Schattenblick → INFOPOOL → KUNST → REPORT


BERICHT/048: Manga trifft Hokusai - im Spiegel gezeichneter Erzählung ... (SB)


Hokusai x Manga
Japanische Popkultur seit 1680

Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg

von Julia Barthel


Helden und Kurtisanen als Gegenwelt zum Großstadtleben

Die tägliche Bilderflut, die aus den sozialen Medien, dem Internet, Printmedien und Fernsehen auf uns einströmt, verbinden die meisten Menschen mit unserer modernen Gegenwart, in der das Visuelle den Alltag und das Bewusstsein beherrscht. Dabei entwickelte sich bereits im 17. Jahrhundert in Japan eine höchst produktive Popkultur, als die Welt der Bilder erstmals für ein breites Publikum zugänglich wurde. Im Gegensatz zur klassischen, japanischen Malerei der alten Meister machten die "Bilder der fließenden Welt" die kleinen Begebenheiten des täglichen Lebens zum Thema. Die farbenfrohen Holzschnitte von Künstlern wie Hokusai und Hiroshige konnten schnell vervielfältigt werden und befriedigten das Bedürfnis der Stadtbewohner nach Unterhaltung und einer Gegenwelt zum Alltag.

Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg präsentiert in der Ausstellung "Hokusai x Manga" eine umfangreiche Sammlung japanischer Holzschnitte in direkter Verbindung mit modernen Kunstformen aus Japan, vom Manga über Animationsfilme bis hin zu Videospielen. Dabei wird besonders anschaulich, warum aus dem Genre der Holzschnitte, die auf Situationen des täglichen Lebens oder flüchtige Begebenheiten fokussierten, das Bild als ein ganz eigenständiges Medium hervorging. Die "Bilder der fließenden Welt" spiegelten Themen wieder, mit denen sich die Bewohner der Großstadt Tokio besonders beschäftigten, wie die Träume und Affären, welche der geheimnisvollen Welt der Kurtisanen angedichtet wurden, oder der Starkult um berühmte Schauspieler des Kabuki-Theaters. Da sich die Holzschnitte mit den alltäglichen Wahrnehmungen und Sehnsüchten der Menschen beschäftigten, wurden die Bilder zu einem sehr wirkmächtigen Medium. Über das Bild wurden Werte wie Loyalität und Ehre im Sinnbild des Samurai gegen die Willkür des herrschenden Militäradels in Stellung gebracht oder die Kurtisane als Idol der Weiblichkeit und Erotik in einer sexuell restriktiven Zeit gefeiert. Durch die Vielfalt, Erschwinglichkeit und Produktionsgeschwindigkeit konnten in den Bildern gesellschaftliche Themen verhandelt und subversive Botschaften gesendet werden.


Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © MKG

Utagawa Kuniyoshi (1797-1861),
"Ich will das Nächste sehen!",
Japan, Edo, 1852, Farbholzschnitt, 36,2 x 24,6 cm,
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © MKG


Die Verbindung zwischen historischen Holzschnitten und visuellen Massenmedien

Die Verbreitung und der Aufstieg des gedruckten Bildes zum visuellen Massenmedium ging mit großen gesellschaftlichen Umbrüchen einher, aus denen zunächst eine Großstadt und mit ihr ein breites Publikum für die Unterhaltungsindustrie entstand. Unter der Tokugawa Regierung erlebte Japan mit Beginn des 17. Jahrhunderts eine längere Phase des Friedens und Wohlstandes und die Hauptstadt Edo wuchs zu einer Millionenstadt heran. Im heutigen Tokio entwickelten sich ganz neue gesellschaftliche Schichten aus Handwerkern, Händlern und Kaufleuten, die sich nach Vergnügen und Unterhaltung sehnten. Im Klima des gesellschaftlichen Umbruchs und der wirtschaftlichen Blüte entstanden das volkstümliche Kabuki Theater und die geheimnisvollen Freudenviertel, in denen luxuriös gekleidete Kurtisanen lebten, als Gegenwelt zum Alltag. An diesen Orten suchten die städtischen Bürger Zerstreuung und Erholung vom Großstadtleben, während sich darum herum eine ganze Unterhaltungsindustrie entwickelte, um in immer kürzeren Abständen den Hunger nach neuen Reizen zu befriedigen. In der schnellen Taktung des Konsums werden die Holzschnitt-Bilder zu einem eigenen, zentralen Medium, das sich eignet, um ganze Geschichten in gedruckten Bildsequenzen zu erzählen.

