Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/2810: Die fremde Landschaft (SB)


Gute Nacht Geschichten - Schattenwesen


"Heute abend brauche ich alles Licht der Welt", scherzt Edwina. Gerade ist sie vom Weihnachtsmarkt zurückgekommen. Das Geschäft lief ganz gut. Vielleicht lag es daran, daß es irgendwie kälter geworden ist und die Besucher des festlichen Marktes eingesehen haben, daß warme Socken doch genau das Richtige für diese Jahreszeit sind.

Edwina steht jeden Tag bis zum Heiligen Abend noch auf dem Weihnachtsmarkt. Da hat sie nicht viel Zeit, Weihnachtsvorbereitungen zu treffen. Aber sie läßt es sich nicht nehmen, die Wohnung auf Hochglanz zu bringen. Wenn ihre Gäste am Heilig Abend kommen, möchte sie, daß alles sehr schön wird. An diesem Abend beginnt sie mit Putzen. Das ist nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung. Deshalb stellt sie diesen Teil der Arbeiten, die sie noch bis zum Fest erledigen will, an oberste Stelle. Die Weihnachtsbäckerei steht für morgen abend auf dem Programm.

Während Edwina mit Schrubber und Putzlappen hantiert, kriecht der Schatten so weit wie möglich in den hintersten Winkel des Zimmers. Dort ist es ihm aber immer noch viel zu grell. Deshalb kriecht er in die Ritze hinter den Schrank. Von da hat er einen Blick auf den großen schwarzen Kasten, der auf dem Eckschrank steht. Er ist oben leicht abgeschrägt und hat viele Löcher. "Darin wird es doch sicher dunkel sein", denkt der Schatten und als Edwina einmal kurz die Lampen im Zimmer ausschaltet, um über die Glühbirnen zu wischen, schlüpft der Schatten durch eines der Löcher in den großen Kasten hinein.

Edwina schaltet die Deckenbeleuchtung im Wohnzimmer wieder ein. "Putzen ist doch irgendwie langweilig", denkt Edwina, "vielleicht hilft etwas Unterhaltung. Ich könnte mir den Fernseher einschalten. Was kommt denn heute?" Edwina sucht nach der TV-Zeitung, kann sie aber nicht finden. "Dann schaue ich einmal direkt nach, was läuft", entscheidet Edwina und will gerade auf den Anschaltknopf des Fernseher drücken, als ihr Telefon klingelt.

Der in den Kasten geschlichene Schatten ist überrascht, wie es im Inneren hier ausschaut. Wie in eine Landschaft von einem anderen Stern scheint der Schatten versetzt zu sein. Hier fühlt er sich allerdings nicht gerade wohl. Deshalb nutzt er die nächstbeste Möglichkeit, um aus diesem unheimlichen Gelände wieder zu verschwinden. Eines der Löcher am Boden läßt ihn unter den Fernseher wieder nach außen gelangen. Zwar ist es an diesem neuen Platz nicht ganz so dunkel wie unter dem Eckschrank, aber der Schatten will hier auch nicht lange verweilen.

Das Telefongespräch ist beendet. Davon hat der Schatten gar nichts mitbekommen. Edwina drückt nun auf die Fernbedienung und schaltet das Fernsehgerät ein.

Ein seltsames Knistern erfaßt den Schatten, so daß er nicht darauf achtet, wohin er abrutscht. Er zuckt kurz zusammen und verschwindet wieder hinter dem Eckschrank. Etwas benommen bleibt er da liegen. "Hoffentlich gehen bald wieder all diese grellen Lichter aus!"

Edwina hingegen braucht noch einige Zeit, um ihre ganze Wohnung in Ordnung zu bringen. Erst dann löscht sie alle Lichter aus.

18. Dezember 2008

Gute Nacht