Schattenblick →INFOPOOL →KUNST → MEINUNGEN

TANDEM/001: Kunstausstellung - "Weiße Folter" als Erlebniswelt (SB)


"Weiße Folter" - Sensorische Deprivation zur Erlebniswelt verklärt

Kunstausstellung dient der Kampagne zur Legalisierung der Folter


Wie läßt sich Folter als politisches Repressionsmittel einsetzen, ohne daß die Folterer sich als solche zu erkennen geben müssen? Diese Frage ist brandaktuell, doch keineswegs neu und steht in einem engen Zusammenhang zu der seit geraumer Zeit auch in Deutschland geführten Diskussion über eine Durchlöcherung des eigentlich als bedingungslos konzipierten und in Völkerrecht und Verfassung tief verankerten Folterverbots. Der Versuch ihrer konkreten Beantwortung hat schon in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in den USA, aber auch in Westeuropa zu Ergebnissen geführt, die inzwischen unter dem Begriff Weiße Folter einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Da Folter in ihrer klassischen Form - worunter alle nur erdenklichen Methoden, einem Menschen Schmerzen und Verletzungen zuzufügen, ihn zu quälen und zu erniedrigen, zu fassen sind - international geächtet ist, läuft jeder Staat, der sich dieser Mittel bedient, um sich seiner politischen oder militärischen Gegner zu entledigen, sie zu brechen oder sich gefügig zu machen, Gefahr, deshalb zur Verantwortung gezogen zu werden.

An einer effizienten Foltermethode, die keine sichtbaren und damit nachweisbaren Spuren hinterläßt, wurde von Militärs und Geheimdiensten unter Einbeziehung renommierter Wissenschaftler schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts intensiv gearbeitet. In Hamburg wurde Ende der 60er Jahre am Universitätskrankenhaus Eppendorf eigens ein Sonderforschungsbereich (SFB 115) eingerichtet und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 2,8 Millionen DM gefördert, um die bisherigen Menschenversuche in den USA zur Gehirnwäsche wie auch entsprechende Forschungen in Europa in Psychiatrie und Gerichtsmedizin zu systematisieren und noch weiter auszufeilen.

Unter Leitung des tschechischen Psychiaters Jan Gross, der 1967 in Prag durch seine Arbeit mit dem Titel "Soziale Isolation und sensorische Deprivation und ihre gerichtspsychologischen Aspekte" auf sich aufmerksam gemacht hatte und später nach Hamburg gekommen war, betrieb man am SFB 115 zu diesem Thema "Aggressionsforschung", wie die Folterforschung umschrieben wurde. Zwar mußte dieser Sonderforschungsbereich 1974 - zumindest offiziell - eingestellt werden, nachdem er öffentlich in die Kritik geraten war, doch seine Saat ging auf. Zu Beginn der 70er Jahre setzte man in der Bundesrepublik Deutschland erstmals soziale Isolation und sensorische Deprivation gegen Gefangene aus der RAF ein. Astrid Proll und Ulrike Meinhof wurden im Gefängnis Köln-Ossendorf gezielt Haftbedingungen ausgesetzt, die auf Ergebnissen dieser Forschung beruhten.

Isolationshaft ist mit den Grundsätzen der UN-Menschenrechtskommission nicht zu vereinbaren und wurde von amnesty international als Folter eingestuft. Als Weiße Folter wird sie bezeichnet, um sie von klassischen Foltermethoden, bei denen die den Betroffenen zugefügten Torturen nicht zu verbergen sind, abzugrenzen. Wer sich, durch den Begriff "weiß" getäuscht, darunter etwas Harmloses oder halbwegs Erträgliches vorstellt, könnte versucht sein, so auch über Haftbedingungen zu denken, bei denen Gefangenen der Kontakt zu anderen Menschen wie auch alle Wahrnehmungsreize systematisch entzogen oder eingeschränkt werden, auch wenn diese katastrophale und gerade auch körperliche Auswirkungen auf den Menschen haben.

