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BERICHT/162: Echte Circuskunst (welt der frau)


welt der frau 12/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Echte Circuskunst

Von Caroline Kleibel


Zum zehnten Mal wird heuer um die Weihnachtszeit der Salzburger Volksgarten für fünf Wochen zum Winterwunderland. Wenn dort das Winterfest seine Zelte aufschlägt, werden sich wieder mehr als 20.000 Menschen verzaubern lassen, werden ArtistInnen, Lichter und Musik den Park in einen traumhaften winterlichen Märchenwald verwandeln. Und tatsächlich hat alles mit einem Traum begonnen.


Dass manchmal träumen wichtiger ist als frühstücken, weiß Georg Daxner, auf dessen Eigeninitiative das Winterfest zurückgeht. Der 50-Jährige ist von Beruf - ja, was eigentlich? "Art Director", wie es auf seiner Visitenkarte steht? Impresario? Unternehmer? Lange Zeit war er ein Suchender, studierte dies und das und engagierte sich in der aufstrebenden Salzburger Jugendkulturszene der 1980er-Jahre, ehe ein Besuch des Schweizer Circus Federlos für ihn zum Schlüsselerlebnis wurde. Die Faszination war geweckt. Unter großem persönlichem Einsatz und mit hohem finanziellem Risiko organisierte er 1998 einen ersten Vorläufer des heutigen Winterfestes: "Ausgerechnet in der vermeintlich stillsten Zeit des Jahres sind doch die Menschen besonders im Stress, um all die Vorsätze und Umsätze noch bis zum Jahresende ins Trockene zu bringen. An allen Ecken wird Glühwein für den Frieden getrunken und der Advent besungen. Keiner hat Zeit. Da wollte ich ganz bewusst einen Akzent setzen, der diese Spielregeln durchbricht."


Wunderbare Illusionen

Der Circus-Traum hat sich erfüllt. Seit zehn Jahren gehört es in Salzburg zum guten Ton, in der Vorweihnachtszeit FreundInnen - auch welche von außerhalb und von ganz weit her - einzuladen, hier das Besondere zu erleben, innezuhalten und zu staunen darüber, was es auf dieser großen Welt noch für kleine Wunder gibt. Wer das stimmungsvolle Zelt betritt, ist augenblicklich umfangen vom Rund der Manege, von den treppenförmig ansteigenden Sitzreihen, von vertrauten Kindheitsbildern und bunten geheimnisvollen Requisiten, deren Verwendungszweck sich erst im Laufe der Vorstellung erschließen wird. Circusduft liegt in der Luft. Doch ist es nicht der Geruch dressierter Elefanten oder anderer Vierbeiner, denn der Nouveau Cirque oder Circus - bewusst immer mit "C" geschrieben - kommt ganz ohne Tiere und brüllende Attraktionen aus. Hier stehen die Menschen im Mittelpunkt. Menschen wie die Trapezkünstlerin Victoria Chaplin, Tochter des legendären Charly Chaplin, oder Karl Merkatz, der 2003 als einfühlsamer Geschichtenerzähler begeisterte. Evelyn Daxner, die neben ihrer Arbeit als Volksschullehrerin und Sonderpädagogin mit ihrem Mann gemeinsam das Winterfest jongliert und ihn bei der Realisierung seiner hochtrabenden Pläne nach Kräften unterstützt, freut es, dass sich hier vorweihnachtlich FreundInnen treffen, die füreinander während des Jahres oft nur wenig Zeit haben. Dass sie hier gemeinsam immer neue feine, poetische Geschichten bestaunen können, nicht laut, nicht halsbrecherisch, dafür aber einmalig, liebevoll und durch und durch ehrlich: "Zu sehen sind Kunststücke - besonderer Künstler und das ist es, was unser Publikum erfreulicherweise auch so mag. Hier nehmen gestresste Stadtmenschen mit großen Kinderaugen wieder Dimensionen einer fernen Vergangenheit wahr. Hier erleben Kinder, Jugendliche und Junggebliebene Illusionen wunderbarer uralter Circuskunst."


