Schattenblick →INFOPOOL →KUNST → FAKTEN

GESCHICHTE/029: Frühe Globalisierungen der Kunst (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 4/2010

Frühe Globalisierungen der Kunst

von Guido Hinterkeuser


Die herkömmliche Kunstgeschichte liefert eine verengte Sicht auf die Geschichte Europas. Die Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen Artefakten in Zentralasien, Indien und dem Mittelmeerraum bleiben meist unberücksichtigt. Forscher um Gerhard Wolf, Hannah Baader und Avinoam Shalem wollen am Kunsthistorischen Institut in Florenz diese engen Grenzen aufbrechen und neue, globale Forschungsperspektiven eröffnen.


Die Horizonte des Projekts, das auf die Herausforderungen der Globalisierung antwortet, sind weit abgesteckt. "Art, Space and Mobility in Early Ages of Globalization: The Mediterranean, Central Asia and the Indian Subcontinent 400 - 1650" lautet der volle Name. Dennoch gibt es konkrete Ausgangspunkte, etwa das Museo degli Argenti in Florenz, das Teile der ehemaligen Kunstkammer der Großherzöge von Toskana aufbewahrt.

Gerhard Wolf, Direktor am Kunsthistorischen Institut, und Hannah Baader, Leiterin einer Minerva-Forschergruppe, sind zwei der drei Initiatoren von "Art, Space and Mobility". Gerne führen sie Besucher in die Sammlung der Medici, um eines der anspruchsvollsten Projekte, das derzeit an ihrem Haus läuft, anschaulich zu erläutern.

Hier, im Erdgeschoss des Palazzo Pitti, fernab der Touristenströme, finden sich Objekte, die oft mit dem Begriff "Kunsthandwerk" ins Abseits gestellt werden. Dabei sind sie geradezu prädestiniert, die Mobilität von Kunstwerken in vorglobalen Zeitaltern zu demonstrieren. Islamische und mexikanische Artefakte reihen sich hier zwanglos unter nordalpine und italienische Kunstwerke.


Henkelkrug nimmt neue Identität an

Baader und Wolf gehen zu einer Vitrine mit einem Henkelkrug aus Bergkristall, der sich eventuell schon in der Kunstsammlung von Lorenzo il Magnifico de' Medici befand. Verziert mit vegetabilen Ornamentformen und Wasservögeln findet man in arabischen Buchstaben die Inschrift li-qa'id al, quw-wad khassatan, was frei übersetzt heißt "persönlich für den Kommandanten der Kommandanten". Damit wird Husain identifiziert, einer der Begründer der Fatimiden-Dynastie, der diesen Titel 1000 bis 1008 und dann nochmals 1010/1011 führte.

Wir haben hier ein Objekt vor uns, das gewandert ist und eine neue Identität angenommen hat. Einmal in den Besitz der Medici gelangt, entfaltete es neue Wirkkräfte, die sich, vergleichbar den Jahresringen eines Baums, um den ursprünglichen Kern legten. Die herkömmliche islamische Kunstgeschichte - unter diese Rubrik wäre der Henkelkrug wohl einsortiert worden - würde versuchen, den ursprünglichen Kontext zu rekonstruieren. Wer war der Auftraggeber? War er identisch mit dem Adressaten? Kennt man Künstler oder Werkstatt? Woher kommt das Material? Solche Fragen bleiben natürlich wichtig.

Im Gespräch verweist Avinoam Shalem, der dritte Projektleiter, aber auf die Dialektik wissenschaftlicher Erkenntnis- und Ordnungsprozesse: Vor hundert Jahren war die Konstruktion einer eigenständigen islamischen Kunst einerseits ein großer Fortschritt, andererseits wurden damit andere Verbindungslinien erst einmal gekappt, die man jetzt erst wieder mühsam knüpfen muss.

Shalem nennt zwei kunsthistorische Initiativen: die 1904 auf Anregung Wilhelm von Bodes erfolgte Gründung der Islamischen Sammlung in Berlin und die Ausstellung "Meisterwerke muhammedanischer Kunst" 1910 in München. Beide waren sie von überragender Bedeutung für die Ausprägung eines Bewusstseins für islamische Kunst, die zuvor meist in unterschiedlichen Abteilungen ein randständiges Dasein fristete.


