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KALENDERGESCHICHTEN/009: 09-2011   Tekkos Drachenflug (SB)

Buntstiftzeichnung: © 2010 by Schattenblick


Tekkos Drachenflug


Es war Spätsommer. Die Sonne schien nur noch mäßig warm auf Tekkos graues Fell. Trotzdem war ihm viel zu warm, viel zu kalt, viel zu langweilig, viel zu ... - kurzum, es war alles nicht so, wie Tekko es gerne gehabt hätte. Das Allerschlimmste aber war, dass er nicht einmal wusste, wie er es denn gerne gehabt hätte. Er war unzufrieden und übellaunig.

Gestern waren Besucher an seiner Koppel vorbei geschlendert. Als die Kinder ihn erblickten, riefen sie erfreut: "Mama, Mama, darf ich bitte auf dem Esel reiten, bitte, bitte?"

"Nein, mein Kind, Esel sind dumm und stur, auf denen können keine kleinen Kinder reiten!"

"Aber er sieht doch so lieb aus, Mama, bitte!"

"Nein, und damit basta. Ein Esel ist kein Reittier. Jedenfalls nicht hier bei uns zu Lande."

Tekko wurde richtig mürrisch und wütend. "Esel sind dumm und stur", rief er sich die Aussage der Mutter ins Gedächtnis. "Diese Menschen", dachte Tekko, "was wissen die denn schon?" Er wünschte sich ganz weit weg. Irgendwo hin, wo alles anders und besser war, als hier auf seiner Wiese. Sollte er sich einfach auf den Weg machen? Sollte er versuchen, dieses Anderswo-Irgendwo zu finden?

Gelangweilt kaute er auf Grashalmen herum und schaute in den Himmel. Er sah die Vögel, die sich immer öfter zu kleinen Schwärmen zusammenfanden. Die Störche, die Schwalben - sie bereiteten sich auf ihre weite Reise in den Süden vor. Bald würden sie losfliegen. "Tja, fliegen müsste ich können, ja, fliegen wäre toll", sinnierte kleiner Graufell Tekko. "Ich könnte die Störche fragen, ob sie mich mitnehmen oder ihnen einfach immer hinterher fliegen."

"Hey, Tekko, was stehst du so traurig herum?", brüllte Lino, das Schaf, ihn schon aus großer Entfernung an.

"Ja, hast du Kummer? Du siehst ganz zerknüllt aus", erkundigte sich auch Schaf Bella, die sich bereits seit geraumer Zeit in seiner Nähe aufhielt.

Doch Tekko hörte weder das Rufen von Lino, noch die Frage von Bella. Er träumte weiter vor sich hin und war ganz und gar in seiner Traurigkeit versunken.

Besorgt beschleunigte Lino seine Schritte, bis er schließlich richtig rannte. Als er Tekko erreicht hatte, stupste er ihm kräftig in die Flanke und lehnte sich längsseits gegen seinen Freund. Endlich schien Tekko aus seinen Träumereien zurückzukehren. Er schüttelte sich, schlenkerte seinen Hals hin und her, seinen Kopf auf und nieder und gab ein lautes "Iaah, iaah" von sich.

"Oh, hallo Lino, was ist passiert, dass du so angestürmt kommst?", wollte Tekko wissen.

"Das fragst ausgerechnet du mich?", wunderte sich Lino kopfschüttelnd.

"Du hast ganz merkwürdig ausgesehen", erklärte nun Bella, "so ganz mit deinen Gedanken woanders und irgendwie ganz bedrückt - ja, so doll bedrückt, dass du ganz zerknüllt ausgesehen hast."

"Wie bitte, 'zerknüllt'?", wiederholte Tekko und überlegte, was Bella damit gemeint haben könnte.

Lino und Bella waren seit ewigen Zeiten die besten Freunde von Tekko. Sie lebten schon so lange er denken konnte mit ihm zusammen. Den ganzen Sommer über auf der Wiese, und im Winter wohnten sie in einem großen Stall. Er konnte sich nicht erinnern, dass es jemals anders gewesen war.