Astrid Proll mußte aus Köln-Ossendorf, wo die Weiße Folter architektonisch und psychologisch eingesetzt wurde, in lebensgefährlichem Zustand wegen Haftunfähigkeit entlassen werden. Ulrike Meinhof beendete ihr Leben in der Haft zwar durch eigene Hand, muß jedoch nicht minder als Opfer der Isolationsfolter angesehen werden. In einem Brief hatte sie versucht, die Auswirkungen dieser Haftbedingungen zu beschreiben. Sie schilderte unter anderem "das Gefühl, es explodiert einem der Kopf", "das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt", "das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich, unter Strom, man würde ferngesteuert", "das Gefühl, man verstummt", "das Gefühl, innerlich auszubrennen". Sie schrieb auch von "rasender Aggressivität, für die es kein Ventil gibt". Und weiter: "Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln; Besuche hinterlassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war."

Die Zellenwände und -decken im "Toten Trakt", wie in Köln-Ossendorf der am Rande der Gefängnisanlagen liegende Flügel, in dem Proll und Meinhof als einzige Gefangene zwischen 1971 und 1973 mehrfach inhaftiert waren, genannt wurde, waren mit Ausnahme der Türen vollkommen weiß, die Wände durften nicht verziert werden. Bei Ulrike Meinhof brannte 24 Stunden am Tag Neonlicht in der Zelle, im Winter blieb der Raum schlecht beheizt. Doch nicht nur optisch, auch akustisch wurden die Sinnesreize massiv eingeschränkt. Hierbei ist zu bedenken, daß ein totaler Reizentzug, wie er in schallisolierten Dunkelkammern ("Camera silence") künstlich hergestellt werden kann, in relativ kurzer Zeit zu schwersten und irreparablen Schäden oder sogar zum Tod führen kann. Aufgabe der Forschung war es unter anderem, die Grenzen dieser Methoden auszuloten, um die gewünschte Wirkung nicht zu verfehlen. Da der Entzug bzw. die abgestufte Reduzierung optischer wie akustischer Sinnesreize in Verbindung mit sozialer Isolation nicht als "Folterwerkzeug" im klassischen Sinn in Erscheinung tritt, schließt die sensorische Deprivation die durch die internationale Ächtung der Folter entstandene "Lücke" im Instrumentarium staatlicher Repression.

Antifolter-Aktivisten, die in bezug auf "mittelalterliche" Folterformen mit einem allzu schnellen und keineswegs wirksamen Ablehnungskonsens konfrontiert sind, stehen auf nahezu verlorenem Posten, wenn sie über die Weiße Folter aufklären und gegen ihre Anwendung Stellung beziehen. Gerade angesichts der weltweit wie auch in der Bundesrepublik Deutschland festzustellenden Bestrebungen, das absolute Folterverbot aufzuweichen und zu umgehen, wäre eine Unterstützung dieser Position das Gebot der Stunde. So könnte man annehmen, daß es sich bei einer vor kurzem in Düsseldorf eröffneten Kunstausstellung mit dem Titel "Weiße Folter" (von Gregor Schneider, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 17. März bis 15. Juli 2007) um einen künstlerischen Versuch handelt, gegen diese Foltermethoden Stellung zu beziehen.

Dies wäre nicht einmal der erste Versuch einer solchen Gratwanderung in der jüngeren Geschichte des bundesdeutschen Kulturlebens gewesen. Unter dem Titel "Weiße Folter - torture" wollte die Künstlerin Johanna Ahlert vor zwei Jahren im Rahmen der Wanderausstellung "Position und Poesie", in der die Werke von insgesamt 40 Künstlern präsentiert wurden, mit einem Fotozyklus über die Weiße Folter aufklären. Das Motto dieser Ausstellung, die vom 4. November bis zum 16. Dezember 2005 in der Bremer Galerie Cornelius Hertz gezeigt wurde, hatte an politischer Deutlichkeit nichts vermissen lassen: "Wider die Scheinwelt flimmernder Bilder - Schluß mit Völkermord, Massaker, Folter und Besatzung im Irak".

