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KALENDERGESCHICHTEN/008: 08-2011   Die Insel, die es nicht gibt ... (SB)


Kalenderblatt August - © 2011 by Schattenblick

Die Insel, die es nicht gibt ...


Ein kleines Segelschiffchen

Monatelang hatten sie mit dem Bau zugebracht. Gesägt, gehämmert, Taue gedreht und Segel genäht bis es endlich fertig war. Prächtig war es geworden, viel größer als sie es geplant hatten und wirklich sehr imposant. Grete und Maite, beide stammten aus dem "Clan der großen, gelben Enten", waren mächtig stolz und hatten es kaum erwarten können, endlich in See zu stechen. Aber bevor sie eine lange Reise antreten würden, hatten sie beschlossen, erst einmal zu prüfen, ob das Boot auch so funktionierte, wie es sich für ein Segelschiff gehörte. Mit an Bord waren noch die Eichhörnchen Piet und Nico, die erst kurz vor der Fertigstellung des Bootes Freundschaft mit den Enten geschlossen hatten.

Grete und Maite hatten zwar alles über das Schiffebauen gelernt, nicht aber über das Segeln. Piet und Nico, der sich auch gern Käpt'n Nico nennen ließ, wiederum, hatten nicht viel Ahnung vom Schiffbau, dafür aber um so mehr vom Steuern eines Schiffes. Die beiden hatten aus einiger Entfernung das Bauvorhaben der beiden Enten beobachtet. Sie waren sehr skeptisch und glaubten nicht, dass ein richtiges Schiff dabei entstehen würde. Als die vielen Bretter, Holzplatten und Segel sich immer deutlicher zu einem Schiff zusammenfügten, wurden die beiden Eichhörnchen doch ziemlich neugierig und beschlossen, die Bekanntschaft mit den Enten zu suchen. Schließlich halfen sie den beiden bis alles fertig war und feierten die Schiffstaufe gemeinsam.

"Rote Krake" hieß das Schiff von da an. Sie hatten ein kleines Fest ausgerichtet. Bis spät in Nacht hatten sie gegessen, getrunken und Pläne geschmiedet; eben auch den von dieser Probefahrt. Nachdem sie Vorräte auf die "Roter Krake" geschafft und alles sorgfältig verstaut hatten, ging die Fahrt los. Nun befanden sie sich schon ein paar Tage auf See und wollten wieder nach Hause zurückkehren. Alles hatte hervorragend geklappt. Das Schiff war sicher und seetüchtig. Doch dann kam es ganz anders ...

Die beiden Enten standen am Steuerrad ihres prächtigen Segelschiffes. Der Wind stand gut, und so segelten sie schon eine ganze Weile mit vollen Segeln schnell dahin. Piet und Nico hatten sich unter Deck begeben, um ein Weilchen zu schlafen. Zuvor hatten sie den beiden Enten genau erklärt, in welche Richtung sie steuern sollten, damit sie wieder nach Hause segeln würden. Grete und Maite hatten die Anweisungen verstanden und beruhigten die Eichhörnchen, dass sie das schon schaffen würden. Schon wenige Augenblicke später konnten die Enten Piet und Nico unter Deck laut schnarchen hören.

Zeichnung © 2011 by Schattenblick

Zufrieden und zuversichtlich steuerten sie, wie es ihnen aufgetragen worden war. "Da sieh mal, was ist das denn?", rief Grete plötzlich erstaunt aus. Sie hielt das Steuerrad fest zwischen ihren Flügeln.

"Was, wo, was meinst du?", aufgeregt hüpfte Maite an der Bordwand hin und her.

"Na, dort drüben", zeigte Grete mit ihrem Schnabel genau in die Richtung. "Sieht aus wie eine Insel. Erinnerst du dich, dass wir auf dem Hinweg an einer Insel vorbeigesegelt sind?"

"Nee, bestimmt nicht. Da war die ganze Zeit nur Wasser um uns herum. Ganz sicher", antwortete Maite. Sie hätte sich nämlich sehr gefreut zwischendurch mal einen Landgang zu unternehmen. Ihr war von dem Schiffsgeschaukel ein wenig übel gewesen. Aber weit und breit war auf der Hinfahrt kein Land in Sicht. Natürlich wollte sie als stolze Ente nicht eingestehen, dass sie vielleicht so etwas wie seekrank sein könnte. Das war ihr peinlich. Aber immerhin wusste sie aus diesem Grunde ganz genau, dass sie keine Insel passiert hatten.