Bilder aus den Federn exotischer Vögel

Aber es lauert eben auch immer die Gefahr scheinbar eindeutiger Etikettierung. Shalem hat für einen vom Kunsthistorischen Institut herausgegebenen Sammelband zu Transfer und Zirkulation von islamischen Objekten im mittelalterlichen Mittelmeerraum einen Aufsatz verfasst. Titel: The Otherness in the Focus of interest. Darin untersucht der Forscher, wie wandernde Artefakte ähnlich wie Menschen neue Identitäten annehmen, wenn sie in einen anderen Kontext gelangen. Gerade kunstgewerblichen Gegenständen fallen diese Wanderungen leichter, da sie aufgrund wertvoller Materialien, kunstfertiger Herstellungsprozesse sowie ihrer Funktionalität selbst in fremden Kulturkreisen meist sofort verstanden werden.

In der oberen Etage des Museo degli Argenti trifft man auf Artefakte aus Mexiko, das aufgrund der spanischen Eroberung und Hegemonie indirekt auch mit dem Mittelmeerraum verbunden ist. Bei der Mitra eines Bischofs erkennt man erst auf den zweiten Blick, dass all die Darstellungen aus dem Neuen Testament nicht gemalt sind, sondern sich aus farbigen Federn exotischer Vögel zusammensetzen, die noch immer ihre ursprüngliche Leuchtkraft besitzen.

Die Vorderseite der Mitra zeigt im Zentrum die Kreuzigung Christi und darunter Geißelung, Kreuztragung und Dornenkrönung sowie die Gregorsmesse. Ganz unten sehen wir langgestreckt ausgebreitet die Szene des Heiligen Abendmahls, flankiert von der Fußwaschung links und Christus am Ölberg rechts. Die seltsam gewundenen Flechtwerke, in welche die Szenen eingebunden sind, bilden die Monogramme Christi und Mariens - IHS und MA - und finden sich so bereits auf Stichen aus der Zeit um 1500. Man muss annehmen, dass es Blätter dieser Art waren, die nach Mexiko gelangten und dort indigene Künstler in die für sie neuartige christliche Ikonografie einführten.

Vorlagen waren also über das Meer nach Westen gewandert, wo sie ihre Wirkung entfalteten und rezipiert wurden, um in einer Neuinterpretation - womöglich als Geschenke - nach Europa zurückzugelangen. Das in Mexiko geschaffene Artefakt diente dann weniger dazu, die Einheimischen zu missionieren, sondern dokumentierte vielmehr, wie erfolgreich die Mission bereits verlaufen war.

Das Projekt "Art, Space and Mobility" hat einen hochgesteckten Anspruch, denn es möchte neue, globale Forschungsperspektiven eröffnen. Die verengte Sicht der herkömmlichen, auf das Abendland konzentrierten Kunstgeschichte soll zeitlich und vor allem auch räumlich aufgebrochen und erweitert werden. Dazu wollen die Forscher die bis heute gültigen Trennlinien zwischen allgemeiner europäischer Kunstgeschichte und byzantinischer, ägyptischer, islamischer, indischer und ostasiatischer Kunstgeschichte sowie verschiedenen archäologischen Disziplinen durchlässiger machen und die Zusammenschau wagen.

Außerdem muss man über die heutigen Staatsgrenzen hinwegsehen, denn moderne Grenzen haben oft wenig mit früheren Herrschaftsgebilden zu tun. So sind nationale Geschichtsschreibungen oftmals Konstruktionen, die sich gerade über einen längeren Zeitraum - zumal über den von 400 bis 1650 hinweg - leicht entlarven lassen. Aus Konflikten erwuchsen neue Reiche, alte wurden zurückgedrängt. Die dabei entstandenen Funkenschläge wirkten sich mal zerstörerisch, mal schöpferisch auf die bildenden Künste aus.


Kritische Sichtung nationaler Stilgeschichten

Übertragen auf die ureigenste Methode der Kunstgeschichte, die Stil- und Formenanalyse, will "Art, Space and Mobility" daher auch zu einer kritischen Sichtung nationalbezogener Stilgeschichten gelangen, die sich vor einem globaleren Hintergrund womöglich nicht immer halten lassen. Mit einem kunstgeografischen Ansatz wollen die Forscher den untersuchten Großraum MeCAIS (vom englischen The Mediterranean, Central Asia and the Indian Subcontinent) vorurteilsfrei vermessen. "Anders als bei den geopolitischen Studien der Vorkriegszeit geht es aber keinesfalls darum, neue gegenwartsbezogene Hegemonien zu begründen", sagt Gerhard Wolf.

