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BERICHT/156: Verscherbelte Kunst (Campus - Universität des Saarlandes)


Campus - Universität des Saarlandes, Nr. 2, Mai 2010

Verscherbelte Kunst

Von Gerhild Sieber


Der illegale Kunsthandel blüht. Weltweit wird sein jährlicher Umsatz auf bis zu sechs Milliarden US-Dollar geschätzt. Auch in Deutschland landen regelmäßig Objekte illegaler Herkunft - aus Museen, Kirchen und Privatsammlungen gestohlen, aus Raubgrabungen fremder Länder geschmuggelt oder in der NS-Zeit und in Kriegen erbeutet, moniert der Saarbrücker Jurist Michael Anton. Er fordert daher einen neuen rechtlichen Umgang mit Kunstwerken. So sollte ein Käufer sorgfältig prüfen, woher das Kunstobjekt, das er erwerben möchte, stammt.


Drei Monate lang waren sie im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt worden: 152 Bilder des expressionistischen Malers Egon Schiele, die von der privaten Wiener Sammlung Leopold entliehen waren. Doch nur 150 von ihnen traten im Januar 1998 die Heimreise nach Österreich an. Der Grund: Zwei der Gemälde wurden von der New Yorker Staatsanwaltschaft als Diebesgut beschlagnahmt. Um eines der Bilder wird seither juristisch gestritten. Es handelt sich um das 1912 entstandene »Bildnis Wally«, in dem der österreichische Künstler seine Geliebte verewigt hatte. Es wird von den Nachfahren der ursprünglichen Besitzerin beansprucht; die Wiener Kunsthändlerin hatte das Ölgemälde 1938 im Zuge der sogenannten Arisierung ihrer Galerie abgeben müssen.

Dass die Erben genau diesen Zeitpunkt wählten, um ihren Anspruch geltend zu machen, sei kein Zufall, erklärt der Saarbrücker Jurist Michael Anton. »Die Chancen der ursprünglichen Eigentümer oder deren Erben, ein Kunstwerk, das von den Nationalsozialisten beschlagnahmt oder erpresst wurde, in den USA zurückzubekommen, stehen wesentlich besser als bei uns. In Deutschland beispielsweise wäre nämlich der Anspruch eines Eigentümers nach spätestens 30 Jahren verjährt.« Selbst ein Dieb könne nach mehr als drei Jahrzehnten ein gestohlenes Bild öffentlich ausstellen, ohne dass der bestohlene Eigentümer dieses zurückverlangen könnte. »Ich fordere als Gesetzesänderung, dass auch in Deutschland die Verjährungsgrundsätze zumindest gegen erwiesen Bösgläubige nicht gelten dürfen«, sagt der 32-jährige Saarländer, der sich als einer der wenigen Juristen in Deutschland auf Kunstrecht spezialisiert hat. »Ganz zufällig«, denn nach seinem Jura-Studium in Saarbrücken ging er für ein Aufbaustudium nach Johannesburg und arbeitete sich dort in das Thema ein, weil er kurzfristig als Redner bei einer Konferenz einspringen musste, erzählt er.

Zurück in Saarbrücken, habe er gleich das deutsche Rechtssystem und die Literatur durchforstet und dabei festgestellt, dass es im deutschen Kunstrecht noch viel Nachholbedarf gibt. Damit war ein spannendes Dissertationsthema gefunden, das auch von Antons Doktorvater, Professor Michael Martinek, sofort unterstützt wurde. Inzwischen sind die ersten beiden Bücher seines insgesamt sechsbändigen Rechtshandbuchs »Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht« erschienen, in denen er den rechtlichen Status von Kunstwerken anhand von mehreren hundert Fallbeispielen aus der Praxis veranschaulicht. »Eines der Hauptthemen ist der gutgläubige Erwerb von Kunstgegenständen und Kulturgütern«, sagt Anton und formuliert die Fragen seiner preisgekrönten Arbeit, die in der Praxis besonders häufig vorkommen: »Kann ich ein gestohlenes, ein geschmuggeltes oder ein von Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg als Raubkunst entzogenes Kulturgut gutgläubig erwerben? - Wenn ich ein solches Kunstwerk vor vielen Jahren erworben habe, ist es dann heute mein Eigentum geworden?«

Anders als in anderen Rechtsordnungen sei das Kunstrecht in Deutschland bislang ein relativ konturloser Raum, es bestünden nur wenige Spezialvorschriften und kaum Gerichtsentscheidungen, sagt Michael Anton. So sei die Frage, ob ein Käufer bedeutsamer Kunstwerke grundsätzlich eine gewisse Pflicht hat, die Herkunft der Werke zu prüfen, in Deutschland noch nie entschieden worden. Eine Hemmschwelle hierfür seien in zahlreichen Fällen auch die Grundsätze der Verjährung, insbesondere bei der Rückforderung von in der NS-Zeit und während des Zweiten Weltkrieges gestohlenen Kulturgütern, wie im Fall des Egon Schiele-Gemäldes. Die USA und Großbritannien seien in der Rechtsprechung bei illegalem Kunsthandel dagegen wesentlich fortschrittlicher: »Dort gibt es unzählige Gerichtsentscheidungen, und Kunstrecht ist ein etabliertes Fach an Universitäten.«