"Was mit mir los ist? Ich bin traurig, weil die Menschen glauben, ich sei dumm oder faul oder stur", beschwerte sich Tekko leise.

"Mach dir nichts daraus", tröstete Lino ihn. Es gibt nur wenige Menschen, die uns Tiere verstehen. Es ist völlig überflüssig, etwas auf ihr Urteil zu geben. Komm, lass uns lieber überlegen, was wir unternehmen können. Weißt du irgendwas, das dir Spaß bringen würde ...?"

Tekko überlegte und überlegte, aber ihm wollte nichts einfallen. Enttäuscht schüttelte er den Kopf.

"Wie wäre es dann mit Wettrennen?", schlug Bella vor. Das war klar. Bella war die Schnellste unter den Schafen. Kein anderes lief so geschwind wie sie.

Doch Tekko liebte es nicht, ohne wichtigen Grund besonders schnell zu rennen. Überhaupt machte er sich nichts aus Wettstreits. Viele fanden es spannend, sich zu messen. Er aber nicht.

Lino wusste das, und das machte es nicht leichter, ein passendes Spiel zu finden. "Was hältst du vom Versteckspiel?", schlug Lino vor.

"Wir kennen doch schon alle Verstecke! Es gibt einfach keine, die wir noch nicht ausprobiert haben. Das ist doch langweilig", murrte Bella, "aber, wie wäre es mit 'Wer am lautesten brüllen kann' oder 'Wer die meisten Geräusche nachahmen kann'?"

Das gefiel weder Lino noch Tekko. "Also, wenn ihr das auch nicht mögt, dann sollten wir vielleicht doch ein Wettrennen austragen. Einmal um die Koppel, wer zuerst wieder am Gatter angekommen ist, hat gewonnen!", versuchte Bella noch einmal ihren Vorschlag anzupreisen. Als sie aber das Kopfschütteln ihrer beiden Freunde sah, lenkte sie ein und entwickelte eine neue Idee: "Wir könnten auch zur Schweineecke gehen und nachschauen, ob sich genügend Matsch in deren Schlammkuhle befindet. Dann nämlich wäre Schlammkugel-Weitwerfen das ideale Spiel für uns - oder, aber vielleicht einfach nur Matschwerfen. Jeder versucht einen anderen von uns mit Matsch zu bewerfen. Wer am häufigsten getroffen wurde, hat verloren und ist obendrein der 'König der Schmutzfinken'.

Das gefiel Lino nun ausnehmend gut und er blökte laut: "Ja, prima, das gefällt mir. Komm, Tekko, das macht bestimmt Spaß!"

"Nein!", protestierte Tekko, "ich will fliegen!"


Alle waren plötzlich ganz still, als Tekko seinen Wunsch aussprach. Bella fand als erste ihre Worte wieder: "Fliegen, wie bitte, ein Esel, der fliegt? Davon habe ich noch nie etwas gehört - und gesehen habe ich auch noch keinen fliegenden Esel!"

"Wie willst du das denn anstellen?", wollte Lino wissen.

"Ich baue mir Flügel, ganz einfach - Flügel, wie die Vögel welche haben ...", verkündete Tekko.

"Aha?!", kam es ungläubig von seinen beiden Freunden zurück.

"Nun, wir gehen zum Hühnerhof und sammeln dort alle Federn auf, die wir finden können. Dann legen wir sie zurecht und kleben sie zusammen. Mhm, ich glaube, ich werde riesige Flügel brauchen, weil ich so groß bin", überlegte Tekko laut.

"Ja, davon bin ich überzeugt - zumal die großen Vögel auch immer ziemlich lange und breite Flügel haben", erinnerte sich Lino.

Da sie sich ohnehin nicht auf ein gemeinsames Spiel hatten einigen können, erklärten sich alle bereit, Tekkos Flugpläne in die Tat umzusetzen.

Insgeheim freute sich Tekko: "Wenn ich erst einmal hoch am Himmel über die Höfe fliege, sagt bestimmt niemand mehr, dass ich ein dummer Esel sei."