"Wie sind wir bloß hierher gekommen? Ich verstehe das nicht. Der Kompass hat ganz deutlich in diese Richtung gezeigt." Grete schüttelte ihren Kopf so heftig, dass ihr Schnabel klapperte.

"Du hast recht, hier auf unserer Karte ist diese Insel gar nicht eingezeichnet, nirgends ist hier weit und breit eine Insel verzeichnet", wunderte Maite sich leise murmelnd.

"Lass uns Piet und Nico wecken. Die werden wissen, was zu tun ist", schlug Grete vor. "Bitte sage ihnen Bescheid!"

Maite watschelte im Eiltempo zur Schiffsluke und brüllte hinunter: "Piet, Nico, kommt schnell, wir brauchen eure Hilfe!"

"Wo brennt 's denn? Keine Panik, wir kommen!", rief Nico mit seiner tiefen, rauhen Stimme. Wenige Augenblicke später standen sie an Deck.

"Schaut mal dort drüben, da liegt eine Insel ...", begann Grete mit ihrer Erklärung.

Doch dann übernahm Nico sofort: "Unbekannte Insel, Steuerbord, auf halber Höhe!"

"Alles klar, Käpt'n, Insel Steuerbord gesichtet", bestätigte Piet.

"Ja, sicher, das sagte ich doch gerade, dort drüben befindet sich eine Insel, die auf der Hinfahrt noch nicht da war und die auch nicht auf unserer Seekarte eingezeichnet ist!", wagte sich Grete noch mal energisch vor.

"Ihr habt euch versegelt", gab nun Piet seine Vermutung zum besten.

"Mann, Piet, stopp, so sagt man das nicht als Seemann", belehrte Nico seinen Freund.

"Wie denn?", wollte der nun aber wissen.

"Na, ja, ungefähr so: Ihr seid vom Kurs abgekommen ...", erklärte Nico.

"Quatsch, das glaube ich nicht. Wir haben uns genau an eure Anweisungen gehalten. Der Fehler muss woanders liegen. Die Insel ist ja nicht einmal auf der Karte, wie ich schon sagte", unterbrach Grete die beiden.

"Nicht auf der Karte? Hmm, zeigt mal her", forderte Nico.

Grete und Maite gingen ein wenig zur Seite, um Käpt'n Nico freie Sicht auf die Seekarte zu ermöglichen. "Piet, komm doch und sieh dir das an", rief Nico.

Piet stellte sich neben ihn und betrachtete ebenfalls die Karte. "Nichts, keine Insel aufgemalt. Aber, warte mal, wo sind wir denn, wenn nicht hier, ich meine, entweder ist die Karte falsch oder das Meer!"

"Stimmt genau, irgendetwas stimmt hier nicht!", brachte Nico in einem gewichtigen Tonfall hervor.

"Was machen wir denn jetzt?", wollte Grete wissen. "Hast du eine Idee in welche Richtung wir segeln müssen ...?"

Nico blickte etwas verlegen drein: "Nein, ich muss schon sagen, so etwas ist mir noch nie untergekommen."

"Oh, ich weiß, wir fahren einfach auf die Insel und beratschlagen dort weiter", schlug Maite begeistert vor. Insgeheim sehnte sie sich nach festem Boden unter ihren Füßen und nach dieser langen Segelei kam ihr diese Insel gerade recht - ob nun auf der Karte eingezeichnet oder nicht.

Die anderen drei blickten sie verwundert an. Irgendwie fühlten sie sich überrumpelt, weil Maite so rasch mit einem Vorschlag zur Stelle war. Andererseits gefiel ihnen die Vorstellung nicht schlecht.

"Also, ich als Käpt'n weise darauf hin, ausdrücklich, dass das gefährlich werden kann. Inseln, die es nicht gibt ..."

"Die gibt 's doch, sieh doch einfach hin", protestierte Maite.

