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KALENDERGESCHICHTEN/091: 07-2018   Verkehrte Welt - Hilfe für jedermann ... (SB)


Ein großer Marderhund steht vor Ente Gina und Henry Maus auf dem Weg. Er zeigt ihnen seine verletzte Pfote - Buntstiftzeichnung © 2018 by Schattenblick

Die kleine Ente Gina hatte es geschafft, Mika, den Fuchs, wieder zu seiner Mutter und seinen Brüdern zurückzubringen. Aber nicht alle Füchse sind so freundlich wie Mika. Seine Brüder sahen in Gina eine leckere Mahlzeit und wollten einen Festschmaus halten. Doch gelang es der Ente zu fliehen. Leider musste sie ihren neuen Freund verlassen. Da sie immer noch sicher war, selbst eine Maus zu sein, war sie ganz durcheinander, hatten die Füchse sie doch eine Ente genannt. Gina kehrte zurück zu Henry Maus und erfuhr von ihm, dass sie tatsächlich eine Ente war.


"Mhm, eine Ente", murmelte Gina vor sich hin, "keine Maus wie du?" Sie hatte sich in ihren Suppenteller gesetzt und sah Henry Maus an. "Warum hast du mir das nie gesagt?", wollte sie nun von ihm wissen.

"Weißt du, als ich dir zum ersten Mal begegnet bin, da warst du noch so winzig klein, völlig hilflos und allein. Du warst ziemlich froh, als du jemanden, also mich, gefunden hattest, der dir mit Rat und Tat zu Hilfe kam. Erinnerst du dich, du hocktest vor der Türschwelle und wusstest nicht weiter?"

"Ja, klar, das habe ich nicht vergessen. Du hast recht, ich dachte du bist meine Familie, ich war mir sicher, ich sei genau wie du und darüber war ich sehr froh."

"Siehst du, und ich überlegte mir, dass ich dir auch später noch sagen könne oder du es selber merken würdest, dass du anders bist als ich. Aber in dem Augenblick wollte ich nur, dass du dich geborgen fühlst. Verstehst du das?", wollte Henry von Gina wissen.

Etwas verlegen gluckste sie leise: "Danke, ich glaube schon." Dann lachte sie: "Nun vielleicht kannst du mir zeigen, wie erwachsene Enten aussehen, damit ich weiß, was aus mir wird?"

"Klar, das kann ich. Gleich im Nachbarhof laufen eine ganze Menge Enten herum. Dort ist auch der Teich auf dem sie hin und her schwimmen. Denk nur, das kannst du auch."

"Wirklich?", staunte Gina. "Lass uns gleich hinfliegen, komm!", forderte sie ihn auf und breitete auch schon ihre Flügelchen aus, "halt dich an mir fest, Henry!" Doch was war das? Gina hob sich kein bisschen in die Höhe. Wieder und wieder versuchte sie es. Traurig ließ sie ihr Köpfchen hängen und schniefte: "Henry, was geschieht hier, warum kann ich nicht mehr fliegen?"

Henry war ebenso überrascht und erstaunt: "Ich weiß es auch nicht, Gina." Er überlegte und meinte dann: "Vielleicht hattest du, als du noch ganz klein warst, einen Schutzengel, vielleicht hat er dir geholfen und dir die Flugkunst verliehen, um dir beizustehen? Nun, da ich auf dich aufpasse, hat er sich gedacht, du brauchst seinen Schutz nicht mehr. Was meinst du, das wäre doch möglich, oder?"

"Hmm", seufzte Gina, "ja, so könnte es gewesen sein. Aber ich bin traurig, weil ich das Fliegen ganz toll fand und nun ..." Sie sprach nicht weiter und schluchzte jämmerlich.

"Hey, Gina, du bist doch eine Ente und die können fliegen, ja, die können schwimmen und fliegen!", freute sich Henry gleich für Gina mit und lachte.

"Ja?"

"Ja, aber sicher doch. Nur weiß ich nicht, ob sie das gleich können oder ob sie das lernen müssen. Aber das werden wir sicher bald herausfinden. Lass uns eine Nacht darüber schlafen und uns morgen in aller Frühe auf den Weg zum Nachbarhof machen", schlug Henry vor.