Lino, Bella und Tekko begaben sich auf den Weg zum Hühnerhof. Laut gackerte und krähte es, als die Drei dort auftauchten. Mutig trat ihnen der Hahn entgegen: "Was wollt ihr hier? Seht ihr nicht, was für ein Spektakel ihr auslöst? Meine Hühner haben Angst vor allen vierbeinigen Gesellen, die in unser Zuhause eindringen. Jetzt muss ich sie wieder beruhigen. Ich hoffe, ihr habt einen guten Grund, uns zu stören und zu ängstigen." Er war sichtlich erbost und plusterte sich noch weiter auf. Dann drehte er sich zur aufgeregten Hühnerschar um und sprach mit sanfter Stimme: "Macht euch keine Sorgen, es besteht keine Gefahr. Ich passe auf euch auf!" Das Gegacker verstummte allmählich.

Da trug Tekko seine Bitte vor: "Ich möchte bitte eure Federn einsammeln. Also die Federn, die auf dem Boden liegen, natürlich nur die, sonst wollen wir keine Federn von euch."

"Na, da bin ich ja beruhigt", krächzte der Hahn, "das dürfte kein Problem sein. Die Federn könnt ihr gerne auflesen. Doch verratet ihr mir auch, was ihr damit vorhabt?"

Lino drängte sich nach vorn und wollte dem Hahn gerade erklären, was Tekko geplant hatte, da kreischte Bella laut auf und streckte ihren Kopf in Richtung Hühnerleiter. Auf der obersten Sprosse saßen zwei riesige Vögel. Sie waren viel größer als die Hennen, auch größer als der Hahn. Es waren wirklich zwei prächtige Gestalten, und ihr Gefieder war ungewöhnlich bunt.

"Sieh mal, als ob die jemand angemalt hat", flüsterte Lino, nachdem er sich neben Bella gestellt hatte.

Neugierig blickten die beiden Vögel hinunter auf den Hühnerhof und auf die vierbeinigen Gäste. Eine Weile starrten sich die fremdartigen Vögel und die Eindringlinge gegenseitig an. Ein jeder schien den anderen zu mustern.

Der Hahn hielt es nun für angebracht - da sowohl die Vögel, als auch Lino, Bella und Tekko, Gäste in seinem Hühnerreich waren -, sie einander vorzustellen: "Darf ich bekanntmachen, das sind meine Gäste aus Brasilien. Sie gehören zum Clan der Papageien und heißen ..." Der Hahn holte tief Luft und strengte sich beim Aussprechen der Namen ernsthaft an: "?!. Also sie heißen Ntobriktkoböe und T'windktogoro." Der Hahn fügte hinzu: "Ich habe sie gefragt, ob ich sie vielleicht lieber 'Böe' und 'Wind' nennen darf, da mir die Aussprache ihrer Namen nicht gerade leicht fällt - sie haben nichts dagegen." Jetzt wandte er sich an die beiden Papageien und stellte ihnen ihrerseits Lino, Bella und Tekko vor.

"Seid gegrüßt", nickten beide Vögel in Richtung Hahn und Freunde, "wir sind ziemlich neugierig, was mit den Hühnerfedern geschehen soll, die ihr einsammeln wollt."

"Sie haben gelauscht und sind aufrichtig neugierig", dachte Tekko, fand das aber gar nicht schlimm. Außerdem war er froh, dass sich noch jemand für seinen Plan interessierte. Eifrig begann er mit seiner Erklärung: "Ich möchte die Federn zusammenkleben und mir so Flügel bauen, damit ich fliegen kann ..."

Viel weiter gelangte er nicht mit seinen Ausführungen, denn die beiden Vögel kreischten dazwischen. "Oh, halt, warte. So geht das nicht. Wir als Flugexperten, die wir zweifelsohne sind, raten dir, das noch einmal zu überdenken. Sieh uns an", dabei breiteten sie beide ihre gewaltig großen Flügel aus, "unsere Flügel müssen schon sehr groß und kräftig sein, damit sie unsere viel kleineren Körper als der deinige ist durch die Lüfte tragen können. Was meinst du wohl, wie riesig du erst deine Flügel bauen müsstest, damit sie dich tragen?"

