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KALENDERGESCHICHTEN/004: 04-2011   Rettung im grünen Auto (SB)

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Rettung im grünen Auto


"Ringo, sieh mal, was ich entdeckt habe, das gibt 's doch nicht", alle vier Pfoten stemmte er in den aufgeweichten Boden, schob das hohe Gras mit seinem Kopf noch weiter auseinander, um seinem kleinen Freund die Sicht auf seine Entdeckung zu verbessern. Dort unten stand doch wirklich ein extrem grünes Auto auf dem Hof.

"Oh, toll, komm das sehen wir uns aus der Nähe an!", Ringo wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, trat von einer Pfote auf die andere, seine Schnauze weit vor gereckt und die Nase in den Wind ...

"Stop!", rief Rudi so laut flüsternd wie er konnte und zupfte Ringo am Ohr. "Da, der Mann, den kenne ich. Das ist der Bauer vom Hof und der kann Hunde nicht ausstehen. Wenn der uns hier zu Gesicht bekommt, dann ... ?" Rudi brachte den Satz nicht zu Ende. Ringo hatte seinen Kopf gedreht - seine Nasenspitze berührte die von Rudi - und er blickte erschrocken drein. "Uups", gluckste Ringo und setzte sich.

Der Bauer steuerte gemächlich mit der Mistgabel über der Schulter auf das Auto zu.

"Was soll das denn werden, seit wann braucht man eine Mistgabel zum Autofahren? Oh nein, was tut der da?" Fast wäre Ringo aufgesprungen, doch sein großer Freund hatte die Ruhe weg und beobachtete das Geschehen nur. Die Mistgabel wurde von dem Bauern hoch in die Luft gehoben und sauste blitzschnell mit den Zinken in den Misthaufen. Der befand sich hinter dem Auto und weder Rudi noch Ringo hatten ihn bisher beachtet - wozu auch. Der Mann kramte in seiner Hosentasche und holte einen Schlüsselbund hervor, bückte sich leicht auf die Autotür zu und öffnete sie, setzte sich auf den Fahrersitz und blieb eine Weile sitzen.

"Merkwürdig, warum fährt er denn nicht los? Verstehst du das, Rudi?"

"Nein, nicht wirklich. Normalerweise müsste er den Motor anlassen und abdüsen. Da, sieh mal, da kommt Inga angeflogen, vielleicht kann sie mal dorthin fliegen und nachsehen." Etwas aus der Puste landete Inga auf dem Bäumchen neben Rudi und Ringo.

"Hallo, ihr beiden, was gibt 's Neues?"

"Also, wir wollten gerade hinunter auf den Hof laufen, um uns das tolle grüne Auto anzusehen. Da stapfte plötzlich der Bauer zum Wagen, setzte sich hinein - und da sitzt er nun."

"Ja, und wo ist das Problem", fragte Inga und zog dabei eine Feder durch ihren Schnabel, um sie zu glätten, so dass es sich mehr anhörte wie: "Jee, ün wö üs deees Frübleem?"

Rudi und Ringo starrten sich fragend an: "Na ja, der Mann fährt einfach nicht los und das finden wir merkwürdig. Außerdem: wenn er losfahren würde, dann müssten wir uns nach einem neuen Abenteuer umsehen, wenn nicht, dann müsste er bitte schön wieder aussteigen, den Hofplatz verlassen, damit wir ein echtes Auto-Abenteuer erleben können. Also!"

"Und?", Inga wiegte ihren Kopf hin und her und hüpfte auf ihrem Ast auf und nieder, als wolle sie Turnübungen ausführen. Sie sprach selten in ganzen Sätzen und eigentlich überhaupt nicht so viel. Ringo und Rudi kannten sie lange genug und fanden das ganz in Ordnung - so war sie eben.

"Könntest du uns vielleicht helfen", bellte Rudi besonders höflich.

"Ja, das wäre toll, flieg hinunter und sieh nach, warum der Mann nicht losfährt", stimmte Ringo leider sehr aufgeregt in die Frage ein.

"Hä, ich soll was?"

"Hinfliegen und nachsehen, ganz einfach", betonte Rudi noch einmal seine Bitte.

"Nun, okay, gleich wieder da", zwitscherte sie hell und flog mit so viel Schwung davon, dass der Ast, auf dem sie gesessen hatte, auf und nieder schwang.

Rudi und Ringo blickten der kleinen Inga hinterher. Sie konnte ganz schön schnell fliegen. Es dauerte nicht lange und eine ziemlich aufgeregte Inga kam zurückgeflattert. Rasch bewegte sie ihre Flügel und bemühte sich, sicher auf dem Ast zu landen, wäre aber fast kopfüber gefallen, aber nur fast. Im letzten Moment fand sie Halt und zwitscherte: "Liegt einfach, sitzt nicht, liegt, umgekippt, auf beiden Sitzen, sieht falsch aus, gehört sich nicht, liegt einfach da und bewegt sich nicht!" Völlig aus der Puste wippte sie mit dem Schnabel, um die Wichtigkeit ihrer Botschaft zu unterstreichen.

