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TANDEM/002: Napoleon Bonaparte im kunsthistorischen Schafspelz (SB)


"Napoleon und Europa - Traum und Trauma" in der Bundeskunsthalle


"Napoleon und Europa - Traum und Trauma", ist der Name der Ausstellung, die noch bis zum 25. April 2011 unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy ein möglichst umfassendes Bild vom Leben und Wirken des sagenumwobenen Feldherrn und Kunsträubers Napoleon Bonaparte in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zeigen will.


"Traum und Trauma" - treffender könnte auch die Ambivalenz des Krieges, der die Sicherheit der kleinen Wohlstandsenklave Europa ausgerechnet in Afghanistan "verteidigen" soll, nicht in Worte gefasst werden. Die scheinheilige Suggestion, dass Traum und Trauma sich gegenseitig bedingen, dass für den so unschuldigen Traum vom dauergesicherten Wohlgefühl der Europäischen Bürger das Bundeswehrtrauma Afghanistan nun mal die bittere Pille ist, die geschluckt werden muss, bildet das Antriebsmittel der neuerdings immer lauter anrollenden Propagandamaschinerie der deutschen Bundesregierung. Die Streuung von kriegförderndem Gedankengut, die Idealisierung zentralistischer Herrschaft und der vorgeblich reaktive Einsatz kompromissloser Gewalt im Sinne von "der Feind zwingt uns dazu", sind unmissverständliche Indizien. Schon zu Napoleons Zeiten, das zeigt die Ausstellung, verfehlten diese massenmedialen Kriegsargumente ihr Ziel nicht und trieben Hunderttausende in den (Hunger-)Tod.

In ihrer kunsthistorischen Pädagogik sicherlich hochanspruchsvoll und von Kunsthäusern aus ganz Europa unterstützt, wird die Ausstellung unter der kuratorischen Leitung der Berliner Professorin Bénédicte Savoy, die 2000 ihre Dissertation über den napoleonischen Kunstraub in Deutschland schrieb und deren Buch "Kunstraub, Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen" vor kurzem erschienen ist, natürlich nicht versuchen, Napoleon Bonaparte als historische Person zu rehabilitieren oder seinen opferreichen Krieg zu idealisieren. Vielmehr soll das Konzept einer wissenschaftlichen und damit scheinbar standpunktneutralen Werks- und Objektbilanzierung dabei helfen, das umstrittene und in Frankreich lange Zeit nahezu tabuisierte historische Thema "Napoleon und Europa" mit allen Facetten wieder ins Gespräch zu bringen.

Auf die Frage, was für sie die besondere Herausforderung gewesen sei, antwortet Kuratorin Bénédicte Savoy in einem Interview mit ihrer Hochschule, der TU Berlin:

... mit einer historischen Ausstellung Graustufen der Geschichte sichtbar zu machen, subtile Inhalte zu vermitteln anstatt Klischees und darzustellen, was uns Bürger des 21. Jahrhunderts an dieser Geschichte noch berührt. Der Kunstraub zum Beispiel ist eine Frage, die uns heute im Zusammenhang mit Restitutionsfragen beschäftigt. Das ist auch unter Napoleon debattiert worden, mit sehr ähnlichen Argumenten. Wobei ich damit natürlich nicht sagen will, dass sich Geschichte wiederholt.
(1)

Dieses "differenzierte Bild" (2), das dem Publikum über psychologische "Paradoxien" (2) in Napoleons Charakter und über das Aufzeigen von gesinnungsideologischen Gegensätzen in Gemälden und Kunstwerken, die sich mit Napoleons Funktion und Politik befassen, dargeboten werden soll, will also dem kulturellen Bildungsauftrag gemäß an die Lebenswelt der Besucher anknüpfen. Dass Savoy dabei gerade den napoleonischen Kunstraub als etwas hervorhebt, das uns "Bürger des 21. Jahrhunderts an dieser Geschichte noch berührt", könnte auf ein perspektivisch eher eingeschränktes Berufsethos unter Kunsthistorikern schließen lassen, böte die Ausstellung nicht zwei weitere Aspekte, die für den Menschen von heute noch schwerwiegender sein könnten als "Restitutionsfragen".