Tekko überlegte: "Auf jeden Fall viel größer als eure." Dann sah er sich im Hühnerhof um und auf einmal erschien ihm die Menge an Federn, die dort herumlag, geradezu winzig. Niemals würde er daraus passende Flügel für sich zusammenkleben können. Traurig senkte er den Kopf und murmelte: "Na, dann wird es wohl nichts mit dem Fliegen ..."

"Was? Du willst deinen Wunsch schon gleich wieder aufgeben? Wenn du unbedingt fliegen möchtest, können wir dir vielleicht helfen", schlugen ihm Böe und Wind vor.

"Ja, wirklich? Wie das denn?", fragte Tekko neugierig.

"Nun, wir kennen da jemanden, der so groß ist, dass du auf seinem Rücken Platz hättest und mit ihm zusammen fliegen könntest. Aber ich warne dich gleich", betonte Böe, "fliegen ist nicht immer so toll wie es von unten her den Anschein hat."

"Oh, das wäre fantastisch, das wäre prima. Bitte bringt mich zu eurem Bekannten, damit ich ihn fragen kann, ob er mich auf einem Flug mitnehmen würde", bat Tekko die beiden Papageien.

Nachdenklich blickten Böe und Wind sich an. "Sollen wir wirklich?", überlegte Wind laut.

"Ich denke schon. Es scheint Tekkos innigster Wunsch zu sein. Aber wir sollten ihn vorbereiten auf Garaus Fürchterlich", antwortete Böe und fuhr sogleich mit seiner Rede fort, "Garaus Fürchterlich ist unser Bekannter und leider ein Drache. Kein netter Drache, nein, er ist ein miesepeteriger, schlecht gelaunter und ewig pöbelnder Geselle. Außerdem stinkt er ganz fürchterlich. Am besten hältst du die Luft an und die Nase zu."

Auch Wind hatte einen Rat für Tekko: "Du solltest dir vorher ganz genau überlegen, wie du den Drachen zu einem Rundflug überreden willst. Das ist nämlich die Kunst, Garaus Fürchterlich um einen Gefallen zu bitten."

"Ja, ja, ich glaube, er hat bisher noch nie jemandem eine Bitte erfüllt", setzte Böe hinzu.

"Aber dann hat das ja gar keinen Sinn, dass ich zu ihm gehe. Er wird mir meinen Wunsch nicht erfüllen", niedergeschlagen wandte Tekko sich zum Gehen.

"Halt, warte, so schnell wirst du doch wohl nicht schon wieder aufgeben wollen?", rief ihm Böe zu, "vielleicht macht der Drache bei jemandem wie dir ja eine Ausnahme. Wenn er erfährt, wie gerne du fliegen möchtest ..."

"Du solltest ihm Honig um den Bart schmieren", mischte sich Wind ein, "das wird ihm gefallen. Drachen mögen es, wenn man sich vor ihnen fürchtet, aber fast genauso gerne lassen sie sich loben und bewundern. Ich an deiner Stelle würde es auf diese Weise versuchen."

Tekko schwieg, sann aber über den Vorschlag nach: "'Honig um den Bart schmieren', ja, ich verstehe, das bedeutet, dass ich nur Gutes über ihn sage."

Währenddessen warteten die anderen neugierig auf Tekkos Antwort.

Lino feixte: "Hattest du dich etwa schon gefragt, wo dem Drachen sein Bart wächst, oder wie du an Honig gelangen kannst ...?"

"Mach dich nicht lustig, das ist viel zu wichtig", rief Tekko ihn nun zur Ordnung.

"Willst du nun versuchen, den Drachen zu überreden oder nicht?", beharrte Böe auf eine Antwort.

"Ja, ich möchte so gerne fliegen. Ich werde es wagen, den Drachen zu fragen."

