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BERICHT/016: Gefesselte Kunst - Die unabgegoltene Aufgabe der Befreiung (SB)


Über Zumutungen im öffentlichen Raum

Jimmie Durham im Vortrag am 8. Februar 2012 in Berlin

Jimmie Durham - Foto: © 2012 by Schattenblick

Jimmie Durham
Foto: © 2012 by Schattenblick

Jimmie Durham ist ein Künstler, Dichter und Aktivist, dem das Streben nach Befreiung praktisch mit in die Wiege gelegt wurde. Als Cherokee gehört Durham zu den Ureinwohnern der USA und setzt sich bis heute für den Kampf der politisch wie ökonomisch nach wie vor massiv unterdrückten indigenen Völker des Landes um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung ein. Nachdem er in den 1960er Jahren politisches Theater, unter anderem mit Muhammad Ali in dem Stück "My Land", machte, zog er in die Schweiz nach Genf, wo er an der École des Beaux Arts studierte. Um sich an dem in den 1970er Jahren besonders heftig entbrannten antikolonialen Kampf des American Indian Movement (AIM) zu beteiligen, siedelte er 1973 in die Pine Ridge Reservation in South Dakota über. Es war das Jahr, in dem die Verteidigung des Dorfes Wounded Knee gegen eine Übermacht schwerbewaffneter Regierungsagenten weltweite Solidarität mit den Forderungen der indigenen Völker in den USA auslöste.

Jimmie Durham war bis 1980 als Mitglied des AIM-Zentralrates aktiv, verfaßte zahlreiche politische Artikel und fungierte in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre als Repräsentant des International Indian Treaty Council (IITC), eine für die Rechte und Souveränität indigener Völker in Nord-, Mittel- und Südamerika eintretende Organisation, bei den Vereinten Nationen in New York. Auch nach dieser politisch besonders aktiven Zeit engagierte sich Durham mit künstlerischen Mitteln für die Interessen indigener Völker, etwa indem er öffentliche Performances abhielt und Theaterstücke verfaßte, mit denen die weiße Sicht auf die indianische Kultur ins Visier genommen wurde. In seiner Laufbahn als bildender Künstler war er an zahlreichen Ausstellungen beteiligt. Derzeit ist in der Schau "Vor dem Gesetz" im Kölner Museum Ludwig seine Installation "Building a Nation" zu sehen, in der er sich auf explizite Weise mit Formen der rassistischen Unterdrückung in den USA auseinandersetzt.

Der Künstler, der mit seinen Arbeiten gerne den repräsentativen Nimbus der Architektur konterkariert und den in Stein gehauenen Ewigkeitshorizonten die Brüchigkeit selbst dieses Materials entgegenhält, lebt seit 1998 zusammen mit der brasilianischen Künstlerin Maria Thereza Alves in Berlin. Auf der radius of art-Konferenz bot er dem vorwiegend aus Künstlern, Kunstheoretikern und Kulturmanagern bestehenden Publikum auf dem Forum "Art in public space, art as public space, and art in the public interest" auf sehr persönliche Weise Einblicke in sein Verständnis von Kunst im öffentlichen Raum.

So kam er mit der Bemerkung , daß eines der obszöneren Beispiele für öffentliche Kunst in South Dakota liege, ohne weitere Umschweife auf den instrumentellen Charakter unter dem Titel Kunst firmierender Machwerke von eher pompöser und theatralischer Art zu sprechen. Das weltbekannte US-Nationaldenkmal Mount Rushmore ist schon von seiner Herstellungsweise her unschwer als Ausdruck imperialer Gigantomanie zu dechiffrieren, wurde es doch mit Dynamit aus einem Berg gesprengt, der, wie die ganzen Black Hills, zum Land der dort seit jeher lebenden Lakota-Sioux gehört. Unter Vertragsbruch und mit massiver Gewalt in uralten Stein, der zudem dem Raubbau von Goldschürfern und Minenunternehmen ausgesetzt war, getrieben wurden die Konterfeis der vier US-Präsidenten George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln zu Symbolen der Kolonialherrschaft weißer Europäer, die das ihren Opfern angetane Unrecht bis heute mit dem politische Ausnahmezustand der Manifest Destiny, dem Kodex US-amerikanischer Suprematie, rechtfertigen.

Mount Rushmore National Memorial  - Foto: © 2007 by Cpark060

Bildhauerei als Akt der Gewalt und Symbol kolonialistischer Enteignung
Foto: © 2007 by Cpark060 [1]

Ein anderes Erlebnis mit Public Art, das Durham auf recht trockene und damit um so unterhaltsamere Weise schilderte, betraf ein Werk des Bildhauers Richard Serra, der sich mit aus industriellen Werkstoffen wie Metall oder Kunststoff gefertigten Großskulpturen einen Namen gemacht hat. Er schuf 1981 eine eine 37 Meter lange und 3 Meter hohe Stahlwand namens Tilted Arc, die auf der Federal Plaza in New York City direkt vor einem wichtigen Verwaltungsgebäude, der U.S. General Services Administration, aufgestellt wurde. Da Durhams Partnerin Maria Thereza Alves weder über eine Green Card noch einen US-Paß verfügte, mußte sie sich dort jeden Tag in eine lange Schlange einreihen, um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Nachdem sie im Büro eines herrischen Verwaltungsbeamten angekommen war, konnte sie das Gebäude nur durch eine Hintertür wieder verlassen. Und dort befand sich diese große Wand aus Metall, die den ohnehin durch das lange Warten entnervten Antragstellern um ein weiteres Mal den Weg versperrte.