"Ich meine, Inseln, die auf keiner Seekarte verzeichnet sind", erläuterte Nico und fuhr fort, "also, wie gesagt, wenn wir dort hin segeln, müssen wir ganz vorsichtig sein. Am besten wäre es, wenn wir einen Kundschafter vorausschicken."

"Aber wir haben doch gar keinen, oder?", stellte Piet zweifelnd fest.

"Nun, ja, einer von uns müsste sich bereit erklären, dorthin zu schwimmen, auf die Insel zu schleichen und zu erkunden, ob dort eine Gefahr lauert", erklärte Nico.

"Ich, ich, ich mache das, ich schwimme sofort los", ereiferte sich Maite. "Bin schon weg!"

"Halt, hier geblieben, nicht so schnell", stoppte Grete nun ihre Freundin. "Das will gut geplant sein."

"Was willst du denn da planen? Ich schwimme einfach hinüber und sehe mir ganz heimlich die Insel an, so dass mich niemand sieht. Dann komme ich zurück zu euch und berichte alles genau und dann segeln wir dorthin", bestimmte Maite äußerst energisch.

Niemand widersprach. Bevor Maite ins Wasser sprang, war Grete noch herbeigeeilt, um ihr ein Glücksband zu schenken. Maite nahm es dankbar an und band es sich um ihren Kopf. Sie strahlte vor Freude und meinte, dass sie nun fast wie ein Pirat aussehen würde. Grete lachte und wünschte ihr alles Gute. Piet und Nico schlossen sich mit guten Wünschen an. Dann kletterte Maite über die Reeling, platschte aufs Wasser und schwamm los. Die drei blickten ihr eine Weile hinterher. Käpt'n Nico gab dann den Befehl zum Ankern.

"Toll", meinte Piet, "nun ist unser Schiff festgebunden, nun können wir nicht fortgespült werden."

Nico schüttelte den Kopf. "Piet, das heißt nicht 'das Schiff ist festgebunden', sondern: 'das Schiff liegt vor Anker'", murrte der Käpt'n.

"Auch gut, Hauptsache festgebunden ...", meinte Piet und lachte Nico so freundlich an, dass dieser nichts mehr sagte. Er hatte Piet sehr gern, wenn er ihm auch manchmal etwas auf die Nerven ging. Er war und blieb sein bester Freund.

Grete, Piet und Nico stiegen die kleine Treppe unter Deck und machten es sich in der Kajüte gemütlich. Grete bereitete eine kleine Mahlzeit zu und dann aßen und tranken sie. Zuvor aber sprach der Kapitän ein Wunschgebet: "Möge Maite wohlbehalten zu uns zurückkehren!"


*


Maite kam gut voran. Sie war eine wirklich gute Schwimmerin. Ihre Mutter hatte früher schon zu ihr gesagt: "Kind, du schwimmst so enorm schnell, so schnell, wie keine andere!" Dabei hatte sie ihre Kleine stets etwas sorgenvoll angeblickt und mehr zu sich selbst gesprochen: "Und das nur, weil du immer schnell wieder ans Ufer willst."

Dieses schnelle Schwimmen kam ihr jetzt zugute. Sie näherte sich der Insel, die von Nahem noch sehr viel größer und höher war. Maite hielt Ausschau nach einem geeigneten Platz für ihre Landung. Sie wollte ja nach Möglichkeit von niemandem gesehen werden.

"Ah, das dort drüben sieht ganz gut aus, die niedrig hängenden Zweige des großen Baumes bieten ein gutes Versteck", murmelte sie leise vor sich hin. Mit diesem Ziel vor Augen benötigte sie nur noch wenige Augenblicke bis sie das Ufer erreichte. Bevor sie an Land ging, schaute sie sich noch einmal in alle Richtungen um, ob ihr auch niemand gefolgt war. Auch die dichten Baumkronen durchforschte sie mit ihren scharfen Blicken, konnte aber keinen heimlichen Beobachter entdecken. Nun erst setzte sie einen Fuß auf die Insel und watschelte los. Nachdem sie sich durch die Zweige, die beinahe den Boden erreichten, gekämpft hatte, befand sie sich vor einer kleinen Anhöhe.

