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KALENDERGESCHICHTEN/048: 12-2014   Der kleine Wolf - Gerettet ... (SB)



Vier Tiere im Busch beobachten die beiden Fremden - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der kleine Wolf

Gerettet ...

Rufus und Krawell war es gelungen, den kleinen Wolf und Kalinka aus dem Netz zu befreien. Sofort versteckten sie sich vor den Tierfängern seitlich des Weges im Gebüsch und warteten ab.

"Psst, leise, ganz leise und keiner bewegt sich, verstanden!", befahl Krawell flüsternd. Alle nickten und sahen Krawell an. "Nicken ist auch bewegen, oder?", bemerkte der kleine Wolf und verharrte in seiner Haltung. Krawell lächelte, sagte aber nichts. "Hört mal!", raunte Rufus leise dazwischen, "könnt ihr verstehen, was die Stimmen sagen?" Alle lauschte gebannt.

"So ein verfluchter Mist, wir hatten sie doch schon fest im Netz gefangen. Wie konnten die sich so schnell befreien?", schimpfte der große, dünne, grimmig dreinblickende Mann. "Prächtige Tiere, Wolf und Bär, beide jung und kräftig und zwei hübsche Felle. Pah, da hätten wir eine ordentliche Stange Geld mit machen können."

"Ja, ja", brummte der lange, hagere Mann, "jammere nicht rum, lass uns lieber die entflohenen Viecher suchen! Und schließe sicherheitshalber das Auto ab, damit das nicht auch noch verschwindet!"

Gerade als die beiden Tierfänger sich auf die Suche begeben wollten, kamen ihnen zwei Fremde entgegen, ein großer, alter Mann und ein kleiner Junge mit frechem Gesicht. "Guten Tag, die Herren", grüßte sie der alte Mann freundlich, der Junge nickte nur zum Gruß.

"Ja, ja, Tag auch", erwiderte der hagere Tierfänger genervt, aber der kleinere, dicke ergriff die Gelegenheit und fragte die beiden Fremden, ob sie vielleicht einen Bären und einen kleinen Wolf gesehen hätten.

"Aber ja, natürlich", bestätigte der alte Mann freudig, "wir, mein Junge und ich, wunderten uns schon, wohin die beiden so rasch rennen. Es sah beinahe so aus, als seien sie auf der Flucht."

"Gut, gut, und in welche Richtung sind sie gelaufen?" Mürrisch und ungeduldig stierte der Tierfänger sie an.

"Oh, das kann ich Ihnen sagen", rief nun der Junge mit gespielter Fröhlichkeit, "dorthin, ja dorthin, rein in die Felder sind sie gesprungen und gerannt, als sei der Teufel hinter ihnen her!" Dabei zeigte er in eine ganz andere Richtung, die die Tierfänger auf eine völlig falsche Fährte setzte.

Hastig bedankte sich der kleinere Mann, lief auf das Auto zu und rief seinem Kollegen, der laut schnaubte und immer noch eine grimmige Miene aufsetzte, zu: "Komm schon Hubert, die kriegen wir noch, eil dich!" Wenige Augenblicke später sahen der alte Mann und der Junge dem davon rasenden Lastauto hinterher.

"Na, die haben wir aber reingelegt, was?", freute sich der Junge und grinste seinen Meister an. "Ja, ich muss sagen, das hast du wirklich gut hingekriegt!" Der alte Mann lachte und beugte sich etwas zu dem Jungen runter. Etwas leiser sagte er: "Ich glaube unsere Schützlinge kommen von nun an ganz gut allein zurecht. Bald werden sie die Berge und das verborgene Tal erreichen - und Elise wird schon auf sie acht geben." - "Gut, das finde ich prima. Suchen wir uns nun eine neue Aufgabe?" - "Sicher, sicher, mein Junge, sicher!" murmelte der Alte.

All das hatten die vier Gefährten aus ihrem Versteck hinter den Büschen mit angehört, sogar das leise Gesprochene des Alten. "Was sind denn Schützlinge?" wollte der kleine Wolf wissen. "Ja, was soll das sein", wunderte sich auch Kalinka. "Das sind irgendwelche Leute, die von irgendwelchen anderen Leuten beschützt werden, das ist doch klar", gab Rufus sein Wissen zum Besten.

"Häh?", Rudi sah Rufus verständnislos an. "Du bist mein Schützling", mischte sich Krawell ein und sah den kleinen Wolf an. "Ich passe auf dich auf und versuche dich vor Gefahren zu beschützen."