Dass die gesellschaftlichen Veränderungen, die Napoleons grausames Herrschaftsstreben nach sich zogen, in den Ausstellungstexten als "Errungenschaften" verbucht werden, die unser heutiges Europa auf unvergleichliche Weise positiv prägten, dass der von Napoleon festgelegte code civil, der die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz als verschleierndes Trugbild über dem individuellen Eigentum schweben lässt, als moderne juristische Innovation gepriesen wird, lässt ahnen, welche Position die Bundeskunsthalle im Umgang mit Kunst, aber auch hinsichtlich des heutigen Frankreichs und Europas einzunehmen bereit ist. Die Beschreibung der zivilisatorischen Erneuerungen unter Napoleons Regentschaft jedenfalls, die bis heute auf unser gesellschaftliches Leben wirkt, liest sich im Pressematerial zur Ausstellung nahezu uneingeschränkt beschönigend und zumindest missverständlich:

Napoleons imperiales Projekt und die mit Unterstützung der Armee zügig durchgeführte Integration Europas ermöglichten vielen europäischen Ländern den Zugang zu administrativer, ökonomischer, juristischer und infrastruktureller Modernität. Doch entfachte ihr erzwungener Charakter überall in Europa starke Widerstandsbewegungen. Mit der Bekämpfung und Diffamierung des Gegners ging in nahezu allen Regionen ein Feuer patriotischen Eifers einher.
(2)

Nicht "die mit Unterstützung der Armee zügig durchgeführte Integration Europas", die "Zugang zu administrativer, ökonomischer, juristischer und infrastruktureller Modernität [ermöglichte]" rief diesen Widerstand hervor, nein, ihr "erzwungener Charakter" führte zu "Diffamierungen des Gegners" Napoleon... oder?

Sicherlich darf Napoleon nicht gehuldigt werden, dazu sind unter seinem Kommando zu viele Menschen gestorben, aber wo wir gerade bei den Neuerungen sind, wäre da auch noch die Sache mit der Medizin. Wenigstens, so lernen wir in einer der 12 Ausstellungssektionen, sind die Kriegsopfer nicht umsonst verwundet worden, denn:

"zu dieser europäischen Verflechtungs- und Erinnerungsgeschichte gehört, dass eine ganze Generation junger Männer europaweit die physische Erfahrung von Verletzung, Schmerz und Tod prägte, mit dem sich die Geschichtsschreibung aber bislang kaum beschäftigt hat", sagt Savoy. In den Kriegen der Grande Armée und gegen sie starben etwa zwei, wahrscheinlich drei Millionen Europäer, Hunderttausende wurden verletzt. Ein besonderer Schwerpunkt der Ausstellung - und bisher nicht gezeigt - ist daher der Themenbereich zur Verwundung der Soldaten, deren Kriegsversehrungen zu Neuerungen in der Medizin führten. In der Sektion "Traum vom Weltreich" haben sich die Ausstellungsmacher dieses Themas angenommen. Gezeigt werden Fotos von einem Massengrab bei Vilnius aus dem Jahr 1812, das erst 2001 entdeckt worden war und in dem die Gebeine von 35000 Soldaten der Grande Armée liegen, Zahnvollprothesen, sogenannte Waterloo-Zähne, Amputationswerkzeuge und Darstellungen zur Anleitung von Beinamputationen.
(3)

Natürlich ist die Ausstellung darauf angewiesen, die Masse an Informationen für ihre Besucher verdaulich zu halten. Die anklingende Faszination darüber, dass Napoleon "sich mit Glanz und Gloria in der Kunst inszenieren ließ" und gleichzeitig "durch das Trauma unablässiger Kriege das abschreckende Beispiel einer menschenverachtenden Militärmaschinerie [lieferte]" kommt jedoch seltsam gekünstelt daher, weil die hier zugrundegelegte und vielbeschworene konzeptuelle "Paradoxie" gar keine ist. - Im Gegenteil, sind nicht Glanz und Gewaltherrschaft schon immer die zwei Seiten der einen staatsherrschaftlichen Medallie gewesen? Unter diesen Voraussetzungen überrascht es wenig, dass die Ausstellung, deren Struktur sich aus diesen mehr oder weniger "gegensätzlichen" Zusammenhängen motiviert, sich nicht selten und möglicherweise sogar unfreiwillig im Ton vergreift und auf diese Weise dieselbe aggressive Schwammigkeit produziert, die auch im Afghanistan betreffenden, momentan so oft wiederholten Kriegstreibermotto "das sind kriegerische Handlungen, und das kann und sollte man ruhig auch mal ganz offen aussprechen" zu Tage tritt. So ist es nun mal gewesen und so wird es immer sein. Aber Achtung! Die Geschichte wiederholt sich nicht, auf gar keinen Fall!