"Ganz schön steil bergauf", dachte sie bei sich, "aber nun gut, voran, voran ... " Immer wieder horchte sie auf ungewohnte Geräusche. Außer Vogelgezwitscher vernahm sie aber keine besonderen Laute. Sie kletterte weiter und weiter. Als sie oben angekommen war, drehte sie sich um und suchte die Wasseroberfläche nach ihrem Segelschiff ab. Das Schiff konnte sie schnell finden, doch niemand war an Deck.

"Vielleicht sind sie schlafen gegangen?", überlegte Maite. Sie war jedenfalls total müde und erschöpft von der ganzen Anstrengung. Ach, je, wie soll ich das nur alles schaffen? - "Jammer nicht rum, Maite, such dir ein gut verstecktes Plätzchen, schlaf ein wenig und dann geht es mit neuen Kräften wieder los", sprach sie streng mit sich selbst.

"Nur ein ganz kleines Weilchen", flüsterte sie und wühlte sich in einen Blätterhaufen. Nichts weiter als ihr Glücksband, das sie sich um den Kopf gewickelt hatte, war mehr von ihr zu sehen. Einen Moment lang lauschte sie noch in die Gegend. Weder Stimmen noch Schritte von irgend jemand waren zu hören. Sollte es wirklich eine ganz verlassene Insel sein?

Bald schon schlief Maite tief und fest.


*


"Wo bleibt sie nur?", sorgte sich Grete. Nach dem Essen war sie wieder an Deck gegangen, um nach Maite Ausschau zu halten. "Sie ist schon ganz schön lange weg. Hoffentlich ist ihr nichts passiert ..."

Mitten in ihre unheilvollen Gedanken hinein, plapperte Piet: "Na, jetzt könnte sie allmählich zurückkehren, was meinst du?" Er stellte sich dicht neben Grete und versuchte in dieselbe Richtung zu schauen. Als er nichts entdecken konnte, ließ er seinen Blick über das Meer schweifen bis hin zur Insel. "Es soll ja so Inseln geben, ich meine, so verwunschene Inseln, also, Inseln, die verzaubert worden sind ...", grübelte Piet halblaut vor sich hin. Dann sah er zu Grete auf, die ihn streng musterte.

"Rede bloß nicht weiter, ich mache mir schon Sorgen genug. Eine verzauberte Insel, nein, das ist zuviel ..."

"Wer redet hier von verzauberten Inseln?", erkundigte sich Nico mit lauter Stimme. Gerade war er die Stiegen hinaufgeklettert und hatte die letzten Sätze mitangehört. Nun stand auch er an der Reeling und schaute aufs Meer.

"Ach, weißt du, Nico, wenn die Insel doch auf keiner Karte eingezeichnet ist, wieso ist sie dann hier? Vielleicht können nur wir sie sehen. Vielleicht verschwindet sie aber auch in nächster Zeit wieder, kommt nur alle paar Jahre mal vorbei - und dann - huuiii, huiiii, ist sie wieder weg."

Grete und Nico starrten Piet entgeistert an. Auf einmal war es ihnen nicht mehr möglich ihre Blicke wieder aufs Meer zu richten. Sie fühlten sich sehr unbehaglich. Auch Piet glotzte mit leerem Blick in die Gesichter seiner Freunde. Eine mächtige Windbö erfasste das Schiff und seine Besatzung. Zum Glück hielt der Anker, so dass sie nicht abgetrieben wurden. Piet, Grete und Nico hielten sich aneinander fest, um nicht umzufallen. So plötzlich wie die Bö aufkam, war sie auch wieder verschwunden. Die drei Seefahrer konnten sich jetzt wieder bewegen, ließen einander los und blickten alle gleichzeitig auf Meer in Richtung Insel. Doch die Insel war nicht mehr da. Piet rieb sich die Augen und sah noch einmal hin, aber die Insel blieb verschwunden.

"Verflucht noch eins, was ist denn das?", rief Nico mit donnernder Stimme. "Piet, was hast du angerichtet?"

"Ich, wieso ich? Was soll ich denn getan haben?" Piet war sichtlich durcheinander.

