Schattenblick →INFOPOOL →KUNST → FAKTEN

BERICHT/183: Politisierte Kunst - Kunst- und Kulturpolitik der Islamischen Republik Iran (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2014

Politisierte Kunst
Kunst- und Kulturpolitik der Islamischen Republik Iran

Von Elaheh Hatami



Die nationale Identität eines Landes ist eng mit der Anerkennung und Bewahrung seiner Kunst und Kultur verbunden. Die Kultur ist das bedeutendste Erbe der Menschheit und ein zentrales Mittel zum Austausch und zur Verbindung mit der Welt; die Kunst spielt dabei eine entscheidende Rolle. Ihre Originalität und die ihrer Verknüpfungen mit dem Leben der Menschen ist der Grund für ihre Unsterblichkeit.

Seit Anfang der Geschichte besaß der Iran seine eigene kulturelle Identität trotz mehrerer Invasionen, die das Land im Laufe der Jahrhunderte erlebte. Heute hat die reiche Kunst und Kultur des Iran einen großen Einfluss auf andere Nationen vor allem in Zentralasien. Der Iran ist nicht isoliert, sondern teilt mit den umliegenden Räumen und ethnischen Gruppen viele kulturelle Gemeinsamkeiten, etwa in der Sprache, der Literatur und den historischen Traditionen. Während die heutigen nationalen Grenzen die politische Realität des Iran zeigen, sind die kulturellen Grenzen also sehr viel weitläufigen

Zur objektiven Untersuchung der iranischen Kunst ist es unbedingt notwendig, das Thema in einen weiteren historischen und geografischen Zusammenhang zu setzen und auch die Kunst der Nachbarländer wie Afghanistan, Aserbaidschan, Usbekistan und angrenzender Regionen zu verstehen. Der heutige Iran besteht zudem aus vielen verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen. Außer den Persern, die die größte Gemeinde bilden, leben hier Kurden, Luren, Baluchies, Araber, Türken und andere Minderheiten. Kunst im umfangreichen Gebiet Persiens vor dem Hintergrund der uralten Geschichte spiegelt somit den Charakter und die Eigenschaften aller persischer Ethnien und Gemeinden wider.

Nationale Begrenztheit, kulturelle Weitläufigkeit

Die iranische Kunstgeschichte lässt sich in zwei unterschiedliche Perioden einteilen: vor und nach der arabischen Invasion Persiens in der Mitte des 7. Jahrhunderts und der darauf folgenden Konvertierung der Perser zum Islam.

Die iranische Kunst hat mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen, wie etwa an der einzigartigen Ästhetik im Persepolis der Achämeniden und den Mosaikgemälden in Bischapur zu sehen ist. In der islamischen Zeit kam es zu radikalen Veränderungen bei den Kunstformen und ihren Realisierungen wobei jede Dynastie ihren eigenen Schwerpunkt setzte.

Die Safawiden-Zeit (1501-1722) bildet den Höhepunkt der Architektur, der Bücher-, Keramik-, Metall-, Glas- und Gartenkunst. Die Safawiden herrschten über eines der größten persischen Reiche, in dem großartige künstlerische Leistungen hervorgebracht wurden. Im Jahr 1603 erfolgte unter dem persischen Schah Abbas dem Großen eine Massendeportation von Armeniern aus dem Kernland Armeniens nach Isfahan. Infolge dessen wurden dort Kirchen gebaut, die sowohl Besonderheiten der islamischen Architektur als auch prächtige Wandmalereien mit christlichen Motiven aus dem Neuen Testament zeigen. Die Rolle der Kunst im Iran ist sehr komplex. Auf der einen Seite haben die Iraner eine der reichsten künstlerischen Traditionen der Welt. Auf der anderen Seite missbilligen islamische Führer viele Formen des künstlerischen Ausdrucks.