Den Projektleitern ist daran gelegen, vor allem anhand prägnanter Beispiele die Möglichkeiten von "Art, Space and Mobility" zu veranschaulichen. Dazu gehört etwa das berühmte Taj Mahal in Agra, entstanden von 1631 bis 1648, das an der östlichen Grenze des zu betrachtenden Großraums steht. Bauherr war Shah Jahan, der es als Mausoleum für seine 1631 verstorbene Hauptfrau Mumtaz Mahal errichten ließ und nach seinem Tod 1666 ebenfalls hier bestattet wurde. Im Innern des Mausoleums trifft man dabei auf verschiedene Visualisierungen von Blumen, die als Vorwegnahme des Paradieses galten.

Augenfällig sind die in Pietra dura gearbeiteten Blumen, die teilweise auf europäische Stiche zurückgehen. Es fällt auf, dass sich die Botaniker der Mogulkultur selbst bei Pflanzen, die bei ihnen heimisch sind, auf europäische Stiche dieser Pflanzen stützten, deren Darstellungsformen, etwa mit Front- und Seitenansichten der Pflanzen und ihrer Blüten sowie der Abbildung verschiedener Entwicklungsstufen, ihnen vorbildhaft erschien. Die europäischen Stiche trafen auf großen Widerhall in der Mogulkultur, weil sie mit dem Dargestellten grundsätzlich vertraut war. Als Beispiel sei Pierre Vallets 1608 in Paris entstandener Kupferstich einer Türkenbund-Lilie (Lilium martagon) genannt, der später nach Indien gelangt sein muss, wo ihn sich ein Mogul-Maler für seine Zeichnung zum Vorbild nahm. Das im März 2009 von der Getty Foundation bewilligte Projekt läuft zunächst einmal über zwei Jahre, ist aber auf sechs Jahre angelegt. Dass sich die Getty Foundation trotz knapper Ressourcen für "Art, Space and Mobility" entschied, erfüllt Institutsdirektor Gerhard Wolf mit Stolz. Doch auch umgekehrt lag die Kooperation für die Getty Foundation, zu deren Leitthemen "Art History as a Global Discipline" zählt, nahe. "Art, Space and Mobility" lag in der Luft und hat sich aus den Forschungen der drei Projektleiter förmlich ergeben.


Akteure aus vielen Ländern sollen vernetzt werden

Wolf widmet sich seit Langem der Kunstgeschichte des Mittelmeerraums und des frühkolonialen Mexiko. Hannah Baader, seit 2004 am Kunsthistorischen Institut in Florenz tätig und jetzt Leiterin des Projekts "Die Kunst, das Meer und die Kultivierung der Natur 1200 - 1650", beschäftigt sich mit der Kultur- und Kunstgeschichte des Meeres und dessen verbindender und vermittelnder Rolle. Aus diesem Projekt ist jüngst der Band Das Meer, der Tausch und die Grenzen der Repräsentation hervorgegangen. Avinoam Shalem schließlich ist Professor für Islamische Kunstgeschichte am Kunsthistorischen Institut in München und zugleich Max Planck Fellow in Florenz. In dem Raum von Gibraltar bis Indien, den sich das Projekt vorgenommen hat, spielt der Islam über Jahrhunderte eine gewichtige Rolle.

Ein wesentliches Anliegen des Projekts besteht darin, Akteure - darunter an erster Stelle die Stipendiaten - aus vielen Ländern zu gewinnen, um nationale Kunstgeschichten zu vernetzen. Einzelforschungen, etwa fortgeschrittene Doktorarbeiten, werden zunächst ein Jahr gefördert und zugleich werden die Forscher angeregt, mit Fachkollegen anderer Länder ins Gespräch zu kommen. Sie werden so aus der Isolierung einer nationalzentrierten Kunstgeschichtsforschung herausgeholt.

Eines der spannendsten und eindrücklichsten Objekte, an dessen Schicksal sich die methodischen Leitlinien von "Art, Space and Mobility" besonders gut aufzeigen lassen, ist die Tazza Farnese aus dem Museo Archeologico Nazionale in Neapel. Ja, sie könnte wegen ihrer vielfältigen Verquickungen und Bezüge geradezu das Leitmotiv des Projekts sein.