"Lass ihn in Ruhe, Nico, du glaubst doch nicht wirklich, dass er für das Verschwinden der Insel verantwortlich ist?", wies Grete den Käpt'n zurecht.

"Nöö, tut mir leid, Piet, aber ich bin so durch'n Tüddel, ich kann das einfach nicht begreifen. Was machen wir denn jetzt. Hat jemand eine Idee?" Käpt'n Nico war wahrhaft erschüttert.

"Ich schlage vor, dass wir erst einmal hier warten. Unser Anker hält uns fest an dieser Stelle. Wir können also sicher sein, dass, wenn die Insel wieder auftaucht, sie auch wieder genau dort hinten erscheinen wird", unterbreitete Grete ihre Idee.

"Es sei denn, es handelt sich um eine Wanderinsel, eine verwunschene Wanderinsel ...", piepste Piet ganz leise.

"Willst du wohl still sein", ermahnte Nico ihn, da er insgeheim doch glaubte, Piet hätte mit seiner Geschichte über die verzauberten Inseln das ganze Unglück erst ausgelöst. "Ich mein ja nur, sicherheitshalber werden keine Geschichten mehr über merkwürdige Inseln erzählt. Haben das alle verstanden? Gut. Also, keine Geschichten mehr, bis die Insel wieder zurück ist und Maite wohlbehalten bei uns!", befahl er wie ein richtiger Kapitän.

"Alles klar, keine Geschichten", bestätigten Grete und Piet wie aus einem Munde.

"Und ..., wollen wir jetzt hier warten oder hast du einen besseren Vorschlag zu machen?", wollte Grete nun von Nico wissen.

"Ja, wir werden hier warten. Irgendwie bin ich mir sicher, dass die Insel wieder auftauchen wird", verkündete Käpt'n Nico. Piet nickte heftig und damit war es beschlossene Sache.

"Ich schlage vor, wir gehen jetzt schlafen. Aber einer muss Wache halten! Zwei schlafen, einer hält Wache", bestimmte Nico. "Ihr beiden könnt zuerst in die Koje gehen."

"Alles klar, sind schon verschwunden", antwortete Piet. Als sie an der kleinen Stiege standen, die unter Deck führte, stieß Piet Grete sachte in die Seite, "wo sollen wir hingehen, in die Koje?"

Grete schmunzelte: "Ich glaube, so heißt das Bett auf einem Schiff." "Ach so, na, dann..." meinte Piet und kletterte nach unten.


*


Inzwischen auf der Insel: Maite erwachte plötzlich und wusste gar nicht warum. Irgendetwas oder irgendjemand hatte sie geweckt. Dann hörte sie es: lautes Gelächter und das Plantschen im Wasser ...

"Ich bin nicht allein hier", durchfuhr Maite ein leichter Schreck. Vorsichtig begab sie sich in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Sie bog den Ast, der ihr die Sicht versperrte, beiseite und sah so merkwürdige Leute, dass sie nicht wusste, was das für Wesen waren. Aber keinesfalls machten sie einen bedrohlichen oder gar gefährlichen Eindruck auf Maite. Sie warfen mit Nüssen, mit riesigen Haselnüssen. Die kannte Maite genau, denn Piet und Nico waren ganz wild auf Haselnüsse. Doch diese hier schienen auch noch Haare zu haben, ja, sie waren viel größer und hatten Haare!

"Der eine fischt die Nüsse vom Strand und nimmt sie in einen seiner Arme - oh je, viele Arme hatte der denn - eins, zwei, drei, vier, warte mal, fünf, sechs und, Moment, sieben und da war noch einer, acht Arme", staunte Maite in Gedanken versunken.

Der Fänger tobte im Wasser - tauchte unter, tauchte auf, sprang in die Höhe, drehte sich um sich selbst, ließ sich ins Wasser fallen und fing währenddessen eine der Nüsse auf und schlug sie im gleichen Moment wieder zurück zu dem Achtarmigen. Sie lachten und tobten.

Als Maite sich das eine Weile angesehen hatte, entschloss sie sich zum Strand hinunterzugehen, um die beiden zu begrüßen. Sie rückte ihr Glücksband auf dem Kopf zurecht und watschelte mutig die kleine Anhöhe hinunter.

