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MALEREI/051: Dürer und Celtis - Frühe Ahnen der Generation Facebook (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 19.06.2012

Dürer und Celtis: Frühe Ahnen der Generation Facebook



Die Dürer-Ausstellung in Nürnberg hat schon vor ihrem Start viel Aufmerksamkeit erregt. An der Vorbereitung waren auch Wissenschaftler der Universität Würzburg beteiligt. Sie haben untersucht, welchen Einfluss ein weiterer Franke auf Dürers Schaffen hatte: der Wipfelder Winzersohn und spätere Erzhumanist Conrad Celtis.

Gerade eben ist der Katalog bei ihm eingetroffen: "Der frühe Dürer", der Begleitband zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum. Mehr als 600 Seiten dick, mit mehr als 400 Abbildungen - und mit einem Beitrag von Jörg Robert, auf dessen Schreibtisch das Werk jetzt liegt. Robert ist Literaturwissenschaftler; momentan vertritt er den Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur- und Ideengeschichte der Universität Würzburg. In den vergangenen vier Jahren haben der Professor und zwei seiner Mitarbeiter im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts bei der Vorbereitung der Ausstellung mitgewirkt.

Ein Literaturwissenschaftler, der sich mit Dürer beschäftigt? Was für den Laien überraschend klingt, hat eine simple Erklärung: Robert hat schon für seine Doktorarbeit einen Gelehrten erforscht, der großen Einfluss auf Dürers Entwicklung hatte (und der, nebenbei bemerkt, ganz aus der Nähe von Würzburg stammt): Conrad Celtis. "Celtis war der führende Humanist seiner Zeit und hat am Ende des 15. Jahrhunderts eine große Rolle als Ideengeber und Programmatiker im deutschsprachigen Raum gespielt", sagt Robert.


Vom Winzersohn zum Dichterfürst: Conrad Celtis' Lebenslauf

Celtis wurde im Jahr 1459 als Sohn eines Winzers in Wipfeld bei Schweinfurt geboren. Mit einem Leben in der Landwirtschaft hatte er allerdings nichts im Sinn. Im Alter 19 Jahren reist er nach Köln und schreibt sich dort am 14. Oktober 1478 an der Universität ein, wo er antike Sprachen und Literatur studiert. Als Vertreter des Humanismus macht er schnell Karriere: In Leipzig begeistert sich Kurfürst Friedrich III. von Sachsen für ihn und empfiehlt ihn Kaiser Friedrich III. weiter. Der krönt ihn am 18. April 1487 als ersten Deutschen zum "poeta laureatus" - eine Auszeichnung, die vor allem an Dichter erging, "die es verstanden, Ruhm und Ansehen der Machthaber ins rechte Licht zu rücken", wie Robert erklärt. Nicht um die Schönheiten der Lyrik geht es dem Herrscher. "Die Humanisten waren die Spezialisten für neue Stile und Formen der Repräsentation. Als eine Art PR-Berater verliehen sie der Macht ein ästhetisches Image", sagt der Professor.

1492 wird Celtis Professor für Rhetorik und Poetik in Ingolstadt; 1497 holt ihn König Maximilian I. nach Wien. Dort wird er Vorstand des Collegium poetarum et mathematicorum, einem humanistisch ausgerichteten - heute würde man sagen: Institut, in dem Poetik und Rhetorik gelehrt werden sowie mathematische Disziplinen. Am 4. Februar 1508 stirbt Celtis in Wien, beigesetzt ist er im Stephansdom.


Dürer und Celtis

Und an welcher Stelle kommt Dürer ins Spiel? "Möglicherweise sind sich die beiden um das Jahr 1493 herum zum ersten Mal begegnet", sagt Robert. In dieser Zeit könnte Dürer als Lehrling in der Nürnberger Werkstatt von Michael Wolgemut an der Produktion von Holzschnitten für die "Schedelsche Weltchronik" beteiligt gewesen sein. Nachdem dieses Projekt zu einem wirtschaftlichen Reinfall zu werden drohte, hatten Schedel und sein Verleger Anton Koberger Conrad Celtis mit einer Überarbeitung beauftragt (die dieser allerdings nie zu Ende führte).

Gesichert ist jedoch, dass sich zwischen Dürer und Celtis spätestens ab 1495 ein intensiver Austausch ergab. "Durch den Kontakt mit Celtis wurde Dürer zum Humanisten", sagt Robert. Vor allem an zwei Merkmalen in Dürers Schaffen zeige sich dieser Wandel: So studierte und imitierte Dürer ab dieser Zeit antike Kunstwerke, er wandte sich der klassischen und der italienischen Kunst zu. Darüber hinaus übernahm er die idealistischen Vorstellungen der Humanisten und entwickelte sich zum führenden deutschen Maler mit philosophischen Ambitionen, wie Celtis um 1500 schrieb.

Ein großes Spektrum an Themen decken Dürers Werke ab dieser Zeit ab; viele Techniken probiert der gelernte Goldschmied und Maler aus. "Man sieht daran gut, wie offen die Kunst um 1500 war, wie experimentierfreudig die Künstler waren", sagt Robert. Ein Art "Stunde Null" sei diese Epoche für die Kunst in Deutschland gewesen: "Es gab jede Menge Anregungen, viel Neues wurde damals ausprobiert."

