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KALENDERGESCHICHTEN/059: 11-2015   Weggefährten - falsche Artisten ... (SB)


Der Junge Bataa hängt zwischen den Höckern des Kamels herunter und hält das Tablett in den Händen. Die Gans sieht sich das skeptisch an - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Was bisher geschah ...

Der Löwe schlenderte ausgerechnet in den Waggon, in dem sich die drei Weggefährten aufhielten. Ängstlich und unsicher drängten sie sich in eine Ecke, wurden aber dennoch von Maxim, dem Löwen, entdeckt. Doch der Löwendompteur schickte ihn in seinen Käfig - und zum Schrecken aller wurde die Käfigtür nicht verschlossen. Mutig entschloss die Gans Edith sich, mit dem Löwen zu reden, und erfuhr von ihm, dass sie in die Mongolei fahren und dass sie ein Zirkuskunststück vorführen sollten?


Leises, gemütliches Schnarchen zeugte vom entspannten Schlaf des Löwen. Von ihm hatten sie in nächster Zeit wohl nichts zu befürchten. Doro schüttelte sich, als wolle sie ihre Ängstlichkeit los werden wie Sandkörner aus ihrem Fell.

"Tja, nun wird 's lustig, Leute. Ich jedenfalls kann kein einziges Kunststück, dass ich vorführen könnte, außer vielleicht nach Hosenbeinen schnappen oder in die Waden zwicken, aber das kann ja jede Gans, das ist nichts besonderes", maulte Edith.

"Ich kann auch nichts, außer dass ich viel länger ohne Wasser auskomme als andere und vielleicht ... ?", Doro dachte kurz nach, "... vielleicht, nun, ich kann Leute auf meinem Rücken tragen und so doll beim Laufen schaukeln, dass ihnen schlecht wird."

Bataa räusperte sich: "Das ist doch schon mal was."

Erstaunt blickten Edith und Doro den Jungen an. Sie konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie daraus eine Zirkusnummer entstehen sollte. Nachdenkliche Stille breitete sich aus und hielt eine ganze Weile an. "Richtig verstanden habe ich das nicht - wozu müssen wir denn überhaupt ein Kunststück vorführen?", wollte Doro wissen und Edith gab die Frage an den Jungen weiter. Bataa, der sich inzwischen auf den Boden gesetzt hatte, kratze sich am Kopf, legte seinen Finger an sein Kinn und sah dabei mächtig schlau aus: "Also, eine Zirkusnummer brauchen wir, damit wir nicht auffallen, Doro, wir müssen so tun als gehörten wir zum Zirkus. Und ich habe auch schon eine Idee."

"Na, da bin ich aber gespannt", lachte Edith, "Bataa sitzt auf Doro, ihm ist total übel und ich zwicke ihn ins Bein?" Da prustete sogar Doro los und Bataa stimmte in das Gelächter ein. "Nein, also, ich hatte etwas anderes im Sinn", erklärte der Junge, nachdem er sich wieder beruhigt hatte.

"Du, Doro, läufst im Kreis der Manege, zuerst ganz langsam, dann immer schneller. Dann komme ich dazu", Bataa wendete sich dem Kamel zu, "laufe ein Stückchen neben dir her, halte mich an deiner Mähne fest und schwinge mich auf deinen Rücken. Ich spiele dort oben den wilden Reiter, das heißt, ich probiere ein paar akrobatische Kunststücke. Ihr wisst sicher, dass ich wie alle Kinder in der Mongolei, ein erstklassiger Reiter bin, ja, ich nehme schon seit ich 8 Jahre alt bin an dem alljährlichen Pferderennen teil - das ist vielleicht toll. Aber egal, das gehört jetzt nicht hierher?"

"Und ich, habe ich gar keine Aufgabe?", Edith schien gekränkt zu sein.

"Oh, du bist doch die Hauptattraktion. Wenn wir zwei bis dreimal die Manege umrundet haben, kommst du in die Mitte gerannt, verbeugst dich und vielleicht gelingt es dir dabei absolut würdevoll und geheimnisvoll auszusehen."

"Gut, das kriege ich hin!" Edith weitete ihren einen Flügel weit aus, den anderen hielt sie eng am Körper, machte einen wunderschönen gebogenen Hals und beugte sich etwas nach vorn.

"Das sieht toll aus", rief Doro voller Bewunderung.

"Dann fliegst du hinauf zu mir. Ich strecke meinen Arm weit aus, so dass du auf ihm landen kannst ..."

