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BERICHT/159: Pakistan - 'Truck Art' erobert die Straßen, Lastwagen werden fahrende Kunstwerke (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2010

Pakistan:
'Truck Art' erobert die Straßen - Lastwagen werden zu fahrenden Kunstwerken

Von Zofeen Ebrahim

Islam Gul, einer der gefragtesten 'Truck Artists' in Karatschi - Bild: © Kulsum Ebrahim/IPS)

Islam Gul, einer der gefragtesten 'Truck Artists' in Karatschi
Bild: © Kulsum Ebrahim/IPS

Karatschi, 14. Oktober (IPS) - In Pakistan wird die Kunst auf Rädern unters Volk gebracht. So genannte 'Truck Artists' verschönern triste Lastwagen mit fantasievollen, knallbunten Bildern, die sogar Modedesigner inspirieren.

Shabnam Abdullah, eine Eventmanagerin aus der Großstadt Karatschi, sieht 'Truck Art' als hervorragende Werbung für Pakistan. Diese Kunst ist "ein guter Eisbrecher. Ihre amüsante Poesie und surrealen Bilder sprechen die Leute sofort an."

'Truck Art' ist ein so wichtiger Teil der pakistanischen Popkultur geworden, dass ihr das britische Literaturmagazin 'Granta' bereits eine Titelseite widmete. Die mit unterschiedlichen Waren beladenen LKW bringen die schier unerschöpfliche Bilderflut, die einem Kaleidoskop zu entspringen scheint, in alle Winkel des Landes.

Auch Maheen Khan, eine der prominentesten Modeschöpferinnen Pakistans, ließ sich 2004 bei der Eröffnung ihrer Boutique 'Gulabo' durch 'Truck Art' zu neuen Ideen anregen. "Sie kommt geradewegs aus dem Herzen", sagte die 65-Jährige über die Kunst auf Rädern. Khan wollte daher ein Modelabel gründen, das sich den Humor und die Kunstfertigkeit der 'Truck Artists' zum Vorbild nimmt.

Designer wie Anjum Rana haben sich durch die grellbunten Lastwagen dazu anregen lassen, Gebrauchsgegenständen wie Gartenmöbeln, Teekannen, Tabletts, Bügeleisen, Gießkannen und Trinkgläsern ein fröhliches neues Aussehen zu geben. Auch im Ausland macht sie auf diese Weise seit acht Jahren Werbung für 'Truck Art'.


Mythische Wesen und surreale Kampfszenen

Die großen, dicht bemalten LKW fallen jedem Besucher der im Süden gelegenen Hafenstadt Karatschi sofort ins Auge. Pakistaner werden von den rollenden Kunstwerken ebenso in den Bann gezogen wie ausländische Touristen. Die Bilder erzählen Geschichten von mythischen Wesen und Gefechten hoch in den Wolken.

Auf den Lastwagen sind außerdem allerlei geistreiche Sprüche und Gedichtzeilen zu lesen. Dadurch sollten die Fahrer "unterhalten und beschützt" werden, sagte die bekannte Künstlerin Salima Hashmi. Hinzu kommen Licht- und Klangeffekte, die nicht unbedingt etwas mit den Malereien zu tun haben müssen.

Auch das Innere der LKW lohnt eine nähere Betrachtung. Perlengeflechte und Stickereien verzieren die Sitze, an den Fenstern hängen Fransen und an der Decke baumelt manchmal ein Kronleuchter aus Plastik. So manchem Beobachter mag das etwas kitschig vorkommen. Die Kunsthistoriker Nilofer Farukh spricht jedoch anerkennend von 'naiver Kunst', die mitten aus dem Alltag der Bevölkerung kommt.

Kulturhistoriker haben bereits einen Bogen von 'Truck Art' zu den Kamelkarawanen vergangener Zeiten geschlagen. Damals, als es noch keine LKW gab, wurden die Lasttieren mit besticktem Zierrat geschmückt. Auch Pferdefuhrwerke wurden farbenprächtig gestaltet. Einige Kenner der 'Truck Art'-Szene beharren aber darauf, dass ein findiges Busunternehmen in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts den Stein ins Rollen brachte.

Die Künstler im Land hätten sich allerdings erst seit Anfang der neunziger Jahren genauer mit dem Phänomen beschäftigt, weiß Hashmi. "Die 'Entdeckung' und das Studium der populären Kunst führte zu Gemeinschaftsaktionen wie dem 'Container Projekt' und 'Heart Mahal', erklärte sie. "'Truck Artists' kamen ins Fukuoka Museum in Japan. Einige von ihnen fuhren auch zu den jüngsten Commonwealth-Spielen nach Melbourne und bemalten dort eine Straßenbahn, die immer noch im Einsatz ist."

Maler wie Islam Gul, der das Cover für 'Granta' gestaltete, warnte jedoch vor einer kommerziellen Ausbeutung von 'Truck Art'. Es gebe Leute, die die Kunstwerke im Ausland vermarkteten, mit den Künstlern in Pakistan jedoch zu feilschen begännen", beschwerte er sich. "Sie zahlen uns dafür lediglich einen Hungerlohn."


Vielen Künstlern fehlt das richtige Marketing

"Wir wissen eben nicht, wie wir für uns gute Werbung machen können", räumte der 24-jährige Phool Badshah ein. Für gewöhnlich pinseln die Maler ihre Namen und Handynummern auf die LKW, um neue Kunden auf sich aufmerksam zu machen. Badshah hat aber auch schon die Erfahrung machen müssen, dass Auftraggeber keinen Künstlernamen auf ihrem Fahrzeug sehen wollen.

Viele 'Truck Artists' bleiben also ihr Leben lang anonym, wenn sie nicht plötzlich entdeckt werden und auf internationalen Messen vertreten sind. Neben den Malern gibt es noch die Holzschnitzer, Metallkünstler und Stickexperten, die noch mehr Gefahr laufen, einfach übersehen zu werden.

Die Jahrhundertflut in Pakistan hat den Künstlern ebenfalls schwer zugesetzt. Das Geschäft erhole sich nur allmählich, meinte Badshah. Die Lastwagen seien momentan so viel im Land unterwegs, dass kaum noch Zeit bleibe, sie zu verzieren. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.granta.com/Online-Only/Pakistani-truck-art
http://www.flickr.com/photos/ariaana/404782730/
http://tribaltruckart.net/textPage.asp?pageID=5
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53136

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2010