"Aber, aber das mache ich doch auch, ich meine, ich gebe doch auch acht auf Rudi und Kalinka und auf mich!", erklärte Rufus. "Ja, und ich wünsche mir immer, dass dir nichts passiert", meldete sich Kalinka zu Wort und blickte dabei direkt zu Krawell hinüber. "Wisst ihr was, Leute, ich muss zugeben, dass ist auch nicht ganz genau zu verstehen, was die beiden damit gemeint haben. Am besten ist es, wenn wir sie einfach fragen! Aber wartet noch einen Moment, ich schau erst nach, ob die Luft rein ist!"

Krawell flog aus dem Busch in die Höhe und hielt nach den beiden fremden Gestalten Ausschau. Doch konnte er sie nirgends entdecken. Alle waren fort, die Tierfänger, das Netz, das Lastauto und die beiden Fremden. "Ihr könnt herauskommen, hier ist niemand mehr!"

Zuerst lugte Rufus hinter dem Busch hervor, schnupperte, horchte und lief hinüber zu Krawell. Dann folgten Rudi und Kalinka. "Ist wohl besser, wenn wir uns hier nicht länger aufhalten und lieber gleich losgehen", schlug der kleine Wolf, immer noch ängstlich, vor. Die anderen stimmten zu und in schnellem Lauf schlugen sie ihren Weg in Richtung Berge ein. Sie ließen sich durch nichts mehr aufhalten, hielten keine Rast und redeten kein Wort mehr. Als Schummerlicht die Bäume, Berge, Steine, Gräser und Zweige schon unheimlich und fremd erscheinen ließ, hatten sie ihr Ziel erreicht.

"Oh, sind die aber riesig. Glaubst du, dass Berge so schnell wachsen können? Als wir losgegangen sind, waren sie viel kleiner!", wunderte Rudi sich. "Und wenn ich ganz hoch in die Luft fliege, dann werden sie auch wieder ganz klein", lachte Krawell. "Merkwürdig", brummte der kleine Wolf sehr nachdenklich. "Ist doch ganz egal, wir sind endlich hier und nun lasst uns eine schöne, große Höhle finden, in der wie alle übernachten können", schlug Rufus vor. Der Fuchs war ziemlich müde.

Rudi war ganz aus dem Häuschen, rannte mal in die eine, mal in die andere Richtung und lief zu jedem dunklen Loch, das ein Höhleneingang sein konnte. Rufus gähnte und Kalinka sah dem kleine Wolf zu. Sobald er etwas gefunden hätte, würde sie ihm folgen, aber sie war gerade jetzt total erschöpft. Krawell schwang sich in die Luft und passte auf Rudi auf. Der kleine Wolf war ziemlich wagemutig, denn er konnte gar nicht wissen, ob in so einer Höhle vielleicht schon jemand wohnte. Da Krawell befürchtete, es könnten Drachen, Fledermäuse oder Ungeheuer kreischend, fluchend und feuerspukend aus einer Höhle hervorgeschossen kommen, um ihre Wohnstatt vor Eindringlingen zu schützen, wollte er lieber in Rudis Nähe bleiben.

"Hier, hierher, ich glaube in dieser Höhle finden wir alle Platz", rief Rudi ganz begeistert. Krawell landete neben ihm. "Warte, warte!", stoppte er den kleinen Wolf. "Ich werde erst einmal prüfen, ob sie bewohnt ist!"

"Hallo, hallo, ist dort jemand?", rief Krawell, wartete einen Moment und wiederholte dann etwas lauter sein Rufen. Aber er erhielt keine Antwort. "Ich glaube, wir können uns hinein wagen. Zuerst gehe ich, ihr folgt mir dicht auf, einverstanden?" Rufus, Rudi und Kalinka nickten. Das Dunkel des Höhleneingangs verschluckte Krawell, flugs folgten die Gefährten dem Raben und blieben ganz dicht beieinander.

"Krzz, chrrrzz", hustete und prustete es aus der Finsternis, "kannst du nicht abwarten, chrrzz, krzz, bis ich, ich dich hereinbitte!", schimpfte da jemand heiser und verärgert.

"Oh, Verzeihung, ich habe keine Antwort erhalten, da dachte ich, die Höhle sei unbewohnt", entschuldigte sich Krawell. Nach zwei weiteren, langsamen Schritten konnte Krawell deutlich die Riesenschildkröte erkennen und sie erkannte im selben Augenblick den Raben.

"Ha, du Flegel, du schon wieder, krrz, chchrzz", stöhnte sie. "Tja, unsere Begegnungen sind leider immer etwas unglücklich. Sei bitte nicht böse. Eigentlich bin ich ganz freundlich ..." - "Ja, ja, ganz bestimmt, Krawell ist total nett, ganz bestimmt", rief Kalinka der Schildkröte zu.