Das Winterfest beschäftigt rund ums Jahr

Als sich Evelyn und Georg Daxner 2001 kennenlernten, brachten beide aus früheren Beziehungen zwei Kinder mit, sie zwei Buben im Alter von zehn und zwölf Jahren, er zwei Mädchen im Alter von zehn und vierzehn. Dass es für die Patchworkfamilie damals schlimme Zeiten waren, geprägt von Tiefschlägen und großen finanziellen Sorgen durch eingegangene Haftungen, scheint heute fast vergessen. "Wir mussten alle zusammenhalten. Beim zweiten Winterfest 2002 haben die Kinder im Zelt die Sessel aufgestellt, ich hab das Trapez von Victoria Chaplin abgebaut und alle haben, wo es nur ging, mit angepackt." Gute FreundInnen und kunstsinnige Förderer sprangen beherzt ein, gründeten einen Verein und gaben so dem Winterfest eine solide Basis. Mittlerweile ist durch einen Zeltverleih ein zweites tragfähiges Geschäftsstandbein dazugekommen, doch: "Das Winterfest hält uns - anders als oft vermutet - das ganze Jahr über auf Trab. Ich muss immer lachen, wenn wer fragt, was wir eigentlich tun, wenn die Zeltstadt im Jänner abgebaut ist", so Evelyn Daxner, die zudem natürlich immer noch unterrichtet - zuweilen in einem Jahr an fünf verschiedenen Schulen. Zwei Drittel des Lebens aber gehören dem Circus.


Grandiose Einzelleistungen prägen das ganze

"Wir reisen viel, um Stücke zu sehen, Engagements abzuschließen und für Salzburg immer wieder etwas Neues, etwas anderes zu entdecken. In der Art Circus, wie wir ihn verstehen, verbinden sich alle Facetten von Sport und Tanz über Theater und Schauspiel bis hin zur Musik. Alles greift ineinander. Jeder Artist, jede Artistin trägt sein oder ihr Bestes zur optimalen Entfaltung der Gruppe bei. Alle gehen an ihre Grenzen und dienen doch dem Ganzen, weil jeder auf den anderen Rücksicht nimmt." Evelyn Daxner zieht Parallelen zum wirklichen Leben und - ganz Pädagogin - sieht darin auch einen wichtigen bildungspolitischen Ansatz: "In Frankreich gibt es 120 etablierte Circusschulen, in denen Kinder schon früh wichtige Förderung erhalten. Die Erfahrung der Bühnenpräsenz hilft bei jeder freien Rede, Kinder lernen abseits des Leistungsgedankens, dass jedem Charakter seine Rolle zusteht - dem Kleinen, dem Großen dem Musikalischen, dem Beweglichen - und dass diese vielen Talente zusammen erst ein Ganzes ergeben. Darin stecken wertvolle pädagogische Möglichkeiten, die wir in diesem Schuljahr erstmals als Pilotprojekt an einer Schwerpunktvolksschule in Anthering bei Salzburg umsetzen."


Viel Freiheit bedeutet viel Verantwortung

Circuskompanien? Fahrendes Volk? Unstete Verhältnisse? Tauchen da neben der Faszination nicht immer auch Urängste auf, das eigene Lebensmodell könnte durch diese ganz und gar andere Form des Alltags infrage gestellt werden? "Natürlich, ich bekomme genau diese Aspekte durch meine Arbeit seit Jahren hautnah mit. Alles Fremde kann Ängste schüren, doch sind da sehr viele Vorurteile mit im Spiel. Gerade viel Freiheit braucht ein besonders hohes Maß an Disziplin und Verantwortungsbewusstsein. Nur wenige Circusfamilien sind wirklich Familien in dem Sinn, dass sie das seit Generationen machen. Viele der Paare, die in den letzten Jahren bei uns aufgetreten sind, haben einen bürgerlichen Hintergrund und haben sich doch bewusst für dieses andere Leben und für ihre Kunst entschieden, was ihnen viel abverlangt. Ihre Kinder müssen beispielsweise einen ganz genau vorgegebenen Lehrplan erfüllen. Sie werden dafür von ihren Eltern mindestens vier Stunden täglich unterrichtet - neben dem Training und der Vorbereitung der Vorstellung. Das bewundere ich sehr!"

Informationen unter www.winterfest.at


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Dezember 2010, Seite 40-41
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2011