Den Großraum, den sich "Art, Space and Mobility" vorgenommen hat, durchmisst sie gleich dreimal: im Rohstoff des Sardonyx von Indien nach Ägypten, als Endprodukt dann irgendwann nach Persien und schließlich erneut westwärts nach Italien. Datierungsvorschläge reichen vom dritten bis ins erste vorchristliche Jahrhundert, und auch für die Darstellung gibt es verschiedene Deutungen.

Während sich auf Rück- und Unterseite ein Gorgoneion (Medusenhaupt) befindet, wird der Boden der Schale von einer achtfigurigen Szene ausgefüllt, die der Deutung bedarf. Eine überzeugende Interpretation will hier eine Allegorie auf die Fruchtbarkeit des Nils erkennen. Der sitzende Bärtige mit dem Füllhorn sei demnach Neilos, der Nilgott und Nährer Ägyptens, wohin die pharaonische Sphinx zu seinen Füßen die Szene eindeutig verortet. Auf ihr ist eine Fruchtbarkeitsgöttin gelagert, und bei der stehenden Gestalt dahinter könnte es sich um den griechischen Heros Triptolemos handeln, der für Ackerbau und Kultur steht. Zwei Winde, deren Einfluss man die fruchtbringenden Überschwemmungen des Nils zuwies, und zwei Horen, die die Jahreszeiten symbolisieren, runden die Szene ab.

Als Zeit der Entstehung werden die letzten sieben Jahrzehnte des ptolemäischen Hofs in Alexandria vorgeschlagen, der 30 vor Christus mit dem Selbstmord Kleopatras und der Degradierung Ägyptens zum römischen Protektorat sein Ende fand. Doch bedeutete der Untergang des ptolemäischen Reichs nicht das Ende seiner künstlerischen Werkstätten und Traditionen.

Demzufolge wäre es auch möglich, dass die Tazza erst zwischen 30 und 10 vor Christus geschaffen wurde, zwar ebenfalls von einem alexandrinischen Künstler, doch bereits unter - womöglich sogar für - Kaiser Augustus. So könnte die Tazza eine Allegorie auf das von ihm proklamierte Goldene Zeitalter sein, das global und nicht auf Ägypten beschränkt war. Die im Rund gefasste Szene symbolisiere demnach den Erdkreis, der Gefäßrand den umgebenden Ozean.


Die geheimnisvollen Wege einer kunstvollen Schale

"Art, Space and Mobility" begnügt sich nicht mit der Verortung eines Objekts im Kontext seiner Entstehung, sondern forscht nach dessen weiterem Wirken, das oftmals mit Wanderungen einhergeht. Dafür ist die Tazza ein paradigmatisches Beispiel. Ihr Verbleib über die Jahrhunderte nach ihrer Entstehung ist unbekannt. Anfang des 15.Jahrhunderts muss sie sich jedoch in Persien am Hof der Timuriden befunden haben, entweder in Herat oder in Samarkand. Das jedenfalls belegt eine in der Berliner Staatsbibliothek auf bewahrte Pinselzeichnung des Malers Mohammed al Khayyam.

Den Weg der Tazza nach Persien kennen wir ebenso wenig wie die Umstände ihres bald darauf erfolgten Transfers nach Italien. Nach Stationen in Neapel und Rom in den Sammlungen König Alfons I. und Papst Pauls II. überführte sie 1471 der bereits genannte Lorenzo il Magnifico de' Medici nach einem Besuch in Rom in seine Florentiner Sammlungen. Dort bewunderte sie Sandro Botticelli, den die beiden Winde zu den Zefiri amorosi in seiner berühmten Geburt der Venus inspiriert haben dürften.

Doch sollte Florenz nicht die letzte Station bleiben. Über Lorenzos Großneffen Alessandro de' Medici gelangte die Tazza in die Hände von dessen Gemahlin Margherita d'Austria, die ein Jahr später Ottavio Farnese heiratete und das wertvolle Stück mit nach Rom nahm. Hier nun sah sie im 17. Jahrhundert Nicolas Poussin, der wie schon Botticelli ebenfalls daraus zitierte, um seinem heute im Oxforder Ashmolean Museum aufbewahrten Gemälde der Aussetzung des Moses ägyptisches Kolorit zu verleihen.