"Chchrrzz, da sind ja noch mehr Leute!?" - "Meine Freunde und ich sind auf der Suche nach einer großen, gemütlichen Höhle. Wir haben einen weiten Weg hinter uns, voller Abenteuer und Gefahren und sind todmüde ..." - "... und ganz, ganz hungrig", fiel Rudi dem Raben ins Wort.

Rufus drängelte sich an seinen Gefährten vorbei nach vorn. "Das hört sich ja ganz so an, als hättest du eine dicke Erkältung!" - "Chrrzz, chrrzz, gut beobachtet. Leider weiß ich nicht, wie ich sie wieder loswerde, krrzz", krächzte die Schildkröte Elise. "Ich glaube wir können dir helfen", tröstete Rufus sie. "Wirklich? Das wäre schön, sehr schön, krrzz", hustete Elise, "kommt rein, macht es euch gemütlich. Hier ist für uns alle genug Platz."

Rudi stürmte an Elise vorbei und besah sich das Innere ihrer Wohnstatt. "Oh, ist die aber groß", staunte er. Dann suchte er sich ein Plätzchen, das ihm behagte. Rufus tat es ihm gleich und ließ sich nahe bei Rudi nieder. Auch Kalinka bewunderte die Höhle und plumpste erleichtert neben Rudi. Krawell sprach noch ein paar freundliche Worte mit Elise, der erkrankten Riesenschildkröte. "Mach es dir gemütlich, das ist sehr wichtig, wenn es einem nicht gut geht", riet er ihr. "Wir beschaffen gleich alles was wir brauchen, damit du deine Erkältung los wirst." Krawell rief alle zusammen, während die Schildkröte es sich auf ihrem Lager aus weichen Gras, Moos und Laub bequem machte.

"Rufus, suche du bitte Kräuter. Kalinka, du findest bestimmt noch irgendwo Honig, und Rudi, du gehst in das Tal gleich hinter dieser Höhle und besorgst große Torfstücke. Ich sammle Schafwolle. Sobald jeder seines gefunden hat, kommt er sofort zurück!" Den kleinen Wolf bat Krawell immer wieder mal laut zu heulen, damit Krawell wußte, dass ihm nichts passiert war. Rudi versprach es und machte sich wie alle anderen auf den Weg. Es dauerte nicht sehr lange und es war noch nicht einmal richtig dunkel, da trafen alle wieder in der Höhle zusammen. Die Torfstücke legte Krawell in Elises Bett. Es sollte sie schön warm halten. Die Kräuter legte er vor sie hin mit der Bitte, hin und wieder darauf herumzukauen. Die Honigwabe stellte er daneben und riet der Schildkröte ordentlich davon zu naschen. Aus der Schafwolle zupfte er einen dicken Schal und legte ihn Elise um ihren Hals.

Die vier Gefährten liegen in der Höhle vor der erkälteten Schildkröte mit einem Wollschal um ihren Hals - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Die Riesenschildkröte war froh über so viel Aufmerksamkeit und gute Pflege. Schon bald merkte sie, dass es ihr besser ging, aber dass sie auch immer schläfriger wurde. Bevor sie ganz eingeschlafen war, sagte sie zu den vier Gefährten: "Wenn ihr mögt, dann könnt ihr hier wohnen bleiben, für immer. Vielleicht berichtet ihr mir dann auch von euren Abenteuern. Ich höre so gerne Geschichten." Sie gähnte und sprach ganz leise weiter: "Und morgen ... ihr ? viel, ... jeder auch, ... total gemütlich werden ... schön, sehr schön ...", brachte sie gerade noch hervor, dann schlief sie tief und fest.

"Prima, toll", jauchzte Rudi, "dann brauchen wir nicht weiter zu suchen, bleiben hier und, und ..., ich will mir morgen auch Torf holen für meinen Schlafplatz und Laub und Moos und ..." - "Ich auch, genau, ich auch...", stimmte Rufus mit ein und auch Kalinka schmiedete schon Pläne, wie sie sich einrichten wollte. Krawell wollte sich ein richtiges, echtes Rabennest bauen. "Mein Nest liegt dann eben auf der Erde, in einer Höhle, so etwas hat bestimmt kein anderer Rabe. Tja, das wird toll."

Nach einer Weile wurde es ganz still. Alle lagen dicht beieinander und schliefen. Vielleicht träumten sie schon davon ihre Höhle gemütlich einzurichten, oder davon, die Gegend zu erkunden, das verborgene Tal zu durchstreifen. Wer weiß?

Ende

1. Dezember 2014


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