeschaltet. Edwina begibt sich auf den Weg und zieht ihre Wohnungstür hinter sich zu.

Bis zum Weihnachtsmarkt ist es nicht weit. Zum Glück ist der Weg nicht gefroren. Edwina hat stets Bedenken, daß sie ausrutschen und hinfallen könnte. Für ältere Menschen kann das böse Folgen haben. Edwina gelangt heil an ihren Arbeitsplatz. Sie öffnet die Tür zu ihrer Bude und stellt den Korb da ab. Die Decke nimmt sie heraus und legt sie auf den einzigsten Hocker hinter dem Tresen. Den Korb wieder an sich nehmend, verschließt sie die Budentür. Mit dem Korb am Arm zieht sie in die bereits geöffneten Geschäfte los. Die Buden des Weihnachtsmarktes machen sich erst eine Stunde später bereit für den Ansturm ihrer Kundschaft.

Ein einzelner vorbeilaufender Schüler wundert sich über die Geräusche, die aus Edwinas Stand heraus zu hören sind, hat er doch gesehen, wie Edwina diesen verlassen hat. "Vielleicht sind es Mäuse, die sich nach etwas Leckerem in der Bude umsehen", überlegt der Junge.

Doch nichts Leckeres ist der Schatten am suchen, der sich aus der Decke auf dem Stuhl im Inneren der Bude herausgearbeitet hat. Nach einem ganz besonderen kleinen Wesen hält er Ausschau, das in einem besonderen Licht erstrahlt. Dabei bleibt der Schatten selber aber im Dunklen verborgen. Die ganze Bude sucht der Schatten nach diesem Wesen ab, kann es aber zwischen all den Socken und Wollknäulen nicht finden, die Edwina bald wieder hier zum Kauf anbieten wird.

Das, was der Schatten sucht, kann nur in einer der anderen Buden zu finden sein. So beschließt er, sich so bald als möglich davon zu schleichen. Gerade da öffnet Edwina die Tür und nimmt auch die Bretter von der Auslage fort. Das Schattenwesen verkriecht sich ganz tief zwischen den Socken und bleibt hier verborgen, bis es am Abend wieder dunkel wird und die besonderen Lichter des Weihnachtsmarktes zu brennen beginnen. Dieses warme Licht erregt erneut die Aufmerksamkeit des Schattenwesens.

Doch leider kann es seine Suche nicht auf eine Weise fortsetzen, die ihm genehm ist, denn endlich nach langem Warten, findet auch ein Kunde sich an Edwinas Stand ein, der gleich mehrere schwarze Sockenpaare kaufen möchte. Edwina packt sie in eine Plastiktüte ein und reicht sie dem Kunden. Dieser ahnt nicht, genauso wenig wie Edwina, daß sich zwischen den Socken etwas verbirgt, das da so gar nicht hingehört.

"Wenn sie meinem Mann nicht passen, kann ich sie dann morgen umtauschen?", fragt die Kundin. Edwina bestätigt die Frage, hofft aber, daß sie die Socken nicht wieder zurückzunehmen braucht, schließlich möchte auch Edwina einige Euro verdienen. "Also dann bis zum nächsten Mal!", verabschiedet sich die Kundin.

11. Dezember 2008

Gute Nacht