"Eh, Bataa, spinnst du? Ich bin doch kein Falke oder Adler, die sich überall festhalten können mit ihren Krallen - ich habe Gänsefüße!" "Oh", Bataa senkte seinen Blick, "stimmt, daran habe ich nicht gedacht. Was machen wir denn nun? - Ich weiß, wir organisieren ein großes Tablett, ein silbernes, eines auf das du genau drauf passt."

"Du weißt aber schon noch, dass ich nicht wirklich gut fliegen kann und schon gar nicht so hoch?", erkundigte sich Edith besorgt.

Auch daran hatte Bataa in seinem Eifer nicht gedacht, wollte es der Gans aber nicht sagen und erfand blitzgeschwind eine neue Idee.

"Du vergisst, dass ich ein wahrer Reitkünstler bin. Also hört zu: Wenn ich oben auf Doro sitze, lehne ich mich weit zur Seite nach unten in deine Richtung Edith, in der Hand halte ich das Tablett und du flatterst hinauf. Dann hebe ich dich hoch?"

"Weißt du eigentlich wie schwer ich bin?"

"Ich schaffe das schon, sei ganz beruhigt."

"Und ich soll dabei die ganze Zeit weiterlaufen?", wollte Doro wissen und Edith nickte.

"Ja, also, so ungefähr hatte ich mir das vorgestellt. Eigentlich müssten wir das jetzt ausprobieren", überlegte Bataa laut, "und üben. Aber wo und wann weiß ich auch nicht."

Plötzlich raschelte es im Stroh, der Löwe setzte sich auf, gähnte herzhaft und ziemlich lange, dann rülpste er, leckte sich das Maul und erhob sich zu seiner vollen beeindruckenden Größe. Die drei Gefährten drehten sich zugleich in seine Richtung und starrten ihn an.

"Leute, das ist kein Problem, das mit dem Üben und so. Kurz vor der nächsten Stadt stoppt der Zug und dann wird ausgeladen und aufgebaut, das Zelt und alles drum herum. Da habt ihr genügend Zeit, eure neue Nummer zu trainieren", mischte sich der Löwe kundig ein. Hatte er doch nicht geschlafen? Als er keine Antwort erhielt von den drei erstaunten und verunsicherten Mitreisenden, redete er weiter. "Ihr gehört gar nicht zu unserem Zirkus. Seid ihr Gäste, also Gastakrobaten oder so etwas?"

"Moment mal bitte, Maxim, so war doch dein Name? Also ich muss da eben mal etwas mit Bataa klären." Dann sah sie zu dem Jungen auf und berichtete ihm kurz, was der Löwe gesagt hatte und dann antwortete Bataa endlich.

"Ja, also, wir sind keine Gastakrobaten und gehören zu überhaupt keinem Zirkus. Wir sind sozusagen auf der Flucht und da kam uns diese Mitfahrgelegenheit gerade recht."

"Auf der Flucht?" Jetzt wurde der Löwe neugierig, reckte seinen Kopf vor und schaute erwartungsvoll in Bataas Gesicht.

"Na, ja. Wir sind weggelaufen. Doro und ich wurden einfach nach Deutschland gebracht, aber wir wollen beide unbedingt wieder nach Hause in die Mongolei", setzte Bataa daraufhin seinen Bericht fort. Der Löwe hörte aufmerksam zu und erfuhr die ganze Geschichte der drei Weggefährten. Am Ende seufzte er tief: "Ihr seid aber mutig!"

"Und glaubst du, unsere Zirkusnummer kann sich sehen lassen?", wollte Edith wissen, die eigentlich gar nicht erfreut war über Bataas Idee mit dem silbernen Tablett.

"Hmm, ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber wir führen hier eher wirklich gefährliche Kunststücke vor. Ich zum Beispiel springe durch einen Ring mit Feuer!"



Der Löwe springt durch einen großen Ring, an dessen Oberseite Flammen züngeln - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Maxim warf sich stolz in die Brust, als er das erzählte. "Aber warum verlasst ihr nicht gleich unseren Zirkus, ich meine wir sind doch bald in der Mongolei, da könnt ihr doch sofort aus dem Zug hopsen und euch dünne machen."

Edith drehte sich zu Bataa um, berichtete ihm kurz vom Vorschlag des Löwen und dann sahen sich Kamel, Junge und Gans an, nickten sich wortlos zu, blickten zum Löwen und bedankten sich bei ihm für seine Hilfe. Sobald der Zug zum Stehen kommen würde, wollten sie ihn verlassen ...

Fortsetzung folgt ...

zum 1. November 2015


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