"Hallo ihr beiden. Ich bin hier auf der Insel gestrandet, weiß aber gar nicht, wo ich bin. Könntet ihr mir weiterhelfen?"

Zunächst hörten die beiden sie überhaupt nicht. Maite rief lauter und noch lauter: "Hallo, hallo!" Endlich hielt der Achtarmige inne und schaute in ihre Richtung. Der tobende Fisch platschte auf die Wasseroberfläche und schwamm zum Ufer.

"Hallo. Wer bist denn du?", wollte der blaue Fisch wissen und reckte ihr dabei sein merkwürdig spitzes Fischmaul, das aussah wie eine viel zu lange Nase, entgegen.

"Ich bin Maite und komme von dem Schiff dort drüben. Wir befanden uns auf dem Rückweg nach Hause, aber plötzlich tauchte diese Insel wie aus dem Nichts auf. Wir wussten nicht mehr in welcher Richtung unsere Heimat liegt, also, wo wir jetzt hinsegeln sollen, verstehst du?", berichtete sie aufgeregt.

"Oh, warte ein Weilchen, gleich werden alle Tiere hier sein, die hier sein wollen. Sind alle auf der Insel, ist sie wieder unsichtbar und alles ist wie zuvor. Dann findet ihr euren Weg nach Hause", mischte sich nun der Achtarmige ein.

"Jaaa?", staunte Maite, "wie das, warum, wie geht das denn?"

"Hey, Delphi, ich glaube wir sollten ihr das ein wenig erklären, was meinst du?"

"Nun, gut. Also, pass auf: Dies ist die Insel der kleinen Tiere, nicht der wirklich kleinen Tiere, sondern der Tierkinder. Hier kommen wir alle zusammen und toben und tollen, wie es uns gefällt. Jeder darf hier seinen Spaß haben. Krokodilkinder, Schildkrötenkinder, Giraffen, Schlangen, Spinnen, Tiger, Löwen, Kamele, Koalas, Pandas, Eisbären, Pinguine, Papageien und ... einfach alle Kinder von allen Tieren auf der Erde. In der Zeit, in der wir hier sind und miteinander toben, tollen, singen, spielen oder reden - während dieser Zeit verschwindet die Insel aus dem Meer. Sie ist natürlich immer noch da, wie du siehst, auch das Meer ist noch da und dein Schiff auch. Aber niemand kann uns sehen. So sind wir vor allen Gefahren geschützt, können weder von großen Tieren gefressen noch von Menschen gejagt und getötet werden.

"Sie taucht also nur kurz auf, damit alle Tierkinder den Weg auf die Insel finden können?", überlegte Maite laut.

"Ja, ganz genau. Das ist die einzige Zeit, in der es für uns gefährlich werden könnte. Aber wenn wir auf der Insel sind, brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen", fügte Delphi noch hinzu. Leider wissen wir aber nie, wann und wo die Insel auftaucht. Sie kann überall in den Weltmeeren erscheinen. Kurti Krake und mir Delphi Delphin ist das egal, wir sind immer hier. Wir sind die Wächter und passen auf alles auf", ergänzte Delphi ihre Erklärung.

"Aber wo sind denn die anderen Tierkinder jetzt?", wollte Maite wissen.

"Die müssten jetzt bald kommen. Wie du dir denken kannst, ist es für alle gut, wenn sich jeder beeilt, damit die Insel nicht zu lange sichtbar bleibt.

"Und wenn sie wieder nach Hause wollen, was machen sie dann?", wollte Maite gern wissen. "Na, dann schwimmen, fliegen oder segeln sie zurück, ganz einfach", quietschte Delphi in höchsten Delphintönen.

"Weißt du was?", schlug Kurti vor, "hole doch deine Gefährten vom Schiff hierher. Dann können wir "Kokosnuss-werfen" spielen. Das macht total viel Spaß.

"Ja, du meinst, ich schwimme einfach zurück und wir fahren mit unserem Schiff hier an den Strand, spielen das Nuss-Werf-Spiel und segeln dann wieder nach Hause?"

"Ja, so ungefähr würde das gehen. Also, hast du Lust oder nicht?", erkundigte Delphi sich.