Am nächsten Morgen erwachte Gina zuerst, hüpfte aus ihrem Teller und zu Henry hinüber. Der schlief noch tief und fest. Sie stupste ihn vorsichtig mit ihrem Schnabel an, nachdem er sich auf ihre Weckrufe hin auch nicht geregt hatte. Da drehte er sich um, blinzelte und blickte endlich in das erwartungsvolle Gesicht der kleinen Ente. "Ja, ich bin jetzt wach, einen Moment bitte, ich bin sofort auf den Beinen." Einen winzigen Augenblick später stand Henry vor ihr.

"Können wir nun los die großen Enten suchen?" - "Ja, versprochen ist versprochen, also lass uns gehen!" - "Die Sonne scheint auch erst gerade wach zu werden", stellte Gina fest, "sie hat noch einen zarten rötlichen Schimmer."

Henry schmunzelte. Er malte sich gerade aus, wie eine müde Sonne aus ihrem Bett krabbelte, um den ganzen Tag lang zu scheinen, was bestimmt auch anstrengend sein musste.

Sie hatten schon ein ganzes Stück des Weges zurückgelegt, als plötzlich wie aus dem Nichts heraus ein Marderhund ihren Weg kreuzte. Henry erstarrte vor Angst, wusste er doch zu genau, dass dieser Geselle ihn gern verspeisen würde, vielleicht sogar auch die kleine Ente. "Gina", zischte er, "wir müssen um unser Leben rennen! Mir nach!" Doch der Marderhund hatte sie bereits entdeckt und versperrte ihnen den Fluchtweg. Henry Maus war überzeugt, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte und es für sie ein böses Ende nehmen würde. "Ich hab' nicht auf Gina aufpassen können, oh weh, oh weh", klagte er laut. Die Zeit schien still zu stehen. Nichts geschah. Ente und Maus boten ein Bild des Jammers.

Auf einmal legte sich der Marderhund auf die Seite, einfach so ins Gras und hielt eine Vorderpfote etwas hoch. Dabei jaulte er laut auf und stöhnte: "Könnt ihr mir vielleicht helfen? Ich bin in eine böse Falle geraten und seht selbst wie meine Pfote nun aussieht. Sie tut verdammt weh."

Maus und Ente sahen sich an und waren sich beide nicht sicher, ob es vielleicht eine List des Marderhundes war, um sie in seine Nähe zu locken und dann zu fangen. Gina reckte ihren Hals so weit vor wie sie nur konnte und versuchte einen Blick auf das kaputte Bein zu werfen.

"Henry, das sieht wirklich ganz übel aus. Ich glaube, er hat tatsächlich starke Schmerzen, wir sollten versuchen, ihm zu helfen", flüsterte Gina. Henry nickte und vorsichtig schritten sie auf den Verletzten zu. Als sie nahe genug waren, lächelte der Kranke. "Oh, ich dachte schon, dass mir gar niemand helfen wird. Ich humpele schon lange durch die Gegend, aber das schmerzt und das Schlimmste ist, dass ich fürchterlichen Hunger habe und einfach nichts zu Essen ergattern kann, weil ich viel zu langsam bin und Durst habe ich auch und ..." Die Klage des Marderhundes schien gar kein Ende nehmen zu wollen und Gina und Henry gingen nun doch lieber wieder ein paar Schritte rückwärts, denn sie wollten bestimmt nicht sein lang ersehntes Fressen werden. Das sah der arme Verletzte und beruhigte die beiden. "Ich werde doch nicht so dumm sein und die einzigen, die bereit sind, sich um meine Pfote zu kümmern, auffressen!"

Mutig nahmen Maus und Ente daraufhin die Pfote in Augenschein. "Wir müssen sie erst einmal waschen und dann einen Verband darum wickeln", bestimmte Henry. "Wir sind auf dem Weg zum Nachbarhof, dort gibt es einen Teich, meinst du, dass du mitkommen kannst, äh, wie heißt du eigentlich?"

"Lukas, ganz einfach und ihr, wer seid ihr?" - "Darf ich vorstellen, Ente Gina und ich, Henry Maus." Damit war das geklärt und Henry sprach weiter: "Also, Lukas, meinst du, dass du es schaffst, es ist nicht mehr weit?"

"Oh, ich glaube das wird gehen, wenn bloß meine Pfote wieder heil wird", seufzte er. Dann machten sich die drei langsam auf den Weg.

Fortsetzung folgt ...


zum 1. Juli 2018


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