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BERICHT/039: Mythos Chanel in Hamburg - spätgelesene Einblicke (SB)


Coco Chanel - (k)eine Heldin der Frauenbewegung

"Ich beurteile Menschen nach ihrer Art, Geld auszugeben, und rate allen Frauen: Heiraten Sie nie einen Mann mit einer Börse für Kleingeld." (Coco Chanel) [1]



Ein Kostüm von Chanel - für viele Frauen der aufstrebenden Mittelschicht in der Zeit des Wirtschaftswunders nach dem Ende des 2. Weltkriegs war das die Erfüllung eines Traumes, und noch heute gilt dieses zeitlos konservative Kleidungsstück als Ausweis der Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Klasse derer, die es sich leisten können. Kaum ein Stil hat sich so lange und so unverwechselbar gehalten wie der von Coco Chanel. Als Antwort auf Diors 'neue Weiblichkeit' kreierte 'Mademoiselle' Mode für die selbstbewußte, emanzipierte, berufstätige Frau und schuf gleichermaßen den Mythos von Einzigartigkeit und Erfolg einer Persönlichkeit, die sich vom Waisenhaus bis in die Spitzen der Gesellschaft hocharbeitete und dabei Bündnisse und Beziehungen geschickt zu nutzen verstand.

© Corbis Images Bd.-Nr. BE024645

Chanel, 1931
© Corbis Images Bd.-Nr. BE024645

"Mythos Chanel" im Museum für Kunst und Gewerbe

Bis zum 18. Mai 2014 öffnet das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe seit Ende Februar die Türen seiner neuen Ausstellung "Mythos Chanel". In vier Räumen werden wertvolle Stilobjekte gezeigt, die Gabrielle "Coco" Chanel in ihren beiden Hauptschaffensphasen, den 20er und den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, selbst hervorbrachte und nach ihrem Tod mit ihrem unverwechselbaren Stil schlichter Eleganz beeinflusste. Damit untersucht die Schau die kreative Eigenwilligkeit der weltweit bekannten Couturière, deren Hände die bestehenden modischen Übereinkünfte ihrer zeitgenössischen Gegenwart so prägend wandelten, dass von einem "Mythos Chanel" gesprochen werden kann, der wie das "kleine Schwarze" auf den ersten Blick nichts verrät, aber alles verspricht. "Chanel ist ein Label, das die meisten kennen, es ist eines der berühmtesten Labels überhaupt. [...] Für mich war es sehr spannend herauszuarbeiten, wo die Gründe für dieses Bild von Chanel liegen könnten", so Dr. Maria Spitz, die Kuratorin der Ausstellung.


Wer war Coco?

Mindestens neun Biografien Chanels erzählen verschiedenste Versionen eines Lebens, das 1883 begann und 1971 endete. Man hat sich in diesen Darstellungen, die auch mehrere Dokumentationen, zwei Kinofilme und nicht zuletzt die edel aufgemachten Onlinespots des heutigen Hauses CHANEL umfassen, aus Mangel an verlässlichen Quellen, die teilweise von Chanel selbst bewusst demontiert wurden, meist boulevardesker erzählerischer Kniffe bedient. So wird Coco Chanels angeblich traurige Einsamkeit mit kaltem Opportunismus verknüpft, ihr unkonventionelles Geschäftsgebaren und Verhandlungsgeschick über bitteren Trotz und räuberische Skrupellosigkeit motiviert und ihr Faible für elegante Männer, moderne Kunst, neue Musik und die Tanztheaterströmung der Ballets Russes in künstlerischen Selbstwertproblemen begründet. Überliefert sind aber auch große Lebenslust, ein unerschöpflicher Arbeitseifer und der ausgeklügelte Einfallsreichtum einer bis ins hohe Alter agilen, modernen Frau, die den momentan herrschenden Zeitgeist für ihre Karriere stets zu nutzten wusste und, gerade weil sie sich von der Anpassung an die moralische Integrität ihrer Zeit emanzipierte, eine l'art de vivre pflegte, die sie dauerhaft in freundschaftlicher Nähe zur künstlerischen Elite der Reichen und Schönen weilen ließ und die später für alle Gesellschaftsschichten erstrebenswert wurde.