"Dann nichts wie los, Leute, auf geht 's!", brüllte Böe, "mir nach!"


Lino, Bella und Tekko rannten den beiden Papageien hinterher. Die flogen extra langsam. Dennoch dauerte es gar nicht lange, da erreichten sie ein großes, weites Tal. Mächtige Berge ragten vor ihnen in die Höhe. Auf einen dieser Bergriesen steuerten die beiden Vögel zu und landeten auf einem Ast ganz in der Nähe eines sehr finsteren Höhleneingangs. Dort warteten sie auf die drei Freunde.

"So, Tekko, jetzt bist du an der Reihe. Versuch dein Glück, wir wünschen dir alles Gute. Bis später", verabschiedeten sich Wind und Böe.

"Halt, wartet, bleibt ihr denn nicht hier?", erkundigte sich Tekko.

"Oh, nein, nur das nicht. Der Drache stinkt so schrecklich, gruselig, fürchterlich ...", erklärte Böe eilig. Und Wind fügte noch einen guten Rat hinzu: "Wenn der Drache pupst, dann bring dich in Sicherheit, denn solltest du dann gerade atmen, haut dich das glatt um." Dabei lachte Wind laut, und Tekko fand, dass es irgendwie gemein klang. Dann waren die beiden verschwunden.

Lino und Bella aber ermutigten Tekko. Doch auch sie wollten lieber nicht bleiben. "Wir verstecken uns ganz in der Nähe, und wenn du zurück bist, holen wir dich ab und gehen gemeinsam nach Hause", schlug Lino vor und schon wendeten sie sich zum Gehen. "Bis später, viel Erfolg!"

Nun waren auch die Schafe fort. Tekko fühlte sich verlassen. Dann aber setzte er sich in Richtung Höhleneingang in Bewegung. Dabei überlegte er, wie er mit dem Drachen sprechen wollte. Außerdem beschloss er, sich auf keinen Fall vor dem Drachen zu fürchten. "Wenn der merkt, dass ich mich ängstige, gefällt ihm das vielleicht und er versucht mir noch mehr Angst einzujagen", malte Tekko sich die Situation aus.

Weiter gelangte er nicht mit seinen Gedanken, denn der Drache streckte gerade seinen Kopf aus dem Eingang der Höhle und brummte: "Ich rieche Fremde!" Dabei schaute er sich in der Gegend um, konnte Tekko aber nicht sehen, weil der ganz dicht vor ihm stand. Garaus Fürchterlich aber war so riesig, dass er einfach über Tekko hinwegsah. "Wer ist da", donnerte Garaus mit tiefer Drachenstimme.

"Ich, ich bin hier, hier unten, genau vor dir!", schrie
Tekko den Drachen an.

Endlich senkte der Drache seinen Kopf, und nun stand Tekko genau vor zwei gewaltigen Nasenlöchern, aus denen kleine Rauchschwaden dampften. Unbeirrt blieb Tekko stehen und grüßte freundlich: "Guten Tag, Herr Drache Fürchterlich ..."

Da wurde Tekko auch schon unterbrochen: "Ich heiße Garaus, mehr nicht! Du hast mich gestört!! Aus meinem Mittagsschlaf hast du mich geweckt, was fällt dir ein? Hoffentlich hast du einen angemessenen Grund, ansonsten könnte ich meine guten Manieren vergessen und dich in die Luft pusten. Also, ich höre, was willst du?"

"Ich, ich, ich möchte gerne", stammelte Tekko, "ich möchte gerne fliegen." Nun war es heraus und Tekko fand selbst, dass sich seine Bitte komisch anhörte.

Der Drache schnaubte und sogleich erzitterte der Boden unter Tekkos Hufen. Die Erde wackelte. Wild und unsicher sah der kleine, erschrockene Esel sich um. Zum Glück kippten weder Bäume noch Berge um - und er auch nicht.

Der Drache lachte und schüttelte sich, setzte sich auf sein Hinterteil und hielt sich den Bauch: "Ein Esel, der fliegen will, ich glaub es nicht. Nein, ich glaub das einfach nicht, ein Esel, der fliegen will ..."