Dabei könnten auch hierzulande die meisten Fälle durch die richtige Anwendung der geltenden Rechtsgrundsätze gelöst werden, ist der Jurist überzeugt. In seiner Dissertation hat er daher ein neues Schutzsystem entwickelt, in dem er Kunstwerken eine Sonderstellung beimisst. Aufgrund ihrer besonderen Qualität dürften sie nicht genau so behandelt werden wie Gebrauchsgüter. »Für Kulturgüter und Kunstwerke braucht man im Zivilrecht einen neuen Ansatz«, stellt Michael Anton fest. »Der Käufer muss beim Erwerb bedeutsamer Kulturgüter besondere Sorgfaltsanforderungen an den Tag legen.« Er müsse sich also erkundigen, woher das Kunstwerk stammt und ob es möglicherweise zuvor gestohlen, geschmuggelt oder sonstwie unrechtmäßig entzogen wurde. »So deutet beispielsweise vieles darauf hin, dass bedeutsame archäologische Objekte ohne Herkunftsbeschreibung aus Raubgrabungen stammen und geschmuggelt wurden«, kommentiert Michael Anton. Wie Käufer vorgehen sollten, um solchen sorgfältigen Nachforschungen nachzukommen, hat er anhand von Checklisten dargestellt. »Eine Möglichkeit sind Datenbanken, die den illegalen Kunsthandel öffentlich wiedergeben«, erläutert der Rechtswissenschaftler. So seien beispielsweise mehr als 100.000 während geringer ist als der übliche Marktpreis, dann müssen die Alarmglocken läuten«, sagt der Kunstrechtsexperte.Auch Zeit und Ort des Verkaufs können ein Indiz für illegale Geschäfte sein: »So hatte ein deutsches Gericht beispielsweise Ende des Jahres 2002 entschieden, dass eine gestohlene Gragnani-Geige ohne Echtheitszertifikat nicht im Münchner Bahnhofsbereich gutgläubig erworben werden kann.«

Nach der Einschätzung eines ehemaligen Direktors des Metropolitan Museums in New York habe nahezu jeder Altertumsfund, der in den vergangenen Jahrzehnten in die Vereinigten Staaten importiert wurde, die Kulturgüterschutzvorschriften des Herkunftsstaates verletzt, weiß Michael Anton zu berichten. So stand vor fünf Jahren die langjährige Kuratorin des Getty Museums in Los Angeles vor Gericht. Die Spezialistin für antike Kunst hatte in großem Maße etruskische, griechische und römische Kunstschätze erworben, die aus Raubgrabungen in Italien stammten. Im Prozess wurden auch Tausende Fotos von Kunstwerken gegen sie verwendet, an denen zum Teil noch Erde hing - ein offensichtlicher Hinweis auf illegales Ausgraben. »Bei Gemälden muss man Verdacht schöpfen, wenn sie unsachgemäß gerollt sind oder wenn teure Bilder aus dem Rahmen geschnitten wurden«, sagt der Saarbrücker Experte.

Neben Diebstahl und Kunstschmuggel widmet er sich im ersten Band seines Rechtshandbuchs Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht ausführlich den »Folgen nationalsozialistischer Kulturgutentziehungen«. Hierzu zähle auch die Beutekunst jener Zeit, sagt Michael Anton. Das Mitnehmen von Kunstwerken als Trophäen sei in vergangenen Zeiten regelmäßige Praxis der Sieger gewesen, auch Napoleon habe das auf seinen Feldzügen so gemacht. Seit dem Wiener Kongress im Jahre 1815 sei es jedoch weltweit geltendes Recht, dass Kulturgüter nicht als Kriegsbeute genommen werden dürfen. Mehr Klarheit gibt es seit 1998 auch für die in der nationalsozialistischen Zeit meist aus jüdischem Besitz beschlagnahmte Raubkunst. »Auf einer Konferenz in Washington hat sich Deutschland zusammen mit 43 weiteren Staaten dazu bereit erklärt, die während der NS-Zeit beschlagnahmten Kunstwerke zu identifizieren, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine >gerechte und faire Lösung< zu finden.« Vor diesem Hintergrund möchten sich öffentliche Museen etwa nicht auf die Grundsätze der Verjährung berufen. Dagegen können Privatpersonen noch immer auf der Verjährungsfrist beharren - also auch die private Leopoldsammlung, die das Egon Schiele-Bild ausgeliehen hatte.


Die ersten beiden Bände von Antons Rechtshandbbuch erscheinen unter den Titeln »Illegaler Kulturgüterverkehr« und »Zivilrecht - Guter Glaube im internationalen Kunsthandel« im Mai 2010 im Verlag De Gruyter Techt.


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Quelle:
Campus Nr. 2, Mai 2010, Seite 4-5
Herausgeber: Der Universitätspräsident, Universität des Saarlandes
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010