Kommunikation im Reich der Mongolen

In direkter Übernahme von der Tazza, deren Farbgebung ja durch die Natur des Steins bestimmt ist, malte Poussin seine Sphinx ebenfalls mit dunklem Körper und hellem Gesicht. 1731 erbte das Stück Carlos, Infant von Spanien, der 1735 König von Neapel und Sizilien wurde und es daraufhin in den Palazzo di Capodimonte überführte. Einem Kunstwerk wie der Tazza Farnese, das dürfte deutlich geworden sein, kann man innerhalb einer einzelnen Disziplin nicht umfassend gerecht werden.

Nun mag die Tazza Farnese einen Sonderfall bedeuten, doch hat man die damit verbundene Vielschichtigkeit einmal verstanden, so lässt sich mit dieser Mentalität auch anderen Kunstwerken begegnen. Dazu will man die einzelnen Stipendiatinnen und Stipendiaten, die alle konkrete Feldforschung betreiben, anhalten. Sie sollen ihr Material nach solchen Vielschichtigkeiten durchleuchten und scheinbaren Eindeutigkeiten kritisch gegenüberstehen.

Satenik Chookaszian aus Eriwan in Armenien etwa untersucht am Beispiel mittelalterlicher Manuskripte, die im 13. Jahrhundert im armenischen Königreich Kilikien entstanden sind, die Impulse benachbarter künstlerischer Sprachen. Irene Giviashali, Postdoktorandin aus Tiflis in Georgien, fragt, wie sich das mittelalterliche Georgien künstlerisch zwischen Byzanz und islamischen Dynastien positionierte. An der Universität von Ulan-Bator in der Mongolei schreibt Dorjjugder Purevjav eine Doktorarbeit, die mündliche und schriftliche Kommunikationsformen und -wege innerhalb des mongolischen Reichs behandelt. Und schließlich untersucht Pushkar Sohoni an der University of Pennsylvania, wie sich architektonisches Wissen auf dem frühneuzeitlichen Dekkan (dem südlichen Teil des indischen Subkontinents) verbreitete und welche vermittelnde Rolle dabei der Indische Ozean spielte.

Während die vier Stipendiaten an ihren Heimatinstitutionen bleiben, sind zwei Postdoc-Projekte in Florenz angesiedelt: Mattia Guidetti erforscht sakrale Baukunst in Syrien zwischen 600 und 1300, wobei ihn besonders die Orte interessieren, wo christliche und islamische heilige Stätten nebeneinander - oder teilweise sogar ineinander - existierten. Simon O'Meara von der American University of Kuwait fragt am Beispiel der Kaaba in Mekka und des Felsendoms in Jerusalem nach der Dialektik zwischen "Gesehenem" und "Ungesehenem" in der islamischen Theologie.


Workshops für Stipendiaten an wechselnden Orten

Um die weit verstreut sitzenden Stipendiaten zu vernetzen, hat "Art, Space and Mobility" eine differenzierte Struktur entwickelt. Mehrfach im Jahr treffen sich alle Projektteilnehmer zu einem gegenseitigen Austausch. Neben zwei themenspezifischen Workshops in Florenz und an den Staatlichen Museen zu Berlin findet ein Workshop an wechselnden Orten statt; außerdem gibt es Symposien und jährlich eine Summer School, die auch externen Bewerbern offensteht.

Im Mai 2010 fand eine erste Summer School in Tunesien statt. Die Teilnehmer widmeten sich Ifriqiya als Ort kultureller Begegnung und besuchten dabei spätrömische Stätten wie das Amphitheater von El Djem, die Aghbaliden-Stadt Qayrawan oder das Mahdiyya der Fatimiden. Ifriqiya ist identisch mit der früheren römischen Provinz Africa, welche die östlichen Teile Algeriens, Tunesiens und Teile Lybiens umfasste und von 663 an von muslimischen Arabern unterworfen wurde. Unter der Dynastie der Aghbaliden erlebte Ifriqiya von 800 bis 909 eine kulturelle Blüte.