"Aber sicher, ich kann ganz schön schnell schwimmen. Bin gleich wieder hier", rief Maite, rannte zu der Stelle zurück, an der sie auf die Insel geklettert war und schwamm von dort aus geschwind wieder zum Schiff.


*


"Piet, Grete, schnell, alle Mann an Deck, Maite kommt, Maite kommt wieder!", brüllte Nico so laut er konnte. Im Nu standen alle an der Reeling und sahen Maite entgegen. "Hallo, hallo", rief sie ihren Freunden zu. "Macht das Schiff los und fahrt mir hinterher. Auf der Insel ... ach, das erzähle ich euch später, kommt einfach mit! Ich habe gesagt, dass ich gleich wieder mit euch zusammen auf der Insel sein werde. Wir müssen uns beeilen, sonst verschwindet die Insel ..."

"Wieso sonst ...? Sie ist doch überhaupt nicht mehr da. Deswegen haben wir uns doch solche Sorgen um dich gemacht ...", fuhr Grete ganz erstaunt dazwischen.

"Ich kann sie aber sehen, los nun kommt schon, wir müssen uns beeilen ...", forderte Maite nochmals die anderen auf.

Weder Nico, noch Piet oder Grete begriffen, was das alles zu bedeuten hatte. Nico sah ein, dass sie all diese Merkwürdigkeiten nicht jetzt klären konnten. Aber er vertraute Maite und befahl: "Anker lichten, wir segeln hinter Maite her!"

So geschah es. Kurze Zeit später erreichten sie den Strand der Insel und gingen wieder vor Anker. Grete sprang sofort über Bord und schwamm die letzten paar Meter an Land.

Maite war schon vorweg geschwommen und hatte Delphi gebeten die beiden Eichhörnchen von Bord zu holen. Delphi erreichte Piet und Nico, die vor Staunen ihre Münder offenstehen ließen, aber dann doch auf Delphis Rücken kletterten und sich gut festhielten. Ganz behutsam lieferte der Delphin die beiden am Strand ab. Froh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, begrüßten sie die anderen Tiere. Mittlerweile war es auf der Insel schon sehr laut geworden. Lachen, Kreischen und Gesang erfüllten Strand, Wald und Wasser.

"Kommt, lasst uns Nusswerfen spielen", schlug Kurti ganz aufgeregt vor. Er liebte dieses Spiel.

Die Palmen standen ziemlich nah am Wasser und so rollten doch immer wieder Kokosnüsse an den Strand. Die holte Kurti sich mit seinen langen Fangarmen. Dann warf er sie so weit er konnte in die Luft und seine Freundin Delphi versuchte die Nuss mit ihrer Schnauze zu treffen. Sie stieß dann so heftig dagegen, dass sie wieder zu Kurti zurückflog.

Piet und Nico überlegten, was sie dabei tun könnten und sahen sich in der Gegend um. Piet war fasziniert von den großen Nüssen. Nico schlug vor, sie einzusammeln und zum Wasser zu kullern, damit Kurti sie sich besser angeln konnte. Piet hatte eine schon ganz dicht ans Wasser gerollt und sich auf die Nuss drauf gesetzt. Er fand das zu komisch, eine Nuss auf der man sitzen konnte, Wahnsinn, das war toll. Unterwegs hatte er auch noch ein paar andere, viel kleinere Nüsse eingesammelt. Mit denen jonglierte er nun so gut er konnte, während er auf der Kokosnuss saß. Doch plötzlich begann die Nuss zu fliegen, oder, nein, nein, sie flog gar nicht von selbst. Kurti Krake hatte die Nuss mitsamt Piet aufgehoben und war im Begriff sie zu Delphi zu werfen.

Zeichnung © 2011 by Schattenblick

Piet schrie aus Leibeskräften: "Halt, halt, ich will nicht ins Wasser fallen! Hilfe, Nico, rette mich, bitte, hilf mir, schnell!"

Nico saß allerdings etwas weiter entfernt auf einem Baum und sah dem Geschehen zu. Maite war näher dran und versuchte Kurti zu stoppen: "Achtung, Kurti, warte, nicht werfen, nicht werfen, niiiiicht...."