Entgegen aller öffentlichen Behauptungen werden in nicht allzu ferner Zukunft wieder mehr deutsche Soldaten rekrutiert werden müssen, von denen einige schon jetzt Leib und Leben an den Staat verkaufen - in neo-patriotischem Wahn, aus finanziellen Gründen oder einfach, weil sie sich als selbstlosen Dienst an der Gesellschaft nichts anderes vorstellen können. Die Afghanistanfreiwilligen beschrieben erst vor einigen Wochen in der propagandatechnisch bahnbrechenden und nahezu surreal anmutenden Weihnachtsshow "Kerner Spezial" auf der Bühne des "Kriegsschauplatzes" Afghanistan ihre innersten Beweggründe, sich an dem Einsatz zu beteiligen: Sie wollen ihre Familien zu Hause vor der dräuenden Gefahr des Terrorismus bewahren, sie fühlen sich dazu verpflichtet, ihren deutschen Kameraden in der Fremde beizustehen und sie möchten, dass es den in Armut und Hunger lebenden afghanischen Kindern besser geht... Lassen sich solche Träume kritisieren? Napoleon Bonaparte wäre stolz auf Karl-Theodor zu Guttenberg.

Bei aller Vorsicht gegenüber der Intention der an dem Projekt beteiligten Museumsschaffenden stellt sich die Frage, ob der Ansatzpunkt, die gegensätzlichen Auffassungen zu Napoleon in der Kunst zu zeigen, seine künstlerischen Gegner und Befürworter gemeinsam zu Wort kommen zu lassen, nicht am Ende in einer teilnahmslosen Schubladenordnung mündet. Ja, vielleicht schert man die napoleonischen Propagandainstrumente und die kritischen künstlerischen Auseinandersetzungen verschiedenster Couleur in der Bundeskunsthalle sogar so unreflektiert über einen Kamm, dass Bilder und Zeugnisse der schrecklichen Leiden des Krieges - aus sicherer historischer Entfernung - letztlich nur den Glanz der Herrschaftsmacht illustrieren helfen.

Das vorangeschrittene Stadium des Festungsbaus "Europa" scheint auch die subventionierte kunsthistorische Darstellungspraxis dazu zu bringen, den gefühlspsychologischen Kniff von "Traum und Trauma" in den Herzen der Menschen zu zementieren. In der kritiklosen Bewunderung alter Bildungsideale und kulturherrschaftlicher Errungenschaften gefangen, deren breiter Rücken andere Wege, die hätten entwickelt werden können, wären sie nicht gewaltsam abgeschnitten worden, für gewöhnlich vollständig verstellt, wird die europäische Öffentlichkeit langsam, aber sicher auf Linie getrimmt.

Dennoch, wer die Möglichkeit hat, die Ausstellung der Bundeskunsthalle mit eigenen Fragen zu besuchen und die dargestellte Entwicklung der napoleonischen Propaganda aufmerksam zu verfolgen, indem er zwischen den Zeilen der Erläuterungstexte liest, ohne sich seiner Unsicherheiten zu schämen, wird in Anknüpfung an seine eigene Lebenswelt feststellen können, dass die sich wiederholende Entfaltung der unausweichlichen, immer kausal begründbaren Kraft "Krieg" bereits im Gange ist und neuerdings mit Kerner und Konsorten wie eine nach Blut und "Humanmaterial" lechzende Fratze auch schon ins eigene Wohnzimmer flimmert.



Anmerkungen:

(1) www.schattenblick.de -> Infopool -> Geisteswissenschaften -> Geschichte
FRAGEN/003: "Napoleon und Europa" - Der glänzende Harnisch ist beschädigt (TU berlin intern)
TU berlin intern 12/10 - Die Hochschulzeitung der Technischen Universität Berlin
Der glänzende Harnisch ist beschädigt
Die Ausstellung "Napoleon und Europa. Traum und Trauma" zeigt Graustufen der Geschichte
http://www.schattenblick.de/infopool/geist/history/ggfr0003.html

(2) Pressematerial zur Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Napoleon und Europa. Traum und Trauma, 17. Dezember 2010 bis 25. April 2011
www.bundeskunsthalle.de

(3) Pressemitteilung der TU Berlin vom 14.12.2010
Bénédicte Savoy, Kuratorin der Ausstellung "Napoleon und Europa", über Traum und Trauma der napoleonischen Zeit
http://idw-online.de/pages/de/news401742

24. Januar 2011