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TIERE/099: Tiergenie und Lebenskunst - Menschen fehlern Vögel ... (SB)


Nestbauen erfordert Wissen und Geschick


Die Nester all der unglaublich vielen verschiedenen Vogelarten zeichnen sich durch ganz eigene Besonderheiten aus. Der Aufwand, eine Vogelbehausung zu errichten, ist unterschiedlich hoch. Einige Tiere scharren eine Mulde im Boden aus, andere bauen richtige "Mehrfamilienhäuser", das heißt, sie setzen ihr Nest dicht neben das andere und so entsteht ein riesiges Gebilde, einer Nestsiedlung gleich. Vogelnester sind nicht einfach nur Behausung und Brutstätte - es muss noch viel mehr beim Bau bedacht werden.



In zwei Bäumen haben Webervögel je eine riesige Nestkolonie errichtet - Foto: 2004 by Harald Süpfle (photo taken by Harald Süpfle) [CC BY-SA 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

Webervögel mit Nestkolonie
Foto: 2004 by Harald Süpfle (photo taken by Harald Süpfle) [CC BY-SA 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons



Die Partnerwahl hängt oftmals von der Art des Nestbaus ab

Zu Beginn der Brutzeit steht als erstes der Nestbau an. Sowohl die Männchen als auch die Weibchen übernehmen diese Aufgabe oder auch beide gemeinsam. Lange Zeit ging man davon aus, dass das Nest einfach nur als Brutplatz dient, als Schutz vor Regen, Wind und Kälte sowie vor Feinden und überhaupt der Ort für die Aufzucht der Jungvögel ist. Doch scheint der Nestbau bei vielen Vogelarten auch noch einen anderen Zweck zu erfüllen. Wie groß oder klein, oder mit wie viel Aufwand ein Nest errichtet oder mit wie viel Zierde es geschmückt wurde, spielt oft eine entscheidende Rolle bei der Partnerwahl. Denn an der Art und Weise, wie es gestaltet wurde, erkennen die Weibchen wie geschickt oder kräftig der Baumeister ist und sie wählen den besten aus.


Immer auf der Suche nach geeignetem Baumaterial und guten Plätzen

Zunächst muss geeignetes Material herangeschafft werden. Das können kleine Zweige sein, trockenes Gras, Federn, Lehm, Pflanzenfasern, Wolle oder kleine Steine. Die großen Vögel sammeln starke Zweige und kleine Äste und stecken sie geschickt ineinander. Diese großen Nester von Störchen, Kranichen oder Adlern werden Horst genannt. Auch Felsvorsprünge, Nischen oder kleine Höhlen in Gebirgswänden können zum Vogelnest ausgestaltet werden. Oft werden sie mit Federn oder Gras gepolstert. Papageitaucher graben sich eine Nisthöhle in den Boden, Uferschwalben und Bienenfresser in sandige oder lehmige Böschungen. Flamingos häufen Schlamm zu kegelförmigen Gebilden an, die aus dem seichten Wasser ragen und in dessen Spitze eine tiefe Mulde geformt wird. Dort hinein legen sie meistens nur ein Ei.



Ein rosa Flamingo steht auf einem Schlammkegel, sein Nestbau - Foto: 2004 by Arpingstone [Public domain], via Wikimedia Commons

Flamingo mit seinem Nest
Foto: 2004 by Arpingstone [Public domain], via Wikimedia Commons


Bei der Wahl des Materials sind die Federtiere auch bereit, immer mal etwas Neues auszuprobieren. So wurden schon Nester gefunden, in denen Plastikstreifen eingelegt waren, oder Kleiderbügel aus Draht, die als Unterbau dienten. Die Schwalben beispielsweise sind froh über eine Haus- oder Stallwand, die möglichst rau ist oder schmutzig, denn dort haftet der Lehm besser, aus dem sie ihre Nester modellieren. Sie nehmen kleine Lehm- oder Matschklümpchen mit ihrem Schnabel auf und kleben sie an eine solche Wand. Ihr Speichel dient als eine Art Klebestoff und eingeflochtene Grashalme als Verstärkung. Dadurch wird das fertige Nest haltbar. Der erste Bauabschnitt ist der wichtigste, denn hält die Verbindung zur Wand nicht, kann es sein, dass das Nest später mitsamt der Jungen hinunterfällt. In modernen Stallungen fehlen solche Wände meistens. Sie sind glatt und sauber und Schwalben findet man dort kaum.

Zwei Mehlschwalben sind noch ganz am Anfang mit dem Bau ihres Nestes, dass sie an der Wand unter einem Dach befestigt haben - Foto: © 2012 by Schattenblick Eine Rauchschwalbe flicht trockenes Gras in ihr Nest, dessen Bau sich noch ganz am Anfang befindet - Foto: © 2012 by Schattenblick

links: Mehlschwalben zu Beginn ihres Nestbaues
rechts:Rauchschwalbe beim Nestbau
Fotos: © 2012 by Schattenblick

Ändert sich die gewohnte Umgebung der Vögel durch Neubauten, Straßenbau, Trockenlegen von Gewässern oder deren Verschmutzung durch plötzlich auftretende Überflutungen von bislang ungefährdeten Gebieten oder durch das Abholzen von Bäumen, die lange als Nistplätze dienten, müssen die Vögel sich nach einem neuen geeignetem Brutplatz umsehen und ihren Nestbau den Gegebenheiten entsprechend umgestalten.