Das Mädchen Gabrielle Chanel, so wird erzählt, wuchs bis zu ihrem zwölften Lebensjahr in einer sehr armen Familie mit vielen Geschwistern in den Cevennen auf und wurde 1895 nach dem Tod ihrer Mutter von ihrem Vater in ein katholisches Waisenhaus nach Aubazine gebracht. Nach dem Besuch der Ordensschule, in der sie lernte, mit Nadel und Faden umzugehen, bekam sie 1901 eine Anstellung als Schneiderin. Gleichzeitig versuchte sie sich erfolglos als Sängerin in einem Etablissement, das viel von französischen Soldaten besucht wurde, und machte über ihren wohlhabenden Freund Etienne Balsan, auf dessen Landsitz sie zwei Jahre lebte, die Bekanntschaft mit ihrer große Liebe Arthur "Boy" Capel, der es ihr 1910 ermöglichte, ein erstes Hutgeschäft in Paris zu eröffnen.[2]

Modeschöpferin Coco Chanel, um 1927

Madame D'Ora
Die Modeschöpferin Coco Chanel, um 1927, Silbergelatine
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Während ihrer Zeit auf dem Land begann Chanel ihre kritische Haltung gegenüber nutzlosem Pomp handwerklich umzusetzen, und fing an, sich über die Geschlechtergrenzen hinweg einfach, aber elegant zu kleiden. Ihr deutlich sichtbarer Wunsch nach bequemen Kleidungsstücken, mit denen jede Trägerin ihren Körper so weit bedeckt halten konnte, wie sie es mochte, ohne sich ständig mit dem Sitz von Corsage und Hut zu beschäftigen; ihr selbstbewusstes Auftreten und nicht zuletzt ihre Berufstätigkeit, regten andere Frauen, die aus Modezeitschriften von Chanels innovativen Modellen erfuhren, dazu an, ihr Leben selbstbestimmter zu gestalten. Chanels Kreationen entsprachen vielerorts auch der Erfahrung einer unaufwendigen Funktionalität, die viele Frauen während der beiden Weltkriege und in den Zeiten des Wiederaufbaus mit ihrer Arbeitskleidung gemacht hatten.


Von der Funktionalität zum Mythos

Wie breit die Biografie Coco Chanels und ihr durch einfache Zeitlosigkeit bestechender Stil in der Mitte des 20. Jahrhunderts wirklich rezipiert wurden, läßt sich in Gesprächen mit Zeitgenossinnen auch außerhalb des Museums schnell feststellen. So hat beispielsweise die Großmutter der Autorin, die seit über 80 Jahren in einer Kleinstadt an der Nordseeküste Ostfrieslands lebt, seinerzeit sich und ihrer Nachbarin ein Chanel-Kostüm nach einem Burda-Schnitt geschneidert und merkte als hervorzuhebendes Detail an, dass Chanel sich ja aus sehr armen Verhältnissen hochgearbeitet habe... Für ihre Freundinnen im Geiste verwob Coco Chanel also schon damals den schillernden Stoff, aus dem Träume gemacht sind. Im MKG ist es jetzt möglich, die historischen Ausgaben der Vogue oder Burda im Original und digital zu erfassen, um selbst einmal den modischen Perspektivwechsel in die 20er und 60er Jahre zu wagen.

Foto: Maria Thrun

Gabrielle Chanel
Kostüm, Herbst/Winter 1959/60
Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Foto: Maria Thrun