Doch da war es schon zu spät. Die Kokosnuss sauste durch die Lüfte, Piet hielt sich so fest wie er nur konnte. Delphi sah zum Glück gleich den armen, verängstigten Piet und handelte schnell. Sie stieß unter die große Nuss und kickte sie mit einem kräftigen Stoß an den Strand zurück. Kopfüber rollte Piet in den Sand. "Oh, das Wasser fühlt sich aber trocken an", wunderte er sich und blickte in die Gesichter seiner besorgten Freunde.

"Piet, das ist Sand und kein Wasser", klärte Käpt'n Nico ihn auf. "Ist bei dir sonst alles heil geblieben?"

"Ja, ja, mir tut nichts weh", antwortete Piet, nachdem er sorgfältig alle Arme und Beine einmal ausprobiert hatte. "Alles gut, danke."

"Da haben wir nochmal Glück gehabt. Es geht doch nichts über ein Glücksband um den Kopf...!", Maite war davon überzeugt, dass das Band ihnen Glück gebracht hatte.

"Ich bin geflogen, auf einer Riesennuss geflogen ... das ist ja ein Ding", staunte Piet noch immer. Er sah dabei so verdaddert aus, dass alle anfingen zu lachen. Nach einer kleinen Verschnaufpause rappelte Piet sich auf, und sie tollten und tobten noch eine ganz Weile mit Kurti und Delphi, bis sie schließlich sehr müde wurden.

"Ich kann kaum noch stehen, laufen kann ich schon gar nicht mehr, glaube ich", japste und stöhnte Grete.

"Oh, das wirst du aber müssen, oder willst du etwa hier bleiben?", wollte Käpt'n Nico wissen.

"Nein, nein, es ist zwar sehr schön hier und ich würde gern wieder hierher kommen, aber ich möchte auch wieder nach Hause", beeilte Grete sich das richtig zu stellen.

Inzwischen war es auf der Insel auch schon sehr still geworden. Anscheinend waren sie die letzten, die noch auf der Insel getobt hatten.

Sie verabschiedeten sich von ihren neuen Freunden Delpi und Kurti und machten sich auf den Weg zu ihrem Schiff. Delphi lud Piet und Nico wieder auf ihren Rücken und brachte sie sicher an Bord zurück. Die beiden bedankten sich herzlich und versprachen auf jeden Fall bald wieder auf die Insel zu kommen. Da sie nun öfter mit dem Schiff auf hoher See sein würden, hofften sie, wieder einmal auf die Insel zu treffen.

"Segel setzen und ...", rief Käpt'n Nico und konnte den Befehl nicht zuende sprechen, denn Piet brüllte dazwischen: "... und ab geht die Post, Volldampf voraus ...!"

Nico schüttelte den Kopf und schmunzelte dabei, Grete und Maite lachten und prusteten.

Die Insel blieb verschwunden. Nun sah alles wieder aus, wie auf der Hinfahrt, und so war es für Käpt'n Nico ein leichtes, das Schiff sicher nach Hause zu steuern.

"Ich habe riesigen Hunger. Schiffskoch und Smutjes, ab in die Kombüse und ein ordentliches Essen zubereiten, bitte schön", dröhnte Nicos Stimme übers Deck.

Piet, Grete und Maite sahen sich an und Grete meinte: "Ich glaube er wollte uns auf seine Art fragen, ob wir etwas zu Essen kochen. Also los, ich bin auch total hungrig." Wenig später saßen alle in der Kajüte am Tisch und ließen es sich schmecken.

"Ich hätte ja noch zu gern gewusst, warum du die Insel noch sehen konntest, als sie für uns schon verschwunden war. Das fand ich ziemlich merkwürdig", stellte Grete immer noch etwas erstaunt fest.

"Vielleicht lag es ja an dem Glücksband, das du mir geschenkt hast ...", schlug Maite als Erklärung vor. Ganz sicher war sie sich aber nicht.

Wie dem auch sei, alle freuten sich schon darauf, bald wieder mit dem Segelschiff aufs Meer hinaus zu fahren. Vielleicht würde die Insel sich ja wieder zeigen.



1. August 2011