In diesem Kontext hatte Ahlert den Versuch unternommen, mit ihren Fotos das Wesen der Weißen Folter zu veranschaulichen. "Deprivation, Isolationshaft, Lichtfolter, Schlaf-, Nahrungs- und Sauerstoffentzug, Scheinexekution etc." kennzeichnete sie als "heutige Mittel" einer Folter, "die keine blutigen Spuren hinterläßt". Inwieweit es überhaupt möglich ist, diese im wesentlichen auf Reizentzug beruhende Folter mit optischen Mitteln einem breiten Publikum verständlich zu machen, ist allerdings fraglich. Helle, sterile Räume können noch so beklemmend oder ungemütlich auf den Betrachter wirken, ohne daß dieser deshalb imstande wäre, die zerstörerische Wirkung einer solchen Umgebung in einer Zwangssituation wie der Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis auch nur zu erahnen. Die Absicht der Künstlerin, die Isolationsfolter mit optischen Mitteln verständlich zu machen, wird jedoch nicht dadurch geschmälert, daß sie sich damit in den Grenzbereich der Visualisierbarkeit begeben hat.

Bei der nun in Düsseldorf eröffneten Ausstellung allerdings ist eine solche Absicht weder bei dem Künstler, dem 1969 geborenen Gregor Schneider, der sich schon in den 90er Jahren durch seine Raumgestaltungen einen künstlerischen Namen machen konnte, noch bei den übrigen Veranstaltern oder ihren Financiers zu vermuten. In einem Faltblatt zu Schneiders "Weißer Folter" ist von einem "neuen, eigens für die Ausstellung konzipierten Werkkomplex des Künstlers" die Rede, der "in die bestehende Architektur des Museums eingesetzt" wurde. Das Publikum kann hier, von entsprechendem Schauder gepackt, durch "lange Korridore und enge Zellen" flanieren, "die gleichermaßen an Intensivstationen und an Isolationshaft erinnern und als Schutz und Gefängnis, als Orte der übersteigerten Zuwendung oder auch der sozialen und sensorischen Deprivation verstanden werden können".

Daß eine solch reizarme und lebensfeindliche Umgebung an Intensivstationen und ähnliche Orte institutionalisierter gesellschaftlicher Verbringung erinnern könnte, sagt vielleicht etwas über Krankenhausflure aus, nicht jedoch über das angebliche Thema der Ausstellung, die Weiße Folter. Schneiders Behauptung, daß solche Räume "gleichermaßen" als "Schutz und Gefängnis, als Orte der übersteigerten Zuwendung oder auch der sozialen und sensorischen Deprivation verstanden werden können", gibt allenfalls Anlaß für Vermutungen über das Auffassungsvermögen oder besser die tatsächlichen Interessen des Künstlers sowie des ihm geneigten Publikums.

Die sensorische Deprivation, bei der reizarm gestaltete und häufig in weiß gehaltene Räume ein bereits bewährtes und mit wissenschaftlicher Akribie erforschtes Folterinstrument sind, ist nicht betroffenen oder desinteressierten Menschen schwer verständlich zu machen, weil im allgemeinen wenig über die Reiz-Reaktions-Verkettung der menschlichen Physis bekannt ist - so etwa darüber, daß die soziale Isolation in Verbindung mit der Reduktion der Sinnesreize in besonders effizienter Weise zu schweren körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen und Schädigungen führt.

Zwar wird in dem Faltblatt durchaus erwähnt, daß "'Weiße Folter', auch 'Saubere Folter' genannt, Foltermethoden [bezeichnet], die darauf abzielen, die Psyche des Menschen zu zerstören, keine äußerlich sichtbaren Spuren zu hinterlassen und damit nur schwer nachweisbar sind." Aus diesen zutreffenden Feststellungen wird jedoch kein klares und unzweideutiges Nein gegen diese Form der Folter abgeleitet, sondern eine Faszination geschürt, die einer stillschweigenden Akzeptanz der Weißen Folter gleichkommt. Gregor Schneider wirkt jedem Aufklärungsversuch in dieser Richtung durch seine Ausstellung sogar noch entgegen. Er bagatellisiert und negiert die der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbekannten Deprivationswirkungen, indem er sie in einen Vergleich zieht mit Erfahrungen, wie sie angeblich jeder Mensch so oder ähnlich schon gemacht hätte.