Spätestens an diesem Punkt entsteht mit dem Bild als Medium eine lebendige Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, denn auch in der modernen Großstadt sehnen sich die Menschen nach einer Traumwelt, in der sie dem Stress und den Spielregeln der Realität entfliehen können. Interessant ist dabei, dass in den Gegenwelten der vormodernen Edo-Zeit dieselben Themen auftauchen wie in der Gegenwart. Heute wie damals haben die Stadtbürger eine große Sehnsucht nach rechtschaffenen Vorbildern und lieben deshalb die Heldengeschichten vom tapferen Samurai. In einer Zeit, die von der Willkür des Militäradels und politischer Restriktion geprägt war, wurden die Samurai zu einem Sinnbild für Loyalität und Ehre, um die sich Mythen und Geschichten rankten. Schon damals wurden diese Legenden auf die Gegenwart übertragen. Auf dem Weg durch die Ausstellung "Hokusai x Manga" stößt man auf ein Bild, das die berühmten 47 herrenlosen Samurai in schwarz-roten Feuerwehrmänteln zeigt, denn in der Edo-Zeit waren die Holzhäuser in den Städten ständig durch Brände bedroht und der Feuerwehrmann galt als Inbegriff des modernen, urbanen Helden. Während man als Besucher an den farbenfrohen Darstellungen von kämpfenden Kriegern in traditionellen Gewändern vorbei schlendert, verändern sich die Bilder nach und nach, bis man plötzlich vor einer modernen Interpretation des Samurai aus dem Jahre 2013 steht und ein klassisches Holzschnitt-Motiv mit einer Videospiel-Szene in einem Bild zusammenkommt.


Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © MKG Holzschnitt und Druck David Bull, © Jed Henry

links: Utagawa Kuniyoshi (1797-1861),
Der Held Yokagawa Kanpei Munenori, 1852,
Farbholzschnitt, 36,1 x 24,5 cm,
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © MKG
rechts: Jed Henry (*1983) (Design),
Blue Storm, 2013, Holzschnitt,
Holzschnitt und Druck David Bull, © Jed Henry

Ohne es zu merken, gleitet der Besucher von den Holzschnitten der Edo-Zeit in die Comics-Videospiele der Gegenwart hinein und begreift sofort, warum die Verbindung zwischen historischer und zeitgenössischer Popkultur aus Japan so lebendig ist: Motive, Themen und Ästhetik aus dem vormodernen Tokio sind universell und dem modernen Menschen aus Animationsfilmen, Manga und Videospielen vollkommen vertraut.


Comics und Cross-Media Gespenster aus Tokio

Man stelle sich nun vor, wie Menschen mit kleinen, gelben Büchern in der Hand im 17. Jahrhundert durch die Straßen der pulsierenden Großstadt Tokio laufen und in Bildsequenzen gedruckte Geschichten lesen, und sieht die Geburtsstunde der Comics vor sich. Die kleinen Hefte im gelben Einband waren unkompliziert und günstig im Kiosk zu erwerben und ein kommerzielles Verlagswesen versorgte die konsumorientierte Bevölkerung der Millionenstadt mit immer neuen Geschichten. Die Ausstellung Hokusai x Manga zeigt erstmalig diese frühen Comics aus der Sammlung des MK&G und wer sie sich ansieht, erlebt einen beinahe unheimlichen Effekt: Fast ist es, als würden die Grenzen zwischen der fernen Vergangenheit und der Gegenwart verschwimmen, denn schon damals entwickelten die Künstler jene Bild-Text-Kombinationen, Symbole und verkürzten Darstellungsformen wie wir sie auch aus den modernen Comics unserer Zeit kennen. Es lohnt sich, einen zweiten und dritten Blick auf diese ersten illustrierten Bücher zu werfen, während man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen muss, dass diese Exemplare tatsächlich aus den Jahren um 1775 stammen und nicht zufällig in die Schaukästen der Ausstellung geschummelt wurden.

