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TIERGESCHICHTEN/008: Hasi hat den Wurz gestohlen ... (SB)



Oh wie war es so bitterkalt, Schnee bedeckte jeden der wenigen übrig gebliebenen Grashalme und die restlichen Blätter an den niedrigen Büschen. Der kleine Hase litt seit Tagen gar schrecklichen Hunger. Er hoppelte durch den Wald und suchte die Tannen auf, um unter ihnen vielleicht einen Tannenzapfen zu finden, der schmeckte zwar nicht, aber sein Magenknurren würde doch für kurze Zeit verstummen. Manchmal lugten dort auch noch grüne Gräser hervor oder etwas tiefer versteckt unter dem Schnee auch etwas Moos. All das zählte nicht unbedingt zu seiner Lieblingsspeise, aber hier ging es nicht um Genuss, sondern ums Überleben.

In dieser traurigen Zeit geschah etwas völlig Ungewöhnliches, etwas dass der kleine Hase nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. In der Dämmerung der Nacht hoppelte der kleine Hase, den wir ruhig beim Namen nennen wollen, denn unter seinesgleichen wurde er Justus gerufen, mal hierhin mal dorthin durch den Wald. Als der erste Morgenschimmer den Horizont erhellte, überfiel ihn eine Schläfrigkeit und er überlegte, wo er den Tag irgendwo gut verborgen dösend verbringen konnte. Da hörte er Stimmen vom nicht weit entfernten Dorf laut jauchzend immer näher kommen. Justus war mit einem mal hellwach und genauso neugierig.

"Du spinnst, das ist doch noch viel zu früh, erst grad mal acht Uhr und noch nicht einmal richtig hell", schimpfte die eine Stimme. "Jammer nicht, du weißt, dass ich später mit meinen Eltern in die Stadt fahren muss, also ist das die einzige Möglichkeit! Du kannst ja wieder ins Bett gehen, aber gestern fandest du meine Idee noch supertopgenial". Darauf mischte sich noch jemand ein: "Mann, bist du blöd, nun hat es endlich nach Jahren mal wieder geschneit und zwar richtig heftig und dann meckerst du rum." - "Ist ja gut, keine Panik, ich bin dabei. Also legen wir los!", grummelte der müde Kumpane.

Das Grüppchen, dass sich hier versammelt hatte, zählte zwei Jungen, Birger und Malte und ein Mädchen namens Lisa. Sie war es auch, die die Jungen zurechtwies. In einem Eimer trug sie eine große Karotte, ein paar Eierkohlen und über ihre Pudelmütze hatte sie einen alten Strohhut gesetzt. Birger zog einen Reisigbesen, der schon bessere Tage gesehen hatte, hinter sich her. Malte stapfte, beide Hände in seine Jackentaschen gestopft, hinterdrein.

Justus, der Hase, verfolgte das Treiben, wobei die aus dem Eimer hervorragende Karotte seine ganz besondere Aufmerksamkeit weckte. Er stellte seine großen Löffel auf und lauschte, um zu erfahren, was wohl mit dieser verlockenden Mahlzeit passieren würde.

"Hier soll er stehen!", beschloss Lisa und stellte den Eimer mit den Eierkohlen und der Karotte in den Schnee und bedeckte ihn mit dem Strohhut. Da von den Jungs kein Widerspruch ertönte, formte sie aus dem Schnee, der heute besonders gut backste, eine große Kugel zwischen ihren Händen. Als sie rund genug war, ließ sie ihre Schneekugel fallen und sah Malte und Birger herausfordernd an. "Na, wie wäre es, wenn ihr eine schöne runde und sehr große Kugel rollen würdet. Schließlich soll er doch einen recht dicken Bauch bekommen oder?" Ich rolle dann die Brust und den Kopf, einverstanden", sie wartete allerdings keine Antwort ab, sondern formte bereits die nächste Schneekugel und begann sie zu rollen bis sie die gewünschte Größe erreicht hatte. Gleich danach entstand unter ihren Händen ein schöner nicht allzu großer Kopf.