Aus folgender, dem Faltblatt entnommenen Textpassage läßt sich die Faszination des angeblich Irgendwie-doch-Vertrauten und doch Mysteriösen, die Schneider durch seine Ausstellung bei einem in dieser Hinsicht gewiß bereitwilligen Publikum wohl erzeugen möchte, leicht herauslesen:

Durch ein Fehlen von Spuren menschlicher Lebensäußerungen und von narrativen Details widersetzen sich die Räume Schneiders trotz ihres Rückgriffs auf eine real existierende Vorlage einer schnellen, offensichtlichen Ein- und Zuordnung. Sie scheinen uns auf befremdliche Weise vertraut und bekannt, ohne dass wir sie an eine konkrete Situation oder an einen bestimmten Ort rückkoppeln könnten. In ihrer abstrakt-kristallinen Reinheit und ihrer dramaturgischen Sequenz entwickeln sie eine gleichsam zwingende Dimension, deren Sog man sich nur schwer zu entziehen vermag. Ein Wechselspiel von Vermutungen, Ahnungen und unbewussten Erinnerungen beginnt und lässt die Grenze von Realität und Imagination, von Vertrautem und Unbekanntem verschwimmen. Das Wechselspiel von Licht und Dunkel, von Wärme und Kälte, Bewegung und Stillstand, Nähe und Distanz sowie das bewusste Einsetzen oder der Entzug von Sinnesreizen halten neue und ungewohnte Erfahrungen bereit. Sich darauf einzulassen bedeutet, die herkömmliche Selbst- und Raumwahrnehmung über Bord zu werfen, und damit auch die eigene Befindlichkeit und Verortung in der Welt zu hinterfragen. Auf diese Weise vermag es die Ausstellung, existentielle Fragen nach der conditio humana in der heutigen Welt zu stellen.

Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß der Künstler den durch den Entzug von Sinnesreizen gefolterten Menschen nicht einmal als Objekt seiner künstlerischen Betrachtung oder Darbietung zur Kenntnis genommen hat. Die Ausstellung "Weiße Folter" enthält nicht nur keine kritische Stellungnahme zu dieser Folter. Sie setzt - wenn man so will - die Zerstörung des gefolterten Menschen auf ihre Weise noch fort, indem sie dessen Existenz vollkommen negiert. Er wird weder der Erwähnung noch der Betrachtung, weder der Verachtung noch der Verhöhnung für wert befunden. Es scheint ihn nicht zu geben und nie gegeben zu haben. So ist es nur folgerichtig, daß in den zur Ausstellungseröffnung herausgegebenen Presseinformationen mit keinem Wort erwähnt wird, daß die Weiße Folter nicht nur im fernen Guantanamo eingesetzt, sondern hier in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich erforscht wurde und schon seit Jahrzehnten angewendet wird.

Ein Publikum, das für die hier gebotenen Eindrücke mit Guantanamo-Flair 6,50 Euro (bei Ermäßigung 4,50 Euro) zu zahlen bereit ist, wird auf seine Kosten kommen. Die Fotos kahler Räume und Flure, mit denen Zuschauer in die Zellentrakte der Ausstellung gelockt werden sollen, versprechen durch die Symmetrie ihrer Darbietung sowie die gezielt eingesetzten und Ordnung wie Standfestigkeit suggerierenden Spiegeleffekte eine visuelle und räumliche Orientierung, die dem durch sensorische Deprivation gefolterten Menschen genommen wird. In einer Zeit, in der systematisch an der Aufweichung des Folterverbotes gearbeitet wird, läßt sich der Verdacht nicht von der Hand weisen, daß künstlerische Events wie diese überaus aufwendige und gewiß nicht kostenarme Ausstellung durch Bagatellisierung und damit letztlich Desinformation den Weg für die Etablierung der Isolationshaft als der Folter der Zukunft bereiten sollen, gegen die dann kein Argument mehr ins Feld geführt werden kann.

27. März 2007