Unheimlich waren auch die Geschichten aus der Geister- und Gespensterwelt Japans. In der Edo-Zeit, an der Grenze zur Industrialisierung, lebten die alten Mythen und Traumwelten aus der vormodernen Lebenswirklichkeit noch einmal auf. Im alten Tokio pflegten die Großstadtbewohner einander zum Vergnügen und für den Nervenkitzel gruselige Gespenstergeschichten zu erzählen, bis etwas Unheimliches passierte.

Dabei konnten sie auf eine große Vielfalt an Monstern, Dämonen und Naturgeistern aus der traditionellen Geisterwelt zurückgreifen, die vom bösartigen Rachegeist bis zur gruseligen Erdspinne in allen möglichen Gestalten auftreten können. In den abgedunkelten Ausstellungsräumen des Museums kommen die Darstellungen der zahlreichen Arten von Geistern, Gespenstern und Dämonen in beleuchteten Schaukästen besonders zur Geltung und lassen das Herz des Gespensterfreundes höher schlagen. Ein Kartenspiel aus der Edo-Zeit mit bunten Miniaturabbildungen der Geister und Gespenster zeigt eine weitere Parallele zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf. Schon im alten Tokio erfand man die ersten, crossmedialen Vermarktungsstrategien, indem man unheimliche Gespenster und berühmte Helden auf Sammelkarten, Holzschnitten und in Comicgeschichten unter die Leute brachte.


Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © MKG

Katsushika Hokusai (1760-1849),
Der Oiwa-Geist, 1831/ 32,
Farbholzschnitt, 26,1 x 18,8 cm,
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © MKG


Es gibt nichts, das nicht sehenswert wäre

Wer zwischen den Exponaten der Ausstellung hindurch spaziert, wird unter den folkloristischen Yokai unvermeidlich auf viele Bekannte aus der eigenen Kindheit treffen, denn viele von uns sind mit den freundlichen Naturgeistern und elementaren Wesen aus Filmen wie "Prinzessin Mononoke" und "Chihiros Reise ins Zauberland" aufgewachsen. Zwischen all den farbenfrohen Bildern wandert der Besucher von der fernen Vergangenheit der Holzschnitte über die nähere Vergangenheit der Kindheit bis in die Welt der futuristischen Animes und Großstadt-Dystopien und beginnt unterwegs zu begreifen, wie lebendig die Verbindung zwischen historischer und moderner Popkultur für jeden von uns ist.

Indem das Museum für Kunst und Gewerbe hochwertige Holzschnitte aus fernster Vergangenheit in einer Ausstellung mit den Mangas, Animes und Computerspielen der Gegenwart zusammen brachte, schuf es ein didaktisches Konzept, das voll aufgeht. Auch ganz ohne Sprache erzählen die Bilder ihre Geschichte und die zahlreichen Verbindungen werden sichtbar. Wer sich tiefere Erklärungen zu den Zusammenhängen zwischen der medialen Welt der Edo-Zeit und den Bildwelten der Moderne wünscht, wird auf der liebevoll gestalteten Webseite zur Ausstellung fündig und findet in den informativen Kurztexten viele spannende Hinweise zum Weiterlesen: http://hokusaixmanga.mkg-hamburg.de/.

In der Ausstellung selbst gibt es neben Geister- und Heldengeschichten noch viele weitere Verbindungen, aber auch Brüche und Gegensätze zwischen dem alten und dem neuen Japan zu entdecken. Wer es irgendwie einrichten kann, sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, in die japanischen Traumwelten einzutauchen, und nebenbei einen Blick auf das höchst reizvolle Begleitprogramm werfen, das von der Manga/Comics/Games-Messe MaGnology 2016 http://www.hh-mag.net/ über ein Filmprogramm mit Animes im Metropolis Kino http://www.metropoliskino.de/ bis zu einem Geistertreffen im September reicht. Mir bleibt nur, den nächsten freien Tag abzuwarten, um mir die zehn verschiedenen Themenwelten der Ausstellung noch einmal anzusehen und mich jetzt schon auf das Geistertreffen im September zu freuen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 11. September 2016 zu sehen.

17. Juni 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang