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GUTE-NACHT/3456: Knopf, Knöpfchen und Auge unterm Blätterdach (SB)



K N O P F ,   K N Ö P F C H E N   &   A U G E

unterm Blätterdach


Auge, Knopf und Knöpfchen hielten es inzwischen in der Enge und der Dunkelheit von Schwiegermutters Hand nicht mehr aus. Es war einfach zu heiß hier. Nur einmal hatte Schwiegermutter ihre Hand geöffnet und sich die drei Abenteurer betrachtet. Wie gebannt blickte sie wieder auf Auge hinab. Dann rief der Busfahrer die nächste Station aus. Schwiegermutter umklammerte erneut die drei Knöpfe, stand auf und zeigte dem Busfahrer durch das Drücken des Klingelknopfes an, daß sie auszusteigen gedachte.

"Wie lange werde ich noch hier in der Hand schmoren?", überlegte Knöpfchen. Knopf hingegen ließ die Bilder der letzten Tage noch einmal in seinen Knopflöchern auftauchen. Dafür war die Dunkelheit schon eine gute Leinwand. Auge spürte nicht die Enge, sah nicht die Dunkelheit. Etwas in ihm klopfte wie wild. Er war so aufgeregt, er hätte platzen können. Alle drei lagen dicht aneinander gedrängt, umschlossen von der fleischigen Hand.

Sie merkten die Bewegung der Hand. Schwiegermutter schlenkerte sie sicher beim Gehen hin und her. Plötzlich bewegte sich die Hand nicht mehr. Knopf, Knöpfchen und Auge warteten auf den Moment, da Schwiegermutter die Hand wieder öffnen würde und waren gespannt, ob sie dann am Ziel ihrer Reise angekommen waren.

Endlich öffneten sich die Finger der Hand. Doch wo waren die Drei nun? Über ihnen erblickten sie ein Dach aus Blättern. Eigentlich hatten sie vermutet, in einem Haus wieder aus der Enge hervorgeholt zu werden, im Haus in dem Maria-Luisa wohnte. Doch Schwiegermutter hatte auf einer Bank unter einem Baum Platz genommen. Sie wollte noch einmal darüber nachdenken, ob sie wirklich zu ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter kommen konnte, um ihnen die drei Knöpfe zu präsentieren. War das nicht ein bißchen albern, einem Traum, ja so einer inneren Stimme zu folgen. War sie dazu nicht schon ein wenig zu alt? Schwiegermutter grübelte. Sie sah dabei das Auge lange an. Dann löste sich ihr Blick von dem kleinen Ding und blickte hinauf zum Blätterdach.

Erinnerungen an eine längst vergessene Zeit drängten sich ihr auf. Damals war sie noch sehr klein. Einen ständigen Begleiter hatte sie zu dieser Zeit. Es war ein kleines Kätzchen. Aus Wolle hatte ihre Mutter es gestrickt. Als Augen hatte sie zwei winzige Knöpfe angenäht, denn damals wurden viele Spielzeuge von den Eltern noch selbst gebastelt. Eines Tages war nach einer Kletterpartie ein Auge des Kätzchens verloren gegangen. Schwiegermutter hatte es erst zuhause bemerkt und war am nächsten Morgen gleich wieder losgezogen, den Knopf zu suchen. Doch sie fand ihn nie wieder. Wie hatte sie da geweint und das Kätzchen bedauert ...

Neben Schwiegermutter nahm ein alter Herr auf der Bank Platz. Er sagte: "Guten Tag!" Schwiegermutter erschrak. Sie war so in ihre Gedanken versunken gewesen. Der alte Herr wunderte sich, daß die Frau neben ihm ganz gebannt hinauf in das Blätterdach starrte und danach ihr Blick in ihre Hand fiel. Doch bevor der alte Herr noch erkennen konnte, was die Frau da in ihrer Hand hielt, stand sie bereits auf.

Schwiegermutters Entschluß stand fest. Es war nicht dumm, ihren Sohn aufzusuchen, um der Enkelin das verloren gegangene Auge des Teddys wiederzubringen.

Noch in Gedanken erwiderte sie den Gruß des alten Herrn. Doch sagte sie nicht "Guten Tag" sondern:

"Gute Nacht."

Knopf, Knöpfchen und Auge - Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick

zum 17. August 2011