Der Boden, auf dem Tekko stand, wackelte noch immer. Das Drachengelächter ließ den Untergrund beben. Jetzt wurde Tekko sauer: "Hey, Garaus, hör auf zu lachen. Das ist gar nicht witzig!" Er musste ganz schön laut brüllen, damit der Drache ihn verstehen konnte.

Tatsächlich verstummte der Drache und senkte sein Haupt zum Esel hinunter. Tekko nutzte die kleine Pause und sprach gleich weiter. "Ich weiß natürlich, dass ich nicht selbst fliegen kann", begann er seine Rede und rief sich in Erinnerung, dass er ganz besonders freundlich sein wollte, dass er dem Drachen Honig um den Bart schmieren wollte. Und er fuhr fort: "Aber ich dachte, ein so gewaltig großer, schöner Drache, dessen Flugkünste in der ganzen Welt bekannt sind, würde vielleicht nachsichtig mit einem kleinen Esel sein und ihm einen Wunsch erfüllen?"

"Ja, ja, fliegen kann ich wirklich sehr gut. Aber bin ich tatsächlich in der ganzen Welt wegen meiner Flugkünste bekannt? Was sagt man denn so über mich?" Neugierig sah er Tekko an und konnte es gar nicht abwarten, dass dieser ihm antwortete.

"Also, dass du die kühnsten Flugkunststücke fliegen kannst und dass du ein echter Flugexperte bist. Ja, ich glaube, du bist sehr, sehr berühmt", endete Tekko seine ausgedachte Lobrede.

Garaus, der Drache fühlte sich geschmeichelt und glucktste vor Vergnügen.

Fast hatte Tekko den Eindruck, als sei der Drache auch ein wenig verlegen. Der kleine Esel fühlte sich nicht besonders wohl, weil er sich doch die Geschichte mit der Berühmtheit ausgedacht hatte. Aber dann überlegte er sich, dass der Drache bestimmt keinen Schaden davon nehmen würde. Schließlich stimmte es: Er konnte sehr gut fliegen, so gut wie kein anderer, denn kein anderer war ein Drache.

Die Laune von Garaus wurde jedenfalls immer besser und Tekko befand die Gelegenheit für günstig, den Drachen um einen kleinen Rundflug zu bitten: "Hör mal, Garaus, würdest du vielleicht so freundlich sein und mir eine Kostprobe deiner Flugkünsten zu geben? Ich meine, wenn ich auf deinem Rücken sitzen könnte, wenn du erlaubst, würde ich alles aus nächster Nähe erleben. Was meinst du? Ich könnte dann überall von meinem Abenteuer berichten und du würdest noch berühmter werden."

"Mhm, warte mal, nicht so hastig. Wie gesagt, du hast mich bei meinem Mittagsschlaf gestört und ich bin noch nicht fertig mit Schlafen. Wenn du wüsstest, wie müde ich bin. Du musst also warten, bis ich ausgeschlafen habe! Dann können wir fliegen!"

Garaus drehte seinen Kopf schon in Richtung Höhleneingang, da rief Tekko: "Wie lange dauert denn dein Mittagsschlaf?"

"Ungefähr hundert Jahre, wenn ich mich beeile, sonst vielleicht auch zweihundert."

"Garaus", schrie Tekko erschrocken auf, "solange kann ich aber nicht warten. Ich bin ein Esel und kein Drache. Esel können nicht so lange auf etwas warten. Das ist unmöglich!"

"Oh, das wusste ich nicht, entschuldige, aber ich kann ja nicht alles wissen", brummte Garaus. "Nun, was machen wir denn da?" Der Drache hatte sich wieder umgedreht und sah Tekko an. "Gut, ich werde eben auf meinen Schlaf verzichten und jetzt gleich mit dir fliegen. Danach will ich aber meine Ruhe haben, verstehst du?"