Römisch-antike und byzantinische Hinterlassenschaften wurden in eine Kunstsprache integriert, wie sie den neuen islamischen Herrschern angemessen erschien. Vom Jahr 827 an setzten sie zur Eroberung des nur hundert Kilometer entfernt gelegenen Sizilien an, was zu weiteren Kunst- und Wissenstransfers in beide Richtungen führte. Hier wird deutlich, dass das Meer nicht trennte, sondern verband. Über das Meer konnten Produkte transportiert werden, wie dies auf dem Landweg nur schwer, weniger schnell und weniger umfangreich zu bewerkstelligen war.

Bis nach Andalusien reichten die Verbindungen im Westen, und im Osten bis in die Zentren des Islams, etwa zu den Kalifen in Bagdad, zu denen eine Abhängigkeit bestand. In Qayrawan (Kairouan), das heute zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, besuchten die Teilnehmer des Workshops die Große Moschee, die ihren wesentlichen Ausbau bis 836 unter den Aghlabiden erfuhr. Aus dieser Zeit stammt der 17-schiffige Innenraum mit vorgelagertem Querschiff entlang der Quiblawand. Schon bei einem um 703 begonnenen Neubau waren Spolien aus Karthago verwendet worden, und auch die Aghbaliden griffen gerne auf antike Bauteile zurück, wobei sie die das Material durch Koran-Zitate und Glaubensbekenntnisse gleichsam "islamisierten".

Auch hier wurde deutlich, dass die Grenzen von Fachdisziplinen oftmals eben auch den Blick auf das Zusammengehörige verstellen können. So hat der in Wien aufbewahrte Krönungsmantel der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation durchaus auch etwas mit Ifriqiya zu tun. Wie der fatimidische Krug aus Bergkristall im Museo degli Argenti in Florenz weist auch der Krönungsmantel eine arabische Inschrift in kufischen Zeichen auf, die seine Herkunft verrät. Der halbkreisförmige bodenlange Umhang aus leuchtend rotem Seidengewebe ist mit Perlen, Gold- und Silberfäden, einer stilisierten Palme und je zwei Löwen über einem geschlagenem Kamel auf seiner Rückseite bestickt.

Der Krönungsmantel wurde 1133/34 in den Hofwerkstätten von Palermo für den normannischen König Roger II. von Sizilien geschaffen. Über die Heirat seiner Tochter mit dem Staufer-Kaiser Heinrich IV. gelangte der Mantel schließlich zu den Krönungsinsignien. Nun wurde Sizilien vom Jahr 827 an von Ifriqiyah aus erobert und verweist danach auf eine etwa 250-jährige islamische Geschichte.


Ein festes Raster gibt es in dem Projekt nicht

Erst von 1061 an erfolgte die christliche Rückeroberung durch die Normannen. Doch das bedeutete nicht das Ende der inzwischen etablierten Hofwerkstätten islamischer Künstler, die sich ihrerseits in den Jahrhunderten zuvor mit den Traditionen der griechischen Handwerker auseinandergesetzt hatten. Im Gegenteil: Die neuen Herrscher griffen nicht nur gerne auf sie zurück, sondern beobachteten aufmerksam die Höfe im Mittelmeerraum und brachten griechische wie arabische Künstler nach Sizilien. Das Arabische wurde von den um Legitimation bemühten neuen Herrschern als zeremonielle, heilige Schrift angesehen, die für monarchische Identität oder den mythischen Glanz des Fatimidenhofs stand.

Bei der unendlichen Zahl an Themen, die für eine Erforschung durch "Art, Space and Mobility" grundsätzlich in Frage kommen, wäre alles andere als eine punktuelle Herangehensweise vermessen. Anders als Großprojekte früherer Tage definiert das Projekt denn auch kein festes Raster, das dann in jahrelanger mühevoller Kleinarbeit ausgefüllt werden muss. Vielmehr geht es um die Entwicklung und Implementierung neuer methodischer Ansätze zur Vermessung der bildenden Künste in einem interkontinentalen Großraum.

Der Erfolg wird sich vor allem daran erkennen lassen, ob neben Sammel- und Tagungsbänden, die direkt von "Art, Space and Mobility" verantwortet werden, zunehmend Forschungsarbeiten entstehen, die sich auf eine globalisierte Sicht nur scheinbar eng und klar begrenzter Kunstproduktionen einlassen. Damit legt das Projekt die Grundlagen für die Erforschung der bildenden Künste in einer globalisierten Welt.