"Wer oder was liegt wo herum und sieht falsch aus", wollte Rudi wissen, "das hört sich gar nicht gut an, was du sagst, aber könntest du dich bitte etwas genauer ausdrücken?"

"Ich weiß, ich weiß, was sie meint", bellte Ringo dazwischen. "Der Mann im Auto ist umgekippt und liegt jetzt auf beiden Sitzen und er rührt sich nicht, stimmt 's?", schaute er in Ingas Richtung und sah sie kräftig nicken.

"Und was tun wir jetzt, hat jemand eine Idee?", Rudi ergriff damit das Wort und sah fragend in die kleine Runde, "wir müssen dem Mann helfen!"

Für Rudi war das ganz klar und Ringo stimmte ihm sofort zu, ohne jedoch zu wissen, wie sie das eigentlich anstellen wollten. Aber losrennen konnten sie ja schon mal, wobei Ringo nach wenigen Sprüngen einfiel: "Der Mann kann Hunde doch nicht ausstehen, hast du gesagt!"

"Das spielt doch jetzt gar keine Rolle, er bewegt sich nicht und braucht Hilfe, also ...", damit schien alles erklärt und beschlossene Sache zu sein. Als sie das Auto erreichten, hielten sie einen Moment inne, schauten sich um, ob sie einen Menschen finden könnten, der hilft. Aber weit und breit war niemand zu sehen. Der Bauer war ganz allein auf dem Hof, wahrscheinlich hatte er keine Frau und keine Kinder.

Ringo wusste aber, dass unten am Hügel, auf dem sich der Hof des Bauern befand, eine Frau wohnte. Er besuchte sie öfter, weil sie ihm hin und wieder ein Stückchen Wurst hinwarf und ihn hinter den Ohren kraulte - das gefiel ihm gut. Er berichtete Rudi davon und schlug vor, hinunterzulaufen.

Rudi unterbrach ihn: "Sie wird denken, du willst dir deine Wurst erbetteln, sie wird dich nicht verstehen."

"Wahrscheinlich hast du recht", enttäuscht ließ Ringo den Kopf hängen.

"Los! Wir haben keine Zeit zu verlieren", brummte Rudi, "und die Idee, die Frau um Hilfe zu bitten, finde ich gut. Also machen wir folgendes: wir schieben das Auto den Hang hinunter. Ich setze mich aufs Dach und passe auf. Du rennst nebenher oder voraus und verscheuchst alle, die uns in den Weg kommen, damit nicht noch jemand verletzt wird."

Inga hatte sich bereits auf die Antenne gesetzt und wollte ebenfalls aufpassen. "Wer schiebt?", überlegte sie laut.

In diesem Augenblick war Rudi aber schon hinter das Auto gerannt, nahm gerade Anlauf und sprang gegen das Heck des Autos, stemmte seine Hinterpfoten in den Boden, die Vorderpfoten gegen das Auto, und tatsächlich bewegte es sich von der Stelle. Schnell kletterte Rudi aufs Dach und hielt sich gut fest. Das Auto nahm Fahrt auf, und Ringo musste sich ganz schön sputen, denn das Auto rollte schneller und schneller. Selbst Rudi wurde ganz mulmig zumute, und Ringo hatte gar keine Zeit zum Denken. Er rannte und rannte den Hang hinab, immer neben dem Auto her. Bald mussten sie den Hof von der netten Frau erreicht haben.

"Da, seht ihr, da vorne kann ich das Dach von dem Haus sehen ... jetzt das ganze Haus, wir sind gleich da", bellte Rudi lautstark vom Auto herunter.

"Rudiiiiiiiii", schrie Ringo entsetzt, "da vorn auf dem Weg, dort liegt ein Baumstumpf und wir fahren genau darauf zu!"

Rudi hielt sich fest, so gut er konnte. Zum Herunterspringen blieb keine Zeit, aber unwillkürlich bellte er panisch los. Ringo stimmte mit hohen Belltönen ein und versuchte vergeblich das Auto zu stoppen. Er sprang gegen die Tür, aber außer dass seine Pfoten heftig schmerzten, passierte gar nichts.

Dann ging alles ganz schnell. Das Auto stieß mit der Stoßstange gegen den Baumstumpf. Rudi flog in hohem Bogen vom Autodach, und Gudrun, die Gans vom Hof, kreischte laut auf. War das ein Spektakel, ein Lärm, ein Bellen, Zwitschern und Kreischen.

Die Frau eilte mit großen Schritten auf den Hof, erblickte das Auto und die Tiere, rannte sofort hin und wusste nicht so recht, was sie von dem Geschehen halten sollte. Da sie niemanden fragen konnte, sagte sie wohl mehr zu sich selbst: "Was ist denn hier los? Was bedeutet das alles? Lässt man nun schon Hunde ans Steuer?"