Wenn Jörg Robert über Dürer und Celtis spricht, glaubt man beinahe, es mit einer Art frühen "Generation Facebook" zu tun zu haben. Beide verstanden sich gut darauf, Netzwerke zu bilden und für ihre Interessen zu nutzen. Anstelle der Gruppen, die heute jeder auf Facebook oder in StudiVZ einrichten kann, gründete Celtis wissenschaftliche Gesellschaften, sogenannte Sodalitäten. Beider Ziel war es, neue Ideen zu entwickeln und diese zu verbreiten, Wissen zu sammeln und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Viel auf Reisen unterwegs, selten lange an einem Ort und ohne einen richtigen Beruf war Celtis ein exemplarischer Vertreter eines Humanisten - und erfüllt damit gleichzeitig viele Kriterien, die heute der "digitalen Bohème" zugeschrieben werden. Und noch eine Parallele drängt sich auf: Menschen wie er und Dürer bildeten die "Avantgarde dieser Zeit", wie Robert sagt.


Gemeinsames Projekt: Deutschland ausloten

Neben diesen eher geistig-ideellen Kontakten zwischen dem Poeten und dem Maler gab es allerdings auch eine Reihe von konkreten Projekten, in denen die beiden zusammenarbeiteten. Eines davon war eine Art "Deutschland-Enzyklopädie", für die Celtis um 1492 herum die Idee entwickelte. Unter dem Namen "Germania illustrata" wollte er "eine erste empirische Bestandsaufnahme Deutschlands erbringen, geordnet nach Geschichte, Landescharakter, Topografie und Kartografie", wie Robert erklärt. Dafür warb er Mitarbeiter an, sammelte Material und entwickelte Publikationsstrategien. Neue Forschungen zeigen, dass auch Dürer an dem Projekt beteiligt war.

"Zu jener Zeit malte Dürer seine berühmten Landschaftsaquarelle, die sich auch thematisch an die Idee von Celits' 'Deutschlandbeschreibung' anlehnten", erklärt Jörg Robert. So fertigte er auf seinen Reisen nach Italien Ansichten beispielsweise von Innsbruck, Bozen oder Trient an. Der Literaturwissenschaftler vermutet dahinter die Idee, "die Südgrenzen Deutschlands mit Bildern zu bemessen". Eine ähnliche Idee - die Grenzen Deutschlands auszuloten - sieht er in der "Germania illustrata". Robert ist deshalb davon überzeugt: "Beide haben sich über die Idee ausgetauscht und jeder hat es auf seine Art und Weise verfolgt."

Jede Menge Briefe, Gedichte, Epigramme, Tagebucheinträge und andere Aufzeichnungen von Dürer und Celtis haben die Würzburger Literaturwissenschaftler während der Vorbereitung auf die Nürnberger Ausstellung gesichtet, aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt und wissenschaftlich eingeordnet. Ein Ergebnis dieser Forschung ist der Essay von Jörg Robert, der im Ausstellungskatalog zu finden ist. Als "kühnen Versuch" bewertet die Süddeutsche Zeitung diesen Aufsatz in ihrer Ausstellungsbesprechung vom 23. Mai. Robert erschließe die Zusammenarbeit zwischen Dürer und Celtis darin "in neuer Tiefe".


Pläne für weitere Projekte

Offiziell ist das Forschungsprojekt der Würzburger Literaturwissenschaftler mit dem Start der Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum beendet. Jörg Robert hofft jedoch, dass sich weitere Arbeiten daran anknüpfen. Immerhin gebe es rund um Dürer "noch viele offene Fragen". Auch eine Edition der Texte von Celtis kann er sich gut vorstellen, von denen etliche bislang noch nicht publiziert sind. Die Universität Würzburg biete sich dafür ideal an, mit ihm als langjährigen Celtis-Forscher und dem Lehrstuhl für Digital Humanities, an dem das Fachwissen für digitale Editionen vorhanden ist.

Auf alle Fälle sollen aber zunächst einmal die Studierenden von den Arbeiten in dem Forschungsprojekt profitieren: Im kommenden Wintersemester will Robert gemeinsam mit dem Kunstgeschichte-Professor Damian Dombrowski ein Seminar zu Dürer und Celtis anbieten. Dann wollen die Wissenschaftler aufzeigen, wie die beiden Künstler in ihren Arbeiten die neuen Bildungsideale ihrer Zeit umsetzten.


Die Ausstellung "Der frühe Dürer" im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg ist noch bis zum 2. September 2012 zu sehen. Öffnungszeiten: Di-So 10:00-18:00 Uhr, Mi 10:00-21:00 Uhr. Der Begleitband zur Ausstellung mit dem Essay von Jörg Robert kostet im Museum 34,50 Euro, im Buchhandel oder per Versand beträgt sein Preis 46,00 Euro.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution99

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Gunnar Bartsch, 19.06.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2012