Unter der Pahlavi-Dynastie, vor allem unter der Schirmherrschaft der Königin Farah Diba, wurden die Künstler stark unterstützt und gefördert: Das internationale Sommer-Kunstfestival beispielsweise, das zwischen 1967 und 1977 jährlich in der Stadt Schiras in Zentral-Iran stattfand, war ein wichtiger Raum für Treffen internationaler Künstler. Von Symposien und Debatten begleitet umfasste das Festivalprogramm Musik, Tanz, Theater, Poesie und Film. Die Veranstaltungen fanden vor allem in den Ruinen von Persepolis, der zeremoniellen Hauptstadt des antiken Persiens, statt. Der Fokus war auf die Aufführung der besten traditionellen Werke und der Avantgarde gerichtet, Künstler von Weltrang aus dem Osten wie dem Westen sollten angelockt werden. Zudem hatte das Festival große Auswirkungen auf die darstellende Kunst im Land selbst. Begabte iranische Künstler, die auf dem Festival beispielsweise die Bühne mit internationalen Künstlerkollegen teilten, wurden hier für weitere Projekte entdeckt.

In der islamischen Republik wurde diese Unterstützung nur unter sehr strengen Bedingungen fortgesetzt. Die Verbannung und Repression vieler Künstler begann sofort nach der islamischen Revolution 1979, da Kunst einerseits als Luxus und als ein weltliches Phänomen betrachtet wurde und andererseits Schöpfung gemäß dem islamischen Denken nur in den Händen Gottes und nicht in der Hand des Menschen liegen sollte. Das islamische Regime benutzte nun die Religion, um ein Lebensmodell für die Menschen zu entwickeln, welches ihnen keine andere Wahl ließ als Gehorsam und Anpassung.

Repressionen nach der Revolution

In der Islamischen Republik Iran werden Kleidung, soziale Beziehungen, Filme, TV-Sendungen, Bücher und alle anderen Formen der Kunst kontrolliert und zensiert. Alle Print-Erzeugnisse müssen vom Kultusministerium genehmigt werden und sind von einem Sonderausschuss kontrolliert und beaufsichtigt. Bühnen, Galerien, Konzertsäle, ausländische Filmen usw. dürfen keine Inhalte präsentieren, die nach Auffassung des Staates anti-islamisch sind oder das Ansehen des Regimes beschädigen könnten.

Die Liste von Büchern, Filmen und Theaterstücken, die verboten wurden oder deren Genehmigung verweigert wurde, ist recht lang. Als "künstlerische Sünden" gelten u.a. die Ausstrahlung von Tanz- und Musikdarbietungen im Fernsehen (denn Tanz ist nur dann zulässig, wenn ihn eine Frau allein für ihren Mann aufführt), das Singen oder Amüsieren in der Öffentlichkeit, das rhythmische Lesen des Korans, der Kauf oder Verkauf von Musikinstrumenten, die Bildhauerei, das Zeichnen und Fotografieren von Gesichtern.

Die Zahl der Verhaftungen und der Repressionen gegen Künstler erhöhte sich seit der umstrittenen Präsidentenwahl 2009 und der Entstehung der Grünen Bewegung, die für Proteste und Demonstrationen in Teheran und anderen größeren Städten gegen das Wahlergebnis verantwortlich war. Anfang März 2010 verhaftete das Regime z.B. den Filmemacher Jafar Panahi, da er einen Film über die Grüne Bewegung plante. Er wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt und für die Dauer von 20 Jahren wurde ihm verboten Filme zu drehen, Drehbücher zu verfassen oder ins Ausland zu reisen. Die Schauspielerinnen Pegah Ahangarani und Marzieh Vafamehr kamen ins Gefängnis, weil sie die Grüne Bewegung unterstützt hatten.

Permanente Verunsicherung

Im heutigen Iran ist nie klar, was, warum und wann erlaubt oder verboten ist. Die Willkür und das Gefühl der permanenten Verunsicherung, das die Zensur hervorruft, macht sich in der künstlerischen Produktion bemerkbar. Unter der Repression und permanenten Beobachtung leidet die Kreativität der Künstler. Nur durch Selbstzensur ist es möglich, die Einschränkungen zu umgehen.

In fast allen Kunstformen besteht eine Chance, durch die Vermeidung von Provokationen die Zensur zu überleben. Diese Chance existiert allerdings nicht für den Gesang von Frauen und den Tanz. Seit 35 Jahren ist Tanzen im Iran ein Tabu und strikt verboten. Dieses Verbot betrifft in erster Linie Frauen. Selbst durch das bloße Nennen des Wortes kann man bereits in große Schwierigkeiten geraten. Und dennoch ist der Tanz als menschliches Phänomen nicht ganz aus der Gesellschaft verschwunden. Gegen alle Verbote wird er noch bei privaten Veranstaltungen ausgeübt, trotzt der drohenden Strafe, wenn man dabei ertappt wird. Keyhan, eine konservative Teheraner Tageszeitung, berichtete etwa, dass 42 Männer und 35 Frauen in der Stadt Schiras ausgepeitscht worden waren, weil sie auf einer Party getanzt hatten.

