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GUTE-NACHT/3368: Der kleine Nachtwächter sucht mit (SB)


Gute Nacht Geschichten vom kleinen Nachtwächter


Mit der Laterne in der einen und der Taschenlampe in der anderen Hand zieht der kleine Nachtwächter auch an diesem Abend los. Es ist feucht und regnerisch, daher sind keine Sterne am Himmel zu entdecken. So ist es auch recht dunkel in der Nacht. Aber die Laterne zeigt dem kleinen Nachtwächter den Weg. Rebell, sein Hund, läuft voraus, wie er es stets liebt. Kreuz und quer läuft er den Weg entlang und schnuppert an Grashalmen und Büschen. Auch die Mülltonnen läßt er nicht aus und hebt dort sein Bein. Keine läßt er aus.

Plötzlich verschwindet Rebell in einem Hauseingang und wufft. "Was ist denn da bloß los?", fragt sich der kleine Nachtwächter und beschleunigt seine Schritte. Im Hauseingang entdeckt er einen Mann, der am Boden kauert.

"Suchen sie etwas? Kann ich helfen?", bietet der kleine Nachtwächter seine Hilfe an. "Ach, lassen sie nur. Gehen sie ruhig weiter. Ich suche bloß meinen Haustürschlüssel", antwortet der Fremde. "Nun, sie haben ja gar kein Licht", stellt der kleine Nachtwächter fest, "ich leuchte ihnen." Und so suchen der Fremde und der kleine Nachtwächter zusammen nach dem Haustürschlüssel. Doch er ist nirgends zu entdecken.

"Steckt er vielleicht noch in eine ihrer Jackentaschen?", versucht der kleine Nachtwächter behilflich zu sein. "Nein", entgegnet der Fremde, "er ist mir herunter gefallen. Ich werde ihn schon finden. Gehen sie ruhig ihrer Wege."

Doch der kleine Nachtwächter läßt sich nicht fortschicken. Er sieht es geradezu als seine Aufgabe an, dem fremden Mann beizustehen. Denn wenn schon einmal etwas in der Nacht an diesem Ort geschieht, dann will er sich auch darum kümmern. "Was wäre denn sonst die Aufgabe eines Nachtwächters?", findet er.

Nach einer Weile des Suchens schlägt der kleine Nachtwächter vor: "Wissen sie was? Ich bringe sie zu mir nach Hause. Dort können sie auf meinem Bett schlafen und morgen am Tag den Schlüssel suchen oder sich einen neuen herstellen lassen." - "Aber das geht doch nicht", entgegnet der Fremde. "Ist schon gut", sagt der kleine Nachtwächter, "ich gehe sowieso nicht vor dem Morgengrauen ins Bett."

Noch einmal leuchtet er mit der Laterne die Hausecke aus, kann aber keinen Schlüssel finden. Mit der Taschenlampe geht er die Wände rauf und runter und entdeckt die Klingeln mit den Namensschildern der Menschen, die hier wohnen. Meyer, Schmidt und Schulze steht da geschrieben.

Nun wendet er sich wieder dem Fremden zu. Was dieser auch sagt, der kleine Nachtwächter läßt sich nicht von seinem Vorhaben abbringen und geleitet den Mann zu sich nach Hause. Dort bekommt er einen Schlafanzug aus dem Schrank des kleinen Nachtwächters, ein Handtuch und eine frische Zahnbürste.

Gerade will sich der kleine Nachtwächter wieder auf den Weg begeben, da fällt ihm plötzlich etwas ein und er fragt: "Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin der neue Nachtwächter dieser Stadt und wer sind sie?" Ohne zu zögern entfährt es dem Mann: "Zucker!" - "Oh", sagt da der kleine Nachtwächter, "sie heißen nicht Meyer, Schmidt oder Schulze?" - "Nein", entgegnet der Mann, "wieso sollte ich?"

Der kleine Nachtwächter atmet tief durch und sagt dann: "Nun, in dem Haus, wo ich sie fand, wohnt niemand mit dem Namen Zucker!"

Herr Zucker blickt betreten zu Boden. Er könnte jetzt irgendeine Geschichte erfinden, doch er sagt nun doch lieber die Wahrheit: "Es tut mir leid. Ich wohne wirklich nicht in dem Haus, und ich habe auch keinen Schlüssel verloren. Ich lebe nicht einmal in dieser Stadt. Von Haus zu Haus, von Ort zu Ort ziehe ich durch die Lande. Manche nennen mich Hausierer, andere Landstreicher und einige sogar Abschaum. Dabei möchte ich doch nichts anderes als eine Wohnung oder sei es bloß ein ganz kleines Zimmer haben und einer Arbeit nachgehen. Dann hätte ich auch wieder Freunde. Das ist mein Traum."

Nach einer betretenen Pause fragt der kleine Nachtwächter: "Warum haben sie das denn nicht gleich gesagt?" Herr Zucker gesteht: "Ich habe mich geschämt. Ich wollte nicht, daß mich jemand in dem Hauseingang entdeckt und sieht, daß ich dort schlafe. Hier, ich gebe den Schlafanzug, das Handtuch und die Zahnbürste zurück und verlasse das Haus."

"Aber nein", protestiert der kleine Nachtwächter, "die Einladung steht noch, jetzt mehr als zuvor. Ich freue mich, daß sie so ehrlich zu mir sind. Nutzen sie mein Bad und bestimmt haben sie Hunger. Was im Kühlschrank ist ... nun, greifen sie nur zu und schlafen sie sich einmal richtig aus. Morgen früh frühstücken wir zusammen und dann sehen wir weiter." - "Vielen Dank", flüstert Herr Zucker, "das werde ich ihnen nie vergessen."

Der kleine Nachtwächter nimmt seinen Hut, seine Laterne und die Taschenlampe und wendet sich zum Gehen. Dann dreht er sich noch einmal um und sagt: "Herr Zucker, schlafen sie gut!" Danach schließt er die Tür des Schlafzimmers hinter sich. Nun bückt er sich und flüstert Rebell ins Ohr: "Bleib du schön hier und paß auf, daß Herr Zucker nicht fortläuft. Vielleicht können wir ihm morgen ja weiterhelfen."

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1. April 2011