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GUTE-NACHT/3508: Im Schuhschrank ist die Hölle los - Teil  3 (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

I m   S c h u h s c h r a n k   i s t   d i e   H ö l l e   l o s


Während all die anderen Schuhe aus dem Schuhschrank zu ihrem Treffen auf dem großen Teppich im Eingangsflur fortzogen, war der kleine Turnschuh still in seiner Ecke im mittleren Schuhfach geblieben. Sein Weinen hatte er gestoppt. Keiner der anderen Schuhe sollte auf ihn aufmerksam werden und ihn womöglich mit auf den Teppich nehmen. Der kleine Turnschuh dachte bei sich: "Die Großen reden immer viel, aber helfen ist dann doch nicht ihr Ding. Deshalb zieh ich lieber gleich los und suche meinen Bruder ganz alleine." Der kleine Turnschuh sorgte sich wirklich sehr um seinen Bruder. Denn dieser war schon seit Tagen nicht mehr im Schuhschrank aufgetaucht. Die Kinder hatten Verstecken gespielt.

Eigentlich hatten die beiden älteren Geschwister ihren jüngeren Bruder Toni geärgert. Toni war der Junge, dem die kleinen Turnschuhe paßten. Gern spielte Toni mit seinen älteren Schwestern. Doch die mochten das nicht so besonders. Deshalb schlugen sie oft vor, Verstecken zu spielen. Dann war ihr kleiner Bruder erst einmal eine Zeitlang außer Gefecht. So war es auch vorgestern geschehen. Diesmal versteckten die Schwestern nicht sich selber, sondern Tonis geliebte Turnschuhe - jeden Schuh in einem eigenen Versteck. Da war Toni für eine lange Zeit beschäftigt. Den einen Turnschuh hatten die Schwestern ziemlich leicht versteckt, meinten sie. Trotzdem fand Toni ihn nicht. Er kam einfach nicht auf den Gedanken, seine Schwester könnten ihn genau im Schuhschrank versteckt haben. Doch da lag er - im mittleren Fach.

Darauf muß man erst einmal kommen. Den zweiten Schuh versteckte die jüngere Schwester. Sie suchte sich einen Platz aus, an dem Toni auf keinen Fall suchen durfte. Das war schon ziemlich gemein. Doch so waren die beiden Schwestern sicher, daß sie die nächste Zeit ziemlich ungestört sein würden.

Der kleine Turnschuh wartete ab, bis alle Schuhe im Eingangsflur waren, dann zog er los und suchte das ganze Haus ab. Er suchte in der Küche hinter dem Mülleimer, denn dort hatte er auch schon einmal eine Nacht verbracht, nachdem Toni im Matsch gespielt hatte. Tonis Mutter wollte, daß Toni den Dreck gleich in den Mülleimer kratzen sollte. Doch Toni hatte ersteinmal seine Lieblingssendung geguckt und vergaß darüber seine Schuhe. Erst am nächsten Morgen fielen sie ihm wieder ein. Zum Glück bekam Tonis Mutter nicht mit, daß er seine dreckigen Turnschuhe wieder anzog, sonst hätten die beiden Kleinen wohl noch länger neben dem Mülleimer warten müssen.

Hinter dem Mülleimer lag heute jedoch kein zweiter Turnschuh. So suchte der Kleine weiter und durchstöberte alle Zimmer. Er suchte unter allen Betten, in allen Schränken, deren Türen offen standen, und er sah in jede Ecke. Sogar unter den Wäschebergen, die überall auf den Fußböden der einzelnen Zimmer lagen, schaute er drunter - ja, er war schon in eine unordentliche Familie geraten.

Der kleine Turnschuh suchte die ganze Nacht hindurch. Zum Glück standen nachts im Haus immer alle Türen auf. Das lag daran, daß der kleine Toni verschlossene Türen gar nicht leiden konnte, so blieben nachts im Haus alle Türen offen. Nur die Türen nach draußen waren verschlossen. Deshalb konnte der kleine Turnschuh nicht in den Garten gehen und auch dort nach seinem vermißten Bruder suchen.

Allmählich neigte sich die Nacht ihrem Ende zu, und der kleine Turnschuh mußte sich eine Bleibe suchen, wo er den nächsten Tag verbringen wollte. Kleine Schuhe können nämlich nur nachts spazieren gehen. Sobald die Sonnenstrahlen hervorkommen, ist es vorbei mit der Freiheit. Doch die kleinen Schuhe haben es da noch gut. Die Schuhe der Erwachsenen haben nur in der Geisterstunde Ausgang. In früheren Zeiten hatten sie nachts immer soviel Unsinn angestellt, daß sie bestraft wurden und jetzt nur noch in dieser einen unheimlichen Stunde ihr Unwesen treiben können.

Der kleine Turnschuh hatte trotz des langen Suchens den Bruder nicht gefunden und überlegte nun, wo er am besten bleiben könne, damit er irgendwie im Lauf des nächsten Tages ins Freie gelangen konnte, um in der folgenden Nacht den Garten nach seinem Bruder abzusuchen. Da kam dem kleinen Turnschuh eine Idee. Am besten wäre es doch, wenn er sich bei Tessa, dem Bernhardiner des Hauses, verstecken würde. Der verschleppte ja des öfteren die unterschiedlichsten Gegenstände. Viele Dinge waren so auch schon in den Garten gelangt. Der kleine Turnschuh fand das eine gute Idee und bettete sich neben dem Bernhardiner zur Ruhe.


Gute Nacht

zum 6. Januar 2012