Lisa schielte nun zu den beiden Jungs hinüber und begutachtete deren Werk. "Mensch, was macht ihr denn da? Das soll doch keine Walze werden, ein Bauch ist doch rund, nicht lang wie ein Schlauch! Seht mal her, ihr müsst eine neue runde Kugel formen und sie dann in alle Richtungen regelrecht kullern, ja?" Malte und Birger murmelten irgendetwas von Schlaumeier und Nervensäge, lachten aber und rollten mit Feuereifer eine riesige runde Schneekugel. "Und jetzt wird unser Frankenstein-Monster zusammengesetzt!", jauchzte Birger und klopfte stolz auf die dicke Kugel. Malte war mittlerweile richtig wach geworden und schnappte sich Lisas Schneekugeln, setzte sie aufeinander und schließlich stand ein richtiger Schneemann vor ihnen. "Hey, der hat ja gar keine Arme, wie soll er denn den Besen halten?", stellte Malte nachdenklich fest. "Hmm", machte Birger und legte den Kopf schief. "Ihr seid doch Experten im Schläuche rollen", spottete Lisa, "dann ist jetzt die Gelegenheit. Wir brauchen zwei leicht gebogene Schneeschläuche als Arme." Es dauerte nicht lange und schon konnte ihr Schneemann sich über zwei kräftige Arme freuen.

Justus, der Hase, verstand nicht recht, was die Kinder dort trieben und sehnsüchtig wartete er darauf, dass sie verschwinden mögen und tunlichst die Karotte dort vergessen würden. Doch er musste sich noch in Geduld fassen.


Die Kinder verzieren den Schneemann, während der Hase Justus aus seinem Versteck zuschaut - Buntstiftzeichnung: © 2021 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2021 by Schattenblick


"Jetzt sind die Eierkohlen an der Reihe, ich setze ihm die Augen ein, richtig schwarze Eierkohlenaugen!", freute sich Birger. "Von mir kriegt er drei pechschwarze, sehr modische Knöpfe", lachte Lisa, "und den Strohhut, ja, der Strohhut ist der letzte Schrei in der Schneemann-Modewelt, da bin ich ganz sicher, der steht ihm bestimmt gut." Malte schnappte sich den alten Reisigbesen und steckte ihn in den linken Schneemannarm. "Nun fehlt ihm nur noch der Mund, aber woraus macht man denn einen Mund?", überlegte Malte. "Wir suchen einen kleinen gebogenen Ast, das wird gehen", schlug Birger vor und sah sich sofort nach eben einem solchen Zweig um. Seine Suche war nach kurzer Zeit von Erfolg gekrönt und der Schneemann bekam einen Mund.

"Danke, nun kann ich sprechen", brummte Birger mit der tiefsten Stimme, die er zustande bekam. "Nun kommt das Wichtigste für einen echten Schneemann - die Nase." - "Klar, schließlich muss er riechen, wenn Gefahr droht", grinste Malte. Lisa nahm die dicke, große Karotte und steckte sie direkt zwischen Augen und Mund. Zwar saß sie etwas schief, aber das sah ganz lustig aus. Stolz betrachteten sie ihr Meisterwerk und klatschten in die Hände. "Toll, das ist doch mal wirklich gut gelungen", freute sich Lisa und die Jungs nickten eifrig. Mittlerweile war es hell geworden und die Kinder liefen ins Dorf zurück, denn auf sie wartete mit Sicherheit ein leckeres Frühstück in einer warmen Stube.

Justus lief beim Anblick der riesigen Karotte das Wasser im Mund zusammen. Doch wie sollte er sie erreichen? "Viel zu hoch, viel zu hoch!", stöhnte der Hase. Aber der Hunger verlieh ihm Mut und er besann sich einen Moment lang. Dann hoppelte er ein wenig fort, um kurz darauf mit gewaltigen Sprüngen auf der Brust des Schneemanns zu landen. Doch, oh je, der Kopf stürzte samt Hase hinunter in den Schnee. Erschrocken blickte Justus sich um, sah den kopflosen Schneemann, dann die dunklen Augen seines am Boden liegenden Kopfes und war für einen Augenblick entsetzt über seine Tat. Doch nun gab es kein Halten mehr, hungrig schnappte er sich die Karotte und knabberte sie an Ort und Stelle ganz und gar auf. Das war das Festmahl, nach dem er sich so gesehnt hatte. Als er richtig satt war, verschwand er im Wald und legte sich zufrieden und glücklich schlafen.

Ende



1. Februar 2021


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