Die Sonderausstellung "Mythos Chanel" die im vergangenen Jahr bereits in der Draiflessen Collection, Mettingen, und im Gemeentemuseum, Den Haag, Station machte, hält sich mit Spekulationen über das Leben der Modeschöpferin stark zurück und versucht sich dem Mythos, der Dr. Maria Spitz zufolge aus drei Quellen gespeist wird, allein über die vorliegenden Objekte anzunähern. So sind die Ausstellungssäle sowohl diachron als auch synchron aufgebaut, denn in fast jedem Raum werden originale Stücke aus früheren Jahrzehnten in unmittelbarer Nähe zu Chanel-Nachbildungen aus jüngerer Zeit gezeigt. Dies betont die Gleichzeitigkeit der drei Faktoren, die aus Sicht der Ausstellungsmacher den "Mythos Chanel" beeinflussen: das Wirken Coco Chanels zu ihren Lebzeiten, die Übernahme der künstlerischen Leitung des Hauses Chanel durch Karl Lagerfeld und "parallel zu beidem" die Adaption des Chanel-Stils in unzähligen geschneiderten Zitaten einfacher Frauen der Mittelschicht, die sich ihre eigenen dem Chanel-Kostüm nachempfundenen Dreiteiler nähten.

Dass die gut besuchte Schau nun ein drittes Mal in Hamburg gezeigt werden kann, sei ob der strengen konservatorischen Auflagen, denen einige der gezeigten "Museumsstücke von großer Kostbarkeit" unterliegen, nicht selbstverständlich, so MKG-Direktorin Dr. Sabine Schulze. Einige Stücke, die zuvor ausgestellt wurden, konnten nicht wieder ausgeliehen werden. Mit Hilfe der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen sei es aber gelungen, mehrere wertvolle Objekte, darunter zwei Chanel-Kleider aus den 20er Jahren, anzukaufen, die nun die Lücken füllen. Sie sind in einem Raum mit dem Original-Flakon des Chanel No. 5 zu sehen, der sogar noch ein wenig Parfum enthält.

Schwarzes Abendkleid aus feinem Seidengewebe

Gabrielle Chanel
Abendkleid, 1925/26
Seidengewebe
Sammlung Martin Kamer, Zug Schweiz
© Draiflessen Collection, Mettingen
Fotografie von Christin Losta

Natürlich war Chanel nicht die Erfinderin des "kleinen Schwarzen", sie hat nicht als erste das Korsett abgeschafft und auch nicht die Hose für Frauen erfunden. - "Trends erkennend, nicht unbedingt initiierend, aber den Stil prägend und mit seismografischen Fähigkeiten ausgestattet" habe sie es aber verstanden, "die Gegebenheiten und Sehnsüchte der Zeit umzusetzen"[3], erläutert Dr. Angela Völker im umfangreichen Katalog zur Ausstellung, der mit qualifizierten Fachartikeln und zahlreichen erklärenden Abbildungen keinen Wunsch offen lässt. Hierin wird auch Marlene Dietrich, deren umfangreiche Chanel-Garderobe in der Ausstellung präsentiert wird, genannt, die die Bewegungsfreiheit, die vor allem die Chanel-Kostüme der 60er Jahre gewährleisteten, gern strapazierte:

Anlässlich der Premiere fand ein Empfang im Rainbow-Room, im 65. Stock des RCA Buildings (Radio Corporation of America) statt. Auf dem Weg dorthin musste der Star in einem weißen Seiden-Cloqué-Kostüm von Chanel - vermutlich aus Publicitygründen bewusst inszeniert - einige Hürden überwinden. Die New York Times berichtete: "Als sie das Lunt-Fontanne-Theater nach der Show verließ, kletterte Miss Dietrich auf ein Autodach, um den Autogrammjägern zu entkommen, und musste von Polizisten gerettet werden. Nachdem sie um 23.50 Uhr am Rainbow-Room angekommen war, floh sie durch die Außenräume, um einer Horde Fotografen zu entkommen, im Dining Room versuchte sie ihnen zu entgehen, indem sie unter einen Tisch kroch. Bevor Fräulein Dietrich ihren Durchstoß durch die lückenhafte Verteidigungslinie der Fotografen unternahm, war ihre Debutparty eher eine belanglose Angelegenheit gewesen."[4]
Foto: Michaela Hille

Vitrinen mit Chanel-Garderobe von Marlene Dietrich
Ausstellungsansicht 1
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Foto: Michaela Hille