"Toll, prima, vielen Dank. Ja, ja, danach kannst du meinetwegen Millionen Jahre schlafen, bis du Lust hast aufzuwachen."

"Abgemacht. Jetzt steig auf meinen Rücken. Am besten kletterst du auf meinem Schwanz empor. Wenn du gut sitzt oder stehst, sag Bescheid, dann heben wir ab. Du musst dich aber gut festhalten!"

Tekko kraxelte den Drachenschwanz hinauf und rief bald hinunter: "Von mir aus kann 's losgehen!"

Garaus nahm Anlauf, die Erde unter ihm bebte, dann breitete er seine Flügel aus und erhob sich in die Lüfte. Begeistert blickte Tekko nach unten auf die Erde. Alles wurde immer kleiner, bis auch die großen Bäume ihm ganz winzig erschienen. Auch das Gebirge mit der Drachenhöhle schrumpfte zusammen. Höher und höher flog der Drache, lenkte in die eine Richtung, kreiste eine Bahn linksherum und eine rechtsherum. Danach flog er in Schlangenlinien und begann einen sanften, gleichmäßigen Gleitflug.

Tekko genoss die Aussicht. Doch plötzlich, er traute seinen Ohren kaum, hörte er ein sehr lautes Geräusch. Er sah sich um, konnte aber niemanden entdecken. Nun begriff er, dass das Geräusch ein Schnarchen war und der Drache jener, der schnarchte. Just in dem Moment, als Tekko das erkannte, bemerkte er auch schon, wie sie langsam immer weiter hinunterfielen. Garaus bewegte seine Flügel nicht mehr. Tekko war entsetzt. Der Drache schlief im Flug! "Wir werden abstürzen und auf dem Boden zerschellen!", schoss es Tekko durch den Kopf. "Ich muss etwas unternehmen, aber was nur? Hinunterspringen? Nein, das ist viel zu hoch und viel zu gefährlich. Außerdem ist dem Drachen damit auch nicht geholfen. Er würde nur ohne mich abstürzen. Ich muss ihn irgendwie wecken."

Drache und Esel im Sturzflug - Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick

Tekko überlegte. Er trampelte mit seinen Hufen auf dem Drachrücken herum, so fest und kräftig er konnte. Aber die Drachenschuppen waren so stabil, dass Garaus davon nichts bemerkte. Der kleine Esel war verzweifelt. Die Bäume schienen größer und größer zu werden, das Gebirge auch - sie stürzten ohne Halt auf den Erdboden zu.

Da brüllte Tekko aus Leibeskräften in das Ohr von Garaus: "Aufwachen, Garaus, aufwachen, wir fallen auf die Erde, wenn du nicht sofort wieder deine Flügel bewegst. Garaus, wach auf!" Nichts passierte. Tekko versuchte es noch einmal: "Garaus Fürchterlich, werde endlich wach, verdammt noch mal!"

"Ich heiße Garaus, weiter nichts und schon gar nicht 'Fürchterlich', verstanden", schnauzte der Drache. Er bewegte ganz plötzlich auch wieder seine Flügel.

Tekko hatte den Eindruck, als ob der Drache gar nicht bemerkt hatte, dass er eingeschlafen war. Doch das war Tekko jetzt einerlei. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, endlich stiegen sie wieder in die Höhe. Da beugte Tekko sich zum Ohr des Drachen: "Du warst eingeschlafen und fast wären wir abgestürzt, lass uns bitte lieber wieder landen."

"Ich, eingeschlafen? Papperlapapp, ich doch nicht - oder doch? Du meinst das ernst, nicht wahr?"

"Ja! Natürlich! Ich hatte große Angst, muss ich zugeben, dass ich dich nicht mehr rechtzeitig aufwecken könnte", erklärte Tekko.

"Mhm, das kommt davon, wenn ich beim Schlafen gestört werde. Drachen brauchen ihren Schlaf!"

"Ich werde dich bestimmt nie wieder stören", versprach Tekko, "aber bitte lass uns jetzt landen. Ich glaube, ich habe genug vom Fliegen. Mir reicht 's. Fliegen will ich bestimmt nie mehr. Das ist mir viel zu gefährlich!"