Glossar

Fatimiden
Eine schiitisch-ismailitische Dynastie, die von 909 bis 1171 in Nordafrika, das heißt im Maghreb und Ägypten, sowie in Syrien herrschte.

Ikonografie
Wissenschaftliche Methode der Kunstgeschichte, die sich mit der Bestimmung und Deutung von Motiven in Werken der bildenden Kunst beschäftigt. Die Erforschung und Interpretation von Inhalt und Symbolik der Bildgegenstände unter Berücksichtigung von zeitgenössischen literarischen Quellen wie etwa der Philosophie, Dichtung und Theologie, die auf die jeweiligen Motive und ihre Darstellungsweise Einfluss hatten, wird auch als Ikonologie bezeichnet. Eine erste systematische Lehre dieser Methode legten die Kunsthistoriker Aby Warburg und Erwin Panofsky vor.

Spolien
Bauteile und andere Überreste wie Teile von Reliefs oder Skulpturen, Friese und Architravsteine, Säulen- oder Kapitellreste, die aus Bauten älterer Kulturen stammen und in neuen Bauwerken wiederverwendet werden. Auch antike Gemmen und Reliefs auf mittelalterlichen Buchdeckeln und Reliquiaren werden Spolien genannt.

Heiliges Römisches Reich
Offizielle Bezeichnung für den Herrschaftsbereich der römisch-deutschen Kaiser vom Mittelalter bis zum Jahr 1806. Der Name des Reichs leitet sich vom Anspruch der mittelalterlichen Herrscher ab, die Tradition des antiken Römischen Reichs fortzusetzen und die Herrschaft als Gottes heiligen Willen im christlichen Sinne zu legitimieren. Zur Unterscheidung vom 1871 gegründeten Deutschen Reich wird es auch als das Alte Reich bezeichnet.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Aus harten Steinsorten (Pietra dura) gearbeitet sind die Blumenornamente im Taj Mahal. Die Muster gehen teilweise auf europäische Stiche zurück.

- Der fatimidische Henkelkrug aus Bergkristall wurde um das Jahr 1000 gefertigt und stammt möglicherweise aus Kairo. Heute steht er im Museo degli Argenti im Palazzo Pitti in Florenz.

- Diese Mitra aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigt Szenen des Neuen Testaments - aber nicht gemalt, sondern aus Vogelfedern gefertigt.

- Als Mausoleum für seine 1631 verstorbene Hauptfrau Mumtaz Mahal ließ Shah Jahan das Taj Mahal in Agra errichten. Nach seinem Tod 1666 wurde der Bauherr ebenfalls hier bestattet.

- Im Innern des Taj Mahal trifft man auf verschiedene Visualisierungen von Blumen, die als Vorwegnahme des Paradieses galten. Der Kupferstich einer Türkenbund-Lilie des Franzosen Pierre Vallet (links) diente einem Mogul-Maler in seiner Zeichnung als Vorbild.

- Die Tazza Farnese aus Sardonyx zeigt eine allegorische Darstellung aus der ägyptischen Mythologie und entstand möglicherweise im ersten Jahrhundert vor Christus in Alexandrien.

- Anfang des 15. Jahrhunderts fertigte Muhammad al-Khayyam nach der Tazza Farnese diese Pinselzeichnung.

- Die Große Moschee im tunesischen Qayrawan erfuhr ihren wesentlichen Ausbau bis 836. Aus dieser Zeit datiert auch der 17-schiffige Innenraum mit vorgelagertem Querschiff.

- Der Krönungsmantel des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation aus roter Seide, mit Goldfäden durchwirkt und mit Perlen und Emailplättchen bestickt, stammt aus einer arabisch-normannischen Werkstatt in Palermo. Er wurde 1133/1134 für König Roger II. von Sizilien geschaffen.


*


Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 4/2010, Seite 34 - 41
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Redaktionsanschrift: Hofgartenstraße 8, 80539 München
Tel. 089/2108-1276, Fax 089/2108-1405
E-Mail: mpf@gv.mpg.de
Das Heft als PDF: http://www.mpg.de/mpForschung

Das Heft erscheint in deutscher und englischer Sprache
(MaxPlanckResearch) jeweils mit vier Ausgaben pro Jahr.
Der Bezug des Wissenschaftsmagazins ist kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2011