Coco Chanel politisch

Dass Chanel während des Zweiten Weltkriegs in Paris mit dem deutschen Offizier der Spionageabwehr, Hans Günther von Dincklage, liiert war und sich höchstwahrscheinlich dazu bereit erklärte, mit den Nationalsozialisten zu kollaborieren, möglicherweise, weil sie sich selbst in einer Zwangslage befand und sich Vorteile aus ihrem Handeln versprach, wirft einen Schatten auf die Lebensgeschichte von Coco Chanel, der so manchem dunklen Kapitel im Leben anderer berühmter Persönlichkeiten ähnelt. Wer dieser Facette Chanels nachspüren möchte, dem sei geraten, nicht allein die jüngste, 2011 erschienene Biografie des Amerikaners Hal Vaughan zu lesen, der diesen Lebensabschnitt zwar mittels vieler Quellen intensiv zu erhellen versuchte, sich dabei jedoch sprachlicher Mittel bedient, die teilweise eher darauf abzuzielen scheinen, das Objekt seines Buches zu diskreditieren. Coco Chanel verließ Paris 1945 und begab sich für 10 Jahre in ein freiwilliges Exil in die Schweiz.

1954 wurde ihr modisches Comeback nicht zuletzt von den jüdischen Brüdern Wertheimer unterstützt, die sich 1924 in Chanels Parfumproduktion einkauften und seitdem fest zur Firmengeschichte gehörten. Obwohl Chanel sich vertraglich hintergangen fühlte und 1940 versucht hatte, mit Hilfe der Arisierungsgesetze der Nazis alle Anteile an ihrer Marke zurückzugewinnen, scheint für beide Seiten einem erneuten Interessenarrangement nach dem Krieg nichts im Wege gestanden zu haben. Heute gelten die Brüder Wertheimer, die eng mit Karl Lagerfeld zusammenarbeiten, als graue Eminenzen hinter der Marke CHANEL.

© Corbis Images Bd.-Nr. 42-32149952

Douglas Kirkland
Chanel im Atelier, 1962
© Corbis Images Bd.-Nr. 42-32149952

Auch wenn die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Maria Spitz, davon ausgeht, dass Chanel keine politische Frau gewesen ist, bleiben Zweifel, ob die Modeschöpferin an den Geschehnissen ihrer Zeitgeschichte nicht doch interessierter war als gemeinhin angenommen. Besonders, wenn man hört und sieht, wie sie sich 1969 in einem nur minutenlangen Filmausschnitt, der als Loop auf einer Wand der Ausstellung flimmert, entschieden ungläubig über die angeblich soeben stattgefundene Mondlandung mokiert und den unrealistischen Expansionswillen der Menschheit scharfzüngig kritisiert, bekommt man das Gefühl, es mit einer Frau zu tun zu haben, die früh begonnen hat, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden, und nicht zuletzt in dieser Auseinandersetzung mit dem menschlichen Drang zur Mimikry ihren unverwechselbar eigenen Stil entwickelte, der nun seinerseits zum weltweit nachahmungswürdigen Luxusgut avancierte, sodass auch das Museum für Kunst und Gewerbe in seiner sehenswerten Ausstellung mit dem "Mythos Chanel" auf Tuchfühlung geht.

Große Plakate mit einer eleganten Chanel an der Vorderfront des Museums für Kunst und Gewerbe - © 2014 by Schattenblick

Eleganter Blickfang am Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg
© 2014 by Schattenblick


Anmerkungen:

[1] http://www.welt.de/lifestyle/article4185012/Wie-Karl-Lagerfeld-das-beruehmte-Label-entstaubte.html (Abruf: 6. März 2014).
[2] Pressematerial zu "Mythos Chanel", Museum für Kunst und Gewerbe, 27. Februar 2014.
[3] Angela Völker: Gabrielle "Coco" Chanel persönlich. In: Maria Spitz (Hg.): Mythos Chanel. Ausstellungskatalog. Draiflessen GbR, Mettingen 2013, S. 14 - 23.
[4] Barbara Schröter: Miszelle 1. Marlene Dietrich und Gabrielle "Coco" Chanel. Objekte 25 - 32. In: Maria Spitz (Hg.): Mythos Chanel. Ausstellungskatalog. Draiflessen GbR, Mettingen 2013, S. 112.


6. März 2014