Kurz gesagt, das Ding mußte verschwinden, dieser Ansicht waren zumindest die Menschen, die zu den Behörden im Gebäude mußten, und die vielen Beamten, denen dieses Hindernis mehrmals täglich einen Umweg abnötigte. Nachdem die Forderung laut geworden war, daß Kunstwerk wieder zu beseitigen oder seinen Standort, wie Durham es ausdrückte, in die Mitte des Hudson Rivers zu verlagern, setzten sich zahlreiche Künstler für seinen Erhalt ein. Maria Thereza Alves und Jimmie Durham standen in diesem Fall allerdings auf der Seite der weniger kunstbeflissenen Bevölkerung, die schlußendlich Erfolg hatte. Nach langen rechtlichen Auseinandersetzungen wurde der Tilted Arc 1989 demontiert und verschrottet [2].

Öffentliche Kunst ... Durham findet beide Worte seltsam, weil er nicht weiß, was Öffentlichkeit ist, und weil er nicht weiß, was Kunst ist. Muß man demgegenüber von privater Kunst sprechen, wenn diese woanders stattfindet, lautete eine der unbeantwortet gebliebenen Fragen, mit denen der Künstler den Gültigkeitsanspruch der Public Art dekonstruierte? Wenn man ein Bronzestatue mit einem Mann auf einem Pferd in der Stadt aufstellt, fragt niemand, ob das Kunst sei oder nicht, auch wenn alle Welt der Ansicht ist, daß die Skulptur irgendwie zum Kunstsystem gehört. Das sei auch bei schlechten Gemälden so - man wisse, daß es keine Kunst ist, aber ordne sie dieser Kategorie zu, um sie im Museum zu den anderen dort bereits versammelten Monstrositäten zu hängen.

Durhams Vortrag war von der erfrischenden Direktheit eines Menschen, der sich auf grundlegende Weise Gedanken über das macht, was ihm die Zuschreibung des Künstlers eingebracht hat. So bemängelt er, daß man keine Möglichkeit habe, die Öffentlichkeit zu konsultieren, ob jemand so etwas wie eine Tilted Arc, die vor allem als Hindernis auf sich aufmerksam macht, überhaupt haben wolle. Natürlich möchte jeder Künstler Public Art betreiben, weil darin, wie bei allen besonders repräsentativen Formen künstlerischer Produktivität, viel Geld steckt.

Für Durham führt allerdings schon die immer wieder an ihn gestellte Frage, ob er denn von der Kunst leben könne, in die Irre. So sei Kunst für ihn nie ein Beruf gewesen, sondern lediglich eine von mehreren Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Wenn der einzige meßbare Erfolg bildender Kunst Ruhm und Reichtum sei, dann sage das ebensowenig über künstlerische Qualität aus, wie es bei Musikern und Schriftstellern der Fall ist, die die Hit- und Bestsellerlisten anführen. Dies legt im allgemeinen eher den Schluß nahe, daß es sich dabei um Müll handelt, so Durham mit einer Bestimmtheit, die sich durch die Standardausrede, daß alles doch eine Frage des jeweils eigenen Geschmacks sei, nicht irritieren läßt.

Durham hat nichts dagegen, wenn Künstler mit ihren Werken reich werden, doch sei dies eher eine Begleiterscheinung. Wenn es von vornherein darum geht, mit Kunst Geld zu verdienen, dann wirkt sich das seiner Ansicht nach auch auf das Ergebnis aus. Die Öffentlichkeit werde von kapitalistischen Interessen kontrolliert, und mit öffentlicher Kunst wolle man die Künstler darauf zurichten, Konsumereignisse für Verbraucher zu produzieren. Durham wuchs, wie er abschließend erklärt, im Gedanken an die Befreiung seines Volkes auf, und das war auch für die Kunst bestimmend. Auch wenn es sich merkwürdig anhört, so geht es immer noch um Befreiung, das gilt selbst für die Kunst in Europa, meint der Referent zum Schluß eines freimütigen Vortrags, der von der Souveränität gelebten Widerstands gegen kulturelle wie politische Zumutungen zeugte.

Fußnoten:
[1]‍ ‍Bildnachweis: Foto © Cpark060, 30 March 2007
Hinweis zur Lizenz siehe: By Cpark060 at en.wikibooks [CC-BY-SA-3.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], from Wikimedia Commons
[2]‍ ‍http://www.pbs.org/wgbh/cultureshock/flashpoints/visualarts/tiltedarc_a.html

Skulptur im Foyer der US-Botschaft Berlin - Foto: © 2012 by Schattenblick

Hybride Politsymbolik, Kontrollkunst oder schlichter Affront? Foto: © 2012 by Schattenblick

12.‍ ‍April 2012