Nestbautechniken werden an die Umgebung angepasst entwickelt

Jede Vogelart hat ganz spezielle Nestbautechniken entwickelt. Sie sind an die Lebensbedingungen angepasst. Die Nester von Tieren, die in kälteren nördlichen Gebieten leben, müssen gegen Kälte schützen. Sie bauen gern Federn oder Wollhaare mit ein. Die Luft, die sich in den Hohlräumen der Nestwand befindet, trägt zum Erhalt der Wärme bei. Beutelmeisen verwenden für den Bau ihres an Pappeln, Birken oder Erlen hängenden beutelförmigen Nestes, Pflanzenfasern, sowie Samenwolle von Rohrkolben oder Pappeln. So ummantelt hält sich die Wärme im inneren recht lange.


Eine Beutelmeise verlässt gerade ihr an dünnen Zweigen hängendes Nest, dass die Form eines Beutels hat - Foto: 2014 by Ralf Ottmann (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Beutelmeise verläßt das Nest
Foto: 2014 by Ralf Ottmann (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

In den südlichen, warmen Gebieten ist all das nicht so wichtig. In Sumpfgebieten, an Küsten oder Gebirgen bauen die Vögel ihre Brutstätten entsprechend der Umgebungsbedingungen. Und nicht nur das - sie müssen stets auch ihre möglichen Fressfeinde im Blick haben und den Nestbau auch danach ausrichten. Um sich vor Angriffen zu schützen, ist es überlebenswichtig, die Brutstätte gut zu tarnen. Prachtfinken zum Beispiel errichten neben dem eigentlichen Nest mit dem Gelege noch ein weiteres darüber, das sogenannte Hahnennest, um ihre Feinde zu täuschen. Baumkletternde Schlangen verspeisen gerne Vogeleier. Um ihnen den Nestraub zu erschweren, hacken zum Beispiel einige Spechtarten unterhalb ihres Einfluglochs ein kleines Loch in den Baumstamm, aus dem klebriges Baumharz fließt, was die Schlange stoppen soll. Andere hängen ihre Nester an dünne, biegsame Bambuszweige, wie beispielsweise der Textorweber. Auch die Bodenbrüter müssen sich etwas einfallen lassen, um ihre Jungen zu schützen. Die Mohrenlerche sammelt luftgetrockneten Dung von Weidetieren, den sie rund um ihre Nestmulde legt. Durch einen solchen Vorbau können Temperaturschwankungen abgemildert werden. Der trockene Dung kann zudem ein Schutz vor Wassereinbruch sein. Außerdem hat er auch noch einen guten Nebeneffekt: Weidetiere vermeiden es, in Dunghaufen zu treten und machen von daher einen Bogen um ein Nest mit Dungwall.


Ein sauberes Nest ist wichtig für die Vogelgesundheit

Noch etwas muss beim Nestbau beachtet werden: Sauberkeit. Bakterien verschiedener Arten siedeln sich gern in warmen, leicht feuchten Regionen an. Es wachsen also nicht nur die Küken heran, sondern auch Bakterien oder kleine Parasiten. Sie können Krankheiten hervorrufen oder das Gefieder beschädigen und sollten möglichst rechtzeitig vertrieben werden. Die Elternvögel befreien ihren Brutplatz ohnehin ständig von Unrat. Einige haben sogar ihre eigenen natürlichen Abwehrstoffe gegen die winzigen Plagegeister. Blaumeisen beispielsweise tragen aromatische Kräuter in ihr Nest, die eine sogenannte antimikrobielle (gegen Mikroben/Bakterien) Wirkung entfalten. Zwar müssen sie diese Kräuter öfter erneuern, aber es hilft. Stare bringen Schafgarbe oder Wilde Möhre in ihr Nest, was die Entwicklung von Bakterien hemmt. Bei Haussperlingen und Hausfinken, die in der Stadt leben, wurde sogar beobachtet, dass sie Zigarettenfilter von gerauchten Zigaretten in ihrem Nest auslegen. In diesen Filtern befindet sich Nikotin und das wirkt gegen Milben, die den Vögeln zusetzen. Je mehr Filter ins Nestmaterial eingebaut wurden, desto weniger Milben waren vorzufinden.

Es gibt eine ganze Menge zu bedenken beim Nestbau. Wer wollte da sagen, dass das eine einfache Angelegenheit sei? Die Vögel müssen viele Dinge gleichzeitig berücksichtigen und sich oftmals in veränderten Lebensbedingungen zurechtfinden. Das verlangt ihnen Erfindergeist und Improvisationstalent ab - wenn man es einmal mit menschlichen Begriffen benennen will.



Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

http://www.brodowski-fotografie.de/beobachtungen/beutelmeise.html

http://www.biologie-schule.de/flamingo-steckbrief.php

http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/webervoegel/70402

"Der Falke", Journal für Vogelbeobachter, Ausgabe 9/2016

Das große Vogelbuch, Dr. J. Felix, 1977, Mosaik-Verlag GmbH, München


8. Dezember 2016


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