Garaus willigte ein und in einem sanften Landeanflug auf dem Platz vor seiner Höhle setzte er mit allen vier Drachenfüßen auf. Tekko rutschte auf dem Drachenschwanz hinunter und war froh, wieder festen Boden unter seinen Hufen zu spüren.

"Ich werde jedenfalls erst einmal meinen Schlaf nachholen. Du kannst nun überall von meinen Flugkünsten berichten, aber bitte, kleiner Esel, erzähle niemandem, dass ich während des Fliegens eingeschlafen bin", bat der Drache.

"Oh, doch, aber ja, ich werde dich zum Flughelden machen: 'Der berühmte Drache, der sogar noch im Schlaf fliegen kann', das hört sich doch gut an, oder?", wollte Tekko von Garaus wissen.

"Wenn du das sagst! Aber ich möchte nicht, dass jemand über mich lacht!"

Tekko versprach, die Geschichte so zu erzählen, dass alle über Garaus' Fähigkeit staunen würden und wünschte ihm dann einen erholsamen Schlaf. So verabschiedeten sich Tekko und Garaus voneinander.


Tekko hatte sich anscheinend an den Drachengestank gewöhnt, denn er roch gar nichts Unangenehmes mehr. Erst als seine Freunde aus ihren Verstecken hervorkamen und über den üblen Gestank meckerten, fiel er ihm wieder auf.

Alle vier Freunde stürmten auf Tekko los und zogen ihn mit sich, weit weg von der Drachenhöhle. Als sie weit genug fort waren und sie keinen Gestank mehr rochen, rasteten sie auf einer Wiese.

"Na, wie war dein Flug?", erkundigte sich Lino.

Tekko wollte gar nicht erst davon berichten, dass er sich ganz schön gefürchtet hatte, während der schlafende Drache beinahe abgestürzt war. Dann erzählte er aber doch, wie er versucht hatte, den Drachen zu wecken. Mehr und mehr schmückte er das Geschehene aus, schilderte die große Gefahr, seine Sorge um den Drachen und um sich selbst. Seine Freunde wurden ganz still und staunten und bewunderten Tekko. Bella und Lino kreischten vor Schreck, als Tekko den Sturzflug auf die Erde beschrieb, so als wären sie selbst auf dem Rücken des Drachen ...

Als Tekko mit seiner Erzählung fertig war, riefen die anderen laut: "Toll, meine Güte, du warst aber ganz schön mutig", ..."oh, was ich wohl getan hätte", ..."na, Tekko, da siehst du mal, wie schlau du bist, das soll dir erst mal einer nachmachen ..."

Tekko wurde ganz verlegen und lenkte wieder etwas bescheidener ein: "Nun, daß wir wieder heil unten angekommen sind, ist nur Garaus Flugkünsten zu verdanken. Ach und vom Fliegen habe ich auf jeden Fall erst einmal die Nase voll. Das ist nichts für mich, ich laufe lieber auf meinen vier Hufen - nein, fliegen möchte ich nicht mehr!"

"Auch gut, Lino und ich haben uns nämlich in der Zwischenzeit etwas ausgedacht. Wir wollen Drachen bauen - keine richtigen, sondern Papierdrachen. Die malen wir bunt an und lassen sie steigen. Bei gutem Wind fliegen die bestimmt ganz schön hoch in den Himmel", begeisterte sich Bella. "Hast du Lust?"

"Wir sind auch dabei, Drachensteigen lassen macht total viel Spaß!", freuten sich Böe und Wind.

Tekko überlegte nicht lange: "Das hört sich gut an. Die bunten Drachen fliegen statt meiner, das ist toll! Weiß denn einer, wie man Drachen baut?"

"Aber ja, sicher, wir wissen das. Am meisten Spaß bereitet uns das Anmalen der Drachen. Also, Leute, worauf warten wir? Nichts wie los!", rief Böe und Wind begeistert den anderen zu.


11. September 2011