In einem anderen Bericht liest man über ein Theaterfestival in der Stadt Ahwas im Süden Irans, bei dem eine armenische Tanzgruppe aufgetreten war. Die Kostüme der Künstler verdeckten die Körper nicht vollständig, was zur Folge hatte, dass Festivalleiter und Bürgermeister verhaftet und danach entlassen wurden. Reformansätze von 1999 bis 2005 haben die iranische Gesellschaft nur wenig liberalisiert. Der Tanzunterricht von Frauen für Frauen ist nun zwar gelegentlich erlaubt, bei den Tanzstunden darf allerdings niemand vom jeweils anderen Geschlecht gleichzeitig proben oder zuschauen.

Junge Generation lässt sich nicht mehr abschrecken

Nachdem aber 2005 Mahmud Ahmadinedschad an die Macht gekommen war, wurden die vor der zurückhaltenden Liberalisierung gültigen Einschränkungen wieder in Kraft gesetzt. Die neue Tänzer/innen-Generation ließ sich dadurch aber nicht abschrecken. Sie schuf sich Räume im Untergrund, um die Ausbildung und andere Aktivitäten fortsetzen zu können. Die in Europa ausgebildeten Tänzer/innen vermieten z.B. Räume in der Hauptstadt Teheran und veranstalten dort Workshops. Aus Sicherheitsgründen muss man aber der Gruppe für die Teilnahme unbedingt von einem Bekannten vorgestellt werden. Man erfährt die Adresse der Workshops eine Stunde vor Beginn. Wenn man vor Ort ist, steht ein Pförtner vor die Tür. Er achtet darauf, dass kein "Fremder" hineinkommt. Im Studio gibt es dann keine Geschlechtertrennung und die Frauen können ohne Schleier und in normalen Trainingskostümen tanzen. Problematisch wäre es, wenn die Polizei über die Workshops informiert wäre, denn sie hat die Befugnis, ein Studio zu schließen, alle Anwesenden festzunehmen und ihre Arbeitserlaubnisse einzuziehen.

Im Juni 2013 wurde Hasan Rohani zum neuen Präsidenten des Iran gewählt. Im Wahlkampf als auch in seinem letzten Vortrag vor Künstlern im Januar 2014 bezeichnete er Kultur und Kunst als zwei wesentliche Elemente der Gesellschaft. Kunst habe keine Bedeutung ohne Freiheit, sagte er, und dass die Künstler keine Zensur, sondern einen freien Raum für ihre Arbeit bräuchten. Und der Kulturminister sprach an anderer Stelle über die Erlaubnis für Frauen, in der Öffentlichkeit singen zu dürfen.

Ob letztlich die Hardliner und schiitischen Führer mit solch einem Gedankengut zurechtkommen und ob sich die Kulturpolitik entsprechend den Erwartungen der Künstler/innen verändern wird, bleibt abzuwarten. Doch vielleicht weht ja im Iran auch bald der Wind der Veränderung.


Elaheh Hatami ist Stipendiatin der FES, hat Germanistik und Tanzwissenschaft studiert und promoviert über iranische Tänzerinnen an der FU Berlin.
elaheh.hatami@gmx.de

*

Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2014, S. 68 - 70
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von
Kurt Beck, Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka,
Thomas Meyer und Bascha Mika
Redaktion: c/o Friedrich-Ebert-Stiftung
Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin
Telefon: 030/26 935-71 51, -52, -53, Telefax: 030/26 935-92 38
E-Mail: ng-fh@fes.de
Internet: www.ng-fh.de
 
Die NG/FH erscheint zehnmal im Jahr (Hefte 1+2 und 7+8 als Doppelheft).
Einzelheft: 5,50 Euro zzgl. Versand
Doppelheft: 10,80 Euro zzgl. Versand
Jahresabonnement: 50,60 Euro frei Haus


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2014