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GUTE-NACHT/2899: Corinna und der Strudel (SB)


Gute Nacht Geschichten


Der Sturm peitscht die Regentropfen gegen das Kinderzimmerfenster. Corinna sitzt bei Dämmerlicht in ihrem Schaukelstuhl. Vor und zurück - vor und zurück.

Einige Fragen gehen Corinna schon die ganze Zeit im Kopf herum. Wenn sie abends die Augen schließt und auf Reisen geht, ist sie dann völlig verschwunden? Oder liegt ihr Körper noch im Bett? Denkt sie sich die ganzen Reisen nur aus? War sie etwa gar nie dort, obwohl sich alles so wirklich anfühlt? Vielleicht sollte sie einmal versuchen, sich etwas von ihren Reisen mitzubringen.

Durch ihre letzte Reiseerfahrung weiß Corinna, daß sie auch in das Kaufhaus gelangt, wenn die Eingangstüren schon verschlossen sind. Corinna geht darum nicht zu früh ins Bett. Vorsorglich hat sie ihre Tante May gestern gefragt, wann die Putzkolonne im Kaufhaus denn mit ihrer Arbeit fertig ist. Tante May konnte Corinna die Frage beantworten: "So gegen 21.00 Uhr." Corinna legt sich heute abend um halb zehn ins Bett. Sie will sicher sein, daß auch wirklich keiner mehr im Kaufhaus ist, außer dem Hausmeister. Aber der macht sowieso nur jede Stunde einmal seine Runde.

Bevor Corinna die Augen schließt, stellt sie sich noch einmal den Bonbonstand in der Nähe des Eingangs vor. Sie denkt an die vielen durchsichtigen Behälter mit den Bonbons aus aller Welt. Jetzt schließt sie die Augen und denkt ganz fest an den Stand. Da erscheint er. Corinna betastet ihn vorsichtig. Ja, sie fühlt ihn und sie sieht die Plastikwürfel mit den Süßigkeiten. Auf jedem dieser Behälter klebt ein Schild. Diese Schilder zeigen die Flaggen der Länder, aus denen die Bonbons stammen. Corinna hält mit einer Hand ihr Nachthemd wie einen kleinen Beutel hoch. Mit der anderen Hand greift sie in die Behälter und nimmt sich aus jedem Behälter zwei Bonbons heraus. Corinna beeilt sich, dann greift sie auch mit ihrer zweiten Hand nach ihrem Nachthemd und hält mit beiden Händen ihre Schätze fest.

Plötzlich denkt Corinna an das Mädchen mit den Sterntalern. Auf einmal ist es ganz dunkel und Corinna friert. Was ist los? Es scheint als stünden dort drüben Bäume. Sicherlich sind das Dekorationsstücke, aber warum ist es so dunkel hier und kalt? Corinna blickt in ihr gebündeltes Nachthemd, daraus blitzt und blinkt es hervor, so als lägen lauter Goldtaler darin. Was ist hier nur los?

`Noch eben stand ich an der Bonbontheke und jetzt scheint es mir, als stünde ich im Wald? Wo ist die Ladentheke, wo sind die vielen Bonbongläser?', denkt Corinna. Da tauchen sie wieder vor ihrem inneren Auge auf. Corinna ist erschöpft und sehnt sich nach Hause in ihr Bett.

Wie von einem Strudel wird Corinna gepackt. Sie dreht sich und hält dabei dennoch die ganze Zeit ihr Nachthemd fest. Sie sieht bunte Flecken und blitzende Sternchen. Dann liegt sie wieder zuhause in ihrem Bett. Corinna ist so erschöpft, daß sie gleich tief und fest schläft.

An diesem Abend bekommt Corinna nicht mehr mit, als ihre Mutter noch einmal nach ihr schaut, ihr den Teddy in den Arm legt und sich wundert, warum vor Corinnas Bett bunt eingewickelte Bonbons liegen, von denen das Papier einiger wie Gold glitzert.

Erstveröffentlichung 15. September 1998

3. April 2009

Gute Nacht