Rudi rappelte sich auf - glücklicherweise war er in einem Blätterhaufen gelandet und hatte sich nicht ernsthaft verletzt -, lief eilig zur Autotür und fing laut und kräftig an zu bellen. Als die Frau dies sah, folgte sie sofort zur Autotür, stellte sich neben Rudi und blickte in das Auto hinein.

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"Na, was ist denn da, lass mich mal sehen ... ja, das gibt 's doch nicht. Da liegt ja der Heinz drinnen. Ach Gott, ach Gott, ach Gott, was ist denn bloß passiert?"

In diesem Moment schlug der Mann die Augen auf. Der starke Aufprall hatte ihn wohl wieder erwachen lassen.

"Wo, wo, wo bin ich denn, was ist los, warum liege ich hier im ... ach du je, ach je, ach je, nun weiß ich wieder ...", er schüttelte den Kopf hin und her, rieb sich mit der Hand über die Augen und erkannte auch seine Nachbarin Frauke.

"Na, Heinz, soll ich den Krankenwagen rufen?", fragte sie und hielt ihr Handy schon bereit.

"Nein, Frauke, danke. Ich glaube das ist nicht nötig", dabei drehte er sich zum Aufstehen und stieß einen Schmerzensschrei aus. "Oh, ich vermute, ich habe mir einen gewaltigen Hexenschuß zugezogen und mir war schwarz vor Augen geworden, dann kann ich mich an nichts mehr erinnern. Ich weiß auch nicht, wie ich hierher gekommen bin."

"Vielleicht sollte ich doch einen Doktor anrufen, damit er dir etwas gegen die Schmerzen geben kann, und ich hole Jörn, der hilft uns, dich nach Hause zu bringen".

"Das wird wohl das beste sein, vielen Dank Frauke", sah Heinz nun ein, "aber wie bin ich denn überhaupt hierher gekommen?"

Frauke erblickte nun Ringo, der sich inzwischen dicht neben Rudi gesetzt hatte und alles aufmerksam verfolgte.

"Na, Heinz, ich glaube du hattest ein paar mutige Helfer. Vom Fenster aus sah ich dein Auto den Hang hinabrollen - mit dem Rudi auf dem Dach. Ich habe mich doch sehr gewundert. Als es dann draußen laut krachte, bin ich hinausgelaufen und habe das Unglück gesehen. Ich denke mir mal, dass sie dich gefunden haben und zu mir bringen wollten, damit ich helfen kann."

Rudi und Ringo hörten das und bellten, um Frauke zu bestätigen. Sie lachte und meinte: "Ja, so wird es wohl gewesen sein." Sie drehte sich wieder zum Auto und sah Heinz an: "Da haben die beiden aber großes Glück gehabt, dass dir nicht noch mehr passiert ist beim Aufprall. Na ja, sie haben es wohl gut gemeint und konnten die Gefahr mit dem Baumstumpf nicht vorhersehen."

"Ja, man kann sagen 'Glück im Unglück'. Stell dir vor, ich hätte wirklich etwas ganz Schlimmes gehabt und wenn mir niemand geholfen hätte, wäre ich vielleicht jetzt tot. Also, dann habe ich doch lieber ein paar Beulen und bin aber dafür noch am Leben."

Frauke dachte laut nach: "Es ist für einen Menschen schon schwer zu entscheiden, wie er sich verhalten soll, wenn er helfen möchte. Wie soll es da erst den Hunden gehen?"

Jörn und Frauke halfen Heinz in ihr eigenes Auto und fuhren ihn nach Hause, legten ihn in sein Bett und riefen den Doktor an. Der kam auch bald und konnte etwas gegen die Schmerzen verabreichen. Als Frauke und Jörn sich verabschieden wollten, sagte Heinz nachdenklich: "Wo ich doch keine Hunde leiden kann ..." Er schüttelte den Kopf über sich selbst und wusste ganz sicher, dass er nun seine Meinung geändert hatte, denn Hunde können sehr mutige und treue Gefährten sein.

Auch Rudi und Ringo hatten den Hof der netten Frauke verlassen. Nach so einem wahrhaftig großen Abenteuer wollten sie sich erst einmal etwas ganz Unabenteuerliches vornehmen.

"Hätten wir das Auto mit dem Mann besser stehenlassen sollen?", murrte Ringo leise.

"Ach was, Ringo, ich bin nicht mal sicher, ob Menschen immer alle Gefahren im Blick haben, vor allem, wenn sie sich schnell entscheiden müssen, ob und wie sie am besten einem anderen helfen können. Aber einfach zusehen oder weggehen und sich um nichts kümmern, das ist nicht meine Art. Ich bin ein Hütehund und passe auf", beschloss Rudi seine Überlegungen.

"Genau", bekräftigte Ringo seine Worte, sprang auf seine Pfoten und neckte Rudi, "mal sehen, wer als erster an unserem Lieblingsbaum ankommt, das schaffst du niiieeeee ..." Und weg war er.

Rudi stürmte hinterher und holte ihn kurz vor ihrem Baum ein. Die Sonne schien und sie verschnauften ein wenig.


31. März 2011