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GUTE-NACHT/3457: Knopf, Knöpfchen und Auge sind gespannt (SB)



K N O P F ,   K N Ö P F C H E N   &   A U G E

sind gespannt


Noch ein Weilchen wanderte Schwiegermutter die Allee entlang bis sie endlich vor der Haustür ihres Sohnes, dessen Frau und der Enkelin Maria-Luisa stand. Schwiegermutter öffnete noch einmal die Hand, blickte stumm auf die zwei Knöpfe und das Auge hinab und überlegte erneut, ob sie nicht doch umkehren sollte, anstatt an diesem schönen Sonntag mit einem so albernen Gedanken hier aufzutauchen. "Ach was! Ich kann meinen Lieben ruhig einmal ohne Anmeldung einen Besuch abstatten", sagte Schwiegermutter zu sich selbst. Ihre Schwiegertochter würde sicher nicht so sehr erfreut sein. Immer gab es Streit, wenn sie sich trafen. Deshalb hatte Schwiegermutter ihren Sohn in den letzten Jahren auch immer seltener besucht, was ihre kleine Enkelin schade fand. "Mein Gott, so klein kann sie gar nicht mehr sein! Sie muß doch schon mindestens sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein", grübelte Schwiegermutter. Sie gab sich einen inneren Schubs und drückte auf die Klingel.

Nichts regte sich im Haus. Vielleicht waren sie gar nicht da? Aber vorhin gab das Telefon das Zeichen für "besetzt" von sich. Ob sie noch einmal klingeln sollte? Vielleicht machte sie sich ja auch lächerlich. Doch sie dachte an das Auge und den heftigen Streit, den sie vor Jahren mit ihrer Schwiegertochter gehabt hatte. Mary hatte sie beschimpft, daß Schwiegermutters jüngster Sohn, also Marys Schwager und somit Maria-Luisas Onkel, Maria-Luisas Teddy ein Auge abgerissen hätte. "Das würde er nie tun!", hatte Schwiegermutter damals protestiert. Ein heftiger Streit war gleich im Gange. Und seither war nichts mehr wie zuvor. Schwiegermutter hatte ihren Sohn lange Zeit gar nicht mehr besucht, dann hatten sie sich wieder versöhnt - damals war Urgroßmutter gestorben. Seitdem besuchten sie sich trotz der Versöhnung nur selten.

Schwiegermutter drückte noch einmal auf den Klingelknopf. Sie hatte ein schlechtes Gewisssen, denn sie hatte nicht geglaubt, daß ihr jüngster Sohn so einem winzigen Teddy ein Auge ausreißen würde. Doch jetzt hielt sie ja den Beweis in der Hand. Noch einmal blickte sie auf das Auge hinab. Es schien traurig auszusehen. Im Innern des Hauses rührte sich etwas. Kurzerhand steckte Schwiegermutter die Knöpfe in ihre Jackentasche.

Knopf, Knöpfchen und Auge atmeten erleichtert auf. Jetzt war es nicht mehr so eng und so heiß um sie her. Doch Auge wurde dennoch etwas traurig. Sollte das das Ende der Geschichte sein? Hatte die alte Dame ihn beiseite gelegt? Aus den Augen, aus dem Sinn, besagte ein Sprichwort. Würde Schwiegermutter ihn vergessen?

Die Haustür öffnete sich. Eine große ältere Frau schaute heraus: "Nanu, was tust du denn hier? Ist etwas passiert? Wie bist du hierher gekommen?" So viele Fragen auf einmal ohne ein Hallo oder eine Guten-Tag-Begrüßung. Schwiegermutter schluckte ihren Ärger hinunter und begrüßte stattdessen ihre Schwiegertochter eben zuerst und fragte: "Darf ich hereinkommen?" - "Na klar! Entschuldigung, komm rein. Hast du schon gefrühstückt?" Schwiegermutter schüttelte den Kopf. Sie fühlte die Leere in ihrem Magen und den Durst in ihrer Kehle: "Ein Frühstück käme mir gerade recht! Danke." - "Wir sitzen in der Küche. Da ist es immer am gemütlichsten!"

Schwiegermutter begrüßte ihren Sohn und setzte sich an den Küchentisch. Ihre Enkelin saß nicht mit am Tisch, deshalb fragte sie: "Ist Maria-Luisa da?" - "Ja, aber sie schläft noch. Sie ist gestern erst sehr spät von einer Party nach Hause gekommen. Was ist mit ihr?", fragte Schwiegertochter. Ohne auf die Frage zu antworten, stellte Schwiegermutter eine Gegenfrage: "Sagt mal, hat Maria-Luisa noch ihren alten Teddybären?"

Schwiegermutters Sohn blickte seine Mutter erstaunt an, während seine Frau rot anlief und sich überlegte, was diese Frage jetzt, hier am sonnigen Frühstückstisch sollte? Wollte Schwiegermutter ihnen den Tag verderben? War sie deshalb gekommen, um die alten Geschichten wieder hervorzukehren? Sollte sie jetzt auf diese Frage ruhig antworten oder lieber ihrem jahrelang unterdrückten Ärger Luft verschaffen?

Knopf und Knöpfchen und Auge hatten jedem Wort der drei Verwandten gelauscht. Auch sie warteten jetzt gespannt auf eine Antwort. War Teddybär noch am Leben? Und wenn ja, lebte er noch hier im Haus?

Schwiegertochter wollte sich lieber nicht auf dieses heikle Thema Teddybär einlassen. Sie sagte erst einmal kein einziges Wort mehr. Ihr Mann gab seiner Mutter zu verstehen, daß Maria-Luisa noch schliefe und daß sie mit der Antwort auf ihre Frage warten müsse, bis ihre Enkelin endlich aufstand. "Unsere Tochter hat nämlich einen sehr guten Schlaf."

"Gute Nacht."

Knopf, Knöpfchen und